Reinhard Döhl | Zu den Hörspielen Richard Heys

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Gegen Ende seiner "Dramaturgie und Geschichte" des Hörspiels kommt Heinz Schwitzke auch auf eine gelegentlich sogenannte "Berliner Schule" von Hörspielautoren zu sprechen, sieht er im Übergang zu den 60er Jahren eine Art Generationswechsel sich anbahnen:

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Mit Schnurre und Hey sind wir bei der Berliner Schule von Hörspielautoren, um deren Förderung - einzigartiger Fall unter Bühnenverlegern - sich Maria Sommer, Leiterin des "Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs", große Verdienste erworben hat. Wichtigste Exponenten sind: Benno Meyer-Wehlack, der 1957 für sein kleines Hörspiel "Versuchung" den Hörspielpreis der Kriegsblinden erhielt, und der nicht weniger preiswürdige Peter Hirche, an dem aber (...) die repräsentativste deutsche Hörspielauszeichnung bisher immer vorbeiging. Ferner gehört hierher Johannes Hendrich mit seiner erregenden psychologischen Hörspielstudie "Das Haus voller Gäste" (1956) und dem nicht weniger eindrucksvollen "Sog" (62). Beide Stücke stellen die Not der Vereinsamung dar, das erste am Schicksal eines Mannes, das zweite an dem einer alleingelassenen alten Frau. Was Hirche und Meyer-Wehlack betrifft, so gehören sie - neben Rys und Wellershoff - zu den wichtigsten Autoren zwischen dreißig und vierzig, die nun in die erste Reihe vorrücken werden, falls es ihnen gelingt, - was freilich notwendig wäre -, ihrem bisher nur schmalen Werk mit weiteren Arbeiten eine gewisse Abrundung zu geben. Nach Eich und Hildesheimer, nach Frisch und Dürrenmatt sind sie als nächste am Zuge." (Schwitzke, 379, f.)

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In der Tat wird an dieser "Berliner Schule von Hörspielautoren", an den hier von Schwitzke 1963 aufgelisteten Autoren keiner vorbeihören können, der sich mit dem Hörspiel der 60er Jahre, einer sich in den 60er Jahren verändernden Hörspiellandschaftgenauer beschäftigen will.

Daß zu dieser Landschaftsveränderung auch die rasche Verbreitung des Fernsehens mit beigetragen hat, zeigt die Biographie Meyer-Wehlacks, der - einige Jahre Fernsehdramaturg - seither bevorzugt Fernsehspiele schrieb, während Johannes Hendrich, in den 50er Jahren mit rund dreißig Hörspielen schon rein numerisch "einer der erfolgreichsten Funkautoren, sich - wie der "Hörspielführer" notiert - mit seiner "realistisch-gesellschaftskritischen Darstellungsweise (...) auch Film und Fernsehen zugänglich" machte.

Sieht man von Jan Rys, der 196o mit "Grenzgänger" erfolgreich debutierte und mit zahlreichen weiteren Arbeiten zu einem wichtigen Repräsentanten des Hörspiels der 60er Jahre wird - sieht man von Rys einmal ab, sind vor allem die Hörspiele Peter Hirches, Dieter Wellershoffs und Richard Heys für die sich vollziehende Veränderung der Hörspiellandschaft von Bedeutung. Nach Meyer-Wehlack 1957 erhalten Wellershoff für "Minotaurus" (1960) Hey für "Nachtprogramm" (1964) und Hirche für "Miserere" (1965) den renomierten Hörspielpreis der Kriegsblinden, wenn auch die Reihenfolge der Vergabe die konkrete Hörspielentwicklung nicht genau wiedergibt, eher ein Vor und Zurück dieses Prozesses spiegelt. War in einer früheren Sendung das wohl abgeschlossene, dem Hörspiel der 50er Jahre zuzurechnende Hörspielwerk Hirches Gegenstand einer Bestandaufnahme, soll in der heutigen und der folgenden Lektion von den Hörspielen Heys und Wellershoffs die Rede sein.

Noch ist das Hörspielwerk Richard Heys nicht abgeschlossen, doch deuten bereits heute über dreißig Hörspiele an, daß Hey zu den erfolgreichen Autoren der Hörspielgeschichte zählen wird. Daß dies auch qualitativ gilt, möchte die folgende Sendung unter anderem andeuten.

1926 in Bonn geboren, wurde Hey nach einem Studium der Musik, Theaterwissenschaft und Philosophie in Frankfurt 1947 / 1948 zunächst Regieassistent beim Film, von1949 bis 1951 Musikkritiker und Journalist, kanntealso sein Metier aus der Sicht des Theoretikers, desPraktikers und Kritikers. Das erklärt wenigstens z.T.die Sicherheit, mit der er sich von Anfang an seinerMittel bewußt war, aber auch die Bereitschaft, immerwieder Anregungen der Medien, speziell formaler Natur,anzunehmen und sie seinen Interessen nutzbar zu machen.

In einer angesichts des Umfangs und der Bedeutung des Heyschen Hörspielwerkes erstaunlich spärlichen Literatur ist mit Recht festgehalten worden, daß Hey "zur ersten Nachkriegsgeneration junger deutscher Theaterschriftsteller gehöre" und an den Bemühungen um neue Formen auf der Bühne aktiv teilgenommen" (Heißenbüttel), daßer mit seinen ersten Theaterstücken einen originalenWeg gefunden habe, "der nicht in einer existenz-philosophischen Sackgasse" geendet sei (Hans Wolffheim).

Diese Herkunft vom Theater können und wollen Heys Hörspiele gar nicht leugnen. Läßt Hey sich - formuliert dies 1968 ein Kommentar Helmut Heißenbüttels zur "Ballade vom eisernen John", läßt Hey "sich auf Sprache ein",

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ist ihm die dialogische, szenische Verwendung des Geredeten selbstverständlich. Er denkt in Repliken. Seine Ballade ist denn auch, von außen gesehen, ganz auf das Hin und Her von Rede-und-Antwort eingerichtet, wobei er auch die kabarettistische Pointierung und Beschleunigung der Tempi mit einbezieht. Es ist, zunächst, akustisches Theater, was in Richard Heys "Ballade" vorgeführt wird.

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Doppelfassungen von "Thymian an Drachentod" (1955 bzw. 1957), von "Kandid oder die beste der Welten" (1970 bzw. 1972) belegen dies ebenso wie die Verwendung gleicherMotive und Figuren in Komödie ("Weh, dem, der nicht lügt", 1962 ) und Hörspiel ("Nachprogramm", 1964). Schließlich lassen sich einzelne Mittel, deren sich Hey in seiner Komödienwelt bedient, auch im Hörspiel auffinden, hat man für die Figuren des frühen Hörspiels "Kein Lorbeer für Augusto" gar "eine Verwandtschaft mit denen der Commedia dell'arte" beobachtet (Wolffheim). Hey selbst hat 1965 auf den lustspielhaften Charakter seines Hörspiels "Nachtprogramm" verwiesen:

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Die Demokratie, die die Spielregeln für alle Widersprüche festlegt, stirbt (...) nicht, wie ihre Gegner hoffen, an ihren Widersprüchen. Sondern sie stirbt höchstens an der Verkleisterung ihrer Widersprüche. Der Schriftsteller, der nun zusieht, wie dieser Kleister etwas außerhalb der Legalität angerührt wird, täuscht sich allerdings meistens sehr über die Wirksamkeit seines Protestes. Zum Beispiel habe ich in dem Hörspiel eine Familie von großen Bürgern vorgeführt, die Leute finanzieren Hitler, bereichern sich an seinem Kriege, sprechen nach seinen Gesetzen Recht und werden schließlich höchst gerechter Weise von mir mit Hilfe einer alliierten Luftmine umgebracht. Bedenken Sie, es handelt sich um eine Art Lustspiel, und Lustspiele müssen optimistische Aspekte haben. In Wirklichkeit, das wissen Sie so gut wie ich, leben diese Leute alle noch, haben neues Geld und alte Vorurteile, sprechen nach demokratischen Gesetzen Recht, sind demokratische Staatssekretäre, tragen die Entwürfe zu demokratischen Notstandsgesetzen unter dem Arm und planen einen demokratischen Atomminengürtel quer durch Deutschland. Ich habe sie alle aus meinem Spiel entfernt. Aber eben nur aus meinem.

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Stefan Bodo Würffel hat in einer geschichtlichen Skizze des Hörspielpreises der Kriegsblinden pointiert, "gemessen an der Entwicklung des Nachkriegshörspiels" sei die Auszeichnung des Hörspiels "Nachtprogramm" um einige Jahre zu früh" gekommen, wie die Preisvergabe an Peter Hirches "Miserere" im folgenden Jahr "in der .Rückschau (...) als verspätet" erscheine.

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(...) es war nur folgerichtig,. daß der Autor den Preis nicht allein für sein Hörspiel "Miserere" erhielt, sondern ausdrücklich in Anerkennung seines gesamten Hörspielschaffens, das mit seiner Tendenz zur Verinnerlichungund zur Reduzierung der Wirklichkeit auf den menschlich-privaten Bereich symptomatisch ist für die Hörspielproduktion der fünfziger Jahre." (Würffel, 120)

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Dieser Tendenz zur Darstellung zeitgeschichtlichen Geschehens als privatem Schicksal, der Reduzierung der Wirklichkeit auf den menschlich-privaten Bereich lassen sich auch die ersten Hörspiele Richard Heys, der 1953 mit "Der sanfte Herr Möms" zum ersten Mal in den Hörspielprogrammen begegnet, leicht zuordnen. So ließe sich z.B. "Olga 17", die tragische Geschichte des Spreeschiffers Lossmann, thematisch und tendentiell etwa zwischen Gerd Oelschlegels "Romeo und Julia in Berlin" und Dieter Meichsners "Besuch aus der Zone" einreihen.

Zwischen Leopold Ahlsens "Philemon und Baucis" auf der einen und Wolfgang Hildesheimers "Das Opfer Helena", seinem "Turandot"-Märchen oder Dürrenmatts "Der Prozeß um des Esels Schatten" auf der anderen Seite ließe sich "Kein Lorbeer für Augusto" einordnen, ein Hörspiel das wie Heys frühe Theaterstücke allgemein "die realen Fakten unserer Gegenwart (...) in märchenhafte Elemente"verwandelt und so dem Autor "eine Spielfreiheit gegenüber der Realität" (Wolffheim) gewinnt. Nicht die Geschichte des armen Holzfällers Augusto und der von ihm geliebten Tochter des reichen Nikerlas, nicht der märchenhafte Versuch, durch Erlegen eines sagenhaften Hutschki eine große Tat zu vollbringen und über sie die Hand der Geliebten zu gewinnen, sind Anliegen des Spiels. Sie bieten Hey lediglich die märchenhafte Kulisse, Wirklichkeit zu persiflieren. Die "totale Mobilmachung" gegen die vermeintlichen Hutschkis, der militärische Rückzug eines manövermüden Generals, die Erklärung der Mobilmachung schließlich als eines Manövers sind - wohl nicht immer erkannter - komödiantischer Spiegel von Wiederbewaffnungsdebatte und Wiederaufrüstung, ein am Schluß dennoch realer Hutschki Beleg für Heys Spiel mit doppeltem Boden.

Mit doppeltem Boden ist auch das Familien- und Kriminalstück "Jeden Abend Kammermusik oder der Verborgene" (1958) versehen.

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Dieser doppelte Boden, die intendierte Bedeutung des Hörspiels ist einerseits völlig in den Handlungsablauf integriert, andererseits aber doch auch jeden Augenblickals etwas über die Handlung hinausweisendes sozusagen mit den Händen zu greifen. Einerseits trifft die Redensart vom Gespenst im Schrank, von der Leiche im Keller die Aussage sehr genau. Die ständige Betonung der hohen Kultur, des Leistungs- und Verantwortungsbewußtseins der großbürgerlichen Familie Aldinghausen, der außerordentlichen Bedeutung, die ihr Ansehen, ihr Ruf gleichsam als Stabilisatoren der bestehenden, anscheinend füralle vorteilhaften Ordnung haben, läßt jedoch andererseits solche lapidaren Vorstellungen nicht mehr zu. Jedenfalls merkt der Hörer bald, daß es hier zuletzt weder um einen Raubmord, noch um seine Aufklärung geht. Selbst der Brudermord und seine fatale Rechtfertigung sind offenbar nur Symbole. Es geht um einen ungeklärten Fall ganz anderer Größenordnung. Auf unbestimmte Weise kommt über das Familiendrama die ganze Gesellschaft ins Spiel."

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Heinrich Vormweg, der dieses 1958, also im gleichen Jahr mit Ingeborg Bachmanns "Der gute Gott von Manhatten" gesendete und später mehrfach wiederholte Hörspiel analysiert hat, kommt zu dem Schluß, daß das, was hinter der vordergründigen Familien- und Mordgeschichte gemeint ist, über die vage Andeutung hinaus nicht wahrnehmbar werde.

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Jeder konnte sich (..) das Passende heraussuchen, Gesellschaftskritik und Verständnis für den Zustand der Gesellschaft; Anklage und romantischen Eskapismus angesichts halboder ganz verdrängter Schuldgefühle; Widerspruch zu allgemein dominierenden Zuständen und die Auffassung, daßdas bunte Leben eben so sei, wie es sei.. "Jeden Abend Kammermusik" ist ein Beispiel für eine Literatur, die an die Sache, die Inhalte, das Konkrete nicht heran und gerade dadurch zu Erfolg kommt."

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Ist dies von der Rezeption her formuliert, so gilt aus der Sicht des Autors, daß das Hörspiel zwar "einen gesellschaftlichen Zustand in Frage" zu stellen, die Brüchigkeit einer restaurativen gesellschaftlichen Ordnung zu spiegeln versucht, aber zugleich ihre "Verschleierung doch nicht"aufzuheben vermag,

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ja bei dem Versuch, dies zu erreichen, die Schleier partiell sogar dichter zieht.

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Dieses Dilemma gilt nicht nur für das diskutierte Hörspiel, für seinen Autor. Es gilt allgemein für eine literarisch dürftige Zeit um 1958, kennzeichnet einen damaligen literarischen Stillstand ebenso wie eine ihm entsprechende Stagnation in der Hörspielentwicklung. Als 'Dokument' dieser Stagnation von analytischem Wert, ist die Beachtung, die Vormweg dem Hörspiel geschenkt hat, durchaus berechtigt.

"Jeden Abend Kammermusik" ist für den Chronisten ferner interessant, weil Hey der Inszenierung Oswald Döpkes genau zehn Jahre später - 1968 - eine eigene Inszenierung folgen läßt, die - an einem Sendetermin für Kriminalhörspiele plaziert -das Spiel als "Kriminalfilm für Stimmen" ausweist, derjetzt ausschließlich vorführt

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wie unter dem Zwang der Konvention auf ein Verbrechen ein anderes folgt und wie beide vertuscht werden. (Programmheft SWF 1977/78, 5. 48).

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Man versteht diese Inszenierung als "Kriminalfilm" sicherlich falsch, würde man Hey unterstellen, er habe aus Einsicht in das Dilemma auf seine gesellschaftskritischenAmbitionen verzichtet. Im Gegenteil hatte er - wie seineHörspiele seit den 60er Jahren im Überblick belegen - aus dieser Einsicht ein Verfahren entwickelt, das ihm eine genauere Artikulation ermöglichte: die Form des fiktiven Dokumentarhörspiels.

Die schon erwähnte Komödie "Weh dem, der nicht lügt" formuliert, wenn wir es richtig lesen, diesen Neuansatz zum ersten Mal vor in der Auffassung, die künstlerische Wahrheit sei nicht ohne die dokumentarische denkbar, wobei der Künstler diese dokumentarische Wahrheit "aus seinen Beobachtungen, seinen Erfahrungen und seinen Träumen" gewinne.

In der Praxis folgen seit 1964 mit "Nachtprogramm", "Hochzeitsreport", "Ergänzungsbericht", "Kevin Hewster Zomala" jetzt jene typisch Heyschen Hörspiele, die unter Verwendung angeblich authentischen Tonbandmaterials, zufälliger oder heimlicher Tonbandmitschnitte in immer neuen Variationen fingierte Dokumentationen gesellschaftlicher Wirklichkeit vorführen. Unbewältigte Vergangenheit in "Nachtprogramm", einen politische Entscheidungenmit Rücksicht auf seine Karriere fällenden Politiker in "Ergänzungsbericht", wobei das scheinbare authentische Material Differenzierungen erlaubt, die das mit der Technik der Rückblende souverän arbeitende Hörspiel "Jeden Abend Kammermusik" nicht leisten konnte.)

Der märchenhafte Vorschlag aus "Kein Lorbeer für Augusto", Liebe statt Krieg zu machen, erscheint in "Kevin Hewster Zomala" als zitierte Formel, mit der er scheitert.

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Kevin Hewster Zomala

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Eine solche Sequenz zeigt nicht nur die Entfernung Heys von seinen Hörspielanfängen, sie stellt zugleich Formeln und Parolen in Frage, die damals von Amerika mit dem Aufkommen von Protestbewegungen unterschiedlichster Art nach Deutschland herüberschwappten, demonstriert den Widerspruch von Schein und Wirklichkeit, auf den Heys Hörspiele letztlich immer zielen. So auch das Beispiel des heutigen Abends, der "Hochzeitsreport", dessen fingierte Bandaufnahmen den vordergründigen Schein, den Glanz von Brautkleid und Schleier als 'Werbefilm' als falsche Kulisse einer an den gesellschaftlichenGegebenheiten längst zerfallenen, von ihnen zerstörtenLiebe entlarven.

Literaturgeschichtlich leicht erklärbar vor dem Hintergrund einer aufkommenden dokumentarischen Literatur, einer Hinwendung zu konkreter Stofflichkeit, (dem Auftreten einer realistischer Tendenzen - bei Hochhuth und Kipphardt ebenso wie im "Neuen Realismus" der sogenannten "Kölner Schule" eines Dieter Wellershoff -, ) schafft sich Hey mit seinen fiktiven Dokumentarhörspielen eine eigene, mediengemäße Form kritischen Schreibens. Daß er dabei nicht dem Fehler ständiger Wiederholung des einmal Gefundenen verfällt, vielmehr die Variationsmöglichkeiten seines Verfahrens gezielt zu nutzen weiß,kann nur eine vergleichende Analyse der einzelnen Hörspiele zeigen. Welche Spielmöglichkeiten Hey mit seinem Verfahren zur Verfügung stehen, kann im Vergleich zum "Hochzeitsreport" ein Hinweis auf das "Wandersleben-Interview" (1971) vielleicht andeuten.

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Wandersleben-Interview

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Das Hörspiel thematisiert die Entstehung eines Femsehinterviews mit dem Altkommunisten Wandersleben und dabei
doppelbödig nicht nur den Widerspruch von Theorie und Praxis in der Biographie des Befragten, sondern führt auch in der praktizierten Neuordnung des natürlich viel zu umfangreichen "Materials" Medienpraxis und Manipulation vor. Die biographische Wirklichkeit, die erfragt werdensoll, wird im hergestellten Bild, in der medial vermittelten Vorstellung von dem Befragten zugleich fragwürdig.

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Wandersleben-Interview

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Ähnliches ließe sich bei anderen Hörspielen Heys leicht aufzeigen, die in der pseudodokumentarischen Annäherung an Wirklichkeit die jeweils aufgedeckte Realität als fragwürdig und unvertraut, als doppelbödig ausweisen. Bei Hörspielen, die man unter dem Stichwort 'einkreisende Rekapitulation' subsumieren könnte, etwa das "Fragment für Stimmen", "In der Bloemschen Wildnis". "In Montagen von ungenauer Berichterstattung, in

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flüchtigen Dialogfetzen, in überall abbrechenden und neu einsetzenden Reminiszenzen wird der Tod einer alten, skurril-vertrottelten Erbtante rekapituliert. Mißverständnisse, Mutmaßungen und die durch unterschiedliche Temperamente betrachteten Ereignisse ergeben eine sich gegenseitig verfälschende Vergangenheit oder Gegenwart, eine fragwürdige und unvertraute Realität. (Zeutschel: Hörspielarchiv)

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In der Bloemschen Wildnis

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Der einkreisenden Rekapitulation im einzelnen Hörspiel entspricht die Einkreisung einzelner Themen durch mehrere Hörspiele. So thematisiert Hey immer wieder im Kontext der Emanzipationsdiskussion das soziale Rollenschema von Mann und Frau, bzw. seine und ihre Folgen, im "Hochzeitsreport", den man in einer Schicht als "Protokoll des Zerfalls einer Liebe" hören kann, "bei der die Frau einer überholten männlichen Sexualmoral ausgeliefert ist". Oder in den beiden zusammen zu hörenden Monologspielen "Schlußwort I" und "Schlußwort II", die einmal aus der Sicht des Mannes, zu unserem Fall aus der Sicht der Frau diesen Themenbereich jeweils einkreisen.

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Im Mittelpunkt der Monolog einer des Mordes angeklagten Frau: Sie steht im Verdacht, mehrere Männer umgebracht zu haben. Sie leugnet mit Vehemenz. Je mehr sie jedoch die Morde bestreitet, um so intensiver beschreibt sie diese Taten. Sie gibt praktisch zu, sie bereut. Aus der Reue gewinnt sie neues Material, die ihr zur Last gelegten und bereits zugegebenen Morde erneut abzustreiten.Dieser Monolog findet statt in realen und imaginiertenSituationen: im Gerichtssaal, im Gespräch mit den möglichen nächsten Opfern, mit ihrem letzten Mann und in Reflexionen. Das Hörspiel zeigt die Reaktion einer Frau auf ihre von Männern konditionierte Umwelt, auf die verschiedenen Formen männlicher Ausbeutung, deren Objekt sie ist. (Programmheft WDR, 1972, II)

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Schlußwort I

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Wenn sich Hey dabei einer gängigen Unterhaltungsform, eines Kriminalfalls bedient, um ihn engagiert auszufüllen, erreicht er etwas, was ihm mit "Jeden Abend Kammermusik" noch nicht möglich war. Diese Aufnahme und Anreicherung gängiger Unterhaltungsformen im Hörspiel, von Dürrenmatt in den 50er Jahren zunächst folgenlos mit "Der Prozess um des Esels Schatten", mit "Die Panne", "Abendstundeim Spätherbst" und "Das Unternehmen der Wega" versucht, ist ein weiteres Charakteristikum des Heyschen Hörspielwerkes nach Mitte der 60er Jahre, und es spricht für seine Aktualität, daß er sich dieses Verfahren bereits bediente, lange bevor die Vergabe des Hörspielpreises der Kriegsblinden an Walter Adlers "Centropolis" (1976) den Einsatz trivialer Genres im Hörspiel öffentlich sanktionierte. Damit gewann Hey als einer der ersten dem Hörspiel Spielbreite und Popularität, ja einen Unterhaltungsanspruch und -wert zurück, den es zeitweilig an das Fernsehen zu verlieren drohte. Von der breiten Fächerung eines so verstandenen 'Unterhaltungshörspiels' sprechen die Neuinszenierung von "Jeden Abend Kammermusik" als "Kriminalfilm", eine 6teilige Krimi-Serie "Katarina L.", eine 3teilige Bearbeitung seines Kriminalromans "Mord am Lietzensee", die nicht einmal von ihm stammt, die Mischung aus Krimi, Western und Comic strip in "Der eiserne John", ebenso wie die Mordfälle in "Schlußwort I" und "Schlußwort II" wie das Erzählen einer 'Frauengeschichte' im listigen Gewand der Science Fiction.

"Andromeda im Brombeerstrauch" nimmt den genretypischen Besuch aus einer anderen Galaxis zum Anlaß, "komisch-poetisch verschiedene Existenzformen und ihre Folgen" durchzuspielen. Wenn das intelligente Wesen aus dem Spiralnebel mit der Fähigkeit, beliebige Gestalten annehmen zu können, (ein märchenhaftes Motiv übrigens auch dies), nacheinander als Regen, Huhn, Katze, Pfarrer und schließlich als Doppelgängerin der Dorfschullehrerin Ulla erscheint und diese Gestalt schließlich durch ein Unglück beibehalten muß, stellt es nicht nur den irdischen Freund Ullas vor das Problem, jetzt gleichsam mit einer gedoppelten Ulla zusammenleben zu müssen, sondern führt zu einer Problematik auf der thematischen Schiene von "Hochzeitsreport" über "Szenen mit Elsbeth", "Schlußwort" zu "Eine Liebesgeschichte" zurück.

Derartige thematische Variationen im Hörspielwerk Heys bedürfen ebenso noch der genaueren Untersuchung wie die Tatsache, daß sich Hörspiele Heys gelegentlich wie verschiedene Seiten einer Münze zusammen hören lassen. So entspricht - um dies wenigstens anzudeuten - dem 'schwarzen Schaf' Sascha in "Jeden Abend Kammermusik" auf merkwürdige Weise das 'weiße Schaf' Tino in "Ende gut, alles schlecht", entsprechen dem Verteidigungsmonolog von "Schlußwort I" die "Szenen mit Elsbeth", der - wie Hey formuliert -

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Versuch der Hauptperson(en), sich in die Gesellschaft, die sie umgibt, zu integrieren, und ihren Abscheu, ihre Flucht, wenn ihr das gelungen ist, ihre erneute Bemühung, 'in' zu sein, die als Ergebnis wieder nur ein 'out' hat."

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Zur fiktiven Dokumentation und der Aufnahme und Anreicherung gängiger Unterhaltungsformen gehört als drittes wesentliches Element der Hörspiele Richard Heys die Musik eigentlich von Anfang an. Daß hier private Erfahrung mit konstitutiv geworden ist, zeigt ein Blick auf die Biographie. Wie Musik in den Hörspielen eingesetzt wird, wäre von Fall zu Fall zu untersuchen. Ein wie großes Gewicht der Musik als Hörspielelement zukommt, macht Hey bereits in einer Bemerkung "Zur Musik" von "Jeden Abend Kammermusik" deutlich:

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Keine Übernahme von wirklicher Kammermusik Haydns oder Schuberts. Keine wirklichen Volkslieder. Die Musik muß - im jeweils erforderlichen Stil - extra komponiert werden.

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So stellt sich auch in Heys Hörspielen selten der Eindruck ein, ihre Musik sei als Hörspielmusik Zutat. Sie erscheint vielmehr in den meisten Fällen als weiteres Hörspielelement,besonders dort, wo sie wesentlicher Bestandteil der Hörspielballade ist und damit einer Hörspielform, an der man sich vor 1933 vor allem am Mitteldeutschen Rundfunk schon einmal versucht hatte (erinnert sei vor allem an die Funkballaden Otto Rombachs).

Mit der "Ballade vom eisernen John" (1967), einem Hörspiel, das Klaus Schöning mit gutem Grund in seine  Anthologie "Neues Hörspiel" aufgenommen hat, erprobte Hey zum ersten Mal recht erfolgreich diesen neuen Hörspieltyp, zu dem er auch die Musik schrieb:

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Ballade vom eisernen John

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Innerhalb seines Hörspielwerkes greift Hey mit seinem "Radio-Strip" nach den fiktiven Dokumentarspielen auf den Einsatz märchenhafter Elemente in seinen frühen Komödien und Hörspielen zurück. Versetzt aber seine Variation des Märchens "Der Eisenhans" nach den Gebrüdern Grimm mit Elementen der Trivialliteratur, des Comicstrips, des Westerns und Krimis und verlagert damit seine Vorlage in einen anderen Kontext. Parodistische Auseinandersetzung mit dem traditionellen Märchen lag damals in der Luft und ließe sich mit dem im gleichen Jahr erschienenen "Deutschen Märchen" von Manfred Günzel belegen. Doch ging es Hey weniger um die Korrumpierung eines Märchens als vielmehr um das Aufbrechen von Klischeewelten und ihrer Sprache in trivialer Literatur, um das Aufbrechen vermittelter Vorstellungsmuster.

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Ballade vom eisernen John

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In diesem Vorstellungsmuster, hat Heißenbüttel das Hörspiel kommentiert,

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in diesem Muster ist etwas festgefahren, was von sich aus nicht mehr herauskann. Nur wenn man das Spiel innerhalb dieser verkümmerten und ganz objektivierten Weltins Absurde treibt, gelingt ein Einbruch. Heys Hörspielist ein Lehrstück, das (...) die Leerformen der Denk- und Sprachklischees therapeutisch ausnutzen soll. Wer die "Ballade vom eisernen John" hört, soll aus der klischierten Vorstellungswelt herausgedrängt werden und sich auf Differenzierungsmöglichkeiten zurückbesinnen. Wobei das ins Märchenhafte gewendete Heroenschema, das Hey benutzt, durchaus übertragen werden kann auf politische Klischees wie die von Ost und West, kommunistischer und freier Welt, heiler Welt und Dekadenzusw. So etwas wird nicht ausdrücklich gesagt, aber ichnehme an, daß es damit gemeint ist. Auf der anderenSeite ist gerade dieses Hörspiel auch als handfeste Unterhaltung zu hören.

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Hey, der bei diesem "Radio-Strip" wie bei den meisten seiner Hörspiele seit 1967 selbst Regie geführt hat und damit optimale Realisationen anbietet, hat nach dem Erfolg der "Ballade vom eisernen John" diesen Hörspieltyp seinen Interessen entsprechend mehrfach variiert,seine Spielmöglichkeiten erprobt, zunächst 1969 mit "Rosie" , einem "Radio-Spektakel zum Mitmachen für Stimmen, Musik und telefonierende Hörer", dann mit den schon genannten "Radio-Moritaten", "Schlußwort I" und "Schlußwort II" und schließlich mit einem "Radiostück für Sänger", der "Ballade von der Besetzung eines Hauses" (1975), die in Anlehnung an einen authentischen Fall das Dilemma heutiger urbaner Entwicklung, richtiger: Zerstörung vorführt und in dieser Anlehnung an einen authentischen Fall zugleich Intentionen seiner fiktiven Dokumentar-Hörspiele in neuer Form wieder aufgreift.

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Ballade von der Besetzung eines Hauses

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Mit "Rosie", dem problematischten Beispiel dieses balladesken Hörspieltyps, lieferte Hey einen dennoch interessanten und wichtigen Versuch, dem Hörer im Hörspiel nicht nur eine Geschichte vorzuspielen, sondern ihn zum Mitmachen einzuladen. Es sei in diesem Zusammenhang an Versuche um 1950 erinnert, in den HörspielenFragen offen zu lassen, ihre Beantwortung an den Hörerzu delegieren, so bei Günter Eichs "Die gekauftePrüfung", die nach Eichs Willen ursprünglich ohne Schluß gesendet werden sollte und erst nach Intervention der Dramaturgie schließlich drei alternative Schlüsse dem Hörer zur Auswahl anbot. Diese Versuche blieben aus verschiedenen Gründen ohne Folge. Erst im Umkreis des Neuen Hörspiels tauchte - belegbar etwa mit einem 1969 erschienenen Aufsatz Helmut Geißners, "Spiel mit Hörer" - dieser Gedanke in der Hörspieldiskussion wieder auf und wurde noch im selben Jahr von Hey in seinem "Radio-Spektakel" versuchsweise realisiert.

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Der Präsident eines Automobilkonzerns beauftragt seinen Computer, die Vorbereitungen für die Einführung eines neuen Autos zu treffen, das auf den Namen seiner Tochter Rosie getauft werden soll. Seine Herrschaft als Konzernboß ist durch Eduard, einen jungen Außenseiter, der sich niemandem unterordnen will, bedroht. Zu dieser Grundsituation sind mehrere Varianten produziert worden.

a) Eduard bedroht den Präsidenten telefonisch.
b) Eduard protestiert als Küchenjunge und prügelt sich mit dem Küchenchef.
c) Eduard geht den Weg durch das Bett der sexgeladenen Frau des Präsidenten.
d) Eduard versteckt sich in der Neukonstruktion, defloriert Rosie und zerstört das Auto.

Zu jeder Variante gibt es Konfrontationsfolgen Eduard/Präsident mit verschiedenen Schlußszenen. Der Hörer hat die Möglichkeit, den Moderator zur Wahl einer bestimmten Variantezu bewegen. (Zeutschel: Hörspiel-Archiv).

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Heys Mitspiel ist kein Einzelfall, sondern einer von mehreren Versuchen unterschiedlichster Art, den Hörer aus seiner passiven Rezipientenrolle herauszulocken und zum Mitspielen, zu spielerischen Aktivitäten zu provozieren.

Diese Versuche, erinnert sei vor allem an Gabor Altorjays "Siebzehn Hörspiele in stereo" und Konrad Wünsches "Sendung" blieben erfolglos, da ihre Anlage dem nicht-kooperativen Wesen des Rundfunks, seiner einwegigen Ausrichtung vom Sender zum Hörer eigentlich widersprach. Die Konsequenzen, die sich hörspielgeschichtlich daraus ergaben, waren zum einen Hörspiele, in denen Hörer an der Produktion beteiligtwurden, z.B. in Jürgen Alberts "Auf den Autor kommt es wirklich nicht an" (1972), oder über den einwegigenKommunikationskanal den Hörer wenigstens zu kritischerRezeption, zu politischer Bewußtseinsbildung zu 'aktivieren'.
War es in "Rosie" der Präsident eines Automobilkonzerns, der durch die zur Auswahl stehenden Reaktionen Eduards in der kritischen Schlußlinie Heys und seiner Hörer stand, so zielt das von ihm zusammen mit Uwe Friesel 1971 produzierte
0-Ton-Hörspiel "Mitbestimmung" gegen die "gesellschaftlich-politische Position des Unternehmers in der freien Marktwirtschaft" (Keckeis) allgemein und zugleich gegen dieUngenauigkeit eines modischen Schlagwortes:

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Schauspieler brauchen wir diesmal nicht. Uns genügt, was Kneipe, Zeitung und Wahlplattform so hören, lesen, aufschnappen lassen. Wir halten überall das Mikrophon hin und sparen so das Manuskript. Im Studio müssen wir sorgsam analysieren, ehe wir schneiden und motivieren.Die Tendenzen des Materials sollen die Tendenzen dieses Hörspiels sein. Die Realität des Materials soll seine Form bestimmen. Es soll ein künstliches Produkt sein, aber kein Kunstprodukt.

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Mitbe-stimm-stimmung

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Damit wäre unsere Bestandsaufnahme des so umfangreichen Hörspielwerkes Richard Heys in etwa abgeschlossen. Sie konnte - auch aus Zeitgründen - nicht mehr als den Charaktereiner Skizze haben, mußte sich vielfach auf Andeutungen beschränken und ließ sicherlich wichtige Hörspiele unberücksichtigt. Sie wollte aber klar machen, daß es an der Zeit ist, sich mit diesem von der bisherigen Literatur über das Hörspiel so wenig behandelten Hörspielwerk einmal genauer zu befassen, und sie wollte hier mögliche Aspekte herausstellen, nicht zuletzt die Tatsache, daß sich an Heys Hörspielen wie kaum in einem anderen Fall hörspielgeschichtliche Entwicklung ablesen läßt, und zwar nicht in modischen Sprüngen und Anpassungen, sondern in einer geschickten und kritischen Nutzung der medialen Möglichkeiten, in der Entwicklung einer durchaus eigenständigen Hörspielsprache, deren wesentlichste Elemente das fiktive Dokument, Aufnahme und Anreicherung gängiger Unterhaltungsformen und der Einsatz von Musik als Hörspielelement sind.

Daß sich dabei alles gleichsam gegen sich selbst wenden kann, gegen den Glauben an die Authentizität von Dokumentarischem, die Leerformen der Unterhaltung, gegen falsche Sprachwelt und schließlich gegen die Produktionspraktiken der Medien selbst, macht nicht zuletzt dieDoppelbödigkeit dieser Hörspiele, ihren Spielwitz und natürlich auch ihren intellektuellen Reiz aus.

WDR III, 9.4.1979