Hans Schäfer [d.i. Reinhard Döhl] | Elisabeth Borchers ...

macht Gedichte. Das ist heute nicht selbstverständlich; und es scheint schwierig, etwas darüber zu sagen; jedenfalls fiel der Kritik nicht viel dazu ein. Elisabeth Borchers Gedichte geben vor, einfach zu sein, das macht sie(unter anderem)problematisch (fang ich dich / fang ich mich / eins zwei drei). Einfache Zeilen dieser Art haben eine lange Geschichte, die bis zu den Märchen,Volks- und Kinderliedern zurückreicht. Man könnte auch sagen, daß die Autorin bei dem Versuch, Einfaches einfach zu sagen, auf dem Wege der Abstraktion, die Leichtsinnigkeit der Volkslieder, aber ebenso die Grausamkeit der Kinder- und Hausmärchen, die alogische Pointe wiederentdeckt hat (einmal werde / ich müde sein / vom singen / vom spielen / mein pferdchen / mein liedchen / dann bring ich euch um). Das Wörterbuch einer solchen Poesie enthält zumeist einfache, leicht verständliche Wörter wie: Himmel / Erde / Sonne / Mond / Wasser / Regen (doch dann geschah es / daß es regnete) / Schlaf usw. Manchmal erinnert die Verteilung dieser einfachen Wörter an die Verteilung der Zeichen auf einer Lithographie Joan Mirós. Wenn der modernen Poesie das "Experiment" eigentümlich ist, sind Elisabeth Borchers Gedichte ein "Experiment mit der Tradition". Und man könnte auch sagen, daß Elisabeth Borchers den Märchen, den Kindern und Volksliedern aus der Hand liest und daß sie das sehr geschickt macht. Manchmal haben die Gedichte dann die Eigenschaften zersungener Volkslieder. Manchmal macht sie sich auch über etwas lustig (und auf die schreibmaschinen / legen die dichter ihr haupt). Im allgemeinen bevorzugt sie die überraschende Verteilung in der semantischen Dimension der Sprache (der schnee fiel / und nahm einige köpfe mit sich / auch diesen und jenen). Das läßt noch auf eine Beziehung zum Surrealismus schließen und würde vielleicht erklären, warum Elisabeth Borchers den ersten Roman Janine Aeplys, "Rendez-vous", übersetzt hat, der sich, als ein, neben den "Tropismen" Nathalie Sarrautes, wesentlicher Beitrag des Nouveau Roman, in einer legitimen Nachfolge des Surrealismus versteht, als eine, wenn man so will, Reportage im unübersehbaren Innenreich eines Ich (Für mich selbst), das immer ein anderes und einunddasselbe ist, über die Außenwelt eines Rendezvous, von dem nicht sicher ist, ob es wirklich stattfindet; denn: das Einfache ist einfach kompliziert, und je länger man darüber nachdenkt, umso problematischer wird es. Es scheint uns nicht von ungefähr, daß Elisabth Borchers diesen Reman übersetzt hat, wie wir altmodischerweise der Meinung sind, daß man einen Autor auch an seinen Übersetzungen erkennen kann. - Man kann nun nicht sagen, daß die Gedichte der Elisabeth Borchers, daß der von ihr übersetzte Roman Janine Aeplys primär modern sein wollen. Daß sie aber im Hinblick auf die Tradition (auf die keine Poesie verzichten kann) als "Experiment mit der Tradition" eine legitime moderne Poesie vorstellen, wird man ihnen nachsagen müssen; zum Beispiel einem Gedicht wie diesem: die kinder verstecken sich hinter den beerenbüschen / die kinder verstecken sich hinter einem holzstuhl / die kinder verstecken sich hinter einem käfer / die kinder verstecken sich hinter einem vater und einer mutter / die kinder sagen ticktack / die kinder sagen sumsum / die kinder verstecken sich hinter ticktack und sumsum / die kinder verstecken sich hinter der sonne.

E. Borchers, Gedichte, 66 S.; J. Aeply, Rendezvous, a.d.Franz. von E. Borohers, 288 S., Luchterhand-Verlag Neuwied 1961

[abschnitte, 1962, H. 4, S. 4]