Aus: Bruno Taut | Ein Architekturprogramm

1. Stützung und Sammlung der ideellen Kräfte unter den Architekten

a) Unterstützung baulicher Ideen, welche über das Formale hinweg die Sammlung aller Volkskräfte im Sinnbild des Bauwerkes einer besseren Zukunft anstreben und den kosmischen Charakter der Architektur, ihre religiöse Grundlage aufzeigen, sogenannte Utopien. Hergabe öffentlicher Mittel in Form von Stipendien an radikal gerichtete Architekten für solche Arbeiten. Mittel zur verlegerischen Verbreitung, zur Anfertigung von Modellen und

b) für ein gutgelegenes Experimentiergelände (z. B. in Berlin: Tempelhofer Feld), auf welchem die Architekten große Modelle ihrer Ideen errichten können. Hier sollen auch in naturgroßen vorübergehenden Bauten oder Einzelteilen neue bauliche Wirkungen, z.B. des Glases als Baustoff, erprobt, vervollkommnet und der großen Masse gezeigt werden. Der Laie, die Frau und das Kind führen den Architekten weiter als der beklemmte Fachmann. Kostenausgleich durch das Material eingeschmolzener Denkmäler, abgebrochener Siegesalleen und so weiter, sowie durch die Beteiligung der mit den Versuchsbauten zusammenhängenden Industrien. Werkstätten mit Handwerker- und Künstlerkolonien auf dem Experimentiergelände.

c) Entscheidung über die Verteilung der Mittel durch einen kleinen, zur Hälfte aus schöpferischen Architekten, zur Hälfte aus radikal gesinnten Laien bestehenden Rat. Wird keine Einigung erzielt, so entscheidet ein aus ihm gewählter Laie.

II. Volkshäuser

a) Beginn großer Volkshausbauten, nicht innerhalb der Städte, sondern auf freiem Land im Anschluß an Siedlungen, Gruppen von Bauten für Theater, Musik mit Unterkunftshäusern und dergleichen, gipfelnd im Kultusbau. Vorsehen einer langen Bauzeit, deshalb Anfang nach großartigem Plan mit geringen Mitteln.

b) Auswahl der Architekten nicht durch Wettbewerb, sondern nach 1. c.

c) Stockt der Bau, dann in den Pausen neue Anregungen durch Ausbauentwürfe, neue Ideen nach l.a-c.

Diese Bauten sollen der erste Versuch der Einigung zwischen den Volkskräften und den Künstlern, der Anbahnung einer Kultur sein. Sie können nicht in der Großstadt stehen, weil diese, in sich morsch, einmal ebenso verschwinden wird wie die alte Macht. Die Zukunft liegt auf dem neu erschlossenen Lande, das sich selbst ernähren wird (nicht "auf dem Wasser").

[Flugschriften des "Arbeitsrates für Kunst", Dezember 1918]