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Reinhard Döhl | Die Ölkreidezeichnungen Hans Dahlems

Auf dem weiten und vielfarbigen Felde moderner Malerei ist heute ein marktbesessener Provinzialismus am Werke, dem die Popularität vor die Schöpfung geht und dem das Abenteuer der Malerei, die Anstrengung des Auges zum Hobby geworden ist. Wie kaum zuvor und unüberhörbar stellt sich die Alternative zwischen Rationalismus und Irrationalismus in der Kunst. Zwar liegt immer noch die Entscheidung beim Maler, beim Kritiker, beim Publikum. Aber schon heute geschieht Kunst als Ereignis kaum mehr in den großen Galerien, manchmal in den kleinen, die noch offen sind für das Experiment. Sollte auch hier die Entscheidung zugunsten der Irrationalität fallen, bekäme Hegels bittere Prognose peinliche Aktualität, daß nämlich kein absolutes Bedürfnis mehr bestehe, einen Gedanken in der Form der Kunst auszudrücken. Über die Folgen braucht kaum diskutiert zu werden. Und doch gibt es noch Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Und von einer Ausnahme ist im Folgenden zu reden.

So zeigt die Experimentiergalerie des Studium Generale der Technischen Hochschule in Stuttgart im Mai in ihren Räumen eine Reihe von Ölkreidezeichnungen des Saarbrücker Malers Hans Dahlem, die sich als sauberes Handwerk vom Hobbysmus einer ungelernten Intelligenz in der Malerei ebenso unterscheiden, wie man an ihnen auch sehr gut studieren kann, daß nicht vage, unkontrollierbare und unformulierbare Gefühswerte, vielmehr eine endliche Anzahl bewußter Entscheidungen des Künstlers zur Herstellung eines Bildes aufgewendet werden müssen, kurz: daß ein Bild nicht aus irrationalem Vokabular sondern aus Farben und Flächen und Strichen mit HIlfe von Handbewegungen gemacht wird. Darauf und auf die besondere Position Hans Dahlems in der vielfältigen Landschaft moderner Malerei, auf sein Arbeiten gegen den Tachismus, gegen eine informelle Malerei auf der einen und gegen einen puren Konstruktivismus und Geometrismus auf der anderen Seite, wies Professor Max Bense in einer temperamentvollen Eröffnungsrede hin, wobei er den heute durchaus nicht selbstverständlichen Willen des Malers zum Schönen als ein wesentliches Kriterium der ausgestellten Blätter betonte. Die zahlreichen Vernissage-Gäste zeigten sich von der Ausstellung fraglos beeindruckt, und die Presse bescheinigte dem Künstler für diese Ausstellung formale Konzentration, farbige Kultur, intelligent-besonnenes Handwerk.

Mit dieser ausdrücklichen Feststellung einer bemerkenswerten Ausstellung eines bemerkenswerten Malers wäre einer den Kunstmarkt sondierenden Kritik eigentlich genüge getan, wären die gezeigten Blätter nicht von einem allgemeineren, grundsätzlicheren Interesse. Überdies war dieser Ausstellung soviel Atelier und Entwicklung beigegeben, daß wir - wenn auch in Unkenntnis des gesamten Dahlemschen Oeuvres - dennoch einige grundsätzliche Anmerkungen und Feststellungen dazu treffen möchten.

Hans Dahlem, 1928 in Blieskastel geboren, Schüler von Boris Kleint, Eduard Oerg und Picard le Dou, erlernte sein Handwerk an der Werkkunstschule in Saarbrücken, an der Ecole des Beaux Arts und der Academie de la Grande Chaumière in Paris. Aber fraglos hat er diese Ausbildungsstätten nur solange frequentiert, wie er brauchte, um ansatzweise einen eigenen Stil zu entwickeln. So zeugten seine ausgestellten Arbeiten zwar von einer Berührung mit französischer Malerei, in dem Maße alles, was ein Künstler während seiner Ausbildung tangiert, seine Spuren hinterläßt, stellten aber in keinem Falle eine typisch französische Malerei, eine typische Ecole-Masche vor.

Innerhalb einer Geschichte der abstrakten Malerei wäre überdies an den Maler (und weniger an den Zeichner) Paul Klee zu denken wie auch an das Problem der Farbe, wie es sich ja bekanntlich neben dem Problem der Form seinerzeit für Wassily Kandinsky stellte. Und unter einen solchen Aspekt verstehen wir die Ölkreidezeichnungen Hans Dahlems als eine konsequente Weiterentwicklung von Problemen in der Nachfolge von Wassily Kandinsky und Paul Klee, indem Hans Dahlem augenscheinlich material denkt und die Selbständigkeit der Farben vor allem für ihn Problem und Programm ist. Wobei wir sogleich einschränken müssen, daß es ihm um die schönen Farben, die schöne Farbkombination geht.

Der aufmerksame Betrachter dieser Ölkreidezeichnungen sieht dabei sofort ein Weiteres: daß nämlich mit dem Zielen des Künstlers auf das Schöne, die schöne Farbkombination Hand in Hand die (Zer)Störung des Schönen, der schönen Farbkombinationen geht. Das geschieht, indem Hans Dahlem beim Präsentieren der Blätter bewußt auf Passepartouts verzichtet und dadurch den Randschmutz, den Schmutzrand ebenso ins Bild mit einbezieht wie die auf mehreren Blättern rechts oder links unten unternommenen Versuche möglicher Farbkombinationen, die nun ihrerseits dem Betrachter des Bildes sozusagen die Palette des Künstlers mitliefern. Die (Zer)Störung des Schönen geschieht drittens nachträglichen Abschabungen, Einkritzelungen, wobei sich die Hand des Künstlers, sein inneres und äußeres Auge als äußerst präzis und gewissenhaft erweisen. Die Einkritzelungen figurieren überdies die aus den flächig und additiv aufgetragenen Ölkreiden zusammengesetzte Fläohe und weisen damit auf ein aktuelles Problem der gegenwärtigen gegenstandslosen Malerei: das Problem nämlich einer abstrakten Gegenständlichkeit (Bense) oder gegenstandslosen Figürlichkeit, die wir neuerdings auch bei den Ölbildern Johannes Gecellis oder den Spezial-Wachsmischtechniken Günther C. Kirchbergens beobachten.

Die schöne Farbkombination, der Wille zum Schönen und die nachträglich eingeritzten Zeichnungen, das Maß an (Zer)störung bedingen selbstverständlich einander und ließen die Ausstellungsstücke gewissermaßen als Variationen über ein Thema erscheinen, wobei die schöne Farbkombination im Extremfall auf eine formlose, die eingeritzte Zeichnung auf eine formale Malweise zielen, ohne daß das eine oder andere von beiden praktiziert wird. Da aber der Einsatz des einen vor dem anderen unterschiedlich ist, gibt es Blätter in dieser Ausstellung, die sich entweder der puren Artistik einer l'art pour 1'art oder einen Leerlauf des Schönen näherten, wie er in einer Kunst um der Kunst willen als mögliche Gefahr immer enthalten ist. Daß keines von beidem eintritt, daß die Artistik durch die Formlosigkeit der Farbe und die Formlosigkeit der Farbe durch die Artistik immer noch im rechten Moment und in gehörigem Maße aufgefangen werden, spricht für die Intelligenz des Künstlers ebenso, wie es seine Blätter als demonstrative Ergebnisse eben seiner künstlerischen Intelligenz ausweist (und nicht als Hobby oder Zufall).

Und noch etwas: in der modernen Ästhetik interessieren die materialen Prozesse, die ein Maler in Gang bringt und die ihre Spuren für den Betrachter sichtbar hinterlassen. Anstelle der Bedeutungen sind Begriffe wie "Material" und "Form" getreten. Der moderne Maler ist, wenn er redlich verfährt, an der Handhabung der Materialien (und nicht an der Masche), am materialen Prozeß (und nicht an einem zufälligen Ergebnis) in eben dem Maße interessiert, wie vergleichsweise ein Chemiker oder Physiker an seiner Versuchsreihe. Die einzelnen Handgriffe, die Handhabung der Materialien ständig im Auge, interessiert ihn das Ergebnis oft weniger als der Prozeß. Ist es erst einmal erreicht, ist sein Interesse oft schon erloschen. Entwicklungsstufen, Abbrüche und Ansätze interessieren statt einer Darstellung von Irgendetwas. Auch das kann man an den Ölkreidezeichnungen von Hans Dahlem sehr gut studieren, nicht zuletzt, weil er sich weigert, die Spuren der Herstellung zu verwischen, weil er auf seinen Bildern bewußt auch Entwicklung und Atelier demonstriert.
Bilder, die in einem solchen Maße wie die Ölkreidezeichnungen Hans Dahlems sauberes Handwerk zeigen, lassen auf einen Maler schließen, dessen Entwicklung interessiert und auf den man zählen sollte gegenüber einen marktversessenen Provinzialismus, wie er die Galerien heimsucht, innerhalb eines Kunstbetriebes, dem Popularität vor der Schöpfung gilt und Hobby für Kunst. Von der Malerei des Saarlandes ist in Westdeutschland bisher kaum die Rede gewesen. Falls Hans Dahlem sie repräsentiert, könnte davon die Rede sein. Gewiß aber wird von Hans Dahlem die Rede sein und von Kunst.

[Saarheimat, August 1963]