BioBibliograffiti | Über Reinhard Döhl
Helmut Kreuzer | Reinhard Döhl zum 60sten

Daß auch 'Döhl' sechzig werden kann, das hätte ich den in 60er Jahren des Jahrhunderts zwar nach außen hin nicht geleugnet, aber in meinem Innern hätte ich heimlich dagegengehalten, daß der 'junge Döhl' ein für allemal da sein werde (und da sein müsse), fertig und unverändert in einer sonst wetterwendischen Welt wie Figuren der Mythologie, der Literatur, des Kinos, die sich von ihren medialen Gehäusen entfernen und uns von Zeit zu Zeit auf der Straße begegnen. Der 'junge Döhl', das ist die unverwechselbare Inkarnation der jungen Avantgarde, des jungen Intellektuellen, des jungen Gelehrten, wie er im Briefe steht, altklug und selbstbewußt und lernbereit, obwohl er eigentlich schon alles weiß, was für ihn essentiell wichtig ist, für seine 'Person' und seine unentbehrliche Rolle in der Welt der Zeichen und Figuren, in der unsereiner lebt. Es mag sein, daß andre, die ihn später kennen gelernt und anderes mit ihm erlebt haben, einen 'anderen Döhl' vor den Augen haben, z.B. einen 'Vater Döhl', der urzeitliche Weisheiten auf kleine Köpfe herabtropfen läßt und von bitterer Erfahrung und körperlichen Leiden murmelt, die die kleinen Köpfe weder kennen noch kennen lernen wollen. Aber wann immer ich ihm begegne, dann ist 'mein Döhl' präsent wie eh und je, vielleicht ein wenig kostümiert (wie im Fasching oder beim Theaterspielen), aber unschwer wiederzuerkennen: mein Urbild des jungen Autors, der die Welt bis hin zum BVG in die Schranken fordert, des jungen Wissenschaftlers, der sich aufmacht, eine unentdeckte Welt zu erschließen (z.B. die des Radios) und der das aufgeschichtete Wissen der Archive und Bibliotheken mit einer Akribie verarbeitet, die voraussetzt, daß die Zeit keine Rolle spielt und spielen darf. Mit mir selbst verbinde ich die Erfahrung des unendlichen Raumes und der allzu endlichen Zeit, mit ihm die Erfahrung des endlichen Raumes (Stuttgart ist der Ort seiner Füße) und der unendlichen Zeit, in der er immer wieder gebraucht wird und den Sterblichen meines Schlages immer mal wieder begegnet: als der 'alte Döhl', ein junger Renevant von gestern, heute und morgen.

[handschriftlich zum 16.9.1994]