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klaus burkhardt, 1928 in thüringen geboren | biobibliographie klaus burkhardt 1963

reinhard doehl | klaus burkhardt, 1928 in thüringen geboren...

und seit 1947 in stuttgart ansässig, ist typografielehrer einer grafischen fachschule; das ist sein beruf. er ist aber auch drucker, aus liebhaberei, aus neugier, und das ist eine tatsache, der unsere aufmerksamkeit gilt. in dem maße nämlich die produktion von gedrucktem einem allgemeinen trend zur perfektion verfällt, in dem die auflagenhöhe an stelle der qualität, der konsum an stelle der liebhaberei tritt, in dem gleichen maße wird der liebhaber der schwarzen kunst, der gourmet unter den lesern auf den einzelnen drucker achten, der nicht auf anleitung des verlegers und für das geschäft produziert, stattdessen, an seinem Handwerk interessiert, der verfertigung des einzelnen objektes seine ganze aufmerksamkeit schenkt. wie in den modernen künsten der blick frei geworden ist für die materialien, mit denen ein kunstwerk gemacht wird, für den materialen (den handwerklichen) prozeß, dessen Spuren nicht einmal mehr verwischt oder verleugnet werden, gilt unsere aufmerksamkeit der handpresse, der kleinen auflage, der handschrift des druckers.

in diesem zusammenhang führt klaus burkhardt auf einer handpresse einen bemerkenswerten einmannkrieg gegen die perfektionierte bucherzeugung, gegen die rotation, gegen die anonymität der erzeugnisse. und er führt diesen einmannkrieg nicht nur als origineller drucker von plakaten, faltblättern, handpressendrucken, sondern auch als drucker originaler blätter in einem randgebiet moderner kunst.

1960/61 druckte klaus burkhardt eine reihe von faltblättern im format 48 x 62 cm, die er affiches (anschlagzettel) nannte, und die alsbald ein sammelplatz für zt originale texte und grafiken wurden. meist erschienen die affiches anläßlich (zb einer ausstellung, des erscheinens eines buches, aber ebenso eines weihnachtsfestes). es beteiligten sich graflker und maler wie hap grieshaber, werner schreib, guido biasi, winfrid gaul, gk pfahler, arnulf rainer ua. und autoren wie uwe schmidt, bingel, henneberg, poethen, leonhardt, laszlo, hajek, raoul hausmann, hirscher und bense. der bogen spannte sich vom gegenstand zur abstraktion, vom provinzialismus zum antiprovinzialismus, von einer mythomanie marke panderma zur konkreten kunst, von novalis zu den experimentaltexten der rheinlandschaft. der charakter wechselte vom pamphlet über das manifest über die hommage zum ausstellungsplakat. in allem aber ordneten ich diese affliches ein in einen historischen prozeß, der fast bis zu den anfängen der druckkunst zurückreicht, in die folge der fliegenden blätter, der flugblätter und -schriften, der einblattdrucke und aushängebogen. sie taten daß nicht, indem auf einer handpresse wiederholt wurde, was heute bevorzugtes sammlerobjekt ist, sondern indem klaus hurkhardt auf seiner handpresse möglichkeiten der druckerei wieder(er)fand, die (museal) als verschüttet und erledigt galten.

klaus hurkhardt schloß seine reihe affiche nach dem 22. druck mit einem apresfiche ab. denn wie die auflage dieser drucke nicht zu hoch sein durfte, kann eine solche reihe auch nicht beliebig fortgesetzt werden, ohne daß der reiz abnimmt, die originalität verblaßt. das erscheinen eines apresfiche wurde von vielen bedauert. man bestand auf dem gewohnten, statt auf dem originalen zu bestehen. es erschienen sogar eine anzahl nachrufe. klaus burkhardt aber hatte anderes, originelleres zu tun.

schon 1959 ergab sich nämlich für ihm die frage: was passiert, wenn man alte druckstöcke, alten satz, klischees, verschiedene typen, lettern usw einfarbig oder mehrfarbig auf- und übereinanderdruckt. und er versuchte sich an einer reihe von blättern, die in einem eigentlichen wörtlichen sinne druckgrafiken genannt werden könnten. buchstaben, werbetexte, plakattexte, wort- und satzreste werden in einem wiederholten prozeß so lange übereinandergedruckt, bis sie den anschein einer geschlossenen figuration geben. man kann nun auf diesen blättern ausgezeichnet zustände der ordnung und unordnung, der mischung und entmischung studieren, kurz das, was in einer modernen ästhetik mit entropie und negentropie bezeichnet wird. darüber hinaus berühren diese druckgrafiken auch die probleme einer modernen texttheorie, insofern ihr eigentliches strukturelement die einzelnen buchstaben, buchstabengruppen, also ein buchstabenensemble sind. es gibt blätter darunter, die ganz oder zum teil das demonstrieren, was man einen visuellen text nennen könnte, wobei im verlaufe der herstellung, während der druckprozesse der anschein des visuellen textes zerstört werden kann zur zugedruckten grafisch organisierten fläche. daß das ergebnis, also das, was im falle der wiederholten druckvorgänge entsteht, nicht genau kalkulierbar ist, daß also der zufall das ergebnis mitbestimmt, ist ohne weiteres evident und entspricht ebenfalls modernen ästhetischen überlegungen, die den zufall (die randomelemente) miteinberechnen, ja zu ästhetischen kriterien machen. daß klaus burkhardt bei seiner arbeit (slogan: wichtig ist drucken), bei seinem handwerk auf diese möglichkeit ästhetischer äußerung stieß, ist überraschend aber nicht unvorbereitet. die collagen kurt schwitters haben bereits gezeigt, was mit der kombination vorgegebener, bedruckter papierfetzen ästhetisch erreichbar ist. werkmann demonstrierte die ästhetischen möglichkeiten eines setzkastens (poesie aus dem setzkasten). das originelle und überraschende an den blättern klaus burkhardts ist eine art synthese dieser beiden möglichkeiten: also nicht mehr die kombination zufälliger fetzen einer plakatwelt, von straßenbahnfahrscheinen, tapetenresten, staniolpapier usw., aber auch nicht mehr nur poesie aus dem setzkasten - stattdessen eine reduktion auf die kombination von gedrucktem, von satz und slogan, von vorgeformtem und dessen (ästhetischer) zerstörung.

wie gesagt führt klaus burkhardt einen einmannkrieg gegen die perfekionierte bucherzeugung, die rotation, die anonymität der erzeugnisse. er druckte und druckt plakate, faltblätter, bibliophile handpressendrucke. er druckt hieran und dadran, und er fand dabei eine möglihkeit, mit den mitteln seines handwerks in legitimen materialen prozessen originale blätter zu verfertigen, die durchaus ästhetischen kriterien standzuhalten vermögen. er ist sozusagen ein gourmetder schwarzen kunst. und in dem maße die produktion von gedrucktem einem allgemeinen trend zur perfektion verfällt, in dem die auflagenhöhe an stelle der qualität, der konsum an stelle der liebhaberei tritt, wird er zu einem original der handpresse.

[Studiengalerie der TH/Universität Stuttgart Januar 1963. Zugleich Katalogtext, gez. henri.]

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reinhard döhl | biobibliographie klaus burkhardt 1963

geboren 31.3.1928 in bürgel (thüringen)
schriftsetzerlehre
1947 übersiedlung nach stuttgart
1952 meisterprüfung typografle
1958 mitbegründer des atelier raule
seit 1958 lehrer für typografle an der grafischen fachschule stuttgart

bibliographie

1950-58 fotografien
1958/59 spachtelblider, monotyplen, ölbilder
1958 stickige luft (einblattdruck)
1959ff. druck & buchstabenbilder, handpressendrucke
1959 die zeit (faltblatt)
ein mensch (faltblatt)
der baum (faltblatt)
das märchen von den deutschen pressen (pressendruck für hap grieshaber)
reproduktion und kunst (pressendruck für hap grieshaber)
meine 26 freunde (faltblatt)
mappe für ibrahim kodre
1959/60 gedrucktes 1-3 (l2seitige handpressendrucke)
1960ff. einblattdrucke (zb kleßmann: gesang von den trommeln; uve schmidt: ditte mit den sterntalern; leonhard: das karussell; leonhard: laß die zeit; poethen: unter den spiegel versenkt; greve: santa constanza; hannsmann: jugendkonzert für blinde; henneberg: syrischer goldhamster; michaux: brief; rühm: diensttag; uvam)
künstlerische plakate
okt '60 plakat: schuldt
1960/61 (mai-juli) affiche 1-22 & apresfiche
mal '61 j. poethen: baumgedicht (handpressendruck)
reimer jochims: zeugnis (handpressendruck - 3teilige mappe)
h. hirscher: der zaubermeister (handpressendruck)
juni '61 m. bense / gk. pfahler: reste eines gesichtes (handpressendruck)
juli '61 b.brock/g.biasi: alphabet (handpressendruck)
sept '61 b. brock/ gk. pfahler: 10 à 66 (handpressendruck)
w. wezel: sandkerben (handpressendruck)
umschlag & grafik zu "die eier" (u. schmidt), eremiten-presse
grafik zu "alphabet 1961", eremiten-presse
nov '61 r. hausmann: siebensachen (handpressendruck)
1961/62 (dezember-august) feuilleton 1-4 (10seitige faltblätter)
1962 und 1963 titelblatt und druck des bibliophilen kalenders der galerie müller, stuttgart
jan '62 k. burkhardt: taPetenreste (handpressendruck)
märz '62 k. burkhardt: mein stundenbuch (handpressendruck in einem exemplar)
r. döhl / kf. dahmen: so etwas wie eine geschichte von etwas (handpressendruck)
april '62 f. mon / ko. götz: verläufe (handpressendruck)
mai'62 tw. Adorno / kt. lenk: nachbilder zu mahler (handpressendruck)
sept '62 umschlag zu fingerübungen" (r. döhl), limes verlag
okt '62 w. falazik / k. burkhardt / hawoli: charons lied (handpressendruck)
nov '62 r. döhl / k. burkhardt: portrait & einwände, mit biobibliographie k. burkhardt von r. döhl (rot 9)
ein unendlicher calender (handpressendruck mit texten von bense, rühm, borchers, burkhardt, döhl, esser, hang)

ausstellungen

jan/febr '61 ulm (öl & druckbilder)
juni/juli '61 frankfurt (affiches - druck & buchstabenbilder)
nov '61 göttingen (affiches - druck & buchstabenbilder)
märz '62 baden-baden (hommage a werkman) fotogene betätigung an der handpresse - druck & buchstabenbilder (siehe foto 3. umschlagseite)
juni '62 stockholm (druck & buchstabenbilder)
okt '62 bochum, galerie wilm falazik (affiches - druck & buchstabenbilder)
nov '62 stuttgart, studiengalerie der th (druck & buchstabenbilder)
dez '62 wuppertal (affiches - druck & buchstabenbilder)
jan '63 schwenningen (druck & buchstabenbilder)
druck & buchstabenbilder klaus burkhardts befinden sich in privaten und öffentlichen sammlungen des inlands und im stedelijk museum amsterdam

literatur
k. leonhard: vom abdruck zum ausdruck (katalog ausstellung ulm '61)
e. schubert: wichtig ist drucken (würzburger semesterspiegel juni '60)
e. kleßmann: aus der lyrischen provinz ... (christ und welt, 28. Juli 1960)
d hoffmann: kulturbericht aus württemberg (südd. rundfunk 30.9.60)
jp. wallmann: der duft der pressen (notizen nr 31, tübingen/stuttgart febr. 61)
jp. wallmann: affiche, apresfiche, feuilleton (semesterspiegel münster febr. 62)
[r. döhl]: albrechts privatgalerie 3 (forum academicum, heidelberg 2/62)

[Studiengalerie der TH/Universität Stuttgart Januar 1963. Katalog]