Reinhard Döhl | Zu Günter Eichs "Unterm Birnbaum. Nach Theodor Fontane".
[SWF 2.4.1977]

In seinem drittletzten Gedichtband, "Zu den Akten", veröffentlichte Günter Eich 1964 als dritte der "Neue[n] Postkarten" folgenden Vierzeiler:

Oder, mein Fluß, erklärbar
aus Quellen und Nebenflüssen,
mein Morgengewinn, meine Unruhe,
meine Sanduhr über den Ländern.
Es bedarf keiner gründlichen Textexegese, um diesem grammatisch unvollständigen Satz abzulesen bzw. abzuhören, welche Bedeutung Eich dem Fluß seiner Kindheit und frühen Jugend, der Landschaft des Oderbruchs zuweist, wenn er sie nicht nur als prägend (mein Morgengewinn) sondern auch als sein Leben bestimmend (Meine Sanduhr) benennt.

Diese " Neue Postkarte" ist kein Einzelfall solcher Jugendreminiszenz im Eichschen Werk. Wie ein roter Faden ziehen sich das Oderbruch und die Oder durch Eichs Prosa, seine Gedichte, sein Hörspielschaffen. Bereits in einem frühen Fragment von 1933, dem "Traumspiel" "Eine Stunde Lexikon" begegnen sie uns:

Ich werde die Gebirge des Wilden Westens von Norden nach Süden heruntergehen, durch Idaho, Nevada, Utah, Arizona. Da fließt ein Fluß. ich sehe von hügeligen Wiesen herunter. Es ist ein Fluß, den ich von einer weiten Erinnerung her kenne. Ist es die Oder, ist es der Red River. Der Rauch der Kartoffelfeuer zieht über die Hügel, ab und zu tutet ein Kohlenschlepper vorbei, Nebel steigen und fallen. Kehre wieder, Manitou, Gott der Kindheit.

Was der Lexikon-Leser des Hörspiels erfährt, die Austauschbarkeit von Oder und Red River, ist zugleich ein Schlüssel für die letzte Zeile des eingangs zitierten Gedichts: Meine Sanduhr über den Ländern. Es ist ein Beleg auch dafür, daß wir in der Hörspielstimme des Lexikonlesers den Autor selbst vermuten dürfen, der sich in ihr wie in vielen anderen Stimmen seiner späteren Hörspiele versteckt wie der Tiger Jussuf in den Figuren des gleichnamigen Hörspiels von 1952.

Das schmale Prosawerk Eichs enthält - bei seinem geringen Umfang besonders auffallend - gleich zwei Erzählungen, in denen die Oder, das Oderbruch eine Rolle spielen: "Morgen an der Oder" und "Ein Begräbnis", beide von 1931. Und in den 50er Jahren umrahmt Eich sein "Hörspiel nach Theodor Fontane" mit einem langen, selbstgesprochenen Oder-Gedicht, bindet die Adaption derart nicht nur in sein eigenes Werk ein, sondern gibt dem Hörer andeutungsweise auch eine Verständnishilfe mit auf den Weg.

Die Fähre in Lebus und das Haus
rechts der Oder, wo ich geboren bin,
die Schmiede in Podelzig und die Erzählungen
der Großmutter, die den Mörder Sternickel sah,
die Ferne fährt in Kähnen vorbei
gleichgültig und mit Flaggen am Bug.
Es ist also die Landschaft der Kindheit und frühen Jugend, in die das Hörspiel eingebettet ist, eine Landschaft, die über die Schmiede in Podelzig, die Fähre in Lebus durchsichtig wird auf das fiktionale Geschehen in Fontanes Roman und umgekehrt eine Landschaft, die Eich in der Erzählung Fontanes vorgeformt fand. Es ist eine Landschaft, die für Eich dimensioniert ist durch "Kinder- und Hausmärchen" (so der Titel eines Gedichts von 1965), den Mörder Sternickel und zugleich durch ihre kulturgeschichtlichen Schatten:
In Küstrin sah Friedrich, wie Katte enthauptet ward,
in Freienwalde besuchte Fontane seinen Vater,
zerstört ist das Haus,
wo Kleist seine Kindheit verbrachte.
Es ist die Erfahrung der Vergänglichkeit, der Zufälligkeit menschlicher Existenz, die Eich geprägt hat, und die sich zentral, wie das Motiv des Todes, durch das ganze Werk Eichs verfolgen läßt: Wer kommt, geht bald wieder fort. Die in Lebus lokalisierte Fähre ist durchaus mehrdeutig zu verstehen, und das Holüber gleichfalls.
Oder, mein Fluß,
eine Breite, um Holüber zu rufen,
ein November für Regen -
das meint auch den Acheron, den Totenfluß der griechischen Mythologie, und Charon, den Fährmann, der die Toten übersetzt. "Der Strom", eine Hörfolge aus dem Jahre 1950, bestätigt es:
Steig ein in das heitere Boot, - es ist nicht die Charonsfähre,
du selbst hast die Planken in deinem Traume gezimmert.
[...] wage dich über den Strom. Sieh, alles Geträumte,
drüben ist es Wirklichkeit,
beginnt eines der ihr eingangs eingelegten Gedichte, und ein späteres schließt:
Und plötzlich erkennst du das Nebelland,
weißt die Breite des Stromes zu schätzen
und weißt, wer dich führte an seiner Hand
und mit dem Ruder im Nachen stand
und du nennst ihn ohne Entsetzen.
Dieser Ausflug ins Eichsche Gesamtwerk war nötig, einmal, um auf eine bisher kaum beachtete thematische Konstante aufmerksam zu machen. Zum anderen wird mit seiner Hilfe schnell einsichtig, daß man es bei Eichs Adaption des Fontaneschen Romans nicht einfach und nur mit der Adaption einer epischen Vorlage zu tun hat, mit Futter für stoffhungrige Hörspieldramaturgien, mit für einen unmündigen Leser geschickt aufbereiteter klassischer Unterhaltungsliteratur.

Derartige Bearbeitungen hat Eich als Auftragsarbeiten für den Norddeutschen Rundfunk mit den Serien "Die schönsten Geschichten aus 1001 Nacht", "Indianer und Rothäute" und "Phantastische Erzählungen" auch geliefert und aus dieser Form des Broterwerbs nie einen Hehl gemacht, ja direkt zugestanden, daß wenn man sich dazu entschließt, von der Schriftstellerei zu leben, man natürlich alle Einnahmequellen avisiert.

Anders "Unterm Birnbaum", eine Hörspieladaption, die Eich über den Gedichtrahmen ins eigene Werk einbindet und zugleich einer thematischen Konstante zuordnet, die nicht nur den auf Eichs Biographie neugierigen Hörer, die biographische Forschung interessiert.

Es ist von Heinz Schwitzke festgehalten worden, daß bei den zahlreichen Bearbeitungen literarischer Vorlagen, die Eich um des Broterwerbs willen für den Rundfunk schrieb, die Fontane-Adaption die große Ausnahme, "Unterm Birnbaum" die einzige ihm wichtige Bearbeitung gewesen sei, ohne daß damit schon die Frage nach dem Warum beantwortet wäre.

Eine erste Antwort auf diese Frage ist sicherlich in Eichs Vorliebe für Fontane gegeben. Besucher Eichs erinnern sich, wie die große Fontane-Ausgabe in Eichs Bücherschrank von Besuch zu Besuch wuchs. Doch hat seine Vorliebe Eich nicht dazu verleitet, einen der großen Romane zu bearbeiten. Das ist bemerkenswert eingedenk der Tatsache, daß Fontanes große Romane wiederholt für Funk und Film adaptiert wurden. Erinnert sei an die Bearbeitung der "Mathilde Möhring" für Film und Funk, desgleichen an "Effi Briest", die gleich dreimal verfilmt wurde, und zwar von Gustav Gründgens (1939), 1956 in der DDR von Rudolf Jugert und 1974 von Rainer Werner Fassbinder, dessen Verfilmung vielen Kritikern als Musterfall einer gelungenen Literaturverfilmung gilt.

Als überzeugendes Beispiel einer Hörspieladaption wertete die Rundfunkzeitschrift "Rufer und Hörer" 1951 auch die Hörspieladaption durch Gerda Corbett: Ich schwankte, ob ich mir die Effi Briest [...] anhören sollte. Eben deshalb, weil ich Fontane, den immer wieder Gelesenen [...] so liebe. Nun, ich tat es doch und habe es nicht bereut. Ich hatte voll Vorbehalts angedreht, aber schon nach wenigen Minuten war ich besiegt: durch Effis Lachen. Ich sah hinterher nach, wie es der Autor sagt: "alle drei lachten", "Effi lachte". Ja, freilich. wie sollte er es auch anders sagen. Aber was ist dies arme Wort gegen das Lachen selbst, das aus dem Radio gekommen war. Gegen das quellensprudelnde, übermütige, mit fortreißende Lachen, in dem es doch schon wie eine Ahnung des Kommenden zittert.

Wie gesagt hat seine Vorliebe für Fontane Eich nicht verführt, sich an seinen großen Romanen zu versuchen, vielleicht gerade deshalb, weil er ihn so hoch einschätzte. Die Vorlage, die er wählte, der in der "Gartenlaube" vorabgedruckte "Roman", der eigentlich eine Erzählung ist, "Unterm Birnbaum", zählt jedenfalls zu den kleineren Arbeiten Fontanes, wurde von der Literaturwissenschaft z.T. recht gering eingeschätzt. Sie ordnete Fontanes "Unterm Birnbaum" zusammen mit "Grete Minde", "Ellernklipp" und "Quitt" ein in die Tradition der Kriminalgeschichten, die sich neben dem bürgerlichen Trauerspiel, dem bürgerlichen Roman, der Ballade als vierte bevorzugte Literaturgattung bürgerlicher Leserkreise seit der Aufklärung entwickelt habe. Eine Tradition, die mit den Übersetzungen des "Pitaval" eingesetzt, sich über Schillers "Verbrecher aus verlorener Ehre", Annette von Droste Hülshoffs "Judenbuche" fortgeschrieben habe und schließlich mit Fontanes Kriminalgeschichten ins Anachronistische abgesunken sei.

Ich fürchte, man wird sich eingestehen müssen, daß Fontanes vier Kriminalgeschichten zu seinen geringeren Produktionen zählen. Zwischen Fontanes bedeutendsten artistischen Leistungen, wie "Unwiederbringlich" und den "Poggenpuhls" auf der einen, und "Ellernklipp" oder "Unterm Birnbaum" auf der anderen Seite, liegt eine ganze Welt; man wünschte, er hätte "Grete Minde" nie veröffentlicht, "Ellernklipp" nie geschrieben. Manches mag ihn an der Kriminalgeschichte interessieren: auch Fontane war Pragmatiker, der nicht abgeneigt war, das Überraschende und Wunderbare im Geflecht der Tatsachen zu entdecken.

Auch er war an den Nuancen der seelischen Kausalität interessiert, die er wie mit dem Psychographen wiederzugeben hoffte; auch er fand sich angezogen vom komplizierten Widerspiel von Seele und 'Milieu' - nur eben das Gespannte, Monolithische, Bizarre, Gräßliche und Blutige war seine Sache nicht. Er wußte das alles selbst sehr gut; indem er gegen die Substanz seines Talentes handelte, stieg er in artistische Niederungen hinab, die der Freund seiner Kunst eher meidet als sucht. [Peter Demetz].

Als dieses Urteil 1964 gefällt wurde, war der Fontane-Freund Eich längst in die artistischen Niederungen lustvoll hinabgestiegen. 1951 geschrieben, war seine Hörspieladaption bereits dreimal - im Hessischen, im Norddeutschen und noch einmal im Norddeutschen in Verbindung mit den Bayerischen Rundfunk - inszeniert und damit zur erfolgreichsten Hörspieladaption eines Fontane-Romans geworden. Die damals noch übliche Hörspielkritik der Tagespresse erkannte in der Landschaft des Oderbruchs den gemeinsamen Nenner von Autor und Bearbeiter, sah im Hörspiel selbst eine fast kongeniale Adaption des Romans. So schreibt die "Rheinische Post" 1962 anläßlich der dritten Inszenierung des Hörspiels durch Fritz Schröder-Jahn:

Zu der Neuinszenierung [...] sprach Eich selbst zwei Gedichte, die einen Grund für sein Interesse an Fontanes Gegenstand bekundeten: Gedichte über seine Heimat an der Oder. In ihnen schienen Atmosphäre und Geschichte der Landschaft ausholend, doch ähnlich beschworen wie in Fontanes Erzählung vom russischen Handlungsreisenden, dem zugewanderten Wirt und Mörder und den gespenstersehenden Menschen des Landes selbst. Danach konnte es nicht mehr überraschen, daß Eich als Übertrager den Ton Fontanes mit beinahe brillanter Klarheit traf. Fritz Schröder-Jahn mußte es um so leichter fallen, Fontane und Eich gerecht zu werden, da ihm ein glänzendes Ensemble zur Verfügung stand: Klevenow und Agnes Fink als Wirtspaar und Tilla Durieux als mißtrauische Nachbarin vor allem.

Ich zitiere diese Kritik nicht als Musterbeispiel, Sie ist hilflos und fehlerhaft. Zum Beispiel ist der russische natürlich polnischer Reisevertreter. Ich zitiere sie ausschließlich deshalb, weil sie belegt, wie genau man dennoch die gleichsam autobiographische Tönung dieses Hörspiels verstand, das persönliche Engagement, das Eich seiner Vorlage entgegenbrachte, heraushörte.

Eichs Hörspiel ist - wenn man es so nennen will - eine sehr persönliche, private Adaption, die dabei ihrer Vorlage mehr entspricht und gerechter wird als andere, oft nicht einmal werkgerechte Bearbeitungen für den Rundfunk. Eichs Hörspiel nach Theodor Fontane ist eigenständiges Hörspiel und geglückte Adaption zugleich.

Von Eichs Engagement als Autor und Bearbeiter spricht eine wohl für die Presse gedachte Notiz, die er in Er-Form mutmaßlich 1961 zu "Unterm Birnbaum" verfaßte. Da Eich sich Zeit seines Lebens um Äußerungen über seine Hörspielarbeit, zu einzelnen Hörspielen zu drücken versuchte - bei über 100 Hörspielen oder hörspielverwandten Texten hat Eich sich lediglich zu 4 derartigen Verlautbarungen und einigen wenigen Rundfunkgesprächen überreden lassen - bekommt diese Notiz ein besonderes Gewicht, auch für die Frage nach Art und Weise der Bearbeitung.

Der Titel von Fontanes Erzählung läßt eine Idylle erwarten, nicht das, was sie wirklich darstellt: Eine Kriminalgeschichte mit Grusel- und Gespenstereffekten. Gewiß gibt es da Birnbäume, Gartenhecken und Bauernblumen, aber unter dem Birnbaum ist ein Toter verborgen, durch die Hecken belauert ein Hexengesicht die Schritte der Nachbarn und über den Gärten liegt der Nebel und die Finsternis des bösen Gewissens.

Mag Fontane auch die romantischen Requisiten mit Vergnügen benutzt haben: Geisterndes Licht im Keller, ein verkleideter Gast, die Tür, die zuschlägt und den Mörder gefangennimmt, - ganz realistisch ist er jedenfalls in der Schilderung des Dorfes geblieben. Diese Bauern des Oderbruchs, ganz fern von knorriger Verwurzelung, denken an ihren Profit, und ihre Freude ist das Wirtshaus. Die Buntheit der nahen großen Stadt Berlin zieht sie ohne Zweifel mehr an als ihre Arbeit auf den Kartoffeläckern. Fürs Ideelle gibt es den Katechismus und die Sonntagspredigt.

Mit der Gelassenheit des großen Schriftstellers zwingt uns Fontane in diese dürftige Welt, wir verweilen ohne Widerspruch für die Dauer der Erzählung darin, während wir sie lieber von außen verachten möchten. Alles Faustische ist von hier so weit entfernt wie Weimar von dem Dorfe Tschechin in der Zeit der Postkutsche.

Fontane nennt seine Erzählung einen Roman. Für die Hörspiel- bearbeitung galt es, die krause und behaglich-weitschweifige Handlungsführung zu vereinfachen und die Zahl der Figuren und Situationen zu vermindern. Was dabei an Fontaneschem Charme notwendig verloren ging, hofft der Bearbeiter wenigstens durch vermehrte Spannung ersetzt zu haben.

Eich hat das, was er an Fontanes Roman hervorhebt, die Stimmung des Unheimlichen, den Nebel über der Landschaft, aber auch das Profitdenken der Bauern, ihre Liebe zum Wirtshaus, in seiner frühen Erzählung "Morgen an der Oder" durchaus vergleichbar selbst gestaltet. Von der Liebe zum Wirtshaus spricht gleich der Beginn der Erzählung, in der Georg Kuntschaft, Sohn eines Oder-Fischers, in der guten Stube des Unterkrugs aus einem Rausch erwacht.

Hinter der Theke, auf der Lachen von Bier standen, saß schlafend der Unterkrugwirt. Nur wenig mehr als der kahle Schädel leuchtete aus dem Schatten, ein Dreieck Hemdbrust und zwei Manschetten an den verschränkten Armen. Er schnarchte leise. Fahl dämmerte der Morgen durch die Fenster. Kuntschaft fröstelte, er wählte eine der vielen Flaschen aus, deren Schatten lang und gespenstisch auf die Wände zeigten, und schenkte sich einen Kognak ein. "Halb fünf" sagte er zum Unterkrugwirt hin, "jetzt geht der Tag wieder los, jetzt haben Vater und Jakob die Reusen ausgenommen. Schreiben Sie bitte an, was ich zu zahlen habe".

Im Verlauf der kurzen Erzählung erfährt der Leser dann, wie die beiden Brüder nach dem Vater suchen, der beim Ausnehmen der Reusen ausgerutscht und in die Oder gestürzt ist, wie sie ihn nach Tagen tot im Wasser finden, bergen und dabei feststellen, daß der tote Körper die Aale angezogen hat. Der Schluß der Erzählung demonstriert recht drastisch, was Eich mit Profitdenken gemeint hat. Der Leichnam des Vaters wird, mit Angelschnüren umwickelt, wieder ins Wasser gebracht:

Sie banden ihn an den Wurzelstumpf einer alten Weide, er pendelte lose im Wasser, vom Ufer her unsichtbar, verdeckt von Gebüsch. Georg sah sich um, aber niemand hatte sie bemerkt. "Wir werden heute hier Reusen auslegen", sagte er. Dann gingen sie hinauf zum Hause und sprachen davon, daß sie nun eine Stelle hätten, wo der Aalfang gut wäre. Sie sprachen über die Wärme jetzt im September und über das neue Boot, das sie brauchten.

Die Geschichte des Schankwirts Hradschek, der die zufällig in seinem Garten entdeckte Leiche eines französischen Soldaten als Köder benutzt, um von einem Mord, den er aus Gewinnsucht begeht, zunächst erfolgreich abzulenken, mußte Eich - wenn man so will - wie eine Variante des gleichen Themas erscheinen. Sie war jedoch als Hörspielvorlage geeigneter als die eigene Erzählung, weil sie zum einen dramatischer angelegt war, sich zweitens trotz einer für Fontane auffallend sparsamen dialogischen Durchgestaltung dialogisch gut auflösen ließ und weil sie drittens bei der Vielzahl ihrer Personen eine Stimmenvielfalt anbot, die nötig war, um ausgespartes Geschehen spannungsreich umzusetzen.

Eich mußte sogar beim Personal streichen, um eine ökonomisch vertretbare Stimmenzahl zu erhalten. Er tat dies, indem er mehrere Stimmen zu einer Stimme zusammenzog, indem er über eine Mittelsperson berichtete Gespräche direkt vors Mikrophon und in den Spielverlauf brachte, etwa die Beobachtungen der alten Jeschke.

Dreierlei allerdings geht bei Eichs Hörspieladaption verloren. Das ist zunächst die Fülle der zeitgeschichtlichen Anspielungen. Der Roman spielt um 1830, die Erinnerungen an die Freiheitskriege sind seinen Personen noch gegenwärtig, der polnische Aufstand ist aktuelle Gegenwart, ebenso Anspielungen auf das kulturelle Geschehen in Berlin. Solche Hinweise Fontanes sind - da für den Hörer nach 1950 ohne Kommentar wohl kaum noch verständlich - fast zur Gänze eliminiert oder aufs rein Anekdotische verkürzt.

Verloren geht in der Bearbeitung auch die von Fontane sehr genau herausgearbeitete Reaktion der Alteingesessenen auf die Zugereisten, etwa folgende Charakterisierung der Frau Hradschek durch eine Dorfbewohnerin:

Ich wette, daß sie mit einem Samthut und einer Straußenfeder wiederkommt. Sie kann sich nie genug tun, diese zierige Person, trotz ihrer vierzig. Und alles bloß, weil sie "Swein" sagt und nicht "switzen" kann, auch wenn sie drei Kannen Fliedertee getrunken. Sie sagt aber nicht Fliedertee, sie sagt Holunder. Und das soll denn was sein. Ach, liebe Mietzel, es ist zum Lachen.

Überhaupt fällt der von Fontane sehr genau durchgestaltete Aspekt, daß Hradschek und seine Frau eigentlich Fremdkörper in dieser Dorfgemeinschaft bleiben, in der Bearbeitung kaum ins Gewicht.

Schließlich verliert die Vorlage auch dadurch noch etwas von ihrer Farbe, daß Eich die Dialektstellen der Dialoge in umgangssprachlichem Hochdeutsch wiedergibt.

Um vier Uhr stieg der Knecht die Stiege hinauf, um Szulski zu wecken. Er fand aber die Stube verschlossen, weshalb er sich begnügte, zu klopfen und durch das Schlüsselloch hineinzurufen, "Is vier, Herr Szulski; steihn's upp". Er horchte noch eine Weile hinein, und als alles ruhig blieb, riß er an der klapprigen Türklinke hin und her und wiederholte: "Steihn's upp, Herr Szulski, is Tied; ick spann nu an." Und danach ging er wieder treppab und durch den Laden in die Küche, wo die Hradschecksche Magd, eine gutmütige Person mit krausem Haar und vielen Sommersprossen, noch halb verschlafen am Herde stand und Feuer machte.
"Na, Maleken, ook all rut? Watt seggst du dato? Klock vieren. Is doch Menschenschinnerei. Worümm nich um söss? Um söss wihr ook noch Tied. Na, nu koch uns man en beten wat mit."
Und damit wollt' er von der Küche her in den Hof hinaus. Aber der Wind riß ihm die Tür aus der Hand und schlug sie mit Gekrach wieder zu.
"Jott, Jakob, ick hebb mi so verfiert. Dat künn joa 'nen Doden uppwecken."
"Sall ook, Male. He hett joa' nen Dodensloap. Nu wahrd he woll uppstoahn."
Eine halbe Stunde später hielt der Einspänner vor der Haustür, und Jakob, dem die Hände vom Leinehalten schon ganz klamm waren, sah ungeduldig in den Flur hinein, ob der Reisende noch nicht komme. Der war immer noch nicht zu sehen, und statt seiner erschien nur Hradscheck und sagte: "Geh hinauf, Jakob, und sieh nach, was es ist. Er ist am Ende wieder eingeschlafen. Und sag ihm auch, sein Kaffee würde kalt... Aber nein, laß nur; bleib. Er wird schon kommen."

Dieser Beginn des 7. Kapitels der Vorlage hört sich bei Eich so an:

Jakob (an eine Tür pochend): Vier Uhr, Herr Szulski. Aufstehen!
Alles bleibt still.
Hallo! Vier Uhr! (Er rüttelt an der Türklinke). Stehen Sie auf, Herr Szulski, es ist Zeit. Ich spanne jetzt an. (Für sich). Wenn er das nicht gehört hat! Das hätte doch einen Toten aufwecken können.
(Er geht die Treppe wieder hinunter, öffnet eine Tür und betritt die Küche, wo das Klappern von Geschirr hörbar ist.)
Jakob: Na, Maleken, auch schon auf?
Male: Glock vier, das ist doch Menschenschinderei! Warum nicht um sechs? Um sechs wärs auch noch Zeit.
Jakob: Nun koch uns man ein bißchen was mit! Ich geh jetzt in den Stall und spanne an.
(Er öffnet die Tür. Der Wind weht heulend herein. Wind ausblenden).
(Raum mit Justizrat wie vorher).
Jakob: Und eine halbe Stunde später stand ich dann vor der Tür mit dem Einspänner und die Hände waren mir vom Leinehalten schon ganz klamm. Ich schaute in den Hausflur und wartete auf Herrn Szulski, der immer noch nicht zu sehen war. Dann kam Herr Hradschek.
(Flur des Gasthauses).
Hradscheck: Jakob!
Jakob: Ja, Herr Hradscheck.
Hradscheck: Geh hinauf und sieh nach, was mit ihm ist. Am Ende ist er wieder eingeschlafen. Und sage ihm auch, der Kaffee werde kalt. Aber nein, laß es lieber, bleib! Er wird schon kommen.

Diese Sequenz zeigt aber auch, wie Eich sehr die Einführung der Rolle eines Ezählers vermeidet, indem er die erzählten Passagen dialogisch auflöst. Wobei er die wechselnden Erzählperspektiven der Vorlage vor allem dort ausnutzt, wo personal, also aus der Sicht einer Person - hier z.B. aus der Sicht des Hausdieners heraus - erzählt wird.

Reizvoll für den Hörer weiß Eich auch jene Erzählpassagen umzusetzen, die sich akustisch ausdeuten lassen. So gegen Schluß des Hörspiels, als sich das Dienstpersonal weigert, Wein aus dem Keller zu holen, da es dort spuke.

"Unten spukt es. Ede will nicht mehr in den Keller und Male natürlich auch nicht. Es sieht schlecht aus mit unserer Bowle. Wer kommt mit? Wenn zwei kommen, spukt es nicht mehr."
"Wir alle", schrie Kunicke. "Wir alle. Das gibt einen Hauptspaß. Aber Ede muß auch mit."
Und bei diesen Worten eines der zur Hand stehenden Lichter nehmend, zogen sie - mit Ausnahme von Woytasch, dem das Ganze mißhagte - brabbelnd und plärrend und in einer Art Prozession, als ob einer begraben würde, von der Weinstube her durch Laden und Flur und stiegen langsam und immer einer nach dem anderen die Stufen der Kellertreppe hinunter.
"Alle Wetter, ist das ein Loch!" sagte Quaas, als er sich unten umguckte. "Hier kann einem ja gruslig werden. Nimm nur gleich ein paar mehr mit, Hradscheck. Das hilft. Je mehr Fidelité, je weniger Spuk."
Und bei solchem Gespräch, in das Hradscheck einstimmte, packten sie den Korb voll und stiegen die Kellertreppe wieder hinauf. Oben aber warf Kunicke, der schon stark angeheitert war, die schwere Falltür zu, daß es durch das ganze Haus hin dröhnte.
"So, nu sitzt er drin."
"Wer?"
"Na wer? Der Spuk''.
Alles lachte; das Trinken ging weiter, und Mitternacht war lange vorüber, als man sich trennte.

Wie Eich und sein Regisseur Fontanes diese erzählerische Darstellung der Prozession in den Weinkeller choreographieren, demonstriert vielleicht am schlagensten, was hörspielgerechte Umsetzung ist.

Hradscheck: Viel schöner! Unten spukt es. Jakob will nicht mehr in den Keller und Male natürlich auch nicht. Es sieht schlecht aus mit unserer Bowle. Wer kommt mit? Wenn zwei kommen, spukt es nicht mehr.
Quaas: Wir alle.
Mietzel: Wir alle! Das gibt einen Hauptspaß!
Kunicke: Los, nimm ein Licht, Hradscheck!
Mietzel: Und nun einer hinter dem andern! Wie eine Prozession, Haha!
(Sie trappen durch den Flur und die Stufen in den Keller hinunter unter dem folgenden brabbelnden Singsang).
Alle: Es spukt im Keller, es spukt im Keller, es spukt im Keller - (Unten angekommen, packt Hradscheck Flaschen in einen Korb).
Quaaß: Alle Wetter, ist das ein Loch!
Mietzel: Hier kann einem wirklich gruselig werden.
Kunicke: Hradscheck, nimm gleich ein paar Flaschen mehr mit, das hilft! Je mehr Fidelitee, je weniger Spuk!
Quaas: Fertig?
Hradscheck: Fertig.
Quaas: Also los!
(Sie gehen den Weg zurück und brabbeln dabei).
Alle: Es spukt nicht mehr, es spukt nicht mehr, es spukt nicht mehr.

Man hat der Eichschen Bearbeitung vorgeworfen, sie habe ein wenig primitiv zweimal die Stimmen von Toten eingefügt, was nicht dem Original entspräche und eine unzulässige Vereinfachung darstelle [Gerhard Niezoldi]. Gemeint sind die beiden Sequenzen, in deren erster der tote Szulski Frau Hradscheck im Traum erscheint, in deren zweiter die inzwischen verstorbene Frau Hradscheck und schließlich noch einmal der tote Szulski Hradscheck erscheinen. In der Tat stehen beide Szenen nicht im Original, doch hatte Fontane hier seinem Bearbeiter im letzten Gespräch der Eheleute Hradscheck die Möglichkeit einer solchen Lösung angedeutet.

"Ach, Ursel, du sprichst so viel von Ruh' und bangst dich und ängstigst dich, ob du sie finden wirst. Weißt du, was ich denke?"
"Nein."
"Ich denke, leben ist leben, und tot ist tot. Und wir sind Erde, und Erde wird wieder Erde. Das andere haben die Pfaffen sich ausgedacht. Spiegelfechterei sag' ich, weiter nichts. Glaube mir, die Toten haben Ruhe."
"Weißt du das so gewiß, Abel?"
Er nickte.
"Nun ich sage dir, die Toten stehen wieder auf..."
"Am Jüngsten Tag."
"Aber es gibt ihrer auch, die warten nicht so lange."
Hradscheck erschrak heftig und drang in sie, mehr zu sagen. Aber sie war schon in die Kissen zurückgesunken, und ihre Hand, der seinigen sich entziehend, griff nur noch krampfhaft in das Deckbett. Dann wurde sie ruhiger, legte die Hand aufs Herz und murmelte Worte, die Hradscheck nicht verstand.
"Ursel", rief er, "Ursel!"
Aber sie hörte nicht mehr.

Nimmt man solche szenischen Auflösungen, das, was Eich von der Vorlage übernimmt, und auch das, was er wegläßt, alles in allem, wird deutlich, daß auch er, wie jeder Bearbeiter, verkürzen mußte, wobei die Vorlage in jedem Fall verliert. Doch wird in diesem Fall der Verlust ausgeglichen durch die Konsequenz und Eigengewichtigkeit der Aufbereitung. Indem Eich nämlich einerseits von den zeitgeschichtlichen Anspielungen abstrahiert, ja selbst den gesellschaftlichen Konflikt zwischen Dorfgemeinschaft und Zugereisten entschärft, indem er andererseits den Hinweis Fontanes zu zwei Wiedergängerszenen ausbaut, wird seine Adaption so etwas wie eine Moritat aus dem Oderbruch, verbindet er, um es anhand des Odergedichts zu pointieren, Fontane und den Mörder Sternickel. Wem dies zu sehr auf Kosten Fontanes geschieht, sollte nicht vergessen, daß bereits Fontane seinen Stoff gewählt und zugeschnitten hatte auf seine Leser, und das waren beim Erstdruck von "Unterm Birnbaum" die Leser der "Gartenlaube".

Daß Fontanes Roman durchaus gesellschaftskritische Aspekte enthält, mehr ist als nur Kolportage, wird neuerdings in der Fontane-Forschung nicht mehr bestritten. [Vgl. z.B. die Kommentare der Hanser-Ausgabe]. Eich scheinen diese Aspekte jedoch wenig, allenfalls am Rande interessiert zu haben. Was er in Fontanes Roman vorfand und für sich nutzen wollte, war eine auf genauer Landschafts- und Menschenkenntnis beruhende Milieuschilderung des Lebens im Oderbruch, des Lebens in der Landschaft seiner Kindheit und frühen Jugend. Und dazu gehört die Geschichte vom Mörder Sternikel ebenso wie die fikive Kriminalgeschichte Fontanes. Dieser Landschaft und ihren Menschen, die ihm nach 1949 nicht mehr zugänglich war, wollte er mit seiner Hörspielmoritat ein stimmiges Denkmal setzen. Ein Denkmal allerdings nun wieder ganz im Eichschen Sinne. Denn auf die Moral Fontanes, der seine Erzählung zunächst "Fein Gespinnst, kein Gewinnst", dann "Es ist nichts so fein gesponnen" nennen wollte und die endgültige Fassung mit eben diesem, jetzt vollständig zitierten Sprichwort schließen läßt:

Es ist nichts so fein gesponnen,
's kommt doch alles an die Sonnen -
auf diesen Schluß will Eich sich nicht einlassen. Im Gegenteil, sein Schluß ist offener als der Fontanes, seine Moral, falls es überhaupt eine ist, ist das Odergedicht, aus dem ich nach der zweiten Fassung zitiere:
Unruhe in Ackerfurchen und Holundergebüsch,
Unverständliches in den Herzen.
Das Vollkommene gedeiht nicht,
hier bändigt keiner zu edlem Maß das Ungebärdige,
Und das Dunkle ist wie vor der Schöpfung
ungeschieden vom Hellen.


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