Reinhard Döhl | Spiele
entwurf eines caféhaustheaters

in szene setzen
eine rolle spielen
aus der rolle fallen

1
jede stadt hat ein café[haus]
der mann der das café betritt
die frau die (allein oder ihres partners überdrüssig) sich schminkt (= "beiseite")

2 exkurs
man sagt: auftritt, show etc.
die sprache spricht von dingen, die dort wo sie herkommen, museal geworden sind: von theater. aber man könnte dort, wo man diese sprache spricht, ein neues theater spielen (indem man die sprache wörtlich nimmt)
[tardieus' stücke: liebende in der u bahn, brechts lehrstücke usw]

3 vorgang
der mann, der das café betritt benimmt sich nicht wie erwartet
die frau, die sich schminkt, macht ihr gesicht ganz weiß

4 exkurs
= das banale schlägt in ästhetik um
[leute, die was davon gewußt haben, schwitters und gertrude stein z.b]
die umgangssprache beim wort nehmen

5 modell: entwurf eines cafehaustheaters

jede stadt hat eine entsprechende anzahl cafés, die von bürgern durchreisenden liebenden frequentiert werden. man sitzt dort man liest die entsprechenden illustrierten und zeitungen soweit sie herumliegen, wartet wohl auch darauf, daß sie frei werden zur lektüre. man spricht miteinander (gewissermaßen gedämpft) korrespondiert oder [tut] sonstwas. und in den meisten fällen nimmt man teil an [den] sensationen, echten, soweit die [der welt der] zeitungen nicht lügen; klischierten, soweit es die illustrierten betrifft [an den] heimlichen [sensationen], soweit der partner die liebe oder das geschäft [unter der hand] tangiert, um was es geht.

der mann der in diesem augenblick das café durch die glastür betritt, hereinkommt und das café übersieht mit einem raschen versteckten blick, der seinen mantel aufknüpft, bei dem obersten knopf beginnend die knöpfe der reihe nach durch die knopflöcher gleiten läßt mit einer bewegung des daumens gegen den zeigefinger der linken hand, den er unter den stoff geschoben hat mit einer nachlässigen bewegung so von ungefähr aber von oben nach unten die drei knöpfe seines mantels öffnet für die im raume anwesenden in einem raum, den er gerade betreten hat, dieser mann ist fraglos im nachteil. die rolle, die ihm mit seinem auftritt zugefallen ist verlangt dieses und sie verlangt weiter: daß der mann den mantel von den schultern gleiten läßt, ihn etwa im oberen drittel leicht eingeknickt über den rechten arm legt, die garderobehaken übersieht und einen freien oder nur einmal belegten entdeckt, sich darauf hin in bewegung setzt, den mantel mit der linken (oder rechten) hand unterhalb des kragens so zusammendrückt, daß der aufhänger nach oben vorspringt, unter welchem hindurch [durch den] er den garderobehaken gleiten läßt, wobei der den rechten oder linken arm fast gerade von sich streckt, um die bereits dort befindlichen mäntel nicht unnötig berühren zu müssen. hat sich der mann mit einem blick von der guten verrichtung dieser aufgabe überzeugt, die linke hand steckte er derweilen wie absichtslos in die hosentasche, wird er eine scharfe wendung vollführen, erneut den raum durchschreiten, ohne sich umzusehen (und wenn geschieht dies nur und wie absichtslos aus den augenwinkeln), denn er hat seinen platz, den er im folgenden einnehmen will, bereits bei seinem eintritt und ersten überblick ausgemacht und gewählt. der mann wird alsdo den raum bis zu dem bereits gewählten platz durchmessen, den stuhl (mit einer grünen, braunen oder roten polsterung: schaum gummi) mit der rechten hand etwas zurücksetzen, sich ihm anpassen (die linke hand immer noch in der hosentasche) und, indem er mit der rechten hand zwischen seinen schenkeln hindurch zur vorderen sitzkante des stuhles greift, diesen zugleich mit einer leichten körperbewegung, die z.t. durch einen leichten ansatz auf die zehen aufgehoben wird, sich mitsamt dem stuhl in die gewünschte position zu tisch und publikum bringen. darauf wird er die vordere stuhlkante fahren lassen und die recht hand zwischen den schenkel herausheben und auf den tisch bringen, um nach der karte der möglichen angebote zu greifen, er wird die reihen schreibmaschinegeschriebenes, die beigefügten, z.t. nachträglich mit bleistift, tinte oder kugelschreiber geänderten zahlenreihen mit gerunzelter stirn überfliegen, wiederholt zögern, wiederholen, möglicherweise die linke hand oder eine brille zu hilfe nehmen und der inzwischen herbeigeeilten kellnerin unter gleichzeitigem zuschlagen der in rotem kunststoff eingefaßten seine bestellung aussagen: einen kaffee. die kellnerin, die seinem auftritt seit anfang an aufmerksam gefolgt ist, konnte sie doch von anfang an nicht (noch nicht) unterscheiden, welchen tisch er besetzen würde, oder ob er einen wählen würde, der in den bereich ihrer tätigkeit fiel, wird die bestellung entgegennehmen, den nur zum schein und für unübersichtliche bestellungen nützlichen block wieder in ihre tasche unter der schürze schieben, die bestellung in verkürzter form wiederholen: kaffee, und den kürzesten weg zur theke einschlagen, die bestellung durchführen. der mann, sich ganz und gar der aufmerksamkeit bewußt, die sein auftritt ausgelöst hat, und auch, um die erregte aufmerksamkeit für eine weile noch nicht nachlassen zu lassen, wird in seinen taschen nach zigaretten und streichhölzern suchen, beides finden, vor sich auf das tischtuch legen die zigarettenpackung zwischen daumen und zeigemittelfinger der rechten hand nehmen und auf den daumen der linken hand stoßen so, daß die aufgerissene öffnung oberhalb des daumens sich befindet. er wird diese bewegung zweidreimal wiederholen, bis sich eine zigarette seinen wünschen entsprechend weitgenug aus der packung vorgeschoben hat, sie mit daumen und zeigefinger der linken hand vollends herausziehen und das andere freie ende zwischen die lippen führen, die zigarettenpackung wieder auf den tisch zurücklegen, die streichholzschachtel aufnehmen, die reibflächen zwischen daumen und mittelfinger der rechten hand das fach mit den streichhölzern mit dem gekrümmten zeigefinger herausschieben, mit spitzen zeigefingerdaumen der linken hand ein streichholz herausnehmen., mit dem handballen der linken hand das fach mit den streichhölzern an seinen platz zurückschieben und das streichholz, nachdem er die streichholzschaftel zwischen daumen und mittelfinger der rechten hand gedreht hat um sie an den beiden offenen seiten zu halten, das streichholz über die reibfläche stoßen von sich weg. er wird es aufflammen sehen, es eine zeitlang anbrennen lassen und es mit einer vorsichtigen bewegung an das ende der zigarette halten, die er zwischen den lippen hält. er wird durch die zigarette luft einziehen, das streichholz, nachdem er sich überzeugt hat, daß die zigarette richtig brennt, mit einer scharfen kurzen prägnanten bewegung der linken hand verlöschen lassen, es in den aschenbecher werfen, die zigarette zwischen zeige und mittelfinger der rechten hand geklemmt aus den lippen nehmen und warten. die kellnerin wird zurückkommen, den kaffee vor ihm auf das tischtuch stellen. der wortwechsel bitte danke wird für längere zeit das letzte sein, was ihm zu sagen bleibt. er hat sich eingepaßt. er is dem ganzen eingeordnet. die allgemeine aufmerksamkeit hat aufgehört, ihm ihre aufmerksamkeit zu schenken. er ist teil der kulisse oder höchstens ein kaum beachtenswertes requisit. er ist aber auch berechtigt, an einer erneuten aufmerksamkeit teilzunehmen, die durch den nächsten auftritt hervorgerufen wird, indem ein mann in diesem augenblick das café durch die glastür betritt, hereinkommt, die lage übersieht mit einem raschen versteckten blick, seinen mantel aufknüpft usw.

man sagt:
jemand tritt (so oder so) auf
jemand kultiviert seinen auftritt.
jemand tritt ab [wegtreten] für einen guten abgang sorgen
jemand zieht eine show ab
jemand lenkt die allgemeine aufmerksamkeit auf sich; jemand wird zum mittelpunkt
jemand steht im brennpunkt des interesses;
falsche und richtige blickwinkel. es kommt auf den blickwinkel an, aus dem man es betrachtet.
jemand stiehlt jemand die show.
jemand wendet sich ans publikum.

das publikum ist bereits da. das publikum ist alltäglich und unvorbereitet.
[das scheint wichtig]

[1962/1963]