Albrechts Privatgalerie | Künstleralphabet | Gerda Bier
Reinhard Döhl | Brett - Schrein - Figur

Mit "Brett - Schrein - Figur" als Titel hat Gerda Bier für ihre heutige Ausstellung angedeutet, was sie auch eindeutiger hätte sagen können. Zum Beispiel durch die Erweiterung der beiden ersten Wörter zu den Komposita Totenbrett und Totenschrein. Denn beides ist im Bedeutungsspektrum dieser Ausstellung eingeschlossen, wenn allerdings auch nicht ausschließlich gemeint.

Es gehört also zu meinen Aufgaben, dieses Eingeschlossene aber nicht ausschließlich Gemeinte zu skizzieren. Dabei möchte ich zugleich versuchen, die neueren Arbeiten Gerda Biers in eine Werkgenese einzuordnen, die seltsam unbeirrt von Moden und Trends sich Schritt für Schritt und ohne Sprünge entwickelt hat.

In grober Linie gezogen, verläuft die Werkentwicklung Gerda Biers von vegitativen organischen Bronzen der 70er Jahre zu den Holzplastiken der 80er Jahre, von der glatten, geschliffenenen polierten Oberfläche zur narbigen, schrundigen, von vielfachem Gebrauch und Verwitterung geprägten Oberflächenstruktur des Holzes, ehemals hölzerner Gebrauchsgegenstände.

Was sie anrege, hat Gerda Bier diesen Schritt einmal begründet, seien die Spuren, welche Abnützung und Zeit auf dem Holz hinterlassen hätten. Was sie wolle, sei, diese Mitteilungen und Geschichten des alten Holzes aufzunehmen und an den Betrachter weiter[zugeben] in veränderter Form.

Daß dies keine nahtlos gefügten Mitteilungen und Geschichten sind, daß sich vielmehr die ästhetische Botschaft dieser Holzplastiken aus zusammengefügten Teilen zusammensetzt, entspricht einmal der Arbeitsweise Gerda Biers, wird aber dem Betrachter zugleich sichtbar gemacht. Denn die Verbindungsteile, Zapfen und Dübel zeigen dem Auge ebenso wie das zur Verbindung benutzte Eisenblech, daß und wie die Skulpturen gefügt sind. Und es ist keinesfalls zuviel behauptet, daß Gerda Bier für ihre zusammengesetzten Figuren und Skulpturen noch die Mittel des Zusammensetzens, der Komposition von ihrer nur technischen Aufgabe entbindet, um sie auch ästhetisch funktionabel zu machen.

Aufregend ist dabei - für mich jedenfalls ein scheinbar thematischer Wechsel. Denn was Gerda Bier in den 70er Jahren zusammenfügte, waren künstlerisch geformte Teile. Und sie waren zusammengefügt zu Arbeiten mit so bezeichnenden Titeln wie "Frucht" oder "Vegetative Form". Curt Heigl von der Kunsthalle Nürnberg sprach in diesem Zusammenhang nicht ohne Grund von Früchten mit Kernen, Fruchtbarkeit und Weiblichkeit und fühlte sich teils an antike Fruchtbarkeitssymbolik erinnert. Genauso gut hätte er auch von Archtypen sprechen, einen Teil dieser Arbeiten sogar als weibliche Gegenstücke zum Lingham auffassen können.

Nach einer Durchgangsphase, die hier nicht so wichtig ist, sind es in den 80er Jahren gefundene Formen, die in ihrer Zusammenfügung das Ergebnis der Holzskulpturen wesentlich mitbestimmen. Gemahnte die zusammengesetzte "Frucht" an antike Fruchtbarkeitssymbolik, also an das Werden, zitieren die neueren Arbeiten jetzt das Vergehen herbei. Die sinnliche Erfahrungen von Zeit, Vergänglichkeit, Verfall werden dabei über das Material und seine Gestaltung weitergegeben. Direkt, wenn die Skulptur das Feldkreuz, den Bildstock oder das Totenbrett und ihre ursprüngliche Funktion herbeiassoziiert. Indirekt bei den Wandbrettern oder den stehenden, hängenden, liegenden Figuren, was der Typus der "Gebundenen Figur" selbst dem Laien einsichtig macht. Denn einmal assoziiert er das Einbinden des Toten bei seiner Mumifizierung. Zum anderen - die Sprache hat so ihre Mehrdeutigkeiten - ist eine gebundene Figur eine Figur, die in etwas eingebunden ist, zum Beispiel in den Kreislauf von Werden und Vergehen.

Schließlich verlören die von Gerda Bier sogenannten "Wandbretter" schnell ihre vermeintliche ästhetische Unschuld, als wir sie in einem längeren Ateliergespräch, ich kam damals aus dem Bayerischen Wald, als Vorstufe für das werteten, was sie entwicklungsgeschichtlich anzielten und - wie die heutige Ausstellung belegt - schließlich auch wurden: skulpturale Variationen zum Thema Totenbrett, wie es die Tradition des Bayerischen Waldes ausgeprägt hat: Bretter, auf denen der Tote aufgebahrt war, die nach der Beerdigung bearbeitet, bemalt, beschriftet wurden, um dann an markanten Stellen bis zu ihrem Verfall als Memento mori aufgestellt zu werden. Da ein volkstümliches Zeugnis oft schneller als ein abstrakter Kommentar die Bedeutung von Brauchtum erhellt, möchte ich ein Gedicht Maria Schwägerls zitieren, in dem sie zu Beginn unseres Jahrhunderts den Totenbrettern ihrer Heimat ein literarisches Denkmal gesetzt hat.

Dounbreeln

Asbloicht sans vo da Sunna
dawoaschn von Regen.
Af jedan vo dene Breeln
is a Touts scho drafglegn.

An Bauan san Nama,
aa a Spruch is afachriem,
wöia so gleet hoat
und allas hoat triem.

Öitz is hoalt voeahm
ner möia des Breel non dou.
Da Hergott goatnan furt
un gitnan di öiwi Rouh.

[Ausgebleicht sind sie von der Sonne, / verwaschen vom Regen. / Auf jedem dieser Bretter / hat ein Toter gelegen. // Der Name des Bauern / auch ein Spruch ist drauf geschrieben / wie er so gelebt hat / und was er alles hat getrieben. // Jetzt ist halt von ihm / nur mehr das Brett da / der Herrgott nahm ihn fort / und gibt ihm die ewige Ruhe.]

Nimmt man dieses Gedicht, über dessen Qualität hier nicht zu sprechen ist, als Beschreibung, und fügt noch hinzu, daß diese Totenbretter oft zusätzlich noch mit volkstümlichen Symbolen bemalt waren (sind), wird der Unterschied zu den "Brettern" dieser Ausstellung schnell deutlich. Es fehlt ihnen das Individuelle: Name, Spruch und Angaben zur Vita. Auch von volkstümlicher Symbolik findet sich allenfalls eine Spur dort, wo Gerda Bier in das Oberteil eines Brettes drei Kreuze eingeritzt hat. (Ich verweise in diesem Zusamenhang auf einen kürzlich gesendeten Fernbsehbeitrag, die dort getrennte Aufstellung der Totenbretter von Bauer, Bäuerin und Knecht, die eine gesellschaftliche Rangordnung noch dort aufrecht halten, wo der Tod diese längst aufgehoben hat. So gesehen ist Gerda Biers hier einschlägigiges Totenbrett mit seinen drei Kreuzen auch Kommentar: in jedem Fall aber Indiz für ihre intensive Auseinandersetzung mit diesem Thema).

So deutlich im Einzelnen die Unterschiede zwischen "Brett" und Totenbrett sind, so bemerkenswert sind aber auch die Affinitäten, etwa im Falle des Ausgebleichten und Verwaschenen. Dieses Moment des langsamen Auslöschens der Erinnerung an den Toten halten nämlich Gerda Biers "Bretter" in ihrer schrundigen Oberfläche, ihrer Kombination von fragmentarischen Holzstücken durchaus fest. Oder anders gesagt, sie geben diesem Moment Dauer.

In einem dritten Punkt halten sich Unterschied und Affinität die Waage. Auf Gerda Biers "Brettern" hat niemals ein Toter gelegen. Aber Menschen haben auf ihnen gelebt und auch geschlafen, sind auf ihnen möglicherweise gestorben. Denn Gerda Biers Material sind alte Dielenbretter aus einem alten Bauernhaus, nach ihrem Herausreißen - dem Totenbrett des Bayerischen Waldes durchaus vergleichbar - umfunktioniert in einen ästhetischen Gegenstand.

In einem vierten Punkt fügen Gerda Biers "Bretter" etwas - verglichen mit ihren Vorlagen - entschieden Neues hinzu, durch ihre teils offenen, teils geschlossenen, teils leeren, teils mit Holzspänen oder Asche gefüllten Nischen. Zum Teil hat Gerda Bier solche Nischen sogar uneinsehbar verschlossen. Werkgeschichtlich weist das zurück auf die Objektkästen, die den Übergang von Arbeiten aus geformten Teilen in den 70er Jahren zu den Arbeiten mit/aus gefundenen Formen in den 80er Jahren bilden. Innerhalb der neueren Arbeiten verbinden diese Nischen deutlich "Brett" und "Schrein", mit dem Unterschied, daß das, was beim "Brett" ein Bestandteil der Komposition sein kann, beim "Schrein" wichtiges, ja zentrales Bauelement ist. Nebenbei bemerkt sind, ein weiteres Verbindungsglied, für diese "Schreine", was schon formal naheliegt, die "Wandbretter" ebenso Vorstufe wie für die "Bretter". So daß man auch sagen kann, daß sich das Thema, das Gerda Bier mit den Wandbrettern aufgriff, jetzt in zweifacher Weise fortformuliert und so an Komplexität gewinnt.

Wie für die "Bretter" die "Totenbretter", bilden für die "Schreine" Gerda Biers die traditionellen Möglichkeiten des Schreins den ästhetischen Bezugspunkt, und dies in mehrfacher Hinsicht. Ich möchte dies andeuten, indem ich drei der vier Grundbedeutungen von Schrein nach GRIMMS "Deutschen Wörterbuch" zitiere. Danach sind Schreine

Daß insbesondere die Bedeutungen 1 und 2 für Gerda Biers "Schreine" in übertragener Bedeutung gelten, ist schnell einsehbar. Allerdings sind Asche, Holzkohle, Laub, Holzspäne undübliche und auffällige Reliquien oder Kleinode. Und wenn auch keiner der "Schreine" verehrungswürdige Gebeine aufgenommen hat, so findet dies doch eine Entsprechung dort, wo Gerda Bier eine ausgebrannte Figur - wenn man so will die Gebeine einer ihrer Plastiken - in einen Schrein aufgenommen hat. Unterstelle ich jetzt, daß jedes Werk eines Künstlers auch ein Teil seiner selbst ist, deutet sich damit an, daß Gerda Biers "Schreine" (und - wie leicht zu vermuten ist - auch andere Arbeiten der letzten Jahre) nicht nur eine objektive, sondern auch eine subjektive Bedeutungsschicht haben. Eine Vermutung, die sich leicht bestätigen läßt, wenn man in einem der "Schreine" eine Collage eingearbeitet findet, die ein Foto der Künstlerin in jungen Jahren mit der Abbildung von Arbeiten der 80er Jahre und einem Stück Totenbrett-Zeile verbindet. Das gibt natürlich auch den verschlossenen Nischen einen besonderen Sinn.

Wie dabei die Schreine objektiv und subjektiv für wichtig Genommenes verwahrten, sind auch Gerda Biers skulpturale Antworten objektiv und subjektiv zugleich. Subjektiv vielleicht am ehesten zu deuten als Reise durch. die eigene Gegenwelt, mit einem Ergebnis, daß sich mit der ästhetischen Antwort deckt, einer Antwort, die nun die subjektive Erfahrung des Betrachters provoziert.

[Schwäbisch Hall, 21.4.1990]