Reinhard Döhl | zu Dieter Kühn "Sprachregelung" ["Feuerengel", "Reduktionen" - Rainer Pucherts "Das Appartementhaus", Erasmus Schöfers "Der Pikadon" und Paul Wührs "Wer kann mir sagen, wer Sheila ist?"]

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Eine Verkürzung auf die Idealtypen eines traditionellen "Hörspiels der Innerlichkeit" und eines "Neuen Hörspiels", des "Hörspiels der 50er Jahre" und eines "Sprechspiels seit 1965" haben die sechziger Jahre ein wenig aus dem Blickfeld der Hörspieldiskussion und -geschichtsschreibung gerückt. Daß dies zu Unrecht geschah, hoffen wir mit unserer bisherigen Bestandsaufnahme deutlich gemacht zu haben. Eine kurze Zusammenfassung sei deshalb vorangestellt.

1. Die hörspielgeschichtliche Bedeutung der 60er Jahre ist u.a. dadurch gegeben, daß in ihnen ein bestimmter Hörspieltyp stagniert, bzw. in die Krise gerät. Es ist dies auch gelegentlich ein sogenanntes "Hörspiel der Innerlichkeit", das sich zunehmend dem Vorwurf der Esoterik ausgesetzt sieht.

2. Symptome für Stagnation und Krise sind das Schweigen zahlreicher Autoren, die Mitte/Ende der 50er Jahre noch die Rundfunkanstalten mit ihren Spielen existentieller Wahrheitssuche belieferten, sowie eine Anfang der 60er Jahre umfängliche historische Aufarbeitung des bisher Geleisteten, die sich - Schule machend - wesentlich an einer theoretischen Verkürzung auf das Kolbsche Hörspielmodell orientierte.

3. Hörspielstagnation und Krise lassen sich modellhaft sichtbar machen an zwei Spielen, die gleichsam janusartig rückgebunden sind in die Hörspieltradition und zugleich vorausweisen auf eine Entwicklung zu offenen Spielformen. Es sind dies die Hörspiele "Miserere" von Peter Hirche (1965) und "Man bittet zu läuten" von Günter Eich (1964). War Hirches Ansatz dabei vor allem formaler Natur, bestand er wesentlich im formalen Aufbrechen einer unglaubwürdig gewordenen Hörspielform und -struktur, so zielte Eich auf Inhaltliches. War Hirche dabei, was die Zukunft des Hörspiels betraf, durchaus unsicher - nicht von ungefähr wählte er für seine Prognose "Was müßte geschehen, wenn das Hörspiel eine Zukunft haben soll?" Konjunktiv und Fragesatz - , hatte Eich durchaus ein Programm. Seine viel zu wenig beachtete Büchner-Preis-Rede brachte es 1959 auf die Formel:

Zitat:

In das Nichts der gelenkten Sprache ein Wort (...) setzen.

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Und die Eichschen Hörspielumschriften versuchten es durch die Erfindung "künstlicher" Sprachen in "Blick auf Venedig" und "Meine sieben jungen Freunde" 1960 in die Tat umzusetzen.

4. Autoren, deren Hörspielarbeiten wesentlich in die 60er Jahre fallen, erweitern das Themenspektrum, Dieter Wellershoff mit seinen immer stärker psychologischen Ambitionen ebenso wie Christa Reinig durch die autobiographischen Elemente in ihren Spielen.

5. Als der Süddeutsche Rundfunk von April bis September 1968 in einer "Anthologie neuer Hörspiele aus Frankreich" 14 Hörspiele aus dem Umkreis des "Nouveau Roman" sendete, war dies nicht nur stolze Bilanz einer langjährigen Arbeit, sondern zugleich Dokumentation einer veränderten Hörspiellandschaft, in der mit einiger Verspätung auch andere wichtige Hörspielleistungen des Auslands endlich den deutschen Hörern bekannt gemacht wurden, André Almuros "Nadja Etoile" zehn Jahre, Naoya Uchimuras "Marathon" vier Jahre nach ihrer französischen bzw. japanischen Erstsendung.

6. (und damit können wir zugleich zu unserer heutigen Lektion überleiten) findet Anfang der 60er Jahre beim Westdeutschen Rundfunk eine Neuorientierung der Hörspieldramaturgie statt. Nicht mehr vom Hörspielangebot des NDR (NWDR) abhängig, wurde die Dramen-Produktion für die "Klassische Bühne" eingeschränkt und mit dem Aufbau einer eigenständigen Hörspielarbeit begonnen.

Voraussetzung dabei war die Suche nach jungen Mitarbeitern und Autoren, zumal die schon bekannten - soweit sie noch Hörspiele schrieben - zumeist an andere Sender gebunden waren. Zu den jungen Autoren, die in diesen Jahren von der Kölner Dramaturgie entdeckt und gefördert wurden, gehören u.a. Dieter Kühn, Rainer Puchert, Paul Wühr und Erasmus Schöfer, vier Namen, die zugleich für eine formale und inhaltliche Breite dieser Versuche stehen. Ihnen gesellen sich an anderen Sendeanstalten, vor allem dem Saarländischen Rundfunk, weitere junge Schriftsteller hinzu.

Ein Blick auf die Geburtsdaten - Paul Wühr 1927, Erasmus Schöfer 1931, Rainer Puchert 1934 und Dieter Kühn 1935 - signalisiert, daß es sich hier wirklich um junge Autoren handelte, die sich zu einer Zeit, als dem Rundfunk und auch dem Hörspiel durch das Fernsehen eine Hörer-entfremdende Konkurrenz erwachsen war, zur Mitarbeit am Rundfunk, am Hörspiel entschieden.

Eine damals noch die Hörspielarbeit kritisch referierende Presse nahm diesen Hörspielneuansatz mit jungen Autoren positiv zur Kenntnis und notierte 1961:

Zitat:

Die vom Sender angekündigten Hörspiele lassen erkennen, daß der Westdeutsche Rundfunk es sich angelegen sein läßt, das moderne Hörspielschaffen zu pflegen. Man findet erfreulich viele junge Autoren, und vielleicht ist diese Vielseitigkeit die Methode, um langsam aber sicher dem Hörfunk eine erstklassige Mannschaft von Hörspieldichtern zu schaffen.

Autor

(Politisch-Soziale Korrespondenz). Und ein Jahr spter:

Zitat:

Aus manchen Anzeichen könnte man schließen, daß der WDR sich anschickt, die Bedeutung des alten Hörfunks neben dem effektvolleren Fernsehen neu einzuschätzen. Am entschiedensten geht das Hörspiel seinen Weg. In seinem Programm, das an Raum gewonnen hat, treffen sich junge Autoren mit Versuchen, neue Inhalte und Formen zu finden. Dabei wird beim einzelnen Autor (...) wie im Gesamtprogramm eine klare Richtung des Suchens erkennbar.

Autor

(Das neue Rheinland). Bezeichnend für die in den 60er Jahren auch geografische Verlagerung der Hörspielarbeit ist das Editionsschicksal des "Hörspielbuches".

1950 ist es - vom Süddeutschen Rundfunk herausgegeben - erstmalig erschienen. 1953 bis 1955 zeichnen Süddeutscher und Nordwestdeutscher Rundfunk, 1956 Süddeutscher und Norddeutscher Rundfunk gemeinsam als Herausgeber, 1957 nur noch der Süddeutsche Rundfunk. Von 1958 bis 1960 wird das "Hörspielbuch" gemeinsam vom Süddeutschen und Westdeutschen Rundfunk herausgegeben, 1961 wiederum nur noch vom Süddeutschen Rundfunk. 1965 firmiert der Süddeutsche Rundfunk dann noch einmal als Herausgeber von einzelnen Hörspieltexten (u.a. der Nouveau Romanciers Nathalie Saurrate und Michel Butor), während das Hörspielbuch seit 1962 als hauseigenes Publikationsforum, als "wdr Hörspielbuch" seine Wiederbelebung erfährt und es bis 1971 auf insgesamt 9 Bände bringt, die die Hörspielarbeit mit den "Jungen Autoren" ihre "Versuche, neue Inhalte und Formen zu finden" recht instruktiv belegen.

Wenn wir uns hier auf die vier schon genannten Namen beschränken dürfen, sind bereits im ersten Hörspielbuch Dieter Kühn mit "Der Feuerengel" und Rainer Puchert mit "Das Appartementhaus" vertreten. 1963 veröffentlicht das "wdr Hörspielbuch" mit Dieter Kühns "Reduktionen" eine Vorform der "Sprachregelung" und 1964 mit "Der Pikadon" und "Wer kann mir sagen, wer Sheila ist?" die ersten Hörspieltexte von Erasmus Schöfer und Paul Wühr.

Die genannten fünf Titel sind durchaus hinreichend, Hörspielansätze junger Autoren zu Beginn der 60er Jahre zu charakterisieren, ihre Ansätze hörspielgeschichtlich einzuordnen.

Eines der vielgespielten Hörspiele der 50er Jahre war und ist Max Frisch's "Herr Biedermann und die Brandstifter", 1953, gelobt als "großartigste Parabel über den Untergang des Bürgertums an seiner falschen Moral" (Hörspielführer).

Dieter Kühns "Feuerengel" von 1962 ist eine gelungene Variation dieses populären Hörspiels, vielleicht sogar - bei Kühn durchaus denkbar - Reaktion auf dieses Hörspiel. Aggressiver als Frisch, führt Kühn modellhaft (also nicht in Parabelform) das Verhalten einer Stadtgesellschaft vor, der es im Grunde genommen gleichgültig, ja sogar eine angenehme Sensation ist, daß ein "Feuerengel" ein Kulturdenkmal nach dem anderen einäschert. Erst als dieser "Feuerengel" einsieht, daß er auf diese Weise sein Ziel, die Menschen für die bisher uneingelösten Ideale der französischen Revolution, "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit", zu gewinnen, nicht erreicht, und dazu übergehen will, die Energieversorgung lahmzulegen, reagiert die Gesellschaft, erklärt den "Feuerengel" zum "Feuerteufel" und macht ihn unschädlich.

Einspielung:

Feuerengel: (resignierend) So ist das also. Alles umsonst. Alles umsonst. (zornig) Gut. Dann werde ich eben anzünden müssen, was euch wirklich trifft! Damit ihr endlich auf mich hört. Damit ihr mich endlich ernst nehmt. Die Post. Das Gaswerk. Den Pyrex-Konzern. Das Elektrizitätswerk. Das wird euch endlich treffen.
Masser: Halt! Hiergeblieben!
Feuerengel: Sie haben mir nichts zu befehlen.
Masser: Hier kommen Sie nicht raus.
Feuerengel: Lassen Sie mich gehen.
Jungzorn: Hier geblieben!
Feuerengel: Lassen Sie mich los!
Jungzorn: Nein.
Masser: Jetzt haben Sie sich verrechnet. Die Museen abbrennen, das hat keinem wehgetan. Aber die Energieversorgung lahmlegen - da hat der Spaß ein Ende. Wie sollen wir da arbeiten? Wir lassen uns doch von Ihnen nicht ruinieren.
Feuerengel: Loslassen!
Masser: Halten Sie ihn fest. (Telefonnummern werden gewählt) Sollen die bloß behaupten, wir lieben nur das Chaos. - Meyer I, III, VII sofort antreten mit Blitzlicht.
Feuerengel: Lassen Sie mich sofort los!
Masser: Halts Maul! (Telefonnummern werden gewählt) Kriminalkommissar Hammer? Hier Masser. Es gelang mir, den Täter dingfest zu machen. - Ja, Sie hören richtig. Wir haben ihn, den Feuerteufel.

Autor:

Aber nicht nur die radikalere Position gegenüber Frisch"s "Biedermann" ist auffallend. Bemerkenswert ist auch die Sicherheit, mit der Kühn hier das "triviale" Genre des Kriminalhörspiels nutzt, um - im Sinne Dürrenmatts - Kunst da zu machen, wo sie niemand erwartet.

Man hat für die umfängliche Hörspielproduktion Kühns versucht, zwischen den eigentlichen, ernst zu nehmenden Hörspielen, Bearbeitungen eigener und fremder Vorlagen, Mundarthörspielen und "einer Reihe lediglich Unterhaltungsbedürfnisse des Hörers ansprechender Gelegenheitsarbeiten" (Schachtsiek-Freitag) zu unterscheiden. "Der Feuerengel" deutet dagegen an, daß eine solche Trennung bei Kühn kaum gerechtfertigt ist. Es läßt vielmehr als Intention vermuten, daß jedes Genre im Grunde genommen spielerisches Mittel zum literarischen Zweck sein kann.

Ähnlich wie "Der Feuerengel" läßt sich auch Erasmus Schöfers "Der Pikadon" in eine größere inhaltliche Tradition stellen, eine Reihe von Hörspielen, die sich direkt oder indirekt mit dem Bombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki beschäftigen. Und auch hier scheint uns die Position gegenüber den früheren Hörspielversuchen seit Oskar Wessels "Hiroshima" von 1949 stringenter. Zwar wählt auch Schöfer zur Demonstration dessen, auf was es ihm ankommt, ein Einzelschicksal. Ein junger amerikanischer Arzt wird von einem Japaner umgebracht, den er gebeten hatte, die Leiche der am Strahlentod gestorbenen Pflegetochter obduzieren zu dürfen. Aber nicht um Schuld und Unschuld, um ethische oder juristische Einsichten geht es eigentlich, sondern um die Unmöglichkeit,

Zitat:

das Unfaßbare in faßbare Dimensionen zu bringen. Es gibt Vorgänge im Leben eines Menschen - und zu diesen Vorgängen gehört (...) die Bombe in Hiroshima - die eine der heilsamsten menschlichen Eigenschaften, das Vergessenkönnen, auslöschen. Das nachfolgende Leben ist so geprägt von diesen Vorgängen, daß alle weiteren Lebensäußerungen darauf bezogen werden müssen. Es geht (...) um die vage Möglichkeit des Menschen zur Selbstverwirklichung und zum Selbstverständnis nach einem Ereignis, das dieses Selbstverständnis aufzuheben droht.

Einspielung:

Kenji: Woran denkst du, Toshio?
Toshio: Yasukos Gesicht, als sie starb -
Kenji: Du redest von ihr und du redest nicht von ihr! Toshio - ist es wahr - die Strahlenkrankheit - du? Du hast sie auch?
Toshio: Ich war im Pikadon.
Kenji: Das ist es also! Yasukos Ende, das ist dein Ende.
Toshio: Auf dieser Brandstelle wächst nichts mehr. Ich mußte schweigen. Ich kann den Tod nicht noch einmal Woche für Woche und Monat für Monat schlucken wie ein tägliches Gift. Ich will nicht verenden!
Kenji: Und alles hast du deshalb getan?
Toshio: Alles kommt von dem Tag, der Hiroshimas Ende war.
Kenji: Vielleicht kann ich dir in diesen Wochen noch helfen, irgendwie?
Toshio: Du hast mir schon geholfen, glaube ich. Zu dir konnte ich reden. Du hast einfach nur zugehört. Das hat manches verändert.
Kenji: War nicht immer leicht, für so einen wie mich.

Autor:

Schöfers bereits dem "Pikadon" abhörbares zeitkritisches Engagement konkretisiert sich in den Folgejahren auf Näherliegendes, vor allem greift Schöfer - der Mitglied im "Werkkreis Literatur der Arbeitswelt" ist - zunehmend auf Themen aus der Industrie- und Arbeitswelt, die er "Funkstück aus dem westdeutschen Wirtschaftsleben" ("Kollegin Zander greift ein", 1973) bzw. "Funkstück nach der Wirklichkeit" nennt ("Machen wir heute, was morgen erst schön wird", 1974/1975), derart schon in der Bezeichnung seinen realistisch-kritischen Anspruch signalisierend.

Von ganz anderer Art ist Paul Wührs 1964 erstgesendetes Hörspiel "Wer kann mir sagen, wer Sheila ist?" Gerühmt wegen der "brillanten Dialektik", in der hier "die Hörspielimmanente Möglichkeit des fast abstrakten Dialoges" (Schöning) genutzt wird, spielt das Hörspiel Fiktion und Wirklichkeit gegeneinander aus, führt eine fiktional vorgegebene Eifersuchtsgeschichte in der Realität zu Mord und Totschlag.

Einspielung:

Sheila: (erregt) Gilbert, hier ist Sheila!
Vor einer Stunde habe ich schon einmal angerufen.
Komm sofort zu mir! Ich bitte dich! Hilf mir!
Es ist etwas Schreckliches geschehen.
Du bist doch Anwalt! Du wirst vielleicht eine Möglichkeit sehen ..... Aber das ist es nicht allein:
Ich brauche dich! -
Man hat mir gesagt, daß du lange Zeit im Ausland warst. Nach zwei Jahren Trennung rufe ich dich an und du bist da! Gilbert, wie gut.
Ich bin dir so dankbar, daß du wieder in meiner Nähe bist. Komm zu mir! Ich halte es nicht mehr aus.
Ich will es dir erklären. Nicht jetzt. Komm! -
Ist das wahr? Du hast mich nicht vergessen?
Dann komm! Komm! Sie reden auf mich ein! Ich höre sie!
Ich bin am Ende. Sie sind alle in mein Haus gekommen.
Jetzt liegen sie hier. Ich bin ganz allein mit ihnen, mit Eustace und Soulot. Nein, du kennst ihn nicht. - Wenn ich sie ansehe, wenn ich die zwei ansehe, dann weiß ich nicht mehr, was ich getan habe. Ich erinnere mich nicht mehr, auch Simone und Henri sind hier. Hillar ist gekommen. Sie sind alle da. Nein! Es gibt sie nicht. Auch Jean-Louis gibt es nicht. Aber sie reden. Ich höre sie.
Mit meinen Worten reden sie. Du mußt herkommen, Gilbert. Ich erwarte von dir, daß du mitsprichst. Wenn du in mein Haus kommst, dann werde ich mich beruhigen. Du wirst mich fragen. Ich werde antworten. Wir müssen alles besprchen. Ich werde ruhig sein, das verspreche ich dir.

Autor:

Hörspielgeschichtlich muß man dieses Stück Paul Wührs wohl schon in die Nähe der Hörspiele Claude Olliers rücken, in dessen "Verwandlung" der Erzähler sich aus der Ich-Perspektive löst, um sich mit den von ihm erfundenen Personen zu identifizieren. Bis schließlich innerhalb des fiktiven Falles der Erzähler als der wahre Schuldige erscheint. Denken ließe sich auch an "Der Tod des Helden", einen Dialog zwischen Lektor A und Autor B, in dem die Konsequenzen des aus der Literatur verschwundenen Helden durchgespielt werden.

Entsprechend der Auffassung, daß an einem bestimmten Punkt der literarischen Entwicklung Hauptperson des Romans, Autor und Leser zusammenfallen, wird im Hörspiel nach einem am Lektor inszenierten Mord auch am Autor das Todesurteil vollstreckt. "Der Tod des Helden" demonstriert aber zugleich auch den Abstand zwischen Ollier und Wühr. Denn was bei Ollier trickreich inszenierte Literaturtheorie ist, bleibt bei Wühr kunstvolles Spiel mit zwei Ebenen in einer Tradition, die Günter Eich in die Hörspielgeschichte eingebracht hat, von dem sich Wühr allerdings durch die Handhabung des abstrakten Dialoges deutlich unterscheidet.

"Im Dialog", vermutete Wühr 1964 in einer Vorbemerkung -

Zitat:

"Im Dialog werden alle Möglichkeiten erschöpft: Er ist selbst Ausdruck des Unmöglichen. Die Partner des fragenden Menschen erweisen sich als nicht zuständig. Der Dialog mündet ins Offene und verstummt."

Autor

Wieweit eine solche Einschätzung des Dialogs Konsequenzen für die weiteren Hörspiele Paul Wührs hatte, vor allem für die Original-Ton-Montage "Preislied", wäre sicherlich eine gesonderte Untersuchung wert, muß aber in unserem Zusammenhang unberücksichtigt bleiben.

Neben Schöfer und Wühr sind es vor allem Rainer Puchert und Dieter Kühn, die das Hörspielprogramm, das Gesicht des WDR-Hörspiels Mitte der 60er Jahre geprägt haben.

Einspielung:

Ich kann mich da nur teilen, [...], ich kann mich da nur teilen zwischen Kühn und zwischen Puchert. Und beide sind so'n bißchen Antipoden für mich -

Autor

antwortete Friedhelm Ortmann, 1960 bis 1968 Leiter der Hörspielabteilung, vor einiger Zeit auf die Frage, welchen seiner "jungen Autoren" er rückblickend für seine Arbeit und Ziele das größte Gewicht beimesse.

Einspielung:

An Kühn hat mich immer sehr fasziniert seine klare, kühle, zielende Diktion. Das fand ich immer sehr schön. Manchmal dachte ich auch, o Gott, es fehlt mir eigentlich ein bißchen was Poetisches. Er hat mal ein Stück geschrieben, was wir nicht gemacht haben, wo eine Szene drin war, die einen für ihn ganz, für mich von ihm ganz neuen Ton hatte.

Auf dem Draht ist er nicht weiter gegangen. Und wenn man seine Romane heute liest, die sind ja auch von dieser gezielten kühlen Sprache, die ja auch mit ironischen Lichtern drauf und so was alles...

Bei Puchert ist es eigentlich ein bißchen was Chaotisches, was mich immer wieder fasziniert. Wenn ich daran denke, daß sein erstes Hörspiel, was wir produzierten, war "Das Appartementhaus", wo also eine Fülle von Szenenfetzen darstellen sollten ein Hochhaus, indem also Leute wohnen, [wenn ich mir die Kästen heute ansehe, dann muß ich sagen, "Das Appartementhaus" war damals verhältnismäßig klein noch. Aber] wo also unter Verzicht auf eine gewisse dramaturgische Logik, oder wie man so was nennen will, einfach so eine Szenenwucherung mehr hingesetzt wurde und wo es damals hieß, das versteht doch kein Mensch, mittlerweile, und da ist das, wo ich sage, das hat sich dann doch erwiesen, daß diese Dinge etwas entwickelt haben. Für unsere Hörer heute sind, glaube ich, derartige Hörspiele längst also, na, Gebrauchsware oder so was, ich weiß nicht.

Einspielung:

(Schrilles Gerassel eines Weckers)
Ein Mann: (gähnt lange) Mistjob, verdammter! (gähnt) und ich hab grad so schön geträumt
(Raumwechsel)
(Ein Radioapparat brummt; Zeitzeichen dringt langsam heran; dann die Stimme des Nachrichtensprechers: "Mit dem letzten Ton des Zeitzeichens war es sieben Uhr.
Sie hören Nachrichten. - Die weltpolitischen Spannungen haben sich weiter verschärft....")
(darüber)
1. Sprecher: Ein Vorhang wird aufgezogen. Staubwolken tanzen in einem Sonnenstrahl. Auf einem zerknautschten Bettuch liegt eine aufgerissene Zigarettenschachtel. Gähnend kratzt sich ein Mädchen den Kopf....
Ein Mädchen: Sieh einer an - die Sonne scheint! Herrjeh! Die Strümpfe hab ich gestern wieder nicht ausgewaschen! Was soll ich jetzt boß anziehen ....?
(Harter Raumwechsel; Wassergeräusch)
Eine junge Frau: (währenddessen) Wann kann ich denn nun endlich ins Bad?! (Ein Baby schreit) Du sollst still sein, hab ich gesagt! Ich koch dir schon deinen Brei! - Herrgott, du kostest mich Nerven!!
1. Sprecher: Balkontüren öffnen sich. Bettzeug wird über die Brüstungen gehängt. Wasserleitungen rauschen. Teller klappern.
(Nachrichtensprecher: .... "in Anbetracht der kritischen Lage das Parlament zu einer Sondersitzung einberufen. In unterrichteten Kreisen vermutet man....")
Ein Mann: Ach, mein Kopf, mein Kopf! Das verfluchte Bier. Jedesmal dasselbe. Hab ich nicht noch irgendwo eine Tablette? (Ein Telefon klingelt) Hallo...? Morgen!
Wie geht's? - Was? Jaja, die Nachrichten hab ich grad gehört! - Abwarten und Tee trinken....
(Harter Raumwechsel; ein amerikanischer Schlager setzt lärmend ein; fällt in den Hintergrund; jemand putzt sich die Zähne)
Ein junger Mann: (gurgelt) Hoffentlich haben sie den Wagen schon fertig! Wenigstens das Gröbste ausgebeult! (gurgelt) Bei dem Wetter ohne Wagen, das wär 'ne schöne Pleite!
(Raumwechsel; Stille, eine alte Uhr tickt)
Ein Greis: (pfeift lockend) Na, Hansi, sing doch ein bißchen! (pfeift wieder) Was ist denn seit ein paar Tagen mit dir los, Hansi? Früher hast du immer schon um sechs angefangen zu singen.... Bist du vielleicht krank? Du sitzt ja so traurig in deinem Käfig.... Sing doch wieder, Hansi! Sing! (pfeift wieder)
(Raumwechsel; Kaffeetassen)
Eine Frau: (ruft) Fritz! Der Kaffee ist fertig!
(Raumwechsel; ein Schlager)
Ein Mädchen: Richtig kalt ist's, wenn man aufsteht und so allein ist ..... (langsam ausblenden).

Autor

Die Zustimmung von Hörer und Presse war nahezu einhellig, sowohl für die von Puchert gewählte Form der gereihten "Momentaufnahmen", wie für die Regie Friedhelm Ortmanns, der man attestierte, den "Steinchen dieses Mosaiks möglichst viel realistische Farben" gegeben zu haben, wie für die Musik:

Zitat:

Die winzigen Szenen haben nichts Außergewöhnliches. Aber das Mosaik, das Puchert aus ihnen errichtet, vermittelt einen sehr plastischen Eindruck vom Leben der Großstadt, aus deren Betriebsamkeit alles Menschliche verbannt zu sein scheint (....) Die Musikmontagen, die hier zum wesentlichen Bestandteil des Hörspiels werden, schuf Enno Dugend.

Autor

Wie sehr es gelang, dieser Technik der addierten Momentaufnahmen auch in der Folgezeit Spiel- und Variationsmöglichkeiten abzugewinnen, das formal-spielerische Spektrum der Puchertschen Hörspiele hat Klaus Schöning 1967 nachgezeichnet

Zitat:

von den akustischen Collagen "Das Appartementhaus" und "Portrait einer Flaute" über die in Sprach- und Assoziationspartikel aufgelösten inneren Monologe, etwa in "Der Schaukelstuhl" und "Stiche", dem Sprach- und Geräuschexperiment "Stumpf" zu der von der Kritik wegen der gewagt-gewollten Sprachvergewaltigung unterschiedlich aufgenommenen Travestie "Der große Zybilek".

Autor

In der Technik der addierten Momentaufnahme liegt die besondere Leistung des Puchertschen Hörspiels. Hier hat Puchert von seinem Interesse am Film, von dessen Schnitttechnik profitiert. Das Sujet, die Idee, ein größeres Mietshaus zum Gegenstand eines Hörspiels zu machen, ist dagegen weder neu noch originell. Mit "Nachtgespräche" (1951) und "Ein Haus hat viele Türen" (1959) hatte in den 50er Jahren schon Christian Bock zwei vergleichbare Vertikalschnittstücke vorgelegt. Interessanter noch als sie sind aber zwei Mietshausstücke des Weimarer Rundfunks, vor allem Georg Pijets sozialkritisches Stück "Die Mietskaserne", das seinerzeit keine Rundfunkanstalt senden mochte und das auch heute noch seiner westdeutschen Erstaufführung harrt. Immerhin ist in den letzten Jahren mehrfach auf die hörspielgeschichtliche Bedeutung dieses Stückes hingewiesen worden, hat der Saarländische Rundfunk eine Sendung wenigstens in der ostdeutschen Produktion gewagt. Völlig in Vergessenheit geraten ist ein anderes, vor 1933 mehrfach gesendetes Mietshausstück von O(tto) A(lfred) Palitzsch, einem Mitglied des rundfunkgeschichtlich inzwischen Legende gewordenen Hamburger "Kreises der Zwölf". Auch der Westdeutsche Rundfunk sendete Palitzsch "Etagenhaus" (so der Titel) unter der Leitung von Rudolf Rieth mit einer Musik von Gustav Kneip am 13.6.1929 und kündigte diese Sendung ausführlich in der Programmzeitschrift "Werag" an:

Zitat:

Die Sendebühne des Westdeutschen Rundfunks tritt am Donnerstag, den 13. Juni mit einem neuen Hörspiel: "Etagenhaus" von O.A. Palitzsch auf den Plan. Der Verfasser, ein Hamburger (neuderdings in Berlin lebender) Journalist und Dramendichter kam u.a. vor drei Jahren mit seiner Komödie: "Kurve links" im Kölner Schauspielhaus zur erfolgreichen Uraufführung. Palitzsch macht in seinem "Etagenhaus" den Versuch, über die Problematik der Anfänge des betont hörmäßig empfundenen und konzipierten dramatischen Werks vorzustoßen in die Bezirke des reinen Hör-Spiels. Wieweit dies dem Verfasser gelungen ist, möge der Hörer selbst entscheiden. Dem Funkregisseur bietet das Werk eine Fülle akustischer und sprachlich bedeutsamer Möglichkeiten. Die Handlung baut sich auf einer originellen Idee auf und fesselt durch ihre Dynamik und den spannungsvollen Ablauf.

Dem in seiner Arbeit wenig glückhaften, den Erfordernissen einer mechanisierten, Tempo und Sachlichkeit heischenden Zeit keineswegs gewachsenen Schriftsteller Wilhelm Tänzer gibt der findige Redakteur eines Nachtblattes den dringenden Rat, sich auf den Zeitgeschmack umzustellen, aller "Stimmungsmalerei" abzuschwören und knapp und sachlich sich zu fassen. Nur dann sei sein schriftstellerisches Wirken erfolggekrönt. Den schwankend Gewordenen überredet auf der Straße ein Bekannter, auf die einfachste und interessanteste Weise zeitgemäßen Stoff für fulminante Feuilletons sich zu beschaffen: "Wenn ich Sie wäre, ich würde mich als Bettler verkleiden und dann s o ein Etagenhaus abklappern, von Parterre bis zum vierten Stock. Und dann würde ich mal aufschreiben, was ich gesehen und gehört habe". - Solches geschieht. Tänzer zieht einen fadenscheinigen Rock an, stülpt sich den alten Kalabreser des Seligen seiner Zimmerwirtin auf und begibt sich auf den Weg. Er sucht ein beliebiges Etagenhaus auf: Laubenstraße 11, eine Kaserne des täglichen Lebens.

In diesem Hause wohnen - neben noch einigen alltäglichen Personen - der Kaufmann Krause, der Bücherrevisor Nebelmann, der Dr. med. Johannsen, der Rentner Matz, die Witwe Siebke und der Komponist Morrison. Das Hörspiel gibt nun einen Aufriß durch die verschiedenen Etagen des Hauses, zeigt die Lebensgewohnheiten und Schicksale seiner Insassen auf. Weiter sei - den Inhalt des Spiels betreffend - hier nichts verraten.

Ergo: Höre! lieber Leser.

Autor

Nähme man noch die Treppenhausstimmen aus Hermann Kessers "Straßenmann" hinzu, wäre der Zusammenhang in etwa angedeutet, in den Pucherts "Appartementhaus" einzuordnen, vor dem es zu hören wäre.

Ähnlich wichtig, wie Pucherts "Appartementhaus", von vergleichbarem Gewicht für die junge Kölner Hörspieldramaturgie war das ein Jahr später gesendete Hörspiel Reduktionen" Dieter Kühns, die Geschichte eines Mannes, dem von einer totalitären Macht gewissermaßen Wort für Wort die Sprache verboten wird, bis ihm schließlich nur noch das eine Wort "Ja" erlaubt ist.

Einspielung:

... Ja, es gibt tausend. Möglichkeiten der Tarnung. Und mit dieser Tarnung werde ich sie alle überleben, die Oberste Führung, dieses Komitee, die Kommission - ich muß sie überleben, denn ich will sehen, wie sie an ihrer eigenen Übertreibung zugrunde gehen. Dann wird sich zeigen, daß wir, die Versteckten, die Flüsternden, die eigentlich Stärkeren sind -
(Die Türe wird aufgerissen)
F: Los, raus da! Raus!
(Schritte kommen n"her)
E: Ja, ich -
F: Du denkst wohl, du kannst hier noch tun, was du willst, wie? Das ist jetzt aus. Raus hier, los!
E: Ich kann hier doch wohl -
F: Es gibt von jetzt an nur noch ein Wort für dich, und das heißt JA. - Nehmt den Kerl fest!

Autor

Dieser Konflikt Macht-Sprache, von Günter Eich in seiner Büchner-Preis-Rede 1959 zum ersten Mal radikal diskutiert, wird von dem eine Generation jüngeren Dieter Kühn vier Jahre später in "vereinfachender Gradlinigkeit" zum bitteren Ende durchgespielt. Fluchträume, auch die der sprachlichen Tarnung, will er seiner Spielfigur nicht mehr zugestehen.

Zitat:

Hanskarl Zeiser inszenierte die ohne Zweifel erregende Zwiesprache mit Hansjörg Felmy und Peter Lühr so schonungslos und konzessionslos, daß einem das anfänglich aufkommende Lachen über die Ausweichversuche des bedrängten Normalbürgers in eine sprachliche "innere Emigration" bald verging.

Autor:

Was "Kirche und Rundfunk" lobten, die Mischung von Sprach-Spiel in einem wörtlichen Sinne und Tendenz, war anderen Kritikern dagegen noch nicht recht faßbar. So jedenfalls ließe sich die Hilflosigkeit erklären, die sich in mancher Pressestimme indirekt spiegelt, wenn die "Ruhr-Nachrichten" zum Beispiel das Hörspiel als "aufdringlich belehrend" und "reichlich konstruiert" abqualifizieren, wenn die "Rheinische Post" von einem "absurden Experiment" spricht, dessen "Schlußblitz" mit "fünfundsiebzig Minuten Geduld (...) zu teuer bezahlt" sei. Immerhin spricht dieselbe Zeitung auch vom "kühnen Wort-Experiment" und "Die Zeit" mischt Lob und Kritik:

Zitat:

In diesem Hörspiel, bei dem es um Wörter geht und nicht um Worte, hätte man besonders darauf achten sollen, daß die Begriffe klar bleiben. Anscheinend haben weder der Autor noch die Leute beim Funk gemerkt, daß immer wieder Worte gesagt wird, wo Wörter gemeint sind. / Ein Fehler war, daß große Längen im Text blieben. Sie wegzuschneiden, wäre keine Reduktion gewesen, sondern hätte diese sonst ausgezeichnete Sendung erheblich verbessert.

Autor

Kühn ist dieser Anregung der "Zeit" nicht gefolgt, hat allerdings sieben Jahre später das Hörspiel neu gefaßt, weil sich ihm der Vorgang einer Sprachreduktion bis zum gehorsamen "Ja" jetzt als zu simpel darstellte. Eine intensivere Auseinandersetzung mit "der Realität der Sprachregelung etwa im Dritten Reich" bestätigte zum einen,

Zitat:

daß in einem totalitären Staat Wörter verfehmt, liquidiert werden; andererseits zeigte sich, daß zugleich Wörter hervorgehoben und gefeiert werden. Dieses war der Ansatz für das neue Hörspiel, das konsequent einen anderen Titel erhielt.

Autor

Aus "Sprachreduktion" wurde "Sprachregelung". Dieter Kühn hat in dem Hörspielsammelband "Goldberg-Variationen" (1976) nicht nur den neuen Hörspieltext abgedruckt, sondern in einem Nachwort auch zahlreiche Materialien zu seiner Neufassung mitgeteilt, ausführlich über Gründe und Hintergründe seiner Neufassung berichtet, so daß wir uns hier eine Wiederholung sparen können.

Ein paar ergänzende Hinweise sind aber dennoch nützlich. Kühns Neufassung der "Sprachreduktion" als "Sprachregelung" rückt das Hörspiel noch stärker in Richtung der Eichschen Büchner-Preis-Rede, in der ja wiederholt von "Sprachregelung" und "Sprachlenkung" die Rede ist. Zu dem von Eich in Darmstadt allgemein Vorgetragenen verhält sich Kühns Hörspiel wie ein Spielmodell. Kühn selbst hat ausdrücklich auf den Modellcharakter verwiesen.

Zitat:

Unter den Hörspielen dieses Bandes erweist sich die "Sprachregelung" am deutlichsten als Modell. Wobei sich an der Wortauswahl der sprachregelnden Maßnahmen, an ihrer Motivierung und Kommentierung zeigt, daß hier Sprachregelung in einem faschistischen Staat dargestellt wird. Das wird bestätigt durch die spezifische Ablehnung von Kritik und Analyse, durch das Betonen des Emotionalen und Irrationalen.

Autor

Auch dies ließe sich, allgemeiner formuliert, bei Eich nachlesen. Die Frage ist, ob man, statt von "Modell" nicht sogar besser von einem "Planspiel" sprechen könnte in einem Sinne, wie Kühn diesen Begriff selbst im "Unternehmen Rammbock" (1974) gebraucht. So wäre nicht nur aus der "Sprachreduktion" eine "Sprachregelung" geworden, sondern aus dem Modell einer "Sprachregelung"
das Planspiel einer "Sprachlenkung", das die Kürzel E. und F. der frühen Fassung konsequent zu den Spielfiguren eines Lehrers und eines Funktionärs erweitert.

Der mehrfache Hinweis auf die Büchner-Preis-Rede soll dabei keine Abhängigkeit behaupten sondern eher eine Verwandtschaft einer Spracheinschätzung konstatieren. Wie Eich gehört auch Kühn bei seiner "Thematisierung der Sprache als Form und Inhalt kommunikativer Prozesse" (Schachtsiek-Freitag) in das Vor- und Umfeld eines sogenannten "Neuen Hörspiels", nicht aber zu seinen Beiträgern, wie das "Kritische Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur" schreibt, das Kühn sogar einen "der produktivsten Autoren des sogenannten "Neuen Hörspiels" nennt.

Richtig ist allerdings, daß Kühn mit knapp 50 Hörspielen einer der produktivsten Hörspielautoren der 6Oer/7Oer Jahre geworden ist, daß diese Hörspiele weitgehend "Sprachspiele" sind, die Sprache formal und/oder inhaltlich thematisieren.

In welcher Breite dies geschieht, sollen abschließend zwei Beispiele erläutern, die zugleich auch etwas über die Breite der Kühnschen Hörspielproduktion andeuten können. Wie dem trivialen Genre der Kriminalgeschichte weiß sich Kühn ebenso anderer trivialer Genres zu bedienen und sie sich auf seine Weise zu assimilieren. In der "Großen Oper für Stanislaw den Schweiger" (1973) ist (auch geografisch) die Tradition der Vampir-Literatur seit Bram Stokers "Dracula" genutzt. Der in den Karpaten lebende Graf Stanislaw ist allerdings ein Wort-Vampir, der, selbst ein Schweiger, als lebenswichtige Nahrung alles akustisch Vernehmbare vereinnahmt und derart seine Mitmenschen in Angst und Schrecken versetzt, denen er mit der verlautbarten Sprache ja auch einen Teil ihrer Freiheit nimmt.

Daß Kühn dieses Hörspiel später als Erzählung ausbaut, ist bezeichnend für eine Arbeitspraxis, die einen Stoff immer wieder einmal in verschiedenen Medien erprobt. So können aus Hörspielen nicht nur Erzählungen werden, sondern ebenso aus Szenarien Hörspiele, etwa "Simulation" (1972/1973), ein psychologische Experimente spielerisch variierendes "Versuchsspiel".

Wie Kühn auf der einen Seite die Spielmöglichkeiten der trivialen Genres nutzt, hat er sich auf der anderen Seite - hier etwa Paul Pörtner vergleichbar - auch als Autor von Dialekthörspielen versucht, von denen "Stervenswöötche" sogar aus von Martin Sperr dem Rheinischen ins Bayerische übertragen wurde: die Geschichte eines alten Mannes, der vergeblich versucht, einem Wellensittich rheinische [bzw. bayerische] Umgangssprache beizubringen. Der Vogel, der wohl Hochdeutsch gewohnt war, läßt sich nicht zum Sprechen bringen. Aus dem Werben um Kommunikation wird Aggression:

Einspielung:

Schluß der (rheinischen) Fassung.

WDR 17.11.1980