Reinhard Döhl | Zu Ernst Johnnsens "Brigadevermittlung"

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Kaum, falls überhaupt von den am Hörspiel und seiner Geschichte Interessierten bemerkt, berichtet Hans Richter, einer der Väter avantgardistischer Filmemacher, in seinen Erinnerungen "Köpfe und Hinterköpfe" über eine Tonmontage Walter Ruttmanns, die wohl verschollen sein dürfte.

Der Tonfilm habe, schreibt Richter, im Gloriapalast am Zoo mit Al Jolsons "The Jazz Singer" gerade sein schluchzendes Debut gehabt, als Walter Ruttmann "in einer ganz anderen Tonart"  für den deutschen Rundfunk eine Tonmontage "Weekend" geschaffen und sie Pudowkin, dem Regisseur von "Sturm über Asien" vorgeführt habe. Und Richter fährt fort:

Zitat

Mit dem überenthusiastischen Temperament, das Pudowkin auszeichnete, war er nicht nur von Ruttmanns Arbeit begeistert, sondern er erklärte sogar rundweg, in "Weekend" habe Ruttmann das Problem des Tones durch assoziative Montage auf die freieste Weise und grundsätzlich gelöst. Selbst von heute aus gesehen kann man dem Urteil Pudowkins nicht unrecht geben. Dadurch, das Ruttmann den Ton nicht (wie im Sprechfilm) naturalistisch behandelte - das heißt, wenn einer den Mund aufmacht und bewegt, dann müssen auch Worte herauskommen -, sondern schöpferisch musikalisch, hatte er tatsächlich die künstlerische Domäne des Tonfilms bestimmt. Aus isolierten Tonimpressionen bildete er neue Einheiten: Vom Drängeln und Pusten der Sonntagsausflügler auf dem Bahnhof, dem Rattern es Zuges, dem Trampeln, Singen und Schimpfen, dem Schnarchen, Spielen und Zanken der Ausflügler (bis zur Stille der Landschaft, nur unterbrochen vom Flüstern der Liebenden), bis zum Heimschleppen der weinenden Kinder - alles im Ton - wie eine Perlenkette - aneinandergereiht. Damit hatte Ruttmann in der Tat ein Meisterwerk geschaffen, das - auch heute noch - dem Studenten des schöpferischen Tons Anregungen und Einsichten geben sollte.

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Ich zitiere diese Erinnerungen Richters so ausführlich, weil sie die häufiger zitierten Erinnerungen Alfred Brauns - auf die ich noch zu sprechen komme - in mehrfacher Hinsicht ergänzen und einige Aspekte deutlicher ins Blickfeld rücken. Es ist für diese Phase der Hörspielgeschichte bezeichnend, daß Ruttmanns Montage "Weekend" im Zusammenhang mit der damaligen Entwicklung des Films verstanden werden muß. Einmal, indem sie von Richter wohl richtig gesehen wird als künstlerischer Gegenwurf zur naturalistischen Behandlung des Tons in den ersten Tonfilmen a là "The Jazz Singer", "The Singing Fool" oder "Broadway Melody". Allerdings betrifft dies weniger das Hörspiel als vielmehr die - wie Richter es formuliert - Bestimmung der künstlerischen Domäne des Tonfilms.

Zum anderen, indem die von Pudowkin so enthusiastisch begrüßte assoziative Tonmontage - und hier möchte ich Richter zustimmen - im Prinzip nichts anderes als die Übertragung der Bildmontage des russischen Films auf den Ton war. Selbst wenn Ruttmans Interesse an dieser Tonmontage wesentlich vom Interesse des Filmemachers bestimmt gewesen sein sollte, was mir aber gar nicht einmal so erwiesen scheint, wird hier eine Verwandschaft zwischen Film- und Hörspielexperimenten gleichsam in Personalunion inhaltlich faßbar, die bisher nur äußerlich sichtbar war.

Zum Beispiel, wenn in einem Preisausschreiben von 1924 parallel zum "Lichtspiel" nach einem "Sendespiel" gesucht wurde. Oder wenn Alfred Braun davon spricht, daß der "akustische Film" bewußt die Technik des Films auf den Funk übertrug. Oder rein technisch in einem Versuch von 1928, einen "akustischen Film" auf Filmtonstreifen aufzuzeichnen.

Man kann sich, da aus dieser Zeit leider keine derartigen Tonmontagen, keine sogenannten "akustischen Filme" erhalten geblieben sind und man den Versuch einer Neuproduktion bisher leider gescheut hat, die eben behauptete formal inhaltliche Verwandschaft und eine dennoch medienbedingte Andersartigkeit vielleicht mit einem Trick ein wenig verdeutlichen. Wenn man nämlich die Einnerungen Richters an Technik, Anlage und Struktur der Tonmontage "Weekend" vergleichen würde mit dem nun schon zweimal im Deutschen Fernsehen gezeigten Dokumentarfilm Ruttmanns "Berlin - Die Symphonie der Großstadt" von 1926. Und man sollte vielleicht zusätzlich mit Technik, Anlage und Bildstruktur dieses Stummfilms vergleichen, was Altmeister und Pionier Alfred Braun über die "akustischen Filme" festgehalten hat:

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Als erster grundlegender Versuch erscheint mir die Aufführung eines akustischen Films im zweiten Jahr der deutschen Sendespieltätigkeit. Akustischer Film, - so nannten wir in Berlin in einer Zeit, in der ein Funkregisseur nicht nur das Regiebuch zu besorgen hatte, sondern sich auch seine Manuskripte mehr schlecht als recht schreiben mußte, ein Funkspiel, daß in schnellster Folge traummäßig bunt und schnellvorbergleitender Bilder in Verkürzungen, in Überschneidungen - im Tempo - im Wechsel von Großaufnahmen und Gesamtbild mit Aufblendungen, Abblendungen, Überblendungen bewußt die Technik des Films auf den Funk übertrug. Jedes der kurzen Bilder stand auf einer besonderen akustischen Fläche, in einer besonderen akustischen Dekoration, zwischen besonderen akustischen "Kulissen", wie man damals so gern sagte: eine Minute Straße mit der ganzen lauten Musik des Leipziger Platzes, eine Minute Demonstrationszug, eine Minute Sportplatz, eine Minute Bahnhofshalle, eine Minute Zug in Fahrt usw. Das Decrescendo, das Abblenden, oder, um ins Akustische zu übersetzen, das Abdämpfen, das Abklingen einer Szene leitet über in das Aufklingen, das Crescendo der nächsten Szene. Eine einfache, typisch primitive Kintopphandlung mit Verfolgungen, mit Irrungen, Wirrungen und all den unbegrenzten Möglichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten, die wir aus den ersten Filmen her kennen, ging durch das Spiel. Warum nicht - für uns handelte es sich ja nur um die Form; füllen sollten und sollen sie andere, nämlich die Herren von der Dichterakademie und ihre Herren Kollegen. Und das Ergebnis dieses ersten, gewiß nicht vollkommenen Versuches? Unser Publikum hat uns mit größter Begeisterung länger als zwei Stunden zugehört.

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Ein Vergleich der beiden 'Inhaltsangaben' bei Braun und Richter läßt darüber hinaus wahrscheinliche Annahmen über die Entwicklung des "akustischen Films" in den Jahren 1926 bis 1928 zu, die sich mit folgenden Titeln skizzieren ließe:

wobei die Sendeorte Berlin, Hamburg, Breslau die Verbreitung dieser "akustischen Filme" und die Titel "Hallo! Hier Welle Erdball" und "Weekend" bereits die thematische Weite dieses Hörspieltyps andeuten.

Während Braun noch ausdrücklich auf eine dem Film für das Hörspiel entlehnte Technik hinweist, hat der Filmemacher Ruttmann augenscheinlich keine Skrupel, Techniken wie die der Montage in verschiedenen Medien anzuwenden und zu erproben. Bezeichnenderweise versucht Richter in seinen Erinnerungen auch gar nicht, die Tonmontage "Weekend" gegenüber dem Film formal-inhaltlich abzugrenzen. Er distanziert sie vielmehr von einem bestimmten Filmtyp, für den "The Jazz Singer" stellvertretend genannt werden, von dem zum Beispiel aber auch Pudowkins "Sturm über Asien" gleichweit entfernt ist. Ja vielleicht kann man sogar soweit gehen und sagen, daß sich für Ruttmann sein "Berlin"-Film und seine Tonmontage "Weekend" ebenso entsprechen und durch das jeweilige Medium dennoch unterscheiden, wie die Collage in der bildenden Kunst von der literarischen Montage.

Diese Selbstverständlichkeit, mit der sich Ruttmann gleichzeitig zwei Medien bewegt, gibt es für Braun noch nicht. Er versucht vielmehr, vergleichbar dem jüngeren von zwei Geschwistern, seine technischen Anleihen in der Abgrenzung, in der Betonung "der größten Unbegrenztheit, wie sie nicht einmal der Film hat", zu verteidigen, ohne zu sehen, daß vergleichbare Techniken in ihrer Anwendung im anderen Medium ihre spezifische, medienbedingte und damit unverwechselbare Ausprägung erfahren.

Auch Rudolf Leonhard versucht in einem Begleittext zu seinem anläßlich eines Preisausschreibens der  Reichsrundfunkgesellschaft" von 1927 vorgelegten und angekauften Hörspiels "Der Wettlauf" eine positive Abgrenzung des Hörspiels vorn Film, indem er behauptet, daß die optische Form des Films diejenige sei, "in die sich Vorgänge und Leidenschaften am schwersten übersetzen" ließen, da sie als Form "die unvariabelste", wohingegen die "akustische die empfindlichste" sei. "Das Ohr ist am leichtesten abzulenken; deshalb und nur deshalb braucht der Film die Begleitmusik, zur Konzentration, nicht zur Illustrierung".

Leonhards Hörspiel ist übrigens ein merkwürdiger Zwitter zwischen "akustischem Film" und dem sich seit 1929 durchsetzenden "Worthörspiel", wenn ich hier eine negativ gemeinte Bezeichnung Knillis wertneutral verwenden darf. Und es wäre sicher aufschlußreich, einmal eine vergleichende Analyse dieses Stückes mit Naoya Uchimuras "Marathon" durchzuführen, dessen Erfolg und Diskussion seit seiner deutschen Erstsendung durch den Südwestfunk und Radio Bremen 1962 rückblickend den "akustischen Film" nicht mehr einfach als "monströses Genre" abtun läßt und Schwitzke ja auch nachträglich gestehen ließ, "daß wir (in Deutschland) den Aussagecharakter des Geräuschs sträflich vernachlässigt hätten und uns anstrengen müßten, nachzuholen".

Wenn ich Leonhards Begleittext recht verstehe, will er für das Hörspiel "Vorgänge und Leidenschaften" in die an der optischen Form gemessen empfindlichere akustische übersetzen. Und eine Untersuchung, wieweit ihm diese Übersetzung (ein neben "Übertragung", "übertragen" für die damalige Hörspieldiskussion bezeichnendes Wort) bei der "Wettlauf" - auch im Vergleich zu "Marathon" - gelungen ist, wäre in mancher Beziehung interessant. Für den augenblicklichen Zusammenhang interessanter ist aber die durch "Vorgänge und Leidenschaften" vorgenommene Differenzierung der Hörspiel-Handlung gegenüber einer "einfachen, typisch primitiven Kintopphandlung mit Verfolgung, mit Irrungen, Wirrungen und all den unbegrenzten Möglichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten, die wir aus den ersten Filmen her kennen" - wie sie Braun für die ersten "akustischen Filme" glaubwürdig und instruktiv beschreibt. Auch hier hätte Ruttmann mit seiner "assoziativen Tonmontage" bei einem offensichtlichen Verzicht auf vordergründige Handlung, auf Handlung in traditionell dramaturgischem Sinne die Entwicklung dieses Hörspieltyps am weitesten vorangetrieben, indem er, überspitzt gesagt, die akustisch aufgeputzte Kintopphandlung, die äußerlich dramatische Sensation durch eine gleichsam nur "akustische Sensation" ersetzt.

Wenn Knilli 1961 schreibt, daß der Hörspielautor sich "aus der Enge des Worthörspiels nur dadurch befreien" könne, "daß er den Schallbereich des herkömmlichen Hörspiels ausweitet und mit den Mitteln und Möglichkeiten der elektronischen Musik genauso experimentiert, wie mit den Mitteln und Möglichkeiten der konkreten Musik" - so deutet der "akustische Film" hier bereits einen Ansatz in dieser Richtung an, zeigt die Tonmontage "Weekend" in der "schöpferisch musikalischen" Behandlung des Tones, in den aus isolierten Tonimpressionen gebildeten Einheiten, eine erstaunliche Nähe des Hörspiels zur konkreten Musik. So gesehen versteht sich mancher interessante Hörspielversuch Ende der 60er Jahre, verstehen sich die "Schallspielstudien" Paul Pörtners zum Beispiel, weniger als Neulandentdeckung, vielmehr als Neuansatz, als Wiederaufnahme unter neuen Gesichtspunkten.

Man könnte, nähe man die bisherigen Beobachtungen, die in den Zitaten sich andeutende Auseinandersetzung mit Raum und Zeit im Hörspiel, die Aufhebung von Raum und Zeit, von der Braun spricht, oder die von Leonhard geforderte paradox aufgelöste Einheit von Ort und Zeit zu "Keinheit des Ortes" und - so ergänze ich - "Keinheit der Zeit" - man könnte, nähme man dies alles zusammen, daraus sicherlich leicht so etwas wie eine Poetik des Hörspieltyps "akustischer Film" ableiten und an ihr seinen Stellenwert zwischen den Hörspielversuchen von 1924/1925 und einem sich seit 1929 etwa durchsetzenden "Worthörspiel" - oder wie immer man es zunächst nennen will - ablesen.

Dabei ist der "akustische Film" in einem von Anfang an großen Interesse der Hörspielautoren an akustischen Zutaten, am Spiel auf der technischen Apparatur ebenso angelegt, wie das "Worthörspiel" in Hughes "Danger", im inneren Monolog von Camilles "Agonie", in Gunolds "Spuk" und in der Entdeckung hörspielgeeigneter literarischer Momente bei den Bearbeitungen nicht nur in Ansätzen bereits vorhanden ist.

Wenn heute immer wieder Brauns halb entschuldigende Einschränkung zitiert wird, im Anfang sei nicht das Wort sondern die Technik gewesen, um dann den Beginn des "eigentlichen" literarischen Hörspiels beziehungsweise den Verrat des "totalen Schallspiels" zugunsten eines "verworteten Hörspiels" mit circa 1929 zu datieren, so ist beides doch recht einseitig um nicht zu sagen unrichtig.

Dies vorausgesetzt, ließe sich dennoch eine sinnvolle Gliederung der ersten sechs Jahre Hörspielgeschichte versuchen. Dann wären die Jahre 1924/1925 eine erste Phase, deren Produktionen wesentlich durch ein Interesse an der Darstellung fingierter oder echter Katastrophen charakterisiert sind, und damit durch den Versuch, den Zuhörer zum scheinbar zufälligen Ohrenzeugen einer Sensation zu machen.

Ging es in dieser Phase auch darum, die - wie Lauterbach betont - "akustischen Illusionsmöglichkeiten" zu erproben und zu demonstrieren, so dient die zweite Phase von 1926 bis 1928 vor allem der konsequenten Erprobung der Materialien und medialen Möglichkeiten.

An die Stelle der fingierten oder echten äußerlichen Sensation tritt in zunehmendem Maße so etwas wie eine primär akustische Sensation, eine "Hörsensation", um hier einen Begriff Heißenbüttels einzuengen auf eine ans Medium gebundene, nur durch das Medium zu vermittelnde und von ihm gelöst und nicht mehr existenten Sensation.

Mit dem Jahre 1929 spätestens beginnt dann eine 3. Phase zunächst durch die Darstellung sich ereigneter sensationeller Begebenheiten in zeitlicher Nähe ihrer Darstellung. Und es entsteht eine Anzahl von - wie man zunächst an der Oberfläche charakterisieren könnte - zeitbezogenen Hörspielen. Zum Beispiel in der modellhaften Behandlung des ersten Weltkriegs, abhörbar an den Stimmen der Soldaten einer "Brigadevermittlung". Oder in der reportagehaften Aufnahme und Bearbeitung eines damals sehr aktuellen Stoffes: der Italia-Katastrophe. Oder in der balladesk-chorischen Interpretation des Lindbergh-Fluges.

Konnte man im Falle von "Danger" davon sprechen, daß Hughes mit seiner fingierten Grubenkatastrophe - gewissermaßen in einem zeitlichen Niemandsland - allgemein auf einen Modellfall menschlichen Verhaltens angesichts einer Gefahr zielt, versuchen die zeitbezogenen Hörspiele wirkliche Vorfälle, Wirklichkeit zu interpretieren. Insofern, wird auch bei ihnen der singuläre Fall, das aktuelle Ereignis zum Modellfall verallgemeinert.

In Ernst Johannsens "Brigadevermittlung" zum Beispiel weitet sich das Geschehen zum Modell des wehrlos Ausgeliefertseins an die unberechenbare, unsinnige und unmenschliche Maschinerie des Krieges.

Konnte man für Fleschs "Versuch einer Rundfunkgroteske" festhalten, daß sie sich auch in die allgemein literarische Szene der Zeit einpassen ließ, so gilt dies, vor allem thematisch, auch für die "Brigadevermittlung", deren Erstsendung bezeichnenderweise in dem Erscheinungsjahr von Erich Maria Rermarques Bestseller "Im Westen nichts Neues" erfolgte. Auch das Hörspiel ist mit über 5o Sendungen in 11 Staaten so etwas wie ein erster internationaler Hörspielbestseller, was um so bemerkenswerter ist, wenn man bedenkt, daß im Anfang der Hörspielgeschichte jede Wiederholung praktisch eine neue Direktsendung war.

Sein internationaler Erfolg wurde sicher auch dadurch begünstigt, daß dies Hörspiel in seiner modellhaften Darstellung so etwas wie ein Antikriegsstück war in einer Zeit, in der die literarische Auseinandersetzung mit dem Kriege einen zweiten Höhepunkt erreichte. In England wurde damals zum Beispiel gerade Robert Cedric Sheriffs "Journey's End" zum großen Theatererfolg, ein Stück, mit dem Johannsens Hörspiel in der englischen Kritik damals sicher zurecht verglichen wurde. Beide wurden übrigens anfänglich vom Funk bzw. vom Theater abgelehnt. Ebenfalls in England wurde 1931 von der "Brigadevermittlung" sogar eine Schallplatte gepreßt, was den Schluß nahelegt, daß man sich schon damals darüber im Klaren gewesen sein muß, daß, wenn schon, dann die Schallplatte die sinnvollste Publikationsform des Hörspiels ist.

Leider besitzen wir von den damaligen Aufführungen der "Brigadevermittlung" in Deutschland keine derartige Aufzeichnung, so daß wir uns auch hier wieder mit einer Neuproduktion begnügen müssen. Immerhin zeigt sie, 13 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, daß das Stück noch ebenso aktuell ist wie bei seiner Erstsendung 11 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg. Verschiedene Druckfassungen und vermutlich auch die einzelnen Produktionen bestätigen dabei Johannsens Auffassung, daß ein Hörspielmanuskript eigentlich so etwas wie eine Partitur sei, eine Auffassung, die gerade in der augenblicklichen Hörspieldiskussion wieder an Aktualität gewonnen hat.

Ich kann den Stellenwert der "Brigadevermittlung" innerhalb der damaligen literarischen Auseinandersetzung mit dem Krieg hier nicht erörtern, möchte aber wenigstens einige Bezüge zu anderen Titeln herstellen. Daß Johannsens Stück gleichsam dem zweiten Höhepunkt dieser Auseinandersetzung zugerechnet werden muß, könnte ein Vergleich mit Fritz von Unruh's "Opfergang" zeigen, der etwa ebenso aufschlußreich ausfallen dürfte als vergleichsweise der zwischen Ludwig Renns und Ernst Jüngers Kriegstagebüchern. In Parenthese: Ein Vergleich zwischen Borcherts "Draußen vor der Tür" und der Neuproduktion der "Brigadevermittlung" (1959) würde auch für die Kriegsliteratur nach 1945 zwei ähnlich unterschiedliche Höhepunkte gegenüberstellen. Die Sachlichkeit, die Remarque in einer Vorbemerkung zu seinem Roman als seine Absicht betont: weder Anklage noch Bekenntnis, sondern Versuch, über eine Generation zu berichten, die vom Krieg zerstört wurde, auch wenn sie seinen Granaten entkam - sie ließe sich mit Abstrichen auch für Johannsens "Brigadevermittlung" geltend machen Ein weder anklagendes noch bekennendes zeitbezogenes Hörspiel, wird in der Neuproduktion über die Erinnerung zweier an den Ort des Geschehens zurückgekehrter Überlebender - Vater und Sohn - auf jetzt zwei Kriege rückgeblendet, und in dieser Doppelung oder Schichtung der Perspektive das Modellhafte umso stärker betont.

Und auf noch etwas möchte ich abschließend hinweisen. Waren es in Hughes "Danger" individuelle Reaktionsprozesse, die im Stimmenspiel angesichts der Gefahr vorgeführt wurden, sind es jetzt bei Johannsen überwiegend kurze und sehr kurze Dialogsequenzen, ja Dialogfragmente, die einsetzen und abbrechen, stimmlich um eine Brigadevermittlung gruppiert oder als Stimme über den Klappenschrank herangeholt oder nicht mehr erreichbar. Der Unterstand, in dem sich die Brigadevermittlung befindet, und auf den hin sich das Geschehen im Näherkommen der Front bis zur Einblendung französisch sprechender Stimmen am Schluß bewegt, wird gleichzeitig über den "Klappenschrank" in den umfassenderen, allgemeinen Raum der Schlacht, des Krieges einbezogen. Diese Möglichkeit der ständigen Raumerweiterung und Raumverengung, läßt, mit wenigen individuellen Tupfern vor allem bei "Madame Behnke", eine Individualisierung der Stimmen nicht zu, deren Träger, fast so anonym wie die französisch sprechenden Stimmen am Schluß, entsprechend in den verschiedenen Fassungen auch ihre Namen wechseln.

WDR III, 2.4.1970