[Der Essay wird hier vollständig, d.h. ohne die redaktionellen, nicht im Einverständnis mit dem Verf. vor dem Druck im Jahrbuch der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung vorgenommenen Kürzungen und Änderungen wiedergegeben.]
Der Plagiatsvorwurf | Unerfindliche Gründe | Drei 'Kronzeugen' | Biblio- und biographische Daten | Parallelstellen | Schluß | Anmerkungen
1953, ein Jahr nach Erscheinen de Gedichtbandes "Mohn und Gedächtnis" von Paul Celan, richtete Claire Goll, die Witwe und Nachlaßbetreuerin Yvan Golls, einen "Offenen Brief" an eine Anzahl Verleger, Kritiker und Schriftsteller (1), in dem sie Parallelstellen aus dem späteren Werk ihres Mannes und dem Band "Mohn und Gedächtnis" von Paul Celan zusammenstellte und so versuchte, ihre Plagiatsthese zu begründen, daß nämlich "Mohn und Gedächtnis" bei zeilenweiser Anleihe und durch geschickt assimilierte Verwertung von Wendungen und Bildern eine Imitation des Gollschen Nachlaßbandes "Traumkraut" sei.
1955 erschien ein neuer Gedichtband Paul Celans, "Von Schwelle zu Schwelle"; im JAHRESRING 1955/56 stellte Curt Hohoff zwei Zeilen dieses Bandes zwei weiteren Zeilen Yvan Golls gegenüber; in einem im BAUBUDENPOET Heft 5, März/April 1960, abgedruckten Brief, "Unbekanntes über Paul Celan", griff Claire Goll diese neue Parallelstelle auf und führte - neben einem Angriff auf die Persönlichkeit Paul Celans - Curt Hohoff, Georg Maurer und Richard Exner als Kronzeugen für ihre Plagiatsthese an. Schließlich, am 11. November 1960, veröffentlichte die WELT einen Artikel Rainer K. Abels (= Kabel): "Umstrittener Ausflug in die Vergangenheit. Anleihe oder Anlehnung? - Zur Kontroverse um Yvan Goll und Paul Celan". Hier wurden die schon bekannten Parallelstellen wiederholt und um einige weitere vermehrt. Auch wurden die drei Kronzeugen (mit Hinweis auf den BAUBUDENPOETen) übernommen. Darüber hinaus versuchte Rainer K. Abel, das Ganze in ein philologisches Gewand zu kleiden, wobei er es für eine weitergehende Untersuchung offen ließ, ob es sich um den Einfluß des Bedeutenderen oder um die willkürliche Übernahme einzelner Bilder und Themen handelt. Einen Schritt weiter war er aber schon in seiner Besprechung der "Dichtungen" Yvan Golls (CHRIST UND WELT Nr.44, 1960) gegangen, wo er es einer Untersuchung für wert behauptet, einmal die Abhängigkeit Paul Celans von seinem 'Meister' Yvan Goll festzustellen, den er bis in einzelne Zeilen und Bilder nachgeahmt habe. Mit diesen beiden letzten Veröffentlichungen Rainer K. Abels aber war die Kontroverse um Yvan Goll und Paul Celan, die längst keine echte Kontroverse mehr, die nie eine echte Kontroverse gewesen war, über die Tageszeitung, beziehungsweise eine Wochenzeitung vor die Öffentlichkeit getragen und zu einem "Fall Paul Celan" geworden.
Gleichzeitig erfolgten die ersten Richtigstellungen und Erklärungen für Paul Celan. DIE NEUE RUNDSCHAU publizierte Heft 3, 1960, eine von Marie Luise Kaschnitz, Ingeborg Bachmann, Klaus Demus unterschriebene "Entgegnung", Peter Szondi stellte in einem Leserbrief zur Besprechung Rainer K. Abels in CHRIST UND WELT richtig; unter der Überschrift "Was zum Fall Paul Celan zu sagen ist" erschienen am 16. Dezember 1960 in der WELT zwei Leserbriefe, beziehungsweise Stellungnahmen von Hans Magnus Enzensberger und Dietrich Schaefer. Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG hatte bereits am 18. November 1960 einen längeren Artikel Peter Szondis, "Anleihe oder Verleumdung", gebracht, in dem er sich mit Rainer K. Abels "Umstrittener Ausflug in die Vergangenheit" auseinandersetzte, dabei auch die philologische Methode Abels in Frage stellte. Am 22. Dezember 1960 veröffentlichte DIE TAT "Ein notwendiges Wort" Arnim Mohlers, dem allerdings eine irrtümliche Behauptung unterlief, die er - wohl auch in Folge eines Briefes Claire Golls an DIE TAT - am 29. Dezember 1960 berichtigte. Schließlich entschuldigte sich CHRIST UND WELT am 17. Februar 1961 - Eckart Kleßmann: "Was ist ein Plagiat?" - ausdrücklich bei Paul Celan für den von Rainer K. Abel am 27. Oktober 1960 in seiner Rezension des Gollschen Gesamtwerkes erhobenen Vorwurf, Celan habe Goll imitiert, und distanzierte sich ausdrücklich von den Verleumdungen der Claire Goll und ihres Anhangs, ohne allerdings die in der Überschrift gestellte Frage zu beantworten. Ferner liegen inzwischen eine über dpa verbreitete Erklärung der Träger des Büchnerpreises (2) vor sowie eine umfangreichere Sympathieerklärung österreichischer Schriftsteller "In Sachen Paul Celan" im FORUM, Heft 85 (Wien, Januar 1961), die unter andern von Franz Theodor Csokor, dem Präsidenten des Österreichischen PEN-Clubs, Christine Busta, Heimito Doderer, Milo Dor, Herbert Eisenreich, Friedrich Heer und Fritz Hochwälder unterzeichnet wurde. Nach einer anschließenden Notiz hat der Österreichische PEN-Club an Paul Celan die Einladung zur Mitgliedschaft ergeben lassen und Paul Celan diese Einladung angenommen.
Es ist bisher unerfindlich, aus welchen persönlichen oder sachlichen Gründen Claire Goll 1953, zwei Jahre nach Veröffentlichung des Bandes "Traumkraut" ihres Mannes und ein Jahr nach Veröffentlichung des Bandes "Mohn und Gedächtnis" von Paul Celan, plötzlich in ihrem "Offenen Brief" den Plagiatsvorwurf erhob (3), zumal da sie mit Paul Celan bekannt war und vermutlich auch das Manuskript zu "Mohn und Gedächtnis", wenigstens zum Teil, gekannt haben dürfte). Ihre Begründung ist, soweit sie überhaupt die Sache betrifft, fadenscheinig, wenn nicht sogar - was noch zu zeigen sein wird - bedenklich unbegründet. Ersichtlich scheinen nach der Lektüre des Briefes im BAUBUDENPOET und anderer Briefe, z.B. an DIE TAT, lediglich persönliche, emotionale Gründe. Die aber sind nicht Sache der Öffentlichkeit, wie sie auch keine öffentliche Kontroverse rechtfertigen. Eine subjektive emotionale Argumentation in der Nähe des strafrechtlichen Komplexes der üblen Nachrede und Diffamierung ist auch kein Argument gegen literarische Texte, wie immer sie sein mögen, erst recht aber kein Beweis für ein angebliches Plagiat. Es kann also im folgenden nichts dazu und nichts dagegen gesagt werden, außer, daß hier ausdrücklich festgestellt wird, daß eben solche persönlichen Anwürfe und Angriffe ein der Sache inadäquates, fragwürdiges Verfahren darstellen.
Es wird im folgenden ferner nicht von der literarischen Qualität der "Dichtungen" Yvan Golls sowie der bisher vorliegenden Gedichte Paul Celans zu reden sein. Das ist Aufgabe einer gründlichen (ästhetischen) Interpretation, die zu unternehmen der unserer Untersuchung zur Verfügung stehende Raum und die zur Verfügung stehende Zeit verbieten. Auch würde eine solche Interpretation wenig zur Klärung der Sache beitragen. Stattdessen geht es hier darum, den schon von Peter Szondi versuchten und eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen, indem der Vorwurf des Plagiats, die angeblichen Parallelstellen, die Methode des Nachweises der Anleihe oder Anlehnung und ihre Glaubwürdigkeit Schritt für Schritt überprüft werden, wobei auch zu erwähnen sein wird, was Plagiat eigentlich meint und wann überhaupt davon die Rede sein kann (4).
In "Unbekanntes über Paul Celan" führt Claire Goll, wie gesagt, drei gewichtige Kronzeugen für ihre Plagiatsthese an, die Rainer K. Abel mit Hinweis auf den Brief im BAUBUDENPOET unbesehen übernimmt: Curt Hohoff, Georg Maurer und Richard Exner. Claire Goll schreibt:
Im 'Jahresring 1955/56' stellte später Dr. Curt Hohoff folgende Zeilen einander gegenüber: Bei Goll heißt es: "Die Eber mit dem magischen Dreieckskopf / Sie stampfen durch meine funkelnden Träume" (Traumkraut).Und bei Celan: "In Gestalt einer Ebers / Stampft mein Traum durch die Wälder am Rande des Abends".Ohne Kommentar.
Kurz davor hatte Claire Goll von "Mohn und Gedächtnis" gesprochen. Die beiden Zeilen Paul Celans entstammen aber dem Band "Von Schwelle zu Schwelle" (ebenfalls stehen die beiden Zeilen Yvan Golls nicht in "Traumkraut", sondern in "Neila - Letzte Gedichte"). Ob durch Weglassen der Quellenangabe der Anschein erweckt werden soll, sie ständen in "Mohn und Gedächtnis", kann nicht sicher behauptet werden. Mit Sicherheit sind dagegen beide Zitate falsch wiedergegeben. Ob diese Änderung vorgenommen wurde, um die Zitate einander näherzurücken, wie Peter Szondi vermutet, bleibe zunächst dahingestellt. Jedenfalls finden sich die falschen Zitate sowohl bei Claire Goll wie später bei Rainer K. Abel, der allerdings die richtige Quelle angibt.
Während ihr Curt Hohoff
im JAHRESRING 1955/56 ohne Vorwurf und ohne Kommentar lediglich
diese eine Parallelstelle geliefert hat, bedient sich Claire Goll
der beiden anderen Kronzeugen sozusagen als Gutachter.
So berichtet sie über
Georg Maurer:
Im Jahre 1956 schrieb man mir, daß Georg Maurer, auf der Lyrikerdiskussion des deutschen Schriftstellerkongresses in Ostberlin, im Januar sagte: "Ich verweise nur auf den Meisterplagiator Paul Celan, der in seinen Versen das mittelmäßig wiederholt, was Yvan Goll zur Meisterschaft gebracht hat".
Es wäre nützlich und aufschlußreich zu erfahren, wer dieser man ist, auf den sich Claire Goll beruft, denn in einer viel zu wenig beachteten Zuschrift an die WELT (abgedruckt am 31. Dezember 1960) berichtigte Georg Maurer:
Kürzlich wurde ich
von Professor Hans Mayer auf einen Artikel aufmerksam gemacht, der in der
WELT vom 11. November anläßlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises
an den Lyriker Paul Celan erschienen ist ["Umstrittener Ausflug in
die Vergangenheit", R.D.]. Darin heißt es: "... 1956 soll Georg
Maurer von Paul Celan als einem Meisterplagiator gesprochen haben."
Der Satz an meinem Referat
'Zur deutschen Lyrik der Gegenwart' (abgedruckt im Bändchen "Der Dichter
und seine Zeit", Aufbau-Verlag, Berlin 1956), auf den sich das Gerücht
bezieht, heißt: "Wenn unsre jungen Lyriker ihren begabten Kollegen
Paul Celan, der jetzt in Paris lebt, oder Ingeborg Bachmann lesen, ist
es gut, wenn sie auch Ivan Goll und Else Lasker-Schüler etwas kennen."
Ich habe damit den Dichter
Paul Celan ebensowenig wie die Dichterin Ingeborg Bachmann (ich schätze
eine ganze Reihe von Gedichten beider Autoren hoch ein) des Plagiats bezichtigt.
Außerdem: es gibt Fälle (und es sind nicht wenige in der Kunst-
und Literaturgeschichte), bei denen man sich mit dem Vorwurf des 'Plagiats'
nur lächerlich machen würde. Bewußt habe ich aus der voraufgegangenen
Dichtergeneration, von der wir alle lernen, Ivan Goll und Else Lasker-Schüler
genannt als (im Vergleich zu Heym oder Trakl etwa) der jüngsten Generation
weniger bekannte Repräsentanten des 'expressionistischen Jahrzehnts',
die kennenzulernen sich lohnt.
Der Begriff "Meisterplagiator"
war mir unbekannt. Auf Anhieb würde ich ihn, da ich ihn nun kenne,
auf Shakespeare anwenden, den schon sein Zeitgenosse, der Dramatiker Greene,
mit einer "aufstrebenden Krähe, die sich mit fremden Federn schmücke",
verglich, oder auf Brecht, dessen von ihm öffentlich bekundete Auffassung
über 'geistiges Eigentum' inzwischen berühmt geworden ist.
Der dritte Kronzeuge, Richard Exner, wird von Claire Goll folgendermaßen vorgestellt:
Eingeladen von verschiedenen Universitäten der Vereinigten Staaten, über meinen Mann Vorträge zu halten, bereiste ich ab 1952 die U.S.A. Nach einem Vortrag in der University of California kam der junge Germanist, Professor Richard Exner, auf mich zu und sagte: "Kennen Sie 'Mohn und Gedächtnis' von Paul Celan?" Ich verneinte. "Eine völlige Anlehnung an die Gedichte 'Traumkraut' ihres Mannes, die ich heute zum ersten Mal höre". (5)
Dem Ehepaar Goll muß aber - auch nach den Angaben des Briefes Claire Golls im BAUBUDENPOET - Paul Celans erster Gedichtband, "Der Sand aus den Urnen" (1948), bekannt gewesen sein. Und dieser Band hat die drei Teile: "An den Toren", "Mohn und Gedächtnis" und "Todesfuge". Man kann also ohne Schwierigkeit folgern, daß wenigstens die Formulierung "Mohn und Gedächtnis" Claire Goll bekannt gewesen sein mußte. Abgesehen davon scheinen aber auch sonst - wie im Falle Georg Maurer - die Angaben Claire Golls fragwürdig. In einem vorliegenden Brief vom 22. Januar 1961 an Fritz Martini erklärt nämlich Richard Exner gewissermaßen an Eides-Statt unter anderem über seine Begegnung mit Frau Goll in Los Angeles:
Ich kannte von Goll den Band "Traumkraut". Ich las 1952 "Mohn und Gedächtnis" von Paul Celan und war begeistert. Im selben Jahre hielt Frau Goll, die damals ein fellow der Huntington Hartford Foundation (so hieß es wohl) in Los Angeles war, einen Vortrag an der UCLA, einen Vortrag über Gedichte und Leben ihres Mannes. Nach diesen Vortrag war ein kleiner Empfang im Hause des damaligen dt. Generalkonsul, Dr. Richard Hertz. Während einer Unterhaltung fragte Frau Goll mich (es war dar erste Mal, daß ich sie sah): "Gibt es etwas Neues in der deutschen Lyrik von heute" -- Ich antwortete: Ja "Mohn und Gedächtnis" von P.C. -- 0, den kenne ich, sagte sie. Was halten Sie davon, fragte sie mich. Ich sagte, daß ich nicht mit dem Kritiker Schwedhelm übereinstimmen könne, der im Klappentext sagt: diese Sprache ist unbekannt im deutschen Gedicht oder so ähnlich. Mir schiene, fuhr ich fort. Daß die glücklichen Landgewinne des Surrealismus im Deutschen in Anlehnung an die frz. Lit. bereits Leuten wie Goll gelungen seien. Da fuhr sie hoch und sagte: er hat abgeschrieben. Seit dieser Zeit ließ sie mir keine Ruhe und wollte, daß ich das Gollsche Werk, besonders das frz. auf Parallelstellen durchgebe, was ich nicht gemacht habe, nicht machen konnte, weil ich damals nicht sehr gut frz. las. Auf dieser Konversation baut Frau Goll seit einem Jahrzehnt mein "Germanistengutachten" auf und seit Monaten muß ich mich deswegen verhören lassen -- Ich schrieb 1954 einen Aufsatz über Golls deutsche Lyrik, in dem ich sagte, daß man Goll vergessen habe, so gründlich sogar, daß man anläßlich Celans von einer vollkommen neuen Sprache im deutschen Gedicht spreche. Das war meine letzte öffentliche oder private Äußerung zum Fall Celan. Nun hat mich Frau Goll in ihrer wahnsinnigen Verfolgungssucht zum Wortführer gemacht, nennt mich Ordinarius an der UCLA (seinerzeit war ich "first year graduate student" und nicht an der UCLA) aber diese Lügen vermehren sich und werden brav abgedruckt. Alle diese Leute wie Demus, wie Rudolf Hirsch (der hier eine Ausnahme ist, denn er hat mich um Aufklärung gebeten und dann nichts damit gemacht), wie Leute an der "Welt", der "NZZ" drucken munter den alten Schmarren weiter ab, jeder weiß, daß ich noch lebe, keiner fragt an.
Die von Claire Goll angeführten und von Rainer K. Abel ohne Nachprüfung übernommenen angeblichen Äußerungen Richard Exners oder Georg Maurers sind also entweder entstellt oder für die von Frau Goll vorgebrachte Plagiatsthese zurechtformuliert. Die von Curt Hohoff gelieferte neue Parallelstelle wird falsch wiedergegeben. Damit aber entbehren alle diese Äußerungen jeder Überzeugungskraft. (6)
Biblio- und biographische Daten
Im vorigen Abschnitt wurde der erste Gedichtband Paul Celans in einem Zusammenhang erwähnt, der evident macht, wie wichtig die Kenntnis der bibliographischen Daten bei den einzelnen Fragen ist. Bereits Peter Szondi, Dietrich Schaefer u. a. wiesen auf diesen Punkt hin. Es scheint deshalb geraten, zunächst den bibliographischen, wenn nötig den biographischen Daten beider Dichter zu folgen und in jedem Fall sogleich die notwendig erscheinenden Anmerkungen hinzuzufügen (7).
Noch in einem anderen bibliographischen Punkt, der nicht unerwähnt bleiben soll, variieren die Angaben Claire Golls. So schreibt sie im Vorwort der Limes-Ausgabe: Aber als er 1948 vor seiner tragischen Krankheit, der Leukämie, in das Spital von Straßburg flüchtete, das ihn nach fünf Monaten wunderbarerweise noch einmal befristet ins Leben entließ, nahm die Sprache seiner Jugend wieder von ihm Besitz und es entstand - neben einem Band hermetischer Sonette in französischer Sprache: "Le Char Triomphal de l'Anitmoine" - schon ein Teil der Gedichte des "Traumkrauts". Im Vorwort zu der Auswahl in den "Oeuvres Choisies" lautet der entsprechende Passus: ... Ja majeure partie des poèmes qui composent "Traumkraut" (Herbe da songe). 1960 heißt es im Vorwort zu "Traumkraut" in den "Dichtungen" dann: ... und es entstand die erste Hälfte der Gedichte des 'Traumkrauts'. (Von den übrigen Abweichungen der Vorworte wird an anderer Stelle noch die Rede sein.)
Ungenau wie bei den Angaben der Entstehungsdaten verfährt Claire Goll besonders bei ihren Angaben über den Abdruck in DAS GOLDENE TOR. Die erste Erwähnung dieses Abdruckes befindet sich unseres Wissens in der "Bibliographie des Oeuvres d'Yvan Goll", 1956, in den "Oeuvres choisies". Sie lautet kurz: DAS GOLDENE TOR. Poèmes' signés 'Tristan Thor'. Lahr, Verlag Schauenburg, und für den unwissenden Leser wird hier der Eindruck einer selbständigen Publikation erweckt; ebenso in der von Claire Goll stammenden Goll-Bibliographie in der Taschenbuchausgabe der "Menschheitsdämmerung", Rowohlt-Verlag, Hamburg 1959. Dort heißt die entsprechende Angabe: Traumgras, Gedichte (unter Pseudonym Tristan Thor); Mainz 1948. Im "Quellenverzeichnis" der "Dichtungen", 1960, ist dann nur noch vom Abdruck einiger Gedichte aus 'Traumkraut' im 'Goldenen Tor', Verlag Schauenburg, Lahr, unter dem Pseudonym Tristan Thor die Rede. In dem schon erwähnten - mit Frau Dr. Yvan Goll unterzeichneten - Brief an DIE TAT, z. Hd. Max Rychner, schreibt Frau Goll dann, Alfred Döblin habe in seiner Zeitschrift: "Das Goldene Tor", Mainz, neun Gedichte aus dem "Traumkraut" abgedruckt, (es sind aber nur fünf).
Abgesehen von den einfach falschen Angaben, die hier nicht noch einmal zusammengefaßt werden müssen, dürfte es allerdings vorläufig nahezu unmöglich sein, ein bestimmtes Entstehungsdatum als sicher und verbindlich anzugeben, zumal da die Angaben Claire Golls durch ihre anscheinende Wahllosigkeit wenig Glaubwürdigkeit mehr besitzen. Eine nähere Analyse der Gedichte des "Traumkrauts", insbesondere der ersten Hälfte, lassen über Formulierungen wie
Bluthund in meinem Fleischdie Vermutung zu, daß wenigstens ein Hauptteil der Gedichte des "Traumkraut" erst entstanden sein kann, als bzw. nachdem sich Yvan Goll des tödlichen Ausgangs seiner Leukämie bewußt geworden war. In der "Biographie sommaire d'Yvan Goll" heißen die diesbezüglichen Angaben: 1944 (déc.) - Goll découvre, par son dossier médical du Memorial Hospital de New York qu'il est etteint de leucémie. Damit ergäbe sich als frühester Termin der Datierung der Dezember 1944, doch wird dies sofort wieder durch eine weitere Vermutung einzuschränken sein, da es fraglich ist, ob sich Yvan Goll schon damals in einem Maße, wie es die gegebenen Zitate zeigen, mit seiner Krankheit auseinandergesetzt hat. Vielmehr scheinen diese Zitate eher auf eine spätere Zeit, vielleicht tatsächlich erst den Aufenthalt im Straßburger Hospital, hinweisen, was allerdings ausdrücklich als Vermutung geäußert wird.
Fang die Träume die mir entfliegen
Bell die weißen Geister an
...
Dies schwanke Knochenhaus
Auf Sand gebaut
...
Klopfe an die Erde
Blutangst springt dir ins Gehirn
...
Alte Löwen meines Bluts
Rufen umsonst nach Gazellen (11)
Die bisherigen Überlegungen besagen zwar eine Menge über die Methoden der Nachlaßbetreuung durch Claire Goll und lassen hier interessante Rückschlüsse zu, sie besagen weniger über das angebliche Plagiat Paul Celans. Wie gesagt müßte Paul Celan, um überhaupt Anleihen gemacht haben zu können, die Gedichte des "Traumkrauts" gekannt, müßte also Zugang zu den Manuskripten gehabt haben, d.h. mit dem Ehepaar Goll gut bekannt gewesen sein. Hier ist ein biographischer Punkt zu beachten, über den Claire Goll in "Unbekanntes über Paul Celan" folgende Angaben macht: Im Oktober 1949 erhielten wir von Celan einen 'rührenden Brief', der sein Verkanntsein als Dichter, seine Verzweiflung darüber, daß niemand ihn anerkenne etc. schilderte. Er setze seine letzte Hoffnung in uns. Ob er kommen und uns etwas vorlesen dürfe? Danach hat Paul Celan das Ehepaar Goll erst im Oktober, spätestens November 1949 kennengelernt. Das deckt sich mit den Angaben in der "Entgegnung": Paul Celan hat Iwan Goll vom Spätherbst 1949 bis zum März 1950 [recte: bis zum 27. Februar, R.D.] gekannt, gemeinsam mit dem letzten der Unterzeichneten [d.i. Klaus Demus, R.D.]. Das entspricht aber auch einer anderen Angabe Claire Golls im Brief an DIE TAT, z.Hd. Max Rychner, wo sie angibt daß ihnen Paul Celan zur Zeit der Publikation der fünf Gedichte in DAS GOLDENE TOR, also im Mai 1948, noch nicht begegnet war. (12) Paul Celan kann also nur vom Oktober 1949 (frühestens) bis Ende Februar 1950, wahrscheinlich aber noch länger bis zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt einer persönlichen Entfremdung von Claire Goll, Zugang zu den Manuskripten Yvan Golls gehabt haben. Damals war jedoch der Band "Der Sand aus den Urnen" bereits erschienen. Und es ist hieraus leicht zu ersehen, daß zumindest alle diejenigen Parallelstellen, die sich auf diesen Band beziehen, zweifellos kein Plagiat, keine Anlehnung oder Anleihe sein können.
Die Art und Weise, in der Claire Goll in diesem Zusammenhang mit bibliographischen Angaben und Daten umgeht, lassen darüber hinaus nicht nur jede bibliographische Angabe von ihrer Seite fraglich, vielmehr einen Großteil Ihrer Angaben unglaubwürdig erscheinen.
Auf jeden Fall scheint es zunächst geraten, all diejenigen Parallelstellen und Argumente zu überprüfen, auf die sich die Plagiatsthese stützt. Das betrifft die Angaben Claire Golls in ihrem "Offenen Brief", die von Curt Hohoff im JARESRING 1955/56 angeführte, von Claire Goll und Rainer K Abel unrichtig wiedergegebene Parallelstelle, sowie die darüber hinausgehenden Angaben Rainer K. Abels in seinem Aufsatz "Umstrittener Ausflug in die Vergangenheit". Der dabei einzuschlagende Weg entspricht ungefähr den Vorschlägen Peter Szondis, wobei allerdings von vornherein zwei Gruppen unterschieden werden: diejenigen Parallelstellen, die Gedichte Paul Celans betreffen, soweit sie schon 1948 in "Der Sand aus den Urnen" vorlagen, und als zweite Gruppe alle anderen Parallelstellen. (13)
a
Ihr malt in den Mühlen des Todes das weiße Mehl der Verheißung (Paul Celan)Die Zeile Paul Celans entstammt dem Gedicht "Spät und Tief", MuG, S. 31, ist aber schon unter der Überschrift "Deukalion und Pyrrha" In SaU, S.52, abgedruckt. "Le Moulin de la Mort" ist der Titel eines zweiteiligen Gedichtes Yvan Golls aus der Sammlung "Les Cercles Magiques", Paris, Edition Falaize 1951. Als Entstehungszeit gibt Claire Goll im "Quellenverzeichnis" 1942-1944 an. In ihrer Übersetzung lautet eine Zeile aus "Die Mühle des Todes I":
Le Moulin de la Mort (Yvan Goll) (CG; RK)
Reifes weißes Korn meines Todesund zwei andere Zeilen aus "Die Mühle des Todes II":
0 mein weißes Blut(DD, S. 529 u. 530). Beide Zeilen lassen jedoch eher ein späteres Entstehungsdatum nach dem Dezember 1944 vermuten (vgl. das in diesem Zusammenhang weiter oben schon Gesagte). Aber selbst wenn diese Gedichte so früh entstanden sein sollten, wie Claire Goll angibt, können sie für Paul Celan nicht verbindlich gewesen sein.
Das in der Brühe des Mondes kocht
b
Ein Halsband aus Händen (Paul Celan)Die vollständige Zeile bei Paul Celan lautet:
Ein Halsband aus Lerchen (Yvan Goll) (CG)
Ein Halsband aus Händen gab dir der Wald, so schreitest du tot übers Seilund steht in dem Gedicht "Talglicht"; MuG, S.11; SaU, S.30; PL, S. 367. Das Gollzitat ist unrichtig wiedergegeben und lautet richtig im Kontext der Zeile:
Ein Halsband von Lerchenliedern versprach ich dir.Es entstammt dem Gedicht "Dichterschicksal", DD, S. 557. Es gehört zu der Gruppe "Neila - Letzte Gedichte", nach dem "Quellenverzeichnis" 1947/48 entstanden und in der vorliegenden Form unveröffentlicht. Nach den Angaben Claire Golls in der Zeitschrift "Konturen", März 1953, die das Gedicht publizierte, ist es allerdings erst im Winter 1949/50 entstanden. In Wirklichkeit erschienen diese Gedichte bereits 1954 im Rothe-Verlag, Heidelberg, unter dem Titel "Abendgesang - (Neila) - Letzte Gedichte". Lediglich das vorletzte Gedicht dieser Ausgabe, die sonst nur geringfügig von dem neuerlichen Abdruck in den DD abweicht, "Kein Grenzstein mehr für die Hoffnung", erscheint in den DD an anderer Stelle, in der von Claire Goll übersetzten Sammlung "Vielfache Frau", unter der Überschrift "Ur und Sichem verkohlt".
c
Die Sonne des Todes (Paul Celan)Die entsprechende Zeile bei Paul Celan aus dem Gedicht "Das ganze Leben" - MuG, S. 30; SaU, S. 51; PL, S. 369 - lautet richtig:
Eine immer wiederkehrende Wendung Golls (CG)
Die Sonnen des Todes sind weiß wie das Haar unsres Kindes.In den "Dichtungen" Yvan Golls konnte die immer wiederkehrende Wendung, Die Sonne des Todes, nicht nachgewiesen werden. Dort gibt es nur die Wendung Totensonne (TrL, S. 21; TrD, S. 448), dazu eine Vor-Fassung Morgensonne aller Toten (GT, S. 465), wovon noch gesondert zu reden sein wird. Darüber hinaus finden sich bei Goll nur zwei vergleichsweise interessante Wendungen:
Das Rad meiner gestorbenen Sonne(DD, S. 536) und in den frühen Gedichten "Noemi" die Zeile:
Die Sonne hing verkohlt und schwarz in der Straße(DD, S. 48). Stattdessen kennt schon Paula Ludwig, die zeitweilige und damalige Begleiterin Yvan Golls, 1932 die Metapher Totensonne:
im Brande deiner Totensonne("Dem dunklen Gott. Ein Jahresgedicht der Liebe", Dresden 1932, S. 4. Der Gedichtband trägt ein Mottogedicht Yvan Golls, und nicht nur diese beiden Zeilen sind, nicht nur vergleichsweise, interessant.)
im Aschenregen deiner Jahrhunderte
d
e
f
g
h
Es gießt der Mond
Aus seinen verschiedenen Krügen
Die goldene Milch
Der Jahreszeiten
i
j
k
l
Abgesehen von der Entstellung oder ungenauen Wiedergabe der Zitate und der zum Teil nur daraus resultierenden Parallelität kann man jederzeit ohne größere Schwierigkeit weitere Parallelstellen ausfindig machen, die sogar den Vorteil einer scheinbar größeren Ähnlichkeit besitzen. Für viele sollen hier nur zwei angegeben werden, nicht ohne Claire Goll und Rainer K. Abel den Vorwurf zu machen, beim Aufsuchen ihrer Parallelstellen oberflächlich vorgegangen zu sein und - wie man jetzt anhand der ständig falschen Zitate schließen möchte - der Parallelität noch ein wenig nachgeholfen zu haben. Ein Beispiel einer Parallelstelle, die zweifelsohne weder Anlehnung noch Anleihe sein kann, wäre
m
n
Paul Celan schreibt (MuG, 5.33; SaU, S. 54):
Wie schon jetzt zu sehen ist, bleiben nur noch wenige der von Claire Goll und Rainer K. Abel angegebenen Parallelstellen übrig, die die Gedichte Paul Celans nach der Veröffentlichung von "Der Sand aus den Urnen" betreffen. Auch her soll schrittweise vorgegangen werden.
o
p
Segler auf den Wappen
aller Mairien und Tramways
Im Mistral der Gefängnisse
schaukelt dein Firmenschild
q
Sieben Nächte höher
wandert Rot zu Rot,
sieben Herzen tiefer
pocht die Hand ans Tor,
sieben Rosen später
rauscht der Brunnen.
r
Blitzendweiß
wie das Eis, aus dem
er hervorbrach,
sind seine Hauer.
Eine bittere Nuß
wühlt er hervor
unterm Laub,
das sein Schatten den
Bäumen entriß,
eine Nuß,
schwarz wie das Herz,
das dein Fuß vor sich herstieß,
als du selber hier schrittst.
Er spießt sie auf
und erfüllt das
Gehölz mit grunzendem Schicksal,
dann treibts ihn
hinunter zur Küste,
dorthin, wo das Meer
seiner Feste finsterstes
gibt
auf den Klippen:
vielleicht
daß eine Frucht
wie die seine
das feiernde Auge entzückt,
das solche Steine geweint
hat.
Du träumst noch wie
zur Zeit des Hollunderrauschs
Von den Johannisfeuern
im Glühwurmberg
Und du und ich mit Sternenkronen
Ewig gefeit vor dem Zeitverhängnis
Die Eber mit dein magischen
Dreieckskopf
Sie stampfen durch meine
faulenden Träume -
Dein schönstes Juliangesicht
aber
Leuchtet in meinen Wintern
Dergleichen Parallelen aber finden sich in der Literaturgeschichte Hülle die Fülle, ohne daß sofort von Plagiat gesprochen wird. Und wenn es geschah, erwies die literaturgeschichtliche Forschung alsbald die Grundlosigkeit eines solchen Geredes. Eine beliebige, viel eindeutigere Parallele solcher Art bieten z.B. die Balladen "Adelstan und Röschen" von Ludwig Hölty und Gottfried August Bürgers "Lenore":
Horch Glockenklang! horch
Totensang:
"Laßt uns den Leib
begraben!"
Und näher zog ein
Leichenzug,
Der Sarg und Totenbahre
trug...
"Komm Küster hier!
Komm mit dem Chor,
Und gurgle mir das Brautlied
vor!
Komm, Pfaff, und sprich
den Segen.
Eh wir zu Bett uns legen!"
("Lenore")
Doch scheint dies noch keine befriedigende Antwort zu sein, und man wird - will man sich bei dieser letzten Parallelstelle Klarheit verschaffen - von einer anderen Überlegung ausgeben müssen: So ist es in der modernen Poesie ein durchaus legitimes Verfahren, mit fremden Texten zu arbeiten. Ganze Inhalte anderer Literaturen können in den Kontext eines Gedichtes eingeschmolzen werden. Das bedeutet nicht Laxheit gegenüber fremdem geistigen Eigentum; vielmehr bedeutet es, da das Zitat neben dem neugewonnenen auch einen ursprünglichen Bereich hat, Erweiterung und Vertiefung. Dieses Zitieren kann geschehen durch unveränderte Wiedergabe eines Zitats (wobei das eine das andere bedingt), durch bewußtes Ändern des Zitats (was eine Korrektur des ursprünglichen Bereiches bedeuten würde) und durch Parodierung des Originaltextes durch parodiertes Zitat. (26) Dann läge in dem fraglichen Fall, wenn überhaupt, das bewußte Ändern eines Zitats und damit eine Korrektur des ursprünglichen Textbereichs vor, was übrigens unmittelbar ersichtlich ist, weil Paul Celan aus diesem veränderten Zitat konsequent einen eigenen Kontext aufbaut. Die gleichen Überlegungen können theoretisch, sieht man von der Frage der Datierung einmal ab, auch für das Beispiel gelten. In keinem Fall aber wird von Anlehnung oder Anleihe, gar von Plagiat die Rede sein können.
Ebenfalls nicht bei einer weiteren Parallelstelle, die Claire Goll und Rainer K. Abel zwar nicht angegeben haben, die wir aber der Vollständigkeit halber anführen wollen. Wir erinnern deshalb noch einmal an die im Beispiel h angeführten Genitivmetaphern und daran, daß keine der von Rainer K. Aber angeführten Gollschen Wendungen als vorbildlich für schwarze Milch der Frühe angesehen werden konnte. Eine größere Affinität scheint allerdings bei zwei anderen Beispielen aus "Johann Ohneland" gegeben. undzwar sind in das Gedicht "Johann Ohneland grüßt den Harlemriver", (DD, S. 750), zwei refrainartige Zeilen eingerückt:
Beide Gedichte stehen nach "Johann Ohneland singt eine Ode auf Frankreich im Mai 1940" in einer Reihe von Gedichten, in deren Überschriften der Broadway, Manhattan, Bowery und Cuba genannt werden, die also erst in Amerika geschrieben sein dürften. Sie können dann frühestens 1944 veröffentlicht sein, und zwar in der Auswahl "Landless John", deren Kenntnis bei Paul Celan schwerlich anzunehmen ist.
Dennoch scheint, bei selbstverständlich anderem Kontext, hier einer der Fälle gegeben, wo man, bei gemeinsamem literarischen Entwicklungszusammenhang, bei verschiedenen Dichtern plötzlich auf wandernde Bilder (Fritz Martini) stößt. Meist wird es sich dabei um Metaphern handeln, die, jeweils umfunktioniert, in einem neuen Kontext auch zu Trägern einer neuen Bedeutung werden. Curt Hohoff bemerkt in: "Die Metaphernsprache des neuen Gedichts", JAHRESRING 1955/56: Grammatik, Wort und Bild bei Paul Celan seien überliefert, teilweise lyrisch abgebraucht (S. 338/39), und er sagt anschließend an die oben ausführlich behandelte Parallelstelle, die also nicht ohne Kommentar ist, wie Claire Goll schreibt, bei Paul Celan sei die Variation lyrischer Topoi Stilprinzip (336). Ohne diesen Überlegungen Curt Hohoffs Wort für Wort zuzustimmen, entsprechen sie doch in etwa einigen der bei der Untersuchung der Parallelstellen gemachten Beobachtungen. Dem Vorhandensein von konventionellen Metaphern und gebräuchlichen Topoi bei Yvan Goll als auch bei Paul Celan. So liegt auch bei der letzten Parallelstelle, bei der schwarzen Milch der Frühe, fraglos kein Plagiat vor, möglicherweise ein in der Lyrik häufiger anzutreffendes wanderndes Bild, vielleicht die Variation eines lyrischen Topos, dessen Kenntnis aber nicht auf die Gedichte Yvan Golls zurückgehen muß. Sollte Paul Celan, was theoretisch immerhin möglich wäre, den Band "Landless John" gekannt haben, und sollte das englische Original Wort für Wort der deutschen Übersetzung entsprechen, könnte man auch von einem bewußten oder unbewußten veränderten Zitat in dem oben gegebenen Sinne sprechen.
Die Literaturwissenschaft versteht unter Plagiat den Diebstahl geistigen, besonders literarischen Eigentums durch unbewußte oder unerlaubte Wiedergabe von Werken, Teilen daraus, dichterischen Motiven und Gedanken eines anderen ohne Nennung des Urhebers als eigenes Produkt (Gero von Wilpert: "Sachwörterbuch der Literatur", Stuttgart 1955) (27). Andererseits kennt die Literaturgeschichte unzählige Plagiate in der Form sprachlicher, gedanklicher, vor allem stofflicher Abhängigkeiten, Übernahmen und Fortentwicklungen von jeher. Die sechsbändige Arbeit P. Albrechts über "Lessings Plagiate" (1890 f.) ist bekannt, und es hat sich bei ihr wie bei anderen ähnlichen Versuchen meist deren Sinnlosigkeit gezeigt, weil wirkliche Dichtung Anleihen völlig in eigenständige Kontexte einschmilzt und so oft erst zum Funktionieren bringt. Mit Recht spricht Georg Maurer in seiner Richtigstellung von Fällen, bei denen man sich mit dem Vorwurf des Plagiats nur lächerlich machen würde. (28) Bei Paul Celan konnte nachgewiesen werden, daß es sich bei den meisten Parallelstellen höchstens um entfernte sprachliche Ähnlichkeiten handelt, ohne daß ihm die entsprechenden Texte Yvan Golls bekannt waren. Stattdessen erwies sich ein Teil dieser Parallelstellen als eine jeweils eigenständige Variation gebräuchlicher Topoi bzw. konventioneller Metaphern. Bei den restlichen Parallelstellen kann es sich höchstens in drei Fällen um das in der modernen Poetik allerdings legitime Verfahren des Zitates, und zwar um das bewußte Ändern des Zitates und damit des Ursprungsbereiches handeln. (29) Und damit erhebt sich besonders im Hinblick auf die Veröffentlichungen Rainer K. Abels die Frage nach der Redlichkeit und Sachlichkeit des Verfahrens bzw. des Beweises.
Die Literaturkritik hat wiederholt auf die sprachliche Nähe beziehungsweise Zugehörigkeit Yvan Goll und Paul Celans zum französischen Surrealismus hingewiesen. Bei Beachtung der bibliographischen Daten hätte Rainer K. Abel die Unmöglichkeit einer Abhängigkeit Paul Celans von Yvan Goll ebenso sehen müssen, wie er sich hätte fragen müssen, ob die zweifellos vorhandenen, allerdings oft sehr vagen Ähnlichkeiten nicht in dem gemeinsamen Ursprungsbereich des Surrealismus, in der Gemeinsamkeit der surrealistischen Techniken ihre plausible Begründung haben. Auch hätte Rainer K. Abel wissen müssen, daß Wörter wie Mohn, Krug, Becher, Asche, Schwester etc. nicht nur bei Yvan Goll und Paul Celan vorkommen, sondern ebenfalls hervorragende Worte im sprachlichen Repertoire Georg Trakls z.B. sind. Curt Hohoff bemerkte in "Geist und Ursprung" (München o.J., S. 242) schon anschließend an das weiter oben zitierte Gedicht
Diese Überlegungen haben Rainer K. Abel und Claire Goll gar nicht erst angestellt. Stattdessen sind sie nach einer Methode verfahren, die sehr fraglich erscheint. Aufschlußreich in mancher Hinsicht sind dabei die schon angedeuteten Abweichungen der Vorworte zur "Traumkraut" voneinander.
a. Die Schreibweise des Vornamens variiert von Ivan (TrL) zu Yvan ("Oeuvres choisies"; TrD).
b. Die abweichenden Aussagen über die Entstehungszeit der ersten Gedichte des "Traumkrauts" wurden bereits erörtert.
c. Im Vorwort zur Limes-Ausgabe heißt es: Ja, die Gedichte des "Traumkrauts" sehen aus wie phantastische Zeichnungen aus einer anderen Welt, in den "Dichtungen": die letzten Gedichte des "Traumkrauts" [...]
d. Im Vorwort zu den "Oeuvres choisies" erscheint ein Zusatz gegenüber dem Vorwort zur Limes-Ausgabe, der dann auch ins Vorwort in den "Dichtungen" (S. 438 f.) aufgenommen wird: Diese Strenge seinem Werk gegenüber, die ihn ein Leben lang antrieb, voll Zweifel zu zerreißen und voll Hoffnung neu zu kreieren, kennzeichnet ebenso seine Demut vor der Kunst, (wie dieser andere Wunsch seine Demut dem Leben gegenüber charakterisiert. Bat er mich doch einige Wochen vor seinem Tod: 'sobald ich etwas kräftiger bin, bringe mich fort aus diesem viel zu schönen Krankenhaus. Ich möchte zwischen den Armen sterben, in einem Pariser Spital'). [Der Zusatz ist in Klammern zitiert].
e. In der Limes-Ausgabe heißt es: Und nur einige Stunden vor seinem Tode, als er das Bewußtsein minutenlang verlor und laut hinausschrie: "St-e-e-e-r-r-ben! Laßt mich allein mit meinem Tod!" gaben seine großen, tragisch geweiteten Augen zu, daß sie besiegt waren. In den "Oeuvres choisies" folgt der französische Zusatz: Mourir..... laissez-moi seul avec ma mort! Dem folgt in der Ausgabe der "Dichtungen" ein weiterer Zusatz in Klammern: (Der Aufschrei entrang sich ihm symbolischerweise in zwei Sprachen) (S. 439).
f. Endlich wurde in den "Dichtungen" ein kaum nachprüfbares - da wenigstens zwei der drei Zeugen gestorben sind -, von Claire Goll rekonstruiertes, von Yvan Goll angeblich ihr und drei Zeugen vorgelesenes und zerrissenes Vorwort zum "Traumkraut" beigefügt.
Von einigen kleineren und unbedeutenden Abweichungen abgesehen, läßt sich vermuten, daß es sich hier um den Versuch handelt, eine 'Yvan-Goll-Legende' zu schaffen. Und vor diesem Hintergrund wären die Plagiatsvorwürfe z.T. verständlich. Doch rechtfertigt er weder die völlig abstrusen bibliographischen Angaben, noch die ungenauen, verfälschten, oft einfach falschen Angaben sogenannter Parallelstellen. Anhand der oben getroffenen Richtigstellungen wird man kaum noch umhinkönnen, Frau Goll sogar den Vorwurf der Fälschung zu machen. Ob die Fälschungen bewußt vorgenommen wurden, ist nicht Frage dieser Untersuchung. Daß der objektive Tatbestand der Fälschung besteht, wurde nachgewiesen.
Ob Rainer K. Abel die Angaben Claire Goll in gutem Glauben übernommen hat, ob er weitere Parallelstellen auf Grund von 'Tips' dazunahm, kann hier nicht entschieden werden. Wenn er aber seinem Artikel, "Umstrittener Ausflug in die Vergangenheit", einen philologischen Anstrich gibt, muß von ihm auch die philologische Treue erwartet werden, der seine Ausführungen entbehren. Peter Szondi sagt zu recht, daß Formulierungen wie: man sollte nicht gleich den Stab über Paul Celan brechen; Abhängigkeiten, Einflüsse und Weiterentwicklungen dichterischer Themen und Techniken sind durchaus noch kein Verbrechen, daß solche Formulierungen eine Gutmütigkeit seien, die dem Kritiker mit wenig Kosten zum Gefühl der Überlegenheit verhilft. Peter Szondi forderte mit Recht die schlichte Kontrolle der als Beleg angeführten Gedichtstellen, dies um so mehr, als Rainer K. Abel mit seiner Behauptung der Abhängigkeit undNachahmung bereits den Stab über Paul Celan gebrochen hatte. In einzelnen Punkten wurde die Fragwürdigkeit seiner Methode schon weiter oben nachgewiesen.
Die Angaben und Vorwürfe Claire Golls und Rainer K. Abels sind also nicht nur unbegründet, sie scheinen durch die vorgenommenen Versuche der sprachlichen Annäherung und durch die zum Teil wohl daraus resultierenden Fälschungen der gezielte Versuch einer öffentlichen Erledigung, der die nicht beherrschte, fehlende philologische Methode durch fragwürdige Mittel ersetzt. Es war Aufgabe der vorliegenden Untersuchung die Unhaltbarkeit der so vorgebrachten Behauptungen und Thesen zu zeigen, die Fraglichkeit der für ihre Zwecke von Claire Goll und Rainer K. Abel angewandten Methoden deutlich zu machen und die Unglaubwürdigkeit zunächst nicht nachprüfbarer Angaben zu zeigen.
[1960/61]
Anmerkungen
1) Z.B. an Karl Schwedhelm,
Karl Krolow, Heinz-Winfried Sabais, Helmut de Haas etc.
2) Kasimir Edschmid, Günter
Eich, Max Frisch, Ernst Kreuder, Karl Krolow, Fritz Usinger (und nachträglich
Marie Luise Kaschnitz).
3) Gewiß verhält
es sich nicht so, daß der sich auf Schleichwegen befindliche Sioux
der Dichtung, Celan, das Kriegsbeil ausgegraben hat, wie Claire Goll
in ihrem Brief vorn 18. Januar 1961 an Karl Krolow behauptet.
4) Im allgemeinen hat grundsätzlich
der Kläger, der das Plagiat behauptet, den Beweis zu führen
(Hermann Riedel: "Der Schutz des Urheberrechts gegen plagiarische Verletzungen
im Zivilprozeß", Schriftenreihe der Internationalen Gesellschaft
für Urheberrecht e. V., Bd 14, S. 74). - Da Claire Goll und Rainer
K. Abel das Plagiat behaupten, müssen wir die angegebenen Parallelstellen
als
Beweismittel ansehen und werten.
5) Eine andere Version dieser
Begegnung gibt Claire Goll - allerdings ohne den Namen Richard Exners zu
nennen - in ihrem "Offenen Brief" sozusagen als Einleitung und Begründung.
Sie schreibt: Vorige Woche besuchte mich ein junger deutscher Lyriker,
Ordinarius an der Universität von Californien, und brachte mir Paul
Celans Buch "Mohn und Gedächtnis" mit den Worten: 'Dieser Band ist
ja völlig von Yvan Golls 'Traumkraut' inspiriert. Merkt denn das die
Kritik nicht?' In der Tat waren besonders aus Yvan's französischen
Werken, die vorläufig noch in Deutschland unbekannt sind, ganze Zeilen
entnommen. Es folgen Parallelstellen.
6) Bedauerlicherweise haben
auch andere Autoren, wie Hans Magnus Enzensberger, Marie Luise Kaschnitz,
Ingeborg Bachmann, Klaus Demus, Peter Szondi - dieser wenigstens mit einer
entschuldigenden Einschränkung - die Version Claire Golls im Falle
Richard Exners ungeprüft übernommen.
7) Hermann Riedel bemerkt
entsprechend: Zunächst muß einmal feststehen, wann die Werke
- dasjenige, das sich als Original bezeichnet, und dasjenige, das Plagiat
sein soll - geschaffen wurden. Erst dann läßt sich prüfen,
ob ein Nachschaffen möglich ist. (aa0, S.75)
8) Paul Celan veröffentlichte
bis heute folgende Übersetzungen: Arthur Rimbaud: "Das trunkene Schiff"
(Wiesbaden: Insel 1958), Alexander Block: "Die Zwölf" {Frankfurt a.M.:
Fischer 1958), Ossip Mandelstamm: "Gedichte" (Frankfurt a.M. Fischer 1959),
Paul Valéry: "Die junge Parze" (Wiesbaden: Insel 1960). Als Übersetzer
beteiligt war er bei den "Poésies" René Chars.9) In diesen,
Zusammenhang interessant ist ein Passus in Claire Golls "Offenem Brief".
Danach hat Paul Celan schon in Amerikanischen Hospital in Paris, also seit
dem 13. Dezember 1949, begonnen, zusammen mit Yvan einige seiner "Ihpetonga
Elegien", die soeben, von Picasso illustriert, erschienen waren und jenes
erste Gedicht aus der "Pariser Georgica": "Der malvenfarbene Tod" ins Deutsche
zu übersetzen. Claire Goll fährt fort. Da ich Celan lancieren
wollte, sprach ich später am Rundfunk in München und Stuttgart
die Gedichte, Celan als Übersetzer nennend ohne Golls größere
Mitarbeit zu erwähnen. - 1951 hat Claire Goll in einer Sendung
im Süddeutschen Rundfunks zwar einige Gedichte ihres Mannes gelesen,
aber weder aus den 'Ihpetonga Elegien' noch der "Pariser Georgica". Lediglich
der Titel "Ihpetonga Elegien' wurde in der Sendung erwähnt, der Name
Paul Celans als Übersetzer dagegen nicht genannt.
10) Das 5. Gedicht "Wasserwunder",
begegnet erst wieder, mit z T. interessanten Änderungen, in den "Dichtungen",
S. 380, ein paar Seiten vor den "Ihpetonga Elegien", 57 Seiten vor "Traumkraut".
(In der Fassung der "Dichtungen" fehlt die vierte Strophe, geändert
sind: Wassergeister statt Wassergeier (Str. 3), zu den
Wasserharfen statt unter Wasserharfen (Str. 5 bzw. Str. 4).
Die Angabe des "Quellenverzeichnisses" lautet: "Wasserwunder (1948; unveröffentlicht)",
was den Tatsachen widerspricht.
11) "Dichtungen", S. 440,
446, 451, 452.
12) Die genaueste Datierung
gibt Claire Goll in ihrem "Offenen Brief". Dort erwähnt sie ebenfalls
den Brief Paul Celans und fährt dann fort: Yvan Goll, immer gütig,
tat ihm sofort Herz und Haus auf. Celan kam dann täglich ins Spital,
wohin Goll 14 Tage später eingeliefert werden mußte. Nach
den Angaben der "Biographie sommaire d'Yvan Goll" wurde Yvan Goll am 13.
Dezember 1949 in das Amerikanische Hospital eingeliefert; demnach datiert
die persönliche Bekanntschaft Paul Celans mit dem Ehepaar Goll erst
seit dem 30. November. In ihrem Brief vom 18. Januar 1961 an Karl Krolow
(auch z.Hd. Hermann Kasack) schreibt Claire Goll jedoch wieder: Celan
kannte die, 1948, im 'Goldenen Tor' erschienenen Gedichte aus 'Traumkraut'
so gut, daß er sie auswendig aufsagte, als er zum ersten Mal, im
Oktober 1949, uns besuchte. - Dieser Passus ist allerdings auch noch
aus einem anderen Grunde in anderem Zusammenhang interessant, weil zu fragen
wäre, woher Paul Celan wissen konnte, daß Tristan Thor mit Yvan
Goll identisch war.
13) Es werden dabei folgende
Abkürzungen verwandt werden: CG = nach den Angaben Claire Golls; RK
= nach den Angaben Rainer K. Abels; SaU = Der Sand aus den Urnen; MuG =
Mohn und Gedächtnis; TkL = "Traumkraut", Limes-Ausgabe 1951; TkD =
"Traumkraut", Dichtungen 1960; DD = Dichtungen; PL = PLAN, Wien 1948; GT
= DAS GOLDENE TOR, 1948.
14) "Géorgiques Parisiennes",
Paris, Pierre Seghers 1951.
15) Interessehalber sei
noch auf eine inédit deuxième version dieses Gedichtes
in den "Oeuvres choisies", S. 143, hingewiesen, wo die vorletzte Strophe
mit den beiden Zeilen Se module la mort / Qui porte un nom de fleur
endet.
- In den "Oeuvres choisies", S. 143, mit dem Zusatz inédit,
in der "Pariser Georgika", S. 50/51, ohne Zusatz, ist ein Gedicht mit der
Überschrift "Les Réverbères" abgedruckt, das mit folgenden
zwei Zeilen beginnt: Fleurs-réverbères dont le deuil est
mauve / Fleurs-veilleuses du premier sommeil des morts, in der Übersetzung
Caire Golls: Gaslaternen: malvenfarben trauernd / Ihr leuchtet dem
ersten Schlummer der Toten. Das Wort mauve kommt in einer anderen
Strophe dieses Gedichtes sowie in dem Gedicht "Orage se Sépales"
("Pariser Georgika", S. 10/11) je noch einmal vor.
Zusammengesetzte Farbadjektiva
dieser Art sind überdies in der Lyrik des Expressionismus häufiger
anzutreffen (z.B. bei Else Lasker-Schüler: bunt-atmen, blutschwarz,
sonnenfarb'ger
Bernstein, eisenfarb'ne Sterne etc.).Auch Yvan Goll verwendet
in "Traumkraut" die vergleichsweise interessante Wendung:
Euer nelkenfarbenes
Fleisch, / Das noch von mageren Vögeln zehrt
(TrD, S. 441; TrL,
S. 13; GT, S. 467).
17) "Multiple Femme", Editions
Caractères, Paris 1956.
18) Nach den Angaben der
"Bibliographie des Oeuvres d'Yvan Goll" sind die "Dix Mille Aubes" 1951
in Paris bei der Edition Falaize erschienen, dochwar mir diese Ausgabe
bisher nicht zugängig. In den "Poèmes d'Amour", 1925, fehlen
die letzten beiden Zeilen des Zitates. Dort heißt es nur: J'ai
vu les algues ultra-violettes / Où traînait mon amour / Ton
coeur pointu wrack d'un bateau sombré.
19) Vgl. dazu auch Georg
Heym: Und den Mond zerdrückt er mit der schwarzen Hand ("Der
Krieg").
20) Yvan Goll benutzt an
anderer Stelle eine entsprechend ähnliche Wendung, und zwar in der
ersten "Ihpetonga Elegie (DD, S. 3S4): Die zwei Finger der Turmuhr /
Bilden einen senkrechten Dolch / Und schlitzt den Wanst der Sonne auf.
21) Vgl. den bereits zitierten
Brief Claire Golls an Karl Krolow.
22) Es ist wahrhaft überflüssig
zu bemerken, daß die Wiederkehr eines einzelnen Wortes bei zwei Dichtern
noch kein Plagiat bedeutet. Selbst bei einer Mehrzahl von Wörtern,
bei Wendungen, deren Auftreten nach einem theoretischen 'Häufigkeitswörterbuch
der Zeit' wahrscheinlich oder möglich ist, kann nicht von Plagiat
gesprochen werden. Das betrifft alle bisher behandelten gebräuchlichen
Topoi und konventionellen Metaphern. Nur bei nicht verwechselbaren,
eigenschöpferischen
Metaphern und Wendungen kann von Plagiat geredet werden. (Vgl. dazu
auch Günther Schwenn: "Das Plagiat in Titel und Text", Schriftenreihe
der Internat. Ges. f. Urheberrecht e.V., Bd. 14, S. 20ff.)
23) Eine in diesem Zusammenhang
legitime Frage wäre die nach der Originalität des 'Wörterbuches',
die für Yvan Goll ebenso zu stellen wäre wie für Paul Celan.
24) Die drei Zeilen lauten
in der Übersetzung Claire Golls (DD, S. 347): Bald wirst du im
goldenen Tee / Einen roten Tropfen trinken / Einen Tropfen Mondblut. -
Claire
Goll hat übrigens nicht alle "C.M." übersetzt, die dt. Fassungen
der Nr.n 21, 23, 24, 25 stammen z.B. von Yvan Goll. Überhaupt stellen
sich gerade für die "C.M." textphilologische Fragen, auf die wir hier
nicht eingehen können.
25) Mit geringen typographischen
Änderungen auch DD, S. 130.
26) Dasselbe gilt für
Yvan Golls "Lied von der Galeere 'Paris'" (DD, S. 360 ff.)
27) Vgl. auch Erwin Stranik.
"Über das Wesen des Plagiats", Deutsche Rundschau, Bd. CCXI, April
-Juni 1927; Schulze, Petzl u.a. in "Schriftenreihe der Internat. Ges. f.
Urheberrecht e.V.", Bd. 14, Berlin u. Frankfurt a.M. 1959; Eugen Ulmer:
"Urheber- und Verlagsrecht", Berlin 1951 etc.
28) Vgl. den in diesem Zusammenhang
sehr instruktiven Aufsatz Reinhard Grimms, "Georg Trakls Verhältnis
zu Rimbaud", in der Germanisch-Romanischen Monatsschrift, Bd IX, Heft 3,
Juli 1959.
29) Als Musterbeispiel moderner
Zitattechnik sei hier am Rande auf die sogenannten "Mischtexte" u.ä.
verwiesen, die z.T. ausschließlich aus montierten, unveränderten
Zitaten bestehen; z.B. Helmut Heißenbüttel: "Mottos" in "Textbuch
1", Freiburg 1960; Ludwig Harig: "Haiku Hiroshima", Siegen - Stuttgart
1960 u.v.a.m.