Literaturhaus im PrinzMaxPalais, Karlsruhe | Literatur in Baden-Württemberg 1952-1970


Reinhard Döhl | Der Kreis um Max Bense 

Elisabeth Walther zum 80sten


Sogar schon im Lexikon | Name und Chronologie | "die 60er jahre namens..." | Bestandaufnahme und  Abgesang | Ende oder Zäsur | Eine Gruppe ist eine Gruppe ist keine Gruppe | Vom Umfang der Gruppe | Von Orten und Örtern | Die Hervorbringungen | Konkrete Literatur | [1. Ausstellungen und Mappen | 2. Akustische Poesie | 3. Theorie] | Künstliche Poesie | Mischformen | Sonstiges | Engagement und Experiment | Tradition und open end | Dialog statt Gruppenstil | Max Bense: Wörter | Anmerkungen

In seiner Dankesrede zur Verleihung des Arno-Schmidt-Preises 1984 erwähnt Wolfgang Koeppen ein Treffen mit Alfred Andersch und Arno Schmidt im Wartesaal des Stuttgarter Hauptbahnhofs vor 1950, das so nicht stattgefunden haben kann. Es gibt aber Gründe, anzunehmen, daß ein solches Treffen nach 1950, wahrscheinlich 1957 in der Wohnung Max Benses stattfand, denn Koeppen erwähnt an anderer Stelle seiner Rede einen Professor der Hochschule, bei dem er und Schmidt sich "auch" einmal gesehen hätten. (1) Womit ich beim Thema wäre: dem Kreis um Max Bense, um den sich gruppierte, was später Stuttgarter Schule bzw. Stuttgarter Gruppe genannt wurde.

Sogar schon im Lexikon

Diese Stuttgarter Gruppe/Schule um Max Bense ist nämlich keine Fata Morgana, wie man vermuten möchte, wenn man sich in Stuttgart nach ihr erkundigt. Sie hat es sogar schon zu spärlichen lexikalischen Verzeichnungen gebracht, erstmals

wo unter dem Stichwort "Dichterkreise/Koproduktionen" zu lesen ist:

"Experimentelle Dichtung bzw. visuelle und konkrete Poesie diskutieren und produzieren in den fünfziger und sechziger Jahren die 'Stuttgarter Gruppe' aus Schriftstellern und Typographen (Bense, Reinhard Döhl, Ludwig Harig, Helmut Heißenbüttel), der internationale 'Darmstädter Kreis' (Claus Bremer, Dieter Rot, Spoerri, Thomkins, Williams) und die an Dadaismus/ Surrealismus anknüpfende, mit Methoden der Sprachphilosophie und Kybernetik arbeitende 'Wiener Gruppe' (Achleitner, Hans Carl Artmann, Konrad Bayer, Gerhard Rühm, Oswald Wiener); zur Österreichischen Literatur-Avantgarde zählt ferner der Grazer Kreis 'Forum Stadtpark' (Wolfgang Bauer, Thomas Bernhard [sic, R.D.], Barbara Frischmuth, Peter Handke, Ernst Jandl, Friederike Mayröcker)." (3)

Ein solcher Artikel verstellt freilich mehr als er erhellt.

Darüber hinaus fehlt ein Hinweis auf Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Gruppen, z.B. darauf, wie überhaupt die internationalen Verflechtungen der "Stuttgarter Gruppe" auffällig unerwähnt bleiben.

So ganz unbekannt ist eine "Stuttgarter Gruppe/Schule" nämlich nicht, vor allem, wenn man Artikel oder Erwähnungen in den Print Medien auch außerhalb Deutschlands, in Japan zum Beispiel, Tschechien, Brasilien, Frankreich, England und anderen Orts hinzurechnet. Und wer Materialien sucht, von Publikationen über Typoskripte, Partituren, akustische Dokumente, bildkünstlerische oder grafische Arbeiten bis zu einer intensiveren Korrespondenz, wird zwar weniger in Marbach, wohl aber - neben den Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin (Sammlung Jasia Reichardt) (6) und dem Dortmunder Museum am Ostwall (Sammlung Siegfried Cremer) (7) - u.a. in der Bibliothek der Mushajino Art University in Tokyo (Nachlaß Seichii Niikuni), im Museum der tschechischen Nationalliteratur in Prag (Sammlung Bohumila Grögerová / Josef Hiršal), in der Bibliothek in Amiens (Sammlung Ilse und Pierre Garnier) und anderen Orts fündig. Der Nachlaß Benses wird wohl nach Marbach finden, die Nachlässe Heißenbüttels und Döhls werden, soweit sie nicht schon dort sind, künftig im Archiv der Akademie der Künste, in Berlin, zu finden sein.

Name und Chronologie

Man könnte die Genese einer Stuttgarter Gruppe mit den Umzügen Helmut Heißenbüttels (1957) und Reinhard Döhls (1959) nach Stuttgart datieren, wo Max Bense seit 1950 an der Technischen Hochschule wirkte. Sinnvoller scheint jedoch, schon 1955 mit der von Bense herausgebenen Zeitschrift "Augenblick" (9) anzusetzen, der neben den von Alfred Andersch herausgegebenen "Texte[n] und Zeichen" wichtigsten Literaturzeitschrift der 50er Jahre.

Mit dem 1. Jahrgang des "Augenblick" zu beginnen, macht deshalb Sinn, weil Vgl. auch die entsprechende Vitrine in der Ausstellung. Mit dem 1. Jahrgang des "Augenblick" zu beginnen, macht zweitens Sinn, weil Ich überspringe die folgende Jahrgänge mit Namensnennung von deutschsprachigen Autoren, die im "Augenblick" publizieren und  bei der Konstituierung  der Stuttgarter Gruppe/Schule eine mehr oder weniger gewichtige Rolle spielen werden. Es sind dies, neben den schon genannten Gomringer und Heißenbüttel, Max  Bense selbst, ferner Arno Schmidt, Martin Walser, Ludwig Harig, Claus Henneberg, Theo Lutz, Reinhard Döhl, Ferdinand Kriwet, Jürgen Becker, Manfred Esser u.a. (11)

1960 erscheint im Limes Verlag die von Franz Mon in Zusammenarbeit mit Walter Höllerer und Manfred de la Motte herausgegebene Anthologie "movens. Dokumente und Analysen zur Dichtung, bildenden Kunst, Musik, Architektur", eine von uns damals kontrovers diskutierte aber wichtige Anthologie, die mich hier vor allem wegen ihrer Rezension durch Max Bense interessiert.

"Wir haben" stellt diese Rezension nämlich einleitend fest, "heute in Deutschland experimentelle Literatur", relativiert aber zugleich: "Sie ist natürlich nicht unabhängig von gleichartigen Tendenzen, im Ausland vor allem in Nord- und Südamerika, in Japan, England und Frankreich gibt es verwandte Veröffentlichungen, besitzt aber dennoch gewisse eigene Züge. Selbstverständlich will ich ihr damit nicht schon künstlerischen Rang, sondern nur eine eigene Absicht zugestehen."
"Versuche[n] Apollinaires, Lewis Carrolls, Gertrude Steins, Joyces und Majakowskis" nahestehend, weisen - so Bense weiter - diese "jüngeren experimentellen Vorhaben [...] Eigenschaften" auf, "die vornehmlich die materiale Eigenwelt der Sprache und der Texte betreffen und nicht ihre phänomenale Außenwelt", die "also stärker auf die linguistischen Gegebenheiten, aus denen Poesie und Prosa gemacht werden, als auf die Bedeutungen dieser Gegebenheiten bezogen" seien.
Dabei kennzeichne "der Ausdruck 'experimentell' vor allem ihren Entstehungsprozeß und die Abhängigkeit von ihm. Dementsprechend" relativiere "die experimentelle Literatur alle Kategorien zwischen Prosa und Poesie", baue "sie in gewisser Hinsicht sogar ab und" ziehe "den linguistisch allgemeineren und tiefer liegenden Begriff 'Text' vermittelnd vor, wie sie auch lieber vom 'schreiben' als vom 'dichten'" spreche.
Hinzu komme, "daß experimentelle Literatur ihre Versuche nicht [...] aus der Möglichkeit dieses oder jenes dekretierten Manuals symbolischer Funktion" entwickele, "sondern vor dem Hintergrund gewisser aus erkenntnistheoretischem Zwang hervorgegangener Theorien, die die gesamten Kommunikationsfähigkeiten des linguistischen Materials betreffen."
Als Vertreter einer derart experimentellen Literatur nennt Max Bense jetzt in einer interessanten Gewichtung und Zuordnung:
"Sieht man von Eugen Gomringer, Ludwig Harig, Reinhard Döhl und Helmut Heißenbüttel ab, so sind unter den jüngeren deutschen Autoren, die mehr oder weniger eindeutig dem Bereich experimenteller Literatur zuzuordnen sind, vor allem Hans G. Helms, Claus Bremer, Bazon Brock, Franz Mon, Jürgen Morschel und Gerhard Rühm, neuerdings auch Jürgen Becker und Ferdinand Kriwet bekannt geworden. Literarisch sind sie außer von den Genannten" - also Apollinaire, Carroll, Gertrude Steins, Joyce und Majakowski - "stark von Hans Arp und Kurt Schwitters, von den Konkreten und den Dadaisten abhängig. Auf dem theoretischen Hintergrund ihrer visuellen, materialen, seriellen, stochastischen, automatischen und vibrativen Techniken erscheinen wiederum mehr oder weniger deutlich Reflexe der Struktur- und Gestalttheorie, Kommunikationsforschung, Wahrnehmungslehre. Allgemeine Semantik und gelegentlich sogar statistische Linguistik, informationelle Ästhetik und Texttheorie, überhaupt Überlegungen, die dem weiten Feld der Kybernetik angehören." (12)
Wenn man so will, ist mit diesen Namen das Umfeld der später sogenannten Stuttgarter Gruppe bereits abgesteckt, deutlich gemacht, in welchen literargeschichtlichen Kontexten (Apollinaire, Carroll, Gertrude Stein, Joyce, Majakowski, Arp, Schwitters, Dadaismus und Konkrete Kunst) die Arbeiten  gelesen, auf welchem theoretischen Hintergrund sie verstanden werden sollen.

Zugleich ist damit  in nuce - was der zweite Grund meines ausführlichen Zitats ist -  zugleich ist damit in nuce vorformuliert, was Bense 1961 auf den "Morsbroicher Kunsttagen" in einem heftig umstrittenen Vortrag über "Zeitgenössische Literatur in Deutschland" ausfalten wird, einem Vortrag, in dem es um experimentelle bzw. konkrete, aber auch um künstliche Poesie, also Computertexte geht.

Mit einem notierenswerten Nebeneffekt: das professorale "Wir" des Vortragenden, sein wiederholtes "Wir in Stuttgart" auch in der von Adorno geleiteten Diskussion des nächsten Tages, erweckt bei den von Benses ästhetischen Ideen und Thesen aufgeschreckten Zuhörern - nicht ganz zu Unrecht, wie ich rückblickend sagen würde - die Vorstellung eines ästhetisch konspirativen Stuttgarter Gruppenunternehmens, einer Stuttgarter Schule. Wobei diese Bezeichnung in der Diskussion kritisch und eher abwertend gegen die aus Stuttgart kommenden Ideen gewendet wird. Zu ergänzen habe ich, daß auf Schloß Morsbroich neben Helmut Heißenbüttel auch Claus Bremer und Franz Mon vortragen bzw. lesen, zu denen spätestens seit diesen "Kunsttagen" von Stuttgart aus Kontakt gehalten wird.

- 1961 muß der "Augenblick" wegen materieller Schwierigkeiten "vorläufig sein Erscheinen ein"stellen, doch tritt bereits 1960 an seine Seite die ebenfalls von Bense, jetzt zusammen mit Elisabeth Walther herausgegebene Publikationsfolge "rot" (13), die ab der Nummer 13 (1964) von Hansjörg Mayer gedruckt wird, der selbst seit 1964 in Stuttgart eine eigene Edition (u.a. mit der wichtigen Faltblattfolge "futura") und seit 1966 eine eigene Galerie betreibt. (14)

- Über "rot" und "futura" kommen die Drucker Klaus Burkhardt und Hanjörg Mayer, die Autoren Ernst Jandl, Friederike Mayröcker, Diter Rot, Franz Mon, Claus Bremer, Frieder Nake, André Thomkins u.a. hinzu, deuten sich, vor allem in der Faltblattfolge "futura" mit den Namen Bohumila Grögerová / Josef Hiršal, Haroldo und Augusto de Campos, Emmett Williams, Hiro Kamimura, Pierre Garnier, Bob Cobbing, Dick Higgings, Herman de Vries, Robert Filliou u.a. die internationalen Verbindungen des Kreises um Max Bense an, die in jedem Fall gesehen werden müssen.

Für alle drei Periodika, also "Augenblick", "rot", "futura", finden sich Belege in der Ausstellung.

- 1962 druckt Burkhardt einen "Unendlichen Calender", mit Texten von Bense, Rühm, Elisabeth Borchers, Burkhardt, Döhl, Harig und Esser, bei dessen Vorstellung in Niedlichs Bücherdienst Eggert, einem frühen Ort der Stuttgarter Aktivitäten, Esser und Döhl einen kleinen, gemeinsam in Weinlaune geschriebenen Text vorlesen, allerdings kein "Manifest der 60er Jahre", wie Esser später in einem tagebuchähnlichen Essay stilisieren wird (15), was dann mehrfach nachgeschrieben wurde. Da dieser Text nur in einem einzigen, von Burkhardt auf der Handpresse gedruckten Exemplar und einem Andruck existiert, sei er hier zitiert:

stuttgart inform
auf dem nenner
auf dem laufen
den welche form
dran ist heißt
bestehn die 60er
die laufen ständig
& stuttgarter heißen
die 60er jahre namens
Der Text endet ohne Punkt, was von uns so gedacht war, daß nach "namens" jetzt die Unterschrift der Calender-Beiträger und weiterer sympathisierender Autoren folgen sollten, die dann alle zusammen für die 60er Jahre gestanden hätten:

"die 60er jahre namens..."

- In "Wie kommt man zu einem Verlag" (16) hat Ernst Jandl, durchaus amüsant (wobei namhafte Verlage und Verleger wie Unseld und Suhrkamp die Lachnummern sind,) zusammengefaßt, wie er sich 2 Jahre später mit einem Manuskript Friederike Mayröckers und seinen eigenen Manuskripten "Laut und Luise" und "Schleuderbahn" auf Verlegersuche macht. Ich darf den Stuttgart betreffenden Passus zitieren:

"Mein erstes Buch, 1956 in Österreich verlegt, war nie richtig aufgetaucht, doch gründlich untergegangen.
In den Sommerferien 63, noch diente ich als Lehrer, fuhr ich mit diesen beiden Manuskripten  und einem Gedichtmanuskript von Friederike Mayröcker nach Deutschland, auf Suche nach einem Verlag. Ich besaß keine Empfehlungen, nur die Adressen einiger Verlage, darunter Insel und Luchterhand.
Wie vorgesehen fuhr ich nach Neuwied [...], dem Sitz des Luchterhand Verlags, der fünf Jahre später [...], mein Verlag werden sollte. Jetzt allerdings erklärte man mir dort freundlich, daß für ein Manuskript wie "Laut und Luise" bei ihnen kein Platz sei; das zweite Manuskript wolle man dort behalten und prüfen. Es gelangte, alsbald, mit einer Ablehnung, an meine Wiener Adresse zurück.
Der Besuch bei Luchterhand jedoch brachte mir einen Hinweis von entscheidender Bedeutung. In Stuttgart sitze ein Mann, noch Student und selbst schreibend, der für konkrete und experimentelle Dichtung außerordentliches Interesse und außerdem gute Beziehungen zum Limes Verlag habe; sein Name sei Reinhard Döhl.
Der Kontakt in Stuttgart kam augenblicklich zustande, und ein Almanach, "zwischen-räume - sieben mal gedichte", der knapp vor dem Erscheinen bei Limes stand, wurde von Döhl in raschem Entschluß auf "acht mal gedichte" (17) erweitert, indem er mich als achten mit dreizehn Gedichten aus "Laut und Luise" hineinnahm.
[Auch] 'Laut und Luise' hätte man dort herausbringen wollen, allerdings um die Hälfte gekürzt, und nicht ungern in Verbindung mit der Abnahme einer größeren Zahl von Exemplaren durch den Autor. Die drohende Verstümmelung des Manuskriptes machte diese Aussicht zunichte.
Die "zwischen-räume" erhielten eine gute Presse; durchwegs wurden zwei Namen hervorgehoben: der des Mathematikers Wolfram Menzel, [heute Karlsruhe, R.D.] und mein eigener.
Bei einer Lesung der "zwischen-räume"-Autoren in der Buchhandlung Niedlich in Stuttgart hörte mich Bense und die Frau des damals verreisten Helmut Heißenbüttel. Bense war amüsiert,
ich ergänze: mit dem Erfolg, daß 1964 der Edition Rot als Nr. 16 "lange gedichte" Jandls erschienen; und fahre im Zitat fort
Bense war amüsiert, Frau Heißenbüttel wollte ihrem Gatten berichten.
Bald las ich wieder am selben Ort. Heißenbüttel war anwesend und schlug vor, 'Laut und Luise' in die Reihe der Walter-Drucke aufzunehmen, die er gemeinsam mit Otto F. Walter herausgab.
1966 erschien 'Laut und Luise' mit einem Nachwort von Heißenbüttel als Walter-Druck 12 und setzte dieser Reihe ein Ende."
Dazu Otto F Walter:
Damals "gab es im Walter-Verlag zwischen mir und den sogenannten Verantwortlichen eine Kontroverse über das Programm, das ich zu vertreten hatte. Interessant war, daß nicht linke Publikationen, wie es sie in steigendem Maße gab, die Sache zur Explosion brachten, sondern im Grunde eine Publikation, die einen außerordentlich harmlosen Titel trug, 'Laut und Luise' von Ernst Jandl, ein Band konkreter Poesie. Da wurde es den Leuten, die im Grund ganz unbewußt, aber 'richtig reagierten', zuviel. Diese Publikation traf im Unterbewußtsein eine ausgesprochen bürgerliche Mannschaft sehr viel stärker als direkte rhethorische Äußerungen. Es kam zu einer Auseinandersetzung, an deren Ende ich fristlos entlassen wurde. Mit mir gingen sämtliche Autoren vom Verlag weg." (18)
Ich will die Verlagsgeschichte von "Laut und Luise" nicht weiterverfolgen, die schließlich mit einer Reclam-Ausgabe wieder zum Ausgangspunkt Stuttgart zurückkehrt, ich zitiere auch nicht aus Eitelkeit die Widmung, die Jandl in mein Exemplar von "Laut und Luise, einschrieb":
"Für Reinhard, / der L&L entdeckte, / akzeptierte und ihnen / half, Buch zu werden, /  allen Dank ihres Erzeugers / Ernst // Wien, September 66",
ich rekapituliere lediglich und erwähne weitere Lesungen, gemeinsame Auftritte und Projekte der folgenden Jahre in und außerhalb Stuttgarts (19) nur deshalb ein wenig nachdrücklicher, weil eine Bildmonographie und eine inzwischen umfangreichere Literatur über Ernst Jandl nach seinem Tod diese Stuttgarter Verbindung gering schätzt, wenn nicht gar ganz unterschlägt.

- Der Kreis um Max Bense hat freilich, als Jandl 1963 erstmals Stuttgart besucht, immer noch keinen Namen.1963 endlich "setzen" aber, wie Esser in seinem schon genannten 'Tagebuch' notiert, Esser und Harig "bei den Tel-Quel-Leuten (Faye, Foucault, Sollers) und der italienischen Gruppe 63 (Sanguinetti) [...] den möglichen Index STUTTGARTER SCHULE an, ein, durch". (11) Ludwig Harig wird später diese Stuttgarter mehrfach Raffaels "Schule von Athen" vergleichen und sogar einige ihrer Mitglieder auf dem Bild Raffaels identifizieren. Er wird für sich und Manfred Esser die Rolle des Namengebers und Taufpaten bestätigen und 1990 in der Bense-Festschrift "zeichen von zeichen für zeichen" (19a) auf seine Weise wiederholen, was Essers 'Tagebuch' erstmals in Anspruch nimmt. Wie immer dem sei, noch im selben Jahr, am

- 29. Oktober 1963 tritt diese "Ecole de Stuttgart" auf der 3. Biennale im Musée d'Art Moderne in Paris im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Art du langage" erstmals gemeinsam auf, präsentiert vom R.T.F. und der Domaine Poétique, mit "Poèmes de Heissenbüttel, Reinhardt [sic] Döhl, Ludwig Harig" und einer "Présentation de Manfred Esser". Das 'Tagebuch' Essers nennt noch, und ich kann sie bestätigen, Texte Benses und vermerkt, daß "Bazon Brock [...] sich, Kriwet und Mon hinzu[getan]" habe. Ich erinnere mich ferner an einen Film Georg Benses, "jetzt", "d'après une variation mathématique de Max Bense" und daran, daß für die Dauer der Veranstaltung von Burkhardt und Döhl überdruckte Zeitungen, sogenannte "Use Papers", mit Stecknadeln an die Wände des Vortragssaals geheftet sind. Eine Rezension der Lesung spricht gleichfalls von einer "Ecole de Stuttgart". (20)

- 1964 ist - nach einer ersten gemeinsamen Ausstellung in Stuttgart - die Stuttgarter zusammen mit der brasilianischen Noigandres-Gruppe mit konkret-visuellen Beiträgen erstmals, 1970 in internationalem Kontext ein zweites Mal  auf einer Ausstellung in Tokyo vertreten (21). Ich nenne diese beiden Beteiligungen als Belege für die japanischen Kontakte, aber auch stellvertretend für eine seither rege Ausstellungstätigkeit mehr im Aus- als im Inland,  für die ich lediglich Städtenamen angebe: Cambridge, Oxford, Stuttgart (2mal), London, Philadelphia, Mexiko, Modena, Paris, Eindhoven, Köln, Triest, Barcelona / Madrid, Parma, Frankfurt/Main (2mal), Breitenbrunn, Karlsruhe, Alpbach, Wien, Innsbruck, Hof (3mal), Den Haag, Münster, Köln, Tokyo (2mal), Zürich, Stuttgart, Amsterdam, ferner eine Wanderausstellung des Goethe-Instituts München.

- Nachdem Döhl bereits am 19.10.1963 im Forum Stadtpark, mit Tondokumenten und einer Kurzfilmparaphrase auf einen Text von Bremer, u.a. über Stuttgarter Experimente mit visueller, akustischer und künstlicher Poesie berichtet hat, erscheint im März 1965 die sogenannte Stuttgart-Nummer der Grazer "Zeitschrift für Literatur, Kunst, Kritik", "manuskripte", mit Texten der "zwischen-räume"-Autoren, ferner Benses, Döhls, Harigs, Heißenbüttels, Hennebergs, Jandls, Franz Mons, Claus Bremers, Eugen Gomringers, Friederike Mayröckers und einem Manifest von Bense und Döhl aus dem Jahre 1964, "Zur Lage", das in Bündelung einer Vielzahl experimentell erprobter Textsorten folgende Tendenzen unterscheidet:

1. Buchstaben = Typenarrangements = Buchstaben-Bilder
2. Zeichen = grafisches Arrangement = Schrift-Bilder
3. serielle und permutationelle Realisation = metrische und akustische Poesie
4. Klang = klangliches Arrangement = phonetische Poesie
5. stochastische und topologische Poesie
6. kybernetische und materiale Poesie.
"Allerdings", schränkt das Manifest ein, würden "diese Möglichkeiten nicht in reiner Form verwirklicht. Wir ziehen die Poesie der Mischformen vor. Ihre Kriterien sind Experiment und Theorie, Demonstration, Modell, Muster, Spiel, Reduktion, Permutation, Iteration, [...] Störung und Streuung, Serie und Struktur. Das Erzeugen ästhetischer Gebilde" erfolge "nicht mehr aus Gefühlszwängen, [...] sondern auf der Basis bewußter Theorien, intellektueller [...] Redlichkeit. Zur Realisation ästhetischer Gebilde" bedürfe "es des Autors und des Druckers und des Malers und des Musikers und des Übersetzers und des Technikers und des Programmierers. Wir sprechen von einer materialen Poesie oder Kunst. An Stelle des Dichter-Sehers, des Inhalts- und Stimmungsjongleurs" sei "wieder der Handwerker getreten, der die Materialien" handhabe, "der die materialen Prozesse in Gang" setze "und in Gang" halte. "Der Künstler heute" realisiere "Zustände auf der Basis von bewußter Theorie und bewußtem Experiment.
Wir sprechen von einer experimentellen Poesie, insofern ihre jeweiligen singulären Realisationen ästhetische Verifikationen oder Falsifikationen bedeuten. Wir sprechen wieder von einer Poietike techne. Wir sprechen noch einmal von einer progressiven Ästhetik bzw. Poetik, deren bewußte Anwendung ein Fortschreiten der Literatur demonstriert, wie es schon immer den Fortschritt der Wissenschaft gab."
Dieses 13. Heft der "manuskripte" erscheint - ich zitiere aus dem Editorial -
"in erweitertem Umfang, um einige Projekte zu verwirklichen, die zu verwirklichen uns notwendig erscheinen.
Notwendig erscheint es uns, die "Stuttgarter Gruppe" vorzustellen. Die Ecole Stuttgart ist eine Erfindung der französischen Literaturkritik. Wir finden, daß diese Schule ihren Rang neben anderen literarischen Gruppen einnimmt, wenn man auch auf ihr nicht schreiben lernen kann; in ihr kann jeder, der zu ihr gehört, für sich seine ästhetischen Vorstellungen und Absichten verwirklichen."
Was diese Gruppe verbinde, sei: "1. die Tradition einer sogenannten experimentellen Kunst seit der Literaturrevolution und 2. ein vergleichsweise ähnliches (theoretisches) Bewußtsein den Materialien gegenüber, mit denen sie umgehe [...]
manuskripte will in dieser Nummer - hoffentlich nur augenblicklich - den augenblick vertreten, dessen Erscheinen wir für die Klärung vieler Fragen der Literatur wünschen.
Die Stuttgarter "rot"-Reihe ist ergänzend in unserem Heft besprochen. [...]"
Die Stuttgart-Nummer der "manuskripte" und das Manifest in einer ersten Niederschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Ergänzungen Benses sind in die Ausstellung aufgenommen.

- Im Juli 1965 veröffentlicht Jacques Legrand, der auch für die Übersetzung der auf der Pariser Biennale vorgetragenen Texte verantwortlich war, in der Revue "Critique" einen Essay "Max Bense et le Groupe de Stuttgart" (22), in dem er die ästhetischen Theorien Benses und, in ihrem Zusammenhang, stochastische Texte sowie die letztjährigen Veröffentlichungen Benses, Harigs, Heißenbüttels und Döhls diskutiert.

Dabei spannt Legrand über Mon den Bogen auch zu der von Pierre Garnier herausgegebenen Zeitschrift "Les Lettres", in deren Nr. 31, 1963, unter dem "Plan pilote fondant le Spatialisme" unter anderen die Namen Bense, Döhl, Harig, Jandl und Mon gestanden hatten. Was insofern erwähnenswert ist, als das Manifest "Zur Lage" wesentlich durch diesen "Plan pilote [...]" provoziert wurde.

- Daß eine "Groupe de Stuttgart" im literarischen Bewußtsein Frankreichs danach durchaus bekannt ist, belegt 1969 das 6. Heft der "Revue" "Manteia", das sich fast zur Hälfte mit Texten von Bense, Heißenbüttel, Mon, Becker, Harig und Döhl füllt, die mit Ausnahme Heißenbüttels, den Charles Grivel übersetzte, von Legrand übertragen sind.

- Im Oktober/November 1965 zeigt das Institute of Contemporary Art in London unter stärkerer Stuttgarter Beteiligung die Ausstellung "Between Poetry and Painting" (den Grundstock der schon genannten Sammlung Jasia Reichardt).

- 1966 verlegen die Editionen Hansjörg Mayer und Domberger das ausschließlich Stuttgarter Mappenwerk "16 4 66", mit Texten von Bense, Döhl, Heißenbüttel, Yüksel Pazarkaya, mit Typografik von Burkhardt und Mayer, Computergrafik von Frieder Nake, einer grafischen Partitur von Erhard Karkoschka, sowie mit Siebdrucken von Siegfried Cremer, Günther C. Kirchberger und Diter Rot.

Das zugehörige 'Fahndungs'Plakat findet sich in der Ausstellung.

- Die Tage für "neue literatur in hof" 1966-1970, die von Claus Henneberg in enger Zusammenarbeit mit Döhl organisiert werden, sind vor allem der experimentellen Literatur aber auch bildenden Kunst der Stuttgarter Gruppe verpflichtet, deren Mitglieder, mit Ausnahme Benses, z.T. mehrfach dort lesen, diskutieren, literarisches Kabarett machen, ausstellen und auch musikalisch vorgestellt werden (23) - in der Begegnung mit experimentellen Autoren und Künstlern vor allem aus der Tschechoslowakei und aus Österreich, deren Namen sich schon früher oder kurze Zeit später gleichfalls in Programmen von Stuttgarter Veranstaltungen wiederfinden.

- 1967 erscheinen in Prag, herausgegeben und in Übersetzung vor allem von Bohumila Grögerová und Josef Hiršal, eine Anthologie experimenteller Poesie, "experimentální poezie", und eine Sammlung theoretischer Texte, ästhetischer Programme und Manifeste, "slovo, písmo, akce, hlas" [Wort, Schrift, Aktion, Stimme], in die praktisch alle der Stuttgarter Gruppe zugerechnete Autoren aufgenommen sind.

- Am 21. November 1967 kommt es schließlich im Rahmen der Stuttgarter Buchwochen im Landesgewerbemuseum zu einer von der Buchhandlung Niedlich veranstalteten, inzwischen legendären, 1994 noch einmal rekonstruierten Mammutlesung "Moderne Literatur in Stuttgart" mit Döhl, Gomringer, Harig, Heißenbüttel, Jandl, Kriwet (Tonband), Mon, Rot, Rühm, Konrad Balder Schäuffelen und Wolfgang Schmidt, der Bense eine Einführung über "Engagement und Experiment" (24) vorausschickt, deren Schluß ich zitieren möchte:

"Das 'Erlebnis' erscheint hier nicht mehr als die ausschließliche Grundlage der 'Dichtung' - vielleicht war es das nie oder nur im Horizont der Literaturwissenschaft suggeriert - es ist vielmehr die gedankliche, die reflektierte 'Entscheidung' für oder gegen etwas, das disparate und disjunktive Verhalten der Intelligenz, das Urteil, die Verurteilung und die Verteidigung, die hier Rechts von Links, Reaktion und Avantgarde trennt und diese Literatur ebenso zur spekulativen wie zur artistischen Zivilisationsliteratur bestimmt.
Auch ist es klar, daß zwischen den extremen Fällen, zwischen Experiment und Engagement, alle Grade des Scheiterns und des Vergeblichen einkalkuliert werden müssen. Der Sinn für das Unvollkommene gehört ohnedies zur Realität des Schöpferischen und das Vollkommene wird dem Spleen der Theologen überlassen. Daß das Meisterwerk heute unmittelbar am Tinnef, am Kitsch entstehen kann und das Subtile ins Triviale eingebettet wird, gehört zur feineren Dialektik der artistischen Züge dieser Literatur. Dennoch ist nicht jeder Zynismus ein Triumph, nicht jedes blanke Wort schon ein konkretes Gedicht, nicht jeder Misthaufen ein Exil, nicht jeder Nadelstich ein Protest, nicht jede Scheiße en Luxe ohne Gestank. Das Naive und das Moderne bleiben in jedem Falle einander ausschließende Kategorien.
Im Ganzen, sie werden es bemerkt haben, also dem Prinzip Forschung`' stärker verhaftet als dem Prinzip Hoffnung`', dem Globalen stärker als dem Regionalen, dem Urbanistischen stärker als dem Idyllischen, dem Zynischen stärker als dem Melancholischen, der Variante stärker als dem Typischen und der Provokation stärker als der Saturierung - bleibt das schreibende Wesen ein einzelnes und ein denkendes Wesen - das zwar gesellschaftlich agiert, aber individuell entscheidet und mir scheint, daß genau dies in jedem Falle zur realen Signatur der Humanität dieser technischen Zivilisation gehört, die zweifellos nicht mehr rückgängig gemacht werden kann."
Bestandaufnahme,  Abgesang und Koda

Bereits zu Bestandaufnahme und  Abgesang rechne ich

Ende oder Zäsur

Ein der "konkreten poesie" im Amsterdamer Katalog vorangestelltes Fragezeichen wollte andeuten, daß wir damals die Phase einer konkreten Poesie im engeren Sinne für abgeschlossen, ihre Möglichkeiten für erschöpft hielten.

Entsprechend hatten Felix Andreas Bauman und Döhl für eine vergleichbar umfangreiche Zürcher Ausstellung 1970 (28) den Terminus "konkret" ganz vermieden und - analog zu "texto letras imagines" - von "text buchstabe bild" gesprochen, hatte Heißenbüttel, ebenfalls 1970, in seinen "Anmerkungen zur konkreten Poesie" notiert, daß dort, wo sie sich "zu speziellen Einzelmethoden, Einzeltechniken, Einzelrichtungen" verengt habe, die konkrete Poesie historisch abgeschlossen, überschaubar, museal erscheine. Im "größtmöglichen Miteinander von Methoden" jedoch, durchlässig an den Rändern, könne sie "nicht nur [...] neue" literarische "Sprechweise", "sondern ebenso [...] eine neue Weise" sein, "sich sprachlich in dieser Welt zu orientieren". (29) Nichts anderes aber hatten bereits Bense und Döhl gemeint, als sie 1964 zwar nicht von einem "größtmöglichen Miteinander von Methoden", wohl aber von einer Bevorzugung der "Mischformen" sprachen.

Daß der Anfang der 70er Jahre in der Geschichte der Stuttgarter Gruppe so etwas wie eine Zäsur markierte, ist schon äußerlich leicht zu zeigen. Mayer schloß seine Galerie, wandte sich in seiner Edition, nach Herausgabe der "Gesammelten Werke" Rots, ethnologischen Themen zu und verließ Stuttgart Richtung London. Bense konzentrierte sich, zusammen mit Elisabeth Walther, primär auf seine semiotischen Forschungen. Von Burkhardt war nurmehr wenig zu sehen. Döhl zog sich aus dem Kulturleben zeitweilig völlig zurück. Und Heißenbüttel wechselte nach den "Textbüchern" über die "Projekte" zu "einfachen Geschichten" und "Erzählungen", um mit seiner Pensionierung 1981 Stuttgart Richtung Norden zu verlassen.

Wenn er allerdings seine "einfachen Geschichten" und "Erzählungen", die alles andere als traditionelle Erzählprosa sind, jetzt wieder als "Textbücher" auswies, bekannte er sich gleichzeitig zu einer Tradition, von der sich Harig immer weiter entfernte, um schließlich rückblickend in "Eine Legende lebt. Max Benses Reihe 'rot' und die ewige Jugend des Experiments" (30) zu thematisieren, was seine (anekdotenreiche) autobiographische Prosa als Kurswechsel längst vollzogen hatte.

Diesem (Selbst)Verständnis, nach dem es in den 60er Jahren zwar eine experimentelle Literatur mit durchaus überzeugenden Ergebnissen gegeben habe, gegen deren schnelles Altern nur ein Kraut, nämlich das des Erzählens, gewachsen sei, wäre erstens die nach 1970 entstandene Literatur Heißenbüttels, Mons, Jandls u.a. leicht entgegenzuhalten, wäre zweitens zu fragen, wieweit Harig die Hauptanliegen der Stuttgarter Gruppe/Schule sich zu eigen gemacht hatte, wenn er sie ausschließlich auf einen überdies zu eng gefaßten Experiment-Begriff festschreibt.

Eine Gruppe ist eine Gruppe ist keine Gruppe

Vom Umfang der Gruppe

Bevor ich diese Frage zu beantworten und damit einen Überblick über die Stuttgarter Interessen zu geben versuche, muß ich noch einmal zum Etikett zurückkehren. Harigs Rezension in der "ZEIT" spricht weiterhin von "Stuttgarter Schule". Und in der Tat hat sich ein Nebeneinander der beiden Begriffe Schule und Gruppe bis heute gehalten, obwohl bereits 1965 sowohl die "manuskripte" wie Legrand in "Critique" eindeutig für "Gruppe" votiert hatten und wir uns seit den 80er Jahren wiederholt um eine begriffliche Trennung bemühten, so im Juli 1986 in einem Interview, das die Literaturzeitschrift "Flugasche" "'Stuttgarter Gruppe' - nicht 'Schule'" getitelt hat. (31).

Andererseits läßt das an Gertrude Stein angelehnte, in den 60er Jahren häufiger zitierte "eine gruppe ist eine gruppe ist keine gruppe" durchaus abhören, daß eine Klärung dieser Frage den Beteiligten eher gleichgültig war. 1991 haben Elisabeth Walther und Döhl sich anläßlich der Eröffnung der Ausstellung "Max Bense. Texte / Bücher / Kunst / Theorie" bei Buch Julius dann aber darauf geeinigt, daß zwar im Umfeld Benses zur Produktion von Literatur oder Kunst in gleichem Maße die Rede über Literatur und Kunst gehört habe, beides also nicht immer leicht zu trennen sei, daß aber dennoch künftig unterschieden werden solle zwischen

Definiert man vor dem Hintergrund der Chronologie und im Verständnis der Soziologie die Stuttgarter Gruppe als eine offene, fluktuierende Gruppe, läßt sich ein engerer von einem weiteren Kreis unterscheiden. Den engeren Kreis haben danach die in Stuttgart lebenden Bense, Heißenbüttel und Döhl gebildet, ergänzt um die Typographen und Drucker Klaus Burkhardt und vor allem Hansjörg Mayer.

Zu diesem engeren Kreis sind ferner wegen Ihrer Publikationen im "Augenblick", den Reihen "rot" und "futura", sowie auf Grund oft enger persönlicher Beziehungen zu wenigstens einem der Genannten, die Nichtstuttgarter Ludwig Harig, Ernst Jandl und Franz Mon zu zählen.

Hinzu kämen Esser, Helmut Mader und Wolfgang Kiwus, die aber im SKKB [= Sozialistisch-Katholischer Künstlerbund] durchaus eigene Interessen vertraten und dergestalt so etwas wie einen Satelliten zu dem eigentlichen Kern bildeten.

Alle anderen in der Chronologie genannten Autoren und Künstler möchte ich, bei unterschiedlich engen Bindungen, Annäherungen und Entfernungen, dem Umfeld der Stuttgarter Gruppe zuschlagen.

Bei der grundsätzlichen Offenheit des Stuttgarter Gruppenunternehmens wenig überraschend sind Kontakte mit anderen Gruppen, die z.T. bis heute Bestand haben:

Außer Autoren, die als Doppelbegabungen häufiger auch in einem bildkünstlerischen Kontakt zu Stuttgart standen oder noch stehen, sind ferner eine Reihe bildender Künstler wenigstens peripher der Stuttgarter Gruppe zuzurechnen, darunter die Vertreter der heute fast in Vergessenheit geratenen "Gruppe 11" (34), dem Alphabet nach Atila (Biro), Georg Karl Pfahler, Günther C. Kirchberger und Friedrich Sieber. Ferner Hans Dahlem, Reinhold Köhler, Armin Sandig u.a., die von Bense, Heißenbüttel und Döhl eröffnet wurden, über die geschrieben, mit denen zusammengearbeitet wurde. Genannt werden müßten des weiteren eine Reihe brasilianischer Künstler. Allein die Ausstellungen der von Bense eingerichteten Studiengalerie im Studium Generale der TH Stuttgart (35) wären hier ein eigenes Kapitel wert. Ich aber nenne nur noch Werner Schreib, der zwar mit der von ihm und Lucio Lattanzi proklamierten "Semantischen Malerei" bei Bense auf kein Verständnis stieß, dennoch aber Stuttgart bis zu seinem Unfalltod 1969 freundschaftlich verbunden blieb (36) und in einer nachgelassenen "Roman-Assemblage", "Das Tribunal", Bense sogar das letzte Wort behalten läßt (37).

Spärlicher sieht es im Bereich der Musik aus. Doch gab und gibt es auch hier Wechselbezüge z.B. zur "Schola cantorum" unter Clythus Gottwald, die unter anderem Benses Collage "Rosenschuttplatz" und Döhls Partitur "man" realisierte, zum "Trio Ex Voco", zu Peter Hoch, der ein "portrait m.b." komponierte und Harig vertonte, zu den Komponisten Friedhelm Döhl und Rolf Riehm, die Reinhard Döhl vertonten. Hier wäre auch noch einmal an die grafische Partitur von Erhard Karkoschka in "16 4 66", an seinen theoretischen Beitrag über "Musikalische Graphik" im Katalog der Wanderausstellung "Grenzgebiete der bildenden Kunst" zu erinnern wie allgemein darauf aufmerksam zu machen, daß die visuellen Hervorbringungen der Stuttgarter Gruppe häufig Partiturcharakter hatten, oft ausdrücklich als "Partitur" ausgewiesen waren und z.T. auch als solche realisiert wurden.

Von Orten und Örtern

Rechnet man den im Studium Generale der TH Stuttgart von Bense 1952 begründeten Arbeitskreis "Geistiges Frankreich" hinzu, sind die in Stuttgart bespielten Orte genannt:

intern

extern Zu ergänzen ist der Hinweis auf die Tage für "neue literatur in hof" wie allgemein auf das Bekanntsein der Stuttgarter Gruppe außerhalb Stuttgarts, indem ich nach Orten und Örtern frage, die mit einzelnen oder mehreren Mitgliedern der Stuttgarter Gruppe in Verbindung gebracht werden können.

Das ist zunächst im Falle Benses die Hochschule für Gestaltung in Ulm, an der er zeitweilig lehrte, ein Ort der Begegnung mit Max Bill, mit Gomringer, der ersten Begegnung mit den brasilianischen Konkreten oder mit Shutaro Mukai, der noch heute zum wissenschaftlichen Beirat der von Bense begründeten Zeitschrift "Semiosis" gehört. Ferner mit Claus Bremer oder Paul Pörtner, der hier in einem elektronischen Studio auch für Stuttgart anregende Hörspielexperimente veranstaltete.

Nicht unwichtig waren aber auch die Ausstellungen im "studio f", die Kunst zeigten, die es in Stuttgart (so noch) nicht zu sehen gab, was allemal eine Reise nach Ulm wert war.

Genannt werden muß ferner Hamburg, wo Bense an der Hochschule für bildende Künste von 1958 bis 1960 und noch einmal 1966 bis 1976 längere Gastprofessuren für Ästhetik inne hatte. Heißenbüttel war nach seinem Studium Lektor des Hamburger Claassen-Verlags gewesen, bevor er 1957 beim Süddeutschen Rundfunk zunächst eine Regieassistenz übernahm und 1959, als Nachfolger Andersch', Leiter des Radio-Essays wurde (39), ohne seine Beziehungen zu Hamburg je ganz aufzugeben. Döhls künstlerische Anfänge datieren 1954/1955 in Hamburg mit Fotografie und dem vergeblichen Versuch, auf Grund dieser Fotos zum Studium an der Hamburger Hochschule für bildende Künste zugelassen zu werden. Auch in seinem Fall sind die Verbindungen zu Hamburg (vor allem dem Norddeutschen Rundfunk) nie ganz abgerissen. Hamburger Künstler haben nicht nur in Stuttgart oder Hof ausgestellt, es ist über sie oder mit ihnen auch publiziert worden.

Straßburg, der Geburtsort Benses war auch der Geburtsort Arps, über den Döhl 1965 promovierte und dafür 1967 mit dem Prix Strasbourg ausgezeichnet wurde.

Köln, das Rheinland, wo Bense von 1920 bis 1938 lebte, zur Schule ging, studierte und erstmals 1928 auch schriftstellerisch tätig wurde, bekommen im "Entwurf einer Rheinlandschaft" (1962) ihre poetische Topographie. Mit dem Verleger Josef Witsch blieb Bense zeitlebens befreundet und der Verlag Kiepenheuer & Witsch hat wichtige Bücher von ihm publiziert. Die langjährigen Hörspielforschungen Döhls fanden nicht in Verbindung mit dem Süddeutschen sondern mit dem Westdeutschen Rundfunk in Köln (40) statt, bei dem auch die meisten der über 50 Hörspiele der Stuttgarter Gruppe produziert wurden. Ich komme darauf noch zurück.

Fast schon zentral war die Bindung an Paris, das im Arbeitskreis "Geistiges Frankreich" in Vorträgen (u.a. über stochastische Musik oder permutationelle Kunst), in Lesungen oder in Ausstellungen der Studiengalerie in den 60er Jahren fast allgegenwärtig war. Genannt seien nur die Namen Gertrude Stein, Stéphane Mallarmé, Francis Ponge, Raymond Queneau, Jean Genet, Jean Paul Sartre, Nathalie Sarraute, das Collegium Pataphysicum mit den ihm angegliederten Werkstätten der potentiellen Literatur (OULIPO) (41), das Studio bzw. der Club d'Essai, der Verlag Gallimard. Paris war, anekdotisch, der Ort, an dem sich Bense und Döhl erstmals verabredeten aber verfehlten, der Ort Barbaras, des ersten gemeinsamen Auftretens der "Ecole de Stuttgart". In Paris wohnten Ilse und Pierre Garnier und andere Freunde, und ganz in der Nähe, in Meudon, lebte Arp.

Gringnan in der Provence, ein zeitweiliges Tusculum Benses und Elisabeth Walthers, wurde zum Ort wiederholter, gelegentlich zufälliger Begegnungen, wie sich sehr schön den rot-Nummern 1 (Bense: "Grignan-Serie"), 60 (Bense: "Grignan 1. Grignan 2. Beschreibung einer Landschaft") und 61 (Garnier: "Treffen in Grignan") ablesen läßt.

Wichtig für die Wirkung der Stuttgarter Schule waren die insgesamt 12 USA-Reisen Benses seit 1969, nicht nur für die Schule sondern auch für die Gruppe von Bedeutung die vier Brasilienreisen Benses (1961-1964), in deren Folge eine Reihe brasilianischer Schriftsteller, Künstler und Architekten zu Vorträgen, Lesungen und Ausstellungen nach Stuttgart kamen, mit Auswirkungen bis nach Prag.

Die wichtigen Beziehungen zu Prag sind bereits genannt. Autoren und der Stuttgarter Gruppe nahestehende Künstler stellten in Prag aus, hielten Vorträge, lasen, wurden im Funk aber auch szenisch uraufgeführt, gaben Rundfunkinterviews oder diskutierten in Ateliers oder auch nur im Prager "Café Slavia" mit Bohumila Grögerová, Josef Hiršal, Jiri Kolar, Ladislav Novák über die gemeinsamen ästhetischen Interessen, mit Václav Havel über seine "Antikode", engagierte Typogramme, die sich im wesentlichen auf die rationalen Systeme, Mathematik, Logik und Grammatik stützen und heute zu Unrecht vergessen sind, oder mit dem Herausgeber Vratislav Effenberger über Karel Teige und seinen Poetismus, Umgekehrt haben Prager Autoren und Künstler in Stuttgart (und auf den Tagen für neue Literatur in Hof) gelesen, Vorträge gehalten und ausgestellt.

Das alles ist von Bohumila Grögerová und Josef Hiršal inzwischen umfangreich dokumentiert, u.a. in den 1994 auch in Übersetzung erschienenen Erinnerungen, dem schon genannten "Let Let. Im Flug der Jahre", in dessen Personenregister Heißenbüttel 36, Jandl 33, Döhl 28, Bense 27, Mayer und Mon je 11 und Burkhardt und Harig noch je 5mal verzeichnet sind.

Noch deutlicher werden diese Verbindungen in einem etwa gleichzeitig entstandenen Internetbeitrag Grögerovás/Hiršals, "Prag Stuttgart und zurück" (42).

Schließlich weist eine vielbeachtete Ausstellung des "Pámatník Národního Písemnictví" [Museum für Tschechische Poesie] - "Básen obraz gesto zvuk. Experimentální poezie 60. let" [Dichtung Bild Ausdruck Klang. Experimentelle Poesie der 60er Jahre] unter den tschechischen und internationalen Beiträgen auch der "Stuttgartská skola" umfänglichen Raum zu - in der Reihenfolge des Katalogtextes: Heißenbüttel, Döhl, Harig, Mon, Schäuffelen, Schmidt, Koehler, Kirchberger, Burkhardt, Mayer, Bense, Elisabeth Walther und auch Jandl - und hebt vor allem ihre internationalen Beziehungen zur Tschechischen Republik/Tschechien, zu Frankreich, Brasilien und Japan hervor.

Auch die Stuttgarter Beziehungen zu Japan, das Bense und Döhl auf Vortragsreisen von Tokyo bis Kagoshima mehrfach durchquerten, haben bis heute Bestand in Form von Einzel- und Gruppenausstellungen sowie Ausstellungsbeteiligungen, von Übersetzungen, Aufsätzen und gemeinschaftlichen poetischen Experimenten in der Tradition der japanischen Renga/Renku/Renshi-Dichtung, was inzwischen von Hiroo Kamimura und Döhl in "Stuttgart - Japan und zurück oder Ein japanisch-deutscher Schrift- und Bildwechsel" (43) und von Iwao Morosawa und Döhl in "Bunkakoryu. Ein deutsch-japanischer Schriftwechsel" (44) zusammengefaßt und im Internet ausführlich dokumentiert ist.

Die Hervorbringungen

Konkrete Literatur

Zu den Leistungen der Stuttgarter Gruppe zählt, immer wieder genannt aber in ihrem Umfang und ihren Ausformungen nur bedingt erfaßt, erstens die konkrete Poesie. Ich muß mich im gegebenen Rahmen an Stichworte halten.

1. Ausstellungen und Mappen

Eine von Bense im Arbeitskreis "Geistiges Frankreich" veranstaltete Ausstellung im Wintersemester 1959/1960, "konkrete texte", zu der sogar ein Fernsehbericht des Süddeutschen Rundfunks gesendet wurde, war die wohl erste ihrer Art überhaupt. Ein kleiner Katalog umfaßt nach einer kurzen Einleitung Benses Auszüge aus dem 1958 publizierten "Plano-Pilôto para Poesia Concreta" sowie Texte der Brasilianischen Noigandres-Gruppe in Verbindung mit 'konkreten Texten' von Heißenbüttel (Politische Grammatik). Eugen Gomringer (Konstellationen), Max Bense (Montage des IST), dem "Modell einer stochastischen Textapproximation" Claude Shannons, sowie zwei kurzen theoretischen Ausführungen Gerhard Rühms, der auf "die akustische und die optische" Erscheinungsweise des Wortes abstellt, und Max Benses, der ein Arbeiten "in der Sprache" von einem Arbeiten "mit der Sprache" unterscheidet:

"Man macht etwas in der Sprache, man sollte etwas mit der Sprache machen. Prosa und Poesie sind Begriffe, die etwas bezeichnen, was in der Sprache gemacht werden kann, wenn sie schon fertig vorliegt, ihre Formen bekannt und gegeben sind, gebraucht und verbraucht werden dürfen. Text ist etwas, das mit der Sprache, also aus Sprache gemacht wird, sie aber zugleich verändert, vermehrt, vervollkommnet, stört und reduziert".
Umfassender als diese erste stellte 1965 eine zweite Ausstellung der Studiengalerie, "Konkrete Poesie International", zu der ein Katalog und ein rot-Heft erschienen, die Stuttgarter Beiträge in den internationalen Kontext. Parallel zu ihr erschienen in der Edition Hansjörg Mayer die Mappenwerke "13 visuelle texte", (Vorwort: Döhl) 1964, "konkrete poesie international", (Vorwort: Bense) 1965 und "concrete poetry britain canada united states", (Vorwort: Jasia Reichardt) 1966, deren Blätter schon von ihrem Format her (48 x 48 cm) zum Blickfang vieler der folgenden Ausstellungen wurden und auch auf den von Stuttgart aus mit aufgebauten, schon genannten großen Zürcher und Amsterdamer Abgesängen gezeigt wurden.

Ein Foto der augenblicklichen Ausstellung läßt wenigstens im Ausschnitt einen Blick in die Amsterdamer Ausstellung zu.

Beide Ausstellungen haben in Verbindung mit der von der Something Else-Press und der Edition Hansjörg Mayer 1967 gemeinsam verlegten, von Emmett Williams herausgegebenen "Anthology of Concrete Poetry" die Rolle Stuttgarts für die konkrete Poesie festgeschrieben, ebenso wie die hier einschlägigen zahlreichen Vorträge und Aufsätze Benses (ich nenne stellvertretend "Konkrete Poesie" von 1965), Heißenbüttels ("Anmerkungen zur konkreten Poesie", 1970) und Döhls ("Konkrete Literatur", 1971). Aufsätze, in denen Heißenbüttel und mehr noch Döhl auch versucht haben, den literaturgeschichtlichen Ort zu bestimmen und Traditionslinien bis in die Literaturrevolution zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurückverfolgen. Beide haben in diesem Zusammenhang auch ergänzend zur Geschichte des visuellen Gedichts (45), Döhl zusätzlich zur "Akustischen Poesie" veröffentlicht (46).

2. Akustische Poesie

Rühms (nota bene ist Rühm von Haus aus Musiker) Unterscheidung von optischer und akustischer Erscheinungsweise des Wortes hatte die akustische Seite der konkreten Poesie, aber auch ihren Partiturcharakter ins Spiel gebracht. Diese akustische Seite wurde eigentlich für jeden, der nicht ausschließlich auf die Visualisierungen konkreter Literatur fixiert war, in zahlreichen, die Ausstellungen flankierenden Lesungen nicht nur Ernst Jandls immer wieder ohrenfällig. Und für ihren Partiturcharakter erinnere ich noch einmal an Benses "Rosenschuttplatz", Döhls "man", füge als weitere wichtige Titel Harigs "das fußballspiel", Heißenbüttels "Projekt Nr. 2" und Jandls "5 Mann Menschen" hinzu, die zugleich auch die Breite der akustischen Texterkundungen und Spielversuche des Kreises um Max Bense in etwa abstecken.

"Klangreise", eine umfassende Dokumentation der Arbeit des Studios für akustische Kunst des Westdeutschen Rundfunks umfaßt 1997 in internationalem Kontext denn auch Arbeiten Benses, Döhls, Heißenbüttels, Jandls und Mons, nachdem sie bereits 1987 in der Audiothek der Kasseler documenta abhörbar waren, wobei hier die Grenze zum "Neuen Hörspiel" fließend wurde, zu dem der Kreis um Max Bense seit Mitte/Ende der 60er Jahren mit über 50 gesendeten Titeln (47) ja, wie schon gesagt, nicht unwesentlich beigetragen hat.

3. Theorie

Wenn Hansjörg Schmidthenner schon 1965 resignierend festhielt, daß "zwar alle Autoren der konkreten Poesie das, was an der Sprache materiell konkret ist, nachdrücklich in die Produktion mit einbezogen wissen wollen, daß sie aber im übrigen sehr oft verschiedene Meinungen vertreten, was - noch oder schon - zur konkreten Poesie zu zählen" sei, gilt dies für die Stuttgarter Praxis und Theorie, die hier einschlägigen Vorträge und Aufsätze Benses, Heißenbüttels und Döhls auch, bei denen - von einem Minimalkonsenz abgesehen - die Auffassungen von Anfang an differieren, so daß bereits die Beantwortung der Frage nach der Bildung des Begriffs "konkrete Literatur" Ermessenssache war.

Denn entweder hielt man sich vor dem Hintergrund der drei hier einschlägigen manifesten Verlautbarungen

Denn entweder hielt man sich vor dem Hintergrund der drei hier einschlägigen manifesten Verlautbarungen - wie zumeist geschah - an die Tatsache, daß Gomringer 1954-58 Sekretär Max Bills an der Hochschule für Gestaltung in Ulm war, und schloß sich der Auffassung Helmut Heißenbüttels an:
"Der Begriff einer konkreten Poesie wurde gebildet in Analogie zur bildenden Kunst, vor allem zur Malerei. Dort löste er sich ab aus den theoretischen Vorstellungen Mondrians, der Stijl-Gruppe und Kandinskys."
Oder man folgte - wie ich oder Bob Cobbing in seinem Versuch über "Concrete sound poetry 1950-1970" - Fahlström, der "das Wort konkret [...] mehr im Anschluß an konkrete Musik als an Bildkonkretismus im engeren Sinne" verwendet wissen wollte und seine Auffassung des "fundamentalen konkreten Prinzips" an Pierre Schaeffers "Etude aux chemin de fer", dem ersten Stück konkreter Musik, veranschaulicht:
"Daraus geht hervor, daß, was ich literarische Konkretion nenne, ebensowenig wie die musikalische Konkretion und die Nonfiguration der bildenden Kunst einen Stil hat - teils ist es für den Leser eine Möglichkeit, Wortkunst zu erleben, in erster Linie Poesie - teils für den Poeten eine Befreiung, eine Erlaubniserklärung allen sprachlichen Materials und aller Mittel, es zu bearbeiten."
Diese 'Stillosigkeit' und eine von Fahlström konstatierte Verwandtschaft des "konkret arbeitenden Dichters [...] mit den Formalisten und Sprachknetern aller Zeiten, mit den Griechen, mit Rabelais, Gertrude Stein, Schwitters, Artaud und vielen anderen", entsprachen meinen Vorstellungen jedenfalls mehr als die Verkürzung auf die Tradition ausschließlich des Bildkonkretismus.

Künstliche Poesie

Ein Charakteristikum der in soziologischen Verständnis offenen Stuttgarter Gruppe/Schule war sehr früh bereits ihr Interesse an einer Verbindung von künstlerischer Produktion mit neuen Medien und Aufschreibsystemen. Das betrifft und erklärt zum einen das Interesse an Rundfunk und Hörspiel. Das betrifft aber insbesondere die Arbeit mit Rechenmaschinen, die wir zunächst wissenschaftlich nutzten. Die Häufigkeitswörterbücher zu Francis Ponge (Elisabeth Walther) und Hans Arp (Döhl) sind z.B. mit Hilfe der ZUSE Z 22 hergestellt.

Aber schon vorher, im Oktober/Dezemberheft 1959 des "Augenblick", hatte der Mathematiker Theo Lutz einen Aufsatz über mit Hilfe der Großrechenanlage ZUSE Z 22 im Rechenzentrum der Stuttgarter damals noch Technischen Hochschule geschriebene "Stochastische Texte" veröffentlichte, in dem er referierte, daß die "ursprünglich [...] für die Bedürfnisse der praktischen Mathematik und der rechnenden Technik entwickelten programmgesteuerten, elektronischen Rechenanlagen eine Vielfalt der Anwendungsmöglichkeiten" böten. Für die Benutzer derartiger Rechenanlagen sei "nicht entscheidend, was die Maschine" tue, "wichtig [...] allein sei, wie man die Funktion der Maschine" interpretiere.

Ich habe über dieses Thema von gut zwei Jahren hier ausführlicher referiert ("Vom Computertext zur Netzkunst, von Bleisatz zum Hypertext") und fasse deshalb nur kurz zusammen,

Das erste Programm von 1959, das aus circa 200 Befehlen bestand, brachte aus heutiger Sicht zwar kein aufregendes Ergebnis, hatte aber für uns den Wert einer Inkunabel "künstlicher Poesie", die Max Bense kurze Zeit später auch theoretisch von der "natürlichen Poesie" unterschied.

Spuren solch "künstlicher Poesie"lassen sich, eingearbeitet in "natürliche" Texte, z.B. in meinen "fingerübungen" (1962), der "Prosa zum Beispiel" (1965) oder - was noch einmal den Bogen zum Hörspiel schlägt - in Max Benses/Ludwig Harigs "Monolog der Terry Jo" aus dem Jahre 1968 finden. Ich zitiere nach dem Tondokument die Vorbemerkung des für die Regie verantwortlichen und wohl auch als Co-Autor anzusprechenden Heinz Hostnigs:

"Der Monolog beginnt mit einem Computer-Text. Es sind neun synthetische Annäherungen an die Sprache des Mädchens. Die Tatsache, daß gewisse Analogien zwischen dem zu Anfang unbewußten Zustand des Mädchens und der Unbewußtheit eines Computers bestehen, ließ diese erste Verwendung eines mit einer programmgesteuerten Maschine hergestellten Textes in einem Hörspiel gerechtfertigt erscheinen.
Diese Computertexte des Monologs werden in der Realisation übersetzt in eine durch ein kompliziertes Vocoder-Verfahren hergestellte synthetische Sprache, die im Verlauf des Monologs mehr und mehr abgebaut und von der natürlichen Stimme abgelöst wird."
Daß "natürliche" und "künstliche Poesie" sich in unseren damaligen Texten mischten, sagte ich. Aber mit solchen Mischungen hatten wir keine Probleme, hatten ja auch ins Manifest geschrieben, daß wir, statt die "Möglichkeiten" aktueller Poesie "in reiner Form" zu verwirklichen, "die Poesie der Mischformen vor"zögen.

Mischformen

Solchen Mischformen bis Grenzverwischungen der Kunstarten Text und Musik (u.a. beim Hörspiel), der Kunstarten Text und Bild galt ein grundsätzliches Interesse, wobei ich hier als Beispiel ausschließlich die Collage benenne, die uns einmal kunstgeschichtlich (Braque, Picasso, Schwitters) aber auch praktisch als mögliche Mischform von Literatur und bildender Kunst interessierte. Denn natürlich war uns nicht entgangen, daß Jiri Kolar, ursprünglich Autor, erfolgreich den Versuch unternommen hatte, die Literatur im Medium der Collage fortzuschreiben. Die Begegnungen mit Jiri Kolar in Stuttgart und Hof, Ausstellungseröffnungen von Décollagen, Contrecollagen und Décollages imprimés Reinhold Köhlers in Stuttgart und anderswo durch Bense, Heißenbüttel und Döhl, aber auch die originärere Collagenproduktion Mons, Döhls und Heißenbüttels, die nur seinen engeren Freunden bekannt war, bilden hier zusammen mit den reinen Textcollagen Benses, Harigs, Heißenbüttels, Döhls u.a. einen eigenen Komplex innerhalb der Hervorbringungen der Stuttgarter Gruppe, wie sich allgemein für manche Künstler der Kreises um Max Bense die Frage der Doppelbegabung stellen läßt. Daß eine an mehreren Orten gezeigte Ausstellung "Kunstraum / Sprachraum" mit Arbeiten u.a. von Ilse und Pierre Garnier, Jiri Kolar, dem Japaner Kei Suzuki und Döhl Max Bense gewidmet war, ist wohl kein Zufall.

Sonstiges

Engagement und Experiment

Signifikant für die Stuttgarter Gruppe war schließlich, Benses Einführung über "Engagement und Experiment" deutete dies bereits an, eine Verbindung von Experiment und Tendenz. Nicht ohne Hintersinn firmierte Benses "Augenblick", zunächst als "Zeitschrift für aktuelle Philosophie, Ästhetik und Polemik" begründet, seit 1958 im Zweittitel als Zeitschrift für "Tendenz und Experiment". Und es gibt unter den Veröffentlichungen der Stuttgarter Gruppe genügend Belege tendenziös-experimenteller Literatur: Döhls "missa profana" (1959), für die Bense ein apologetisches Gutachten schrieb, Benses erster "aktueller Traktat", "Descartes und die Folgen", 1955 bereits als Supplement-Band zu Heft 2 des "Augenblicks" erschienen und 1960 u.d.T. "Ein Geräusch in der Straße. Descartes und die Folgen II" weiter zugespitzt, Heißenbüttels "Deutschland 1944" (1967), Harigs "Staatsbegräbnis" (SR/WDR 1969) und andere Texte, die alle mehr oder weniger Ärgernis erregten. Mit der dialektischen Pointe, daß in einer Zeit, in der die regierende CDU die Parole "Keine Experimente" ausgegeben hatte, jedes Experiment bereits Opposition war.

Selbst vordergründig nur experimentelle Texte konnten durchaus tendenziöses Potential entfalten, wie beispielsweise die tschechische Reaktion auf Heißenbüttels "Politische Grammatik" belegt.

"Verfolger verfolgen die Verfolgten. Verfolgte aber werden Verfolger. Und weil Verfolgte Verfolger werden werden aus Verfolgten verfolgende Verfolgte und aus Verfolgern verfolgte Verfolger. Aus verfolgten Verfolgern aber werden wiederum Verfolger [verfolgende verfolgte Verfolger]. Und aus verfolgenden Verfolgten werden wiederum Verfolgte [verfolgte verfolgende Verfolgte]. Machen Verfolger Verfolgte. Machen verfolgende Verfolgte verfolgte Verfolger. Machen verfolgende verfolgte Verfolger verfolgte verfolgende Vervolgte. Und so ad infinitum. [...]
Als Verfolger des Verfolgens in Verfolgern wie Nichtverfolgern werden sie verfolgt von Verfolgern wie Verfolgten. Als Verfolger des Nichtverfolgens des Verfolgens werden sie verfolgt von Nichtverfolgern wie Nichtverfolgten. Verfolger des Verfolgens und Nichtverfolgens wären sie die eigentlich Verfolgten. Nicht verfolgende Verfolgte und verfolgte Verfolger. Sondern Verfolger und Verfolgte zugleich."
"Für uns", faßte Josef Hiršal 1968 in einer Karlsruher Podiumsdiskussion die tschechische Reaktion zusammen, "Für uns z.B. war damals Heißenbüttels 'Politische Grammatik' eine große Überraschung. Aus drei Wörtern wurde da eine Kreation aufgebaut, die typisch war auch für unsere menschliche Situation, Das war für uns ein wirklich politisches Gedicht. Ob es konkret war oder nicht, spielte dabei keine Rolle. Es war aus reduzierter Sprache aufgebaut und es stellte einen neuen Zutritt zu poetischen Ausdrucksformen dar."

Karlsruher Ausstellung und Katalog haben die Stuttgarter Gruppe in dem größeren Block "Bewegte Zeiten: Literatur zwischen Avandgarde und Politik" untergebracht. In ihm folgen dem Kapitel "Laboratorium der Moderne - Von der Hochschule für Getaltung in Ulm zur 'Stuttgarter Gruppe'" die Kapitel "Engagement: Literatur wird politisch" und "Die Literatur geht in die Fabrik und auf die Straße". Ich sehe dies für den Kreis um Max Bense etwas differenzierter. Und begründe dies einmal mit den genannten Titeln. Dann zählte der in den der "Ulmer Hochschule" und "Stuttgarter Gruppe" folgenden Kapiteln mehrfach genannte Allgäuer Günther Herburger kurzfristig zu den Autoren des "Augenblicks" und des Kreises um Max Bense. Schließlich hat die Stuttgarter Gruppe zwar nicht in Stuttgart, aber auf den Hofer Tagen für neue Literatur durchaus Farbe bekannt, wo 1968 die 3. Öffentliche Lesung nicht nur "Literatur in der Fabrik" überschrieben war, sondern auch in der Maschinenfabrik Friedrich Reichert stattfand (mit einigen Presseecho). Auf ihr lasen Horst Bingel, Rühm und Döhl, wobei der Text des letzteren, "Die Mauer oder morgen ist auch noch ein Tag" von den anwesenden tschechischen Autoren sofort in Beschlag gelegt, übersetzt und kurze Zeit später mehrfach im Tschechischen Rundfunk gesendet, dann auch als Bühnenstück aufgeführt wurde. Ein Jahr später haben wir ein weiteres Experiment, Kunst öffentlich zu machen, gewagt und in den Schaufenstern des Kaufhauses die Ausstellung "maler dichter dichter maler" gezeigt und um 17 Uhr in der Kaufhauspassage, also praktisch auf der Straße eröffnet, was dem Bayerischen Fernsehen eine Aufzeichnung wert war.

Tradition und open end

Ich habe bereits das Interesse der Stuttgarter Gruppe an der Tradition experimenteller Kunst im 20. Jahrhundert betont und möchte hier lediglich noch einmal zusammenfassend die wichtigsten Namen nennen, zunächst und als erste Gertrude Stein und ihr Werk, an dessen theoretischer und praktischer Rezeption in Westdeutschland außer Heißenbüttel, der mit seinem Aufsatz "Reduzierte Sprache [...]" 1955 ja den Anstoß gab, vor allem Bense, Elisabeth Walter und auch Döhl beteiligt waren.

Über Gertrude Stein einerseits, Picasso und Braque andererseits geriet ferner der analytische und synthetische Kubismus ins Blickfeld, über den ebenso publiziert wurde wie über den Dadaismus, hier vor allem über Arp und Schwitters.

Ich habe mir interessehalber einmal zusammengestellt, daß im Falle Schwitters von Heißenbüttel 7, von Döhl, bei dem Schwitters auch in der Lehre eine Rolle gespielt hat, 3 (bzw. 5) Veröffentlichungen zu nennen wären, ganz abgesehen von den Spuren, die Schwitters in den bildkünstlerischen Arbeiten des Kreises um Max Bense hinterlassen hat.

Aber auch Stéphane Mallarmé, James Joyce, oder Gottfried Benn, mit dem Bense bereits in den 30er Jahren korrespondierte, spielten in den Stuttgarter Diskussionen eine Rolle wie aktuell Raymond Queneau, den Harig und Eugen Helmlé übersetzten, die Experimente aus den Werkstätten der potentiellen Literatur (OULIPO) wie allgemein die Pataphysik, die Noveau Romanciers (und hier vor allem Nathalie Sarraute), George Perec, Jean Genet oder die "cut ups" der "beat generation", über die alle diskutiert und veröffentlicht wurde, wobei es uns eine diebische Freude bereitete, daß eines Tages in der "ZEIT" die "missa profana" Allen Ginsberg zugeschrieben wurde.

Dialog statt Gruppenstil

Es ist relativ leicht, bei Musterung der einzelnen Werkkomplexe das je Individuelle der Autoren und Künstler der Stuttgarter Gruppe herauszufinden. Eine Gruppenstil hat es nie gegeben, wohl aber gemeinsame Interessen. Und die konnten sich durchaus in wechselseitigem Zitieren, in Gemeinschaftsarbeiten niederschlagen:

was an Beispielen ausreichen sollte, der Stuttgarter Gruppe auch in der dialogischen Tendenz der Künste im 20. Jahrhundert einen Platz zuzuweisen.

Daß die Stuttgarter Gruppe in den 60er Jahren eine fluktuierende, offen gehaltene Gruppe war, dürfte mit eine Erklärung sein dafür, daß die meisten der ihr Zugerechneten über die "heroische" Phase der 60er Jahre hinaus in wechselnden Partnerschaften in Kontakt blieben. Vor allem durch eine umfangreiche mail art wurden Beziehungen bis heute aufrecht erhalten, auch neue geknüpft, so daß es kaum überrascht, wenn es bei den letztjährigen Stuttgarter Internet-Projekten, über die ich hier ja bereits berichtet habe, einem "Epitaph Gertrude Stein", der "Hommage Helmut Heißenbüttel" (45), mit abschließendem "Epilog" oder beim folgenden "poemchess" weitgehend bei den alten Namen geblieben ist, ja daß sogar Texte des 1990 verstorbenen Max Bense in die Ketten mit eingebaut werden konnten.

Der Stuttgarter Part der "Wort für Wort"-Veranstaltungen, der 1994 unter dem Motto "Wie Stuttgart Schule machte" stand, bot denn auch mit einem "Symposium Max Bense" nicht nur einen Rückblick auf den Kreis um Max Bense und seine internationalen Verflechtungen, sondern in den gemeinschaftlichen Lesungen von Esser und Harig, von Mon und Döhl auch aktuelle Literatur, im Wilhelmspalais retrospektive Typografie, in der Ausstellung "Aus den Pariser Skizzenbüchern" bei Buch Julius aktuelle Kunst. War es auf der einen Seite zum ersten Mal in Stuttgart möglich, nicht im Süddeutschen Rundfunk sondern mit Hilfe des Westdeutschen Rundfunks, im Wilhelmspalais exemplarische Hörspiele der Stuttgarter Gruppe aus den 60er Jahren zu hören, konnte man auf der anderen Seite im Wilhelma-Theater ein aktuelles Stück über Gertrude Stein sehen, aufgeführt von der Gruppe "Wortissimo" unter Leitung von Gerdi Sobek-Beutter, die sich seit Anfang der 90er Jahre, mit wechselnden Sprecherinnen und Sprechern, um die Realisation von Texten der Stuttgarter Gruppe und Gertrude Steins intensiv bemüht hat. Mit auch Karlsruher, Hamburger, Pariser, Grazer Auftritten, wie ich im Hinblick auf das Kapitel "Orte, Örter" hinzufüge.

Erwähnt werden müssen schließlich die Versuche von Buch Julius, seit Anfang der 90er Jahre in seiner Stuttgarter Buchhandlung und Galerie die Geschichte der Stuttgarter Gruppe, ihrer Beziehungen zum Spatialismus Ilse und Pierre Garniers, nach Prag oder Japan, zu Gertrude Stein oder Mallarmé oder Chlebnikov usw. in Erinnerung zu halten.

Flankierend haben Johannes Auer und Döhl (unter Mithilfe von Elisabeth Walther) 1996 begonnen, unter dem Verzeichnis "Als Stuttgart Schule machte" [ http://www.stuttgarter-schule.de/] peu à peu einschlägige Texte und Kommentare ins Internet zu stellen, schwer Zugängliches oder Unveröffentlichtes aus der und zur Stuttgarter Gruppe/ Schule international zugänglich zu machen - mit erstaunlich hohen Zugriffzahlen.

Sie liegen bei steigender Tendenz im Moment bei 2000 Zugriffen pro Monat. Einzelne Dateien werden zwischen 30 bis über 100 mal pro Monat abgerufen, bevorzugt die Stuttgarter Internetprojekte, ferner Dateien zur Netzkunst, zur konkreten Literatur, zu "Ernst Jandl und Stuttgart", "Gertrude Stein und Stuttgart" oder zu den "60er Jahren in Stuttgart". Relativ häufig abgerufen werden auch Bibliographien zu den einzelnen Autoren/ Künstlern und die Indices z.B. der Studiengalerie oder des "Augenblick".

Die meisten Zugriffe erfolgen erklärlicherweise von deutschen Computern, zunehmend aber inzwischen auch aus dem Ausland, aus Japan, Canada, Frankreich, den USA, der Schweiz usw.

Spätestens hier wird dann aber auch deutlich, wie aktuell die Stuttgarter Gruppe immer noch ist, dann nämlich, wenn sich, wie ich es vor zwei Jahren hier vorgetragen und zusammen mit Johannes Auer in "Stuttgarter Gruppe und Netzprojekte", einem Gespräch mit Roberto Simanowski wiederholt habe, dann nämlich, wenn man die aktuellen Stuttgarter Internetprojekte aus der Stuttgarter Tradition konkreter und stochastischer Poesie herschreibt.

Ich möchte aber mit einem späten Gedicht Max Benses schließen, einem Gedicht, daß Sie nach dem Gesagten vielleicht etwas verwundern wird, einem Gedicht, das mir in den letzten Jahren dennoch immer wichtiger geworden ist:

Wörter

Wörter so niedrig hängen,
wie es nur geht.
Sie sollen die Dinge berühren,
eh sie verschwinden.

Die Wörter wechseln die Stühle;
und während jemand noch Namen streichelt,
tritt das Lesbare ins Weiße zurück.

Laßt mich noch leben, Wörter,
bis zum Abend, eh ihr geht.
Ich höre manchmal eure Laute nicht,
die meine Nahrung sind.

Werft einen Stein auf mich,
der mich noch einmal trifft,
und den ich sehe.

Anmerkungen [werden nachgestellt]