BioBibliograffiti | Über Reinhard Döhl
Nikolai B. Forstbauer | Ein Narr macht Ernst. Wendlingen zeigt Döhl

Die für den Katalog selbst geschriebene Vita verheißt nichts Gutes: "Auf der 2. Documenta schockartige Begegnung mit der Kunst der Gegenwart". 1959 war das, und das Mißtrauen gegenüber dem "Aktuellen" hat Reinhard Döhl nie mehr abgelegt. Vielleicht auch, weil er selbst ganz vorne in der Reihe stand, 1960, als er, von Göttingen nach Stuttgart gekommen, zum Kreis um Max Bense gehörte. Die "konkrete Poesie" spülte Döhl nach oben - und in die Ecke. Das "Apfelgedicht" machte ihn bekannt, aber auch zum Narren. 1989, als die Demonstrationen in der DDR immer größer und den Machthabern unheimlicher wurden, titelte die TAZ: "Vorwärts Genossen, die Avantgarde ist hinter Euch her!" Treffender ließe sich Döhls Sitzen zwischen allen Kunststühlen nicht beschreiben.

Wissenschaftler, Lyriker, Kritiker und Ausstellungsmacher durfte Reinhard Döhl, 1934 geboren, gerade noch sein, mit dem "Künstler" allerdings wurde es schwierig. Seine frühen Collagen, die Schreibmaschinezeichnungen und Handpressendrucke wurden nur von Freunden wie Wendelin Niedlich und Folkmar von Kolzcynski ausgestellt. Collage-Kommentare zu Stuttgart fanden gerade noch den Weg in die Cafeteria der Alten Staatsgalerie; ein vertrauter Ort für Döhl, der für die Graphische Sammlung zuletzt eine Hommage an den Gesamtkünstlers [sic] Hermann Finsterlin erarbeitete. Diese ist mittlerweile in Moskau gelandet. Döhl eigene Werkübersicht findet in der Städtischen Galerie Wendlingen statt. Obgleich er solche Plätze und die Rolle des Außenseiters liebt, kann die Ausstellung doch nur Klopfzeichen für Stuttgarter Türen sein.

"Werkgruppen der 60er und 80er Jahre" heißt die Schau, die erlebbar macht, wie sich das Konkrete langsam in endgültige Zeichenhaftigkeit verwandelt, die semantische Struktur der Worte von einem Absolutheitsanspruch der Form abgelöst wird. "Ulysses meets Zarathustra, perhaps" heißt eine Collage aus den "Spiegel"-Fragmenten von 1959. Den Rätseln, die "Ulysses"-Autor James Joyce aufgab, ist Döhl seit über 30 Jahren auf der Spur. In Wendlingen ist diese Spur zu verfolgen: Der Narr macht ernst - und verwirrt das Publikum.

[Stuttgarter Nachrichten 21.2.1990]