B.F. Skinner | Hat Gertrude Stein ein Geheimnis?
[Übersetzt für den "augenblick" (Jg 5, H. 3/4, Juli/Dezember 1961) von Reinhard Döhl]

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In der "Autobiography of Alice B. Toklas" erzählt Gertrude Stein von einigen psychologiscnen Experimenten, die von ihr in Harvard gemacht wurden, wie folgt:

"Sie gehörte zu einer Gruppe von Harvard-Studenten und Radcliffe-Studentinnen, und sie führten alle ein sehr enges und sehr interessantes Leben zusammen. Einer von ihnen, ein junger Philosoph und Mathematiker, der eine Forschungsarbeit in
Psychologie machte, hinterließ einen bestimmenden Eindruck für ihr Leben. Sie und er arbeiteten zusammen unter der Leitung Münsterbergs eine Reihe von Versuchen in automatischem Schreiben aus. Das Ergebnis ihrer eigenen Versuche, das Gertrude Stein aufzeichnete und das in der 'Harvard Psychological Review' abgedruckt wurde, war das erste Geschriebene von ihr, das jemals gedruckt wurde. Es ist sehr interessant zu lesen, weil sich schon die Methode des Schreibens zeigt, die später in 'Three Lives' und 'The Making of Americans' entwickelt wurde."

In diesem frühen Aufsatz ist sehr viel mehr, als Frau Stein herausstellte. Er ist, wie sie sagt, die Vorwegnahme des Prosastils der "Three Lives", und er ist unmißverständlich das Werk Gertrude Steins. Trotz der konventionellen subjektiven Materie, mit der er sich befaßt. Viele Redewendungen, oft Allgemeinplätze, die sie sich seitdem in einer subtilen Weise zu eigen gemacht hat, sind bereits zu beobachten. Aber es ist sehr viel mehr als dies. Der Aufsatz befaßt sich mit einem frühen Interesse Gertrude Steins, das in ihrer späteren Entwicklung sehr ausschlaggebend gewesen sein muß, und das Werk, das es beschreibt, kann vernünftigerweise von niemand übersehen werden, der diese bemerkenswerte Person zu verstehen versucht.

Da dieser Aufsatz schwer zu bekommen ist, werde ich ihn kurz zusammenfassen. Er wurde im September 1896 von Leon M. Solomons und Gertrude Stein unter der Überschrift "Normal Motor Automatism" in der "Psychological Review" veröffentlicht, und er versucht zu zeigen, bis zu welchem Maße die Elemente einer "zweiten Persönlichkeit" (wie sie in gewissen Fällen von Hysterie zu beobachten ist) in einem normalen Wesen zu finden sind. In ihren Experimenten untersuchten die Autoren die Grenzen ihres eigenen "normal motor automatism"; kurz gesagt: sie versuchten zu sehen, wieweit sie ihre eigene Persönlichkeit auf eine absichtliche und rein künstliche Weise spalten könnten. Sie hatten Erfolg in dem Maße, daß sie viele Tätigkeiten (wie Schreiben oder laut Lesen) in einer automatischen Weise ausführen konnten, während sie zur gleichen Zeit eine andere Tätigkeit, wie das Lesen einer interessanten Geschichte fortführten.

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Bei den Versuchen mit automatischem Schreiben wurde ursprünglich ein "planchette of the ouija board type" benutzt, aber sobald die Autoren sich überzeugt hatten, daß spontane Schreibbewegungen stattfinden, während die Aufmerksamkeit auf anderes gerichtet ist, wurden stattdessen ein gewöhnlicher Bleistift und Papier benutzt. Die Versuchsperson begann gewöhnlich, indem sie willkürlich aufs Geratewohl Schreibbewegungen machte oder den Buchstaben "m" wiederholt schrieb. Bei einem Versuch wurde so verfahren, während die Versuchsperson gleichzeitig eine interessante Geschichte las, und es wurde beobachtet, daß einige in der Geschichte gelesene Wörter automatisch niedergeschrieben wurden. Zuerst war eine starke Neigung, dies, sobald es einzutreten begann, zu bemerken und es zu stoppen. Aber schließlich konnten die Worte unbewußt sowie unwillkürlich niedergeschrieben werden. (Ich werde durchaus Frau Steins psychologische Terminologie verwenden.) "Manchmal war das Schreiben der Worte vollständig unbewußt, aber häufiger noch wußte die Versuchsperson, was vorging. Ihre Kenntnis wurde jedoch durch Sinneswahrnehmungen "from the arm" erlangt. Ihr war bewußt, gerade ein Wort geschrieben zu haben, nicht, daß sie im Begriff war, es zu tun."

Bei anderen Versuchen las die Versuchsperson wie zuvor eine interessante Geschichte, und einzelne Worte wurden ihr zum gleichzeitigen Niederschreiben diktiert. Dies waren schwierige Versuche, aber nach beträchtlicher Übung waren sie erfolgreich. Die Versuchsperson war schließlich fähig, "fünf oder sechs"' von einer anderen Person gesprochene Worte niederzuschreiben, ohne sich der gehörten Laute noch der Bewegung bewußt zu sein. Wenn ihre Aufmerksamkeit nicht hinreichend gut abgelenkt war, vermochte sie gewahr zu werden, daß ihre Hand etwas schrieb. Die Information kam vom Arm, nicht vom Klang des diktierten Wortes. "Es ist niemals der Klang, der uns zurückruft. Dies mag selbstverständlich bis zu einem gewissen Maße eine individuelle Eigentümlichkeit sein.... Gleichwohl, Frau Stein hat ein starkes Gehör-Bewußtsein, und Klänge bestimmen gewöhnlich die Richtung ihrer Aufmerksamkeit."

Bei einer dritten Gruppe von Versuchen las die Versuchsperson laut, vorzugsweise aus einer uninteressanten Geschichte, während ihr aus einer interessanten Geschichte vorgelesen wurde. "Wenn sie während der ersten wenigen Proben nicht verrückt wird, wird sie schnell lernen, ihre Aufmerksamkeit ganz auf das, was ihr vorgelesen wird, zu konzentrieren, gleichwohl fortfahren, just dasselbe zu lesen. Das Lesen wird vollständig unbewußt für Perioden von der Länge einer Seite." Automatisches Lesen dieser Art ist vermutlich ein Stück Erfahrung eines jeden.

Die vierte und letzte Gruppe bringt die Wichtigkeit der Versuche für das spätere Werk Gertrude Steins ans Licht. Ich werde Frau Stein das Resultat beschreiben lassen.

"'Spontanes automatisches Schreiben' - das wurde sehr leicht nach kurzer Übung. Wir hatten jetzt soviel Kontrolle über unsere Gewohnheiten der Aufmerksamkeit gewonnen, daß Ablenkung durch Lesen fast unnötig war. Frau Stein fand es oft
hinreichend Ablenkung, einfach zu lesen, was ihr Arm schrieb, aber drei oder vier Worte hinter ihrem Bleistift folgend....

Eine Redensart schien in den Kopf zu gehen und sich ständig bei jeder Gelegenheit zu wiederholen und sogar hängen zu bleiben von Tag zu Tag. Das geschriebene Material war grammatisch einwandfrei, die Worte und Redewendungen paßten gut zusammen, aber es gab kaum einen zusammenhängenden Gedanken. Das Nichtbewußte wurde alle sechs oder sieben Worte durch Blitze des Bewußtseins unterbrochen, so daß man nicht sicher sein kann außer, daß der schwache Bestandteil eines zusammenhängenden Gedankens, der gelegentlich auftauchte, diesen Blitzen des Bewußtseins zukam. Aber die Fähigkeit ohne Bewußtsein etwas zu schreiben, das richtig klingt, wurde durch diese Versuche ziemlich gut demonstriert. Hier sind einige Musterbeispiele:

Daher gibt es keinen möglichen Weg des Entkommens wovon ich gesprochen habe, und wenn das von den Leuten nicht geglaubt wird von denen du gesprochen hast, dann ist es nicht möglich die Leute abzuhalten von denen du so zungenfertig gesprochen hast....

Hier ist ein Stück, mehr poetisch als verständlich:

Wenn er nicht der längste sein kann und folglich zu sein, und folglich zu sein, der stärkste....

Und hier ist eins, das keines von beidem ist:

Dies lange Zeit wenn er seine beste Zeit tat, und er konnte so gebunden worden sein, und in dieser langen Zeit, wenn er dies sein konnte zum ersten Gebrauch von dieser langen Zeit....

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Hier ist augenscheinlich ein wesentliches Dokument. Keiner, der "Tender Buttons" oder das spätere Werk derselben Art gelesen hat, kann umhin, bei diesen Beispielen automatischen Schreibens einen verwandten Ton wiederzuerkennen. Sie sind ganz unverfälscht in der Art und Weise, die so gemeinhin als Charakteristik Gertrude Steins angenommen wird. Frau Steins Beschreibung des Resultates Ihrer Versuche ist genau die des zum ersten Mal "Tender Buttons" gegenübergestellten Durchschnittslesers: "Das geschriebene Material war grammatisch einwandfrei, die Worte und Redewendungen paßten gut zusammen, aber es gab kaum einen zusammenhängenden Gedanken." Kurz: der Fall liegt so klipp und klar auf der Grundlage des Stils, daß wir umgehend auf die Schlußfolgerung geführt werden, daß die beiden Produkte einen gemeinsamen Ursprung haben und daß das Werk Gertrude Steins in der Art der "Tender Buttons" automatisch geschrieben ist und unbewußt mit einigen Verfahrensweisen, wie sie in diesem frühen Aufsatz beschrieben werden.

Diese Schlußfolgerung wird noch plausibler, sowie wir über den Fall nachdenken. Es ist selbstverständlich notwendig, zwischen der Gertrude Stein der "Three Lives" und der "Autobiography" und der Gertrude Stein der "Tender Buttons" zu unterscheiden, eine Unterscheidung, die sehr leicht getroffen ist, selbst wenn, wie wir gleich sehen werden, einiges der früheren Gertrude Stein auch im späteren Werk anzutreffen ist. Wenn wir uns zunächst auf die zweite dieser Personen beschränken, ist es klar, daß der hypothetische Autor, der aus dem Schreiben selbst gefolgert werden kann, gerade die Eigenschaften besitzt, die zu finden wir erwarten sollten, wenn die Theorie des automatischen Schreibens die richtige Antwort wäre. Demnach ist dort sehr wenig intellektueller Gehalt auffindbar. Der Leser - der gewöhnliche Leser schließlich - kann aus dem Werk nicht folgern, daß dessen Autor irgend einen folgerichtigen Gesichtspunkt hat. Es gibt selten irgendeine verständliche Ausdrucksweise, und es gibt genug unberechenbare Umkehrungen, um die Wirkung von was auch immer zu zerstören. Es gibt noch weniger gefühlsmäßige Präjudizien. Das Geschriebene ist kalt. Starke Phrasen fehlen ausschließlich, und es ist so schwierig einen abgerundeten emotionalen Komplex zu finden, daß es, wenn einer gefunden ist, ebenso leicht der Erfindungskraft des Suchenden zugeschrieben werden kann. Gleicherweise zeigt unser hypothetischer Autor keine Anzeichen einer persönlichen Geschichte oder eines kulturellen Hintergrundes. "Tender Buttons" ist der "stream of consciousness" einer Frau ohne Vergangenheit. Das Schreiben entspringt keinem literarischen Ursprung. Im Gegensatz zum Joyceschen Werk, zu welchem eine oberflächliche Ähnlichkeit gefunden werden kann, fehlt praktisch die entlehnte Redensart.

Wenn auswendig gelernte Passagen vorkommen, sind sie eintönig - alte Sprichwörter oder einfache Knittelverse, zurückgerufen aus der Kindheit und häufig sehr frei umschrieben: "Wenn du zuerst keinen Erfolg hast, versuche versuche es wieder" oder "Bitte erbleiche heiß, bitte decke rose, bitte acker in dem Rot...." Wenn es irgendeine Eigenheit wie auch immer im dem Geschriebenen gibt, ist sie diesem Beigeschmack des Schulraumes zuzuschreiben, und die eine Folgerung über die Autorin, die plausibel zu sein scheint, ist die, daß sie die grammar school besucht hat. Ihre Sätze sind häufig wie Erklärungen gebildet ("Was ist ein Schauspiel ein Schauspiel ist die Ähnlichkeit" oder "Ein Zeichen ist das gesprochene Beispiel") oder wie Schulheftlehrsprüche (Eine Entschuldigung ist keine Traurigkeit, eine einzelne Scheibe ist nicht Butter" oder "Es gibt ein Gerinnen in Kälte und es gibt keins in Vorsicht") oder wie grammatische Beispiele "Ich beginne du beginnst wir beginnen sie begannen wir begannen du begannst ich begann"). Diese starke Dosis grammar school ist besonders deutlich in "An Elucidation" zu spüren, Frau Steins erstem Versuch, sich selbst zu interpretieren, und ein Beispiel von Schreiben, in dem es viele Spuren des Kampfes von seiten der bewußten Gertrude Stein gibt, den Ursprung der Art und Weise der "Tender Buttons" zu akzeptieren. Frau Stein wünschte den Band "Lucy Church Amiable" wie ein Schulbuch gebunden, aber ich will es einem phantasiereicheren Kopf überlassen, diesen bildlichen Ausdruck weiter auszumalen.

Dies ist offensichtlich so viel über das Geschriebene, wie es helfen wird, die Eigenheit der Schreiberin zu erhellen. Abschließend: das, was Frau Stein als "Klang" bezeichnet, ist richtig, ohne daß es einen Sinn hat. Es gibt darüber keine gegenteilige Behauptung, es besteht kein Geheimnis darüber, wie es gemacht wurde. Aber es gibt uns eine äußerst geringe Information über die Autorin. Grammatik ist ständig gegenwärtig - das ist die Hauptsache. Wir werden mit Sätzen beglückt ("Sätze und ständig Sätze"), aber wir empfinden sie oft nur als solche, weil sie eine angenommene Ordnung von Artikel, Substantiv, Verb, split infinitiv, Artikel, Substantiv, Bindewort undsoweiter zeigen. Das Gerüst eines Satzes ist vorhanden, aber die darin befestigten Worte sind ein sonderbarer Haufen. Im einfachsten Fall haben wir einen nahezu verständlichen Satz durch Einsetzen eines fast gleichlautenden Wortes für ein einzelnes Wort. Über diese Art des Einsetzens wurde von Frau Stein im Zusammenhang ihrer Versuche in automatischem Lesen berichtet: "Sinnwidrige Fehler wurden gelegentlich beim Lesen von Worten gemacht - Einsetzungen gleichwertig im Klang aber völlig verschieden in der Bedeutung." Der Leser wird es als jene Art des Versehens erkennen, das einem passiert, wenn man sehr müde ist. In verwickelteren Fällen kann es selbstverständlich nicht gezeigt werden, daß die Unverständlichkeit eine Folge des Einsetzens ist. Wenn die Mehrzahl der Worte ersetzt ist, können wir nicht zeigen, daß ein Wort ein Versehen ist. Wir müssen zufrieden sein, es zu charakterisieren, wie Frau Stein selbst es getan hat: "Wir haben einen ungeheuren Rückweg ins Planlose gemacht".

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Anhand dieser kurzen Analyse ist es einleuchtend, daß, obwohl es plausibel ist, daß das Werk einer zweiten Persönlichkeit zukommt, erfolgreich von Frau Steins Persönlichkeit abgetrennt, daß es in der Tat eine sehr nichtige Art von Persönlichkeit ist. Es ist intellektuell bedeutungslos, emotional kalt und hat keine Vergangenheit. Es ist unbelesen und unwissend über die grammar school hinaus. Es ist so leicht beeinflußt wie ein Kind; ein gehörtes Wort kann sich in welchen Satz auch immer auf Grund einer augenblicklichen Konstruktion einzwängen oder kann den Satz vollständig und unabänderlich auflösen. Seine Materialien sind die nächstliegenden sinnlichen Dinge - Gegenstände, Klänge, Geschmack, Gerüche undsoweiter. Der Leser kann um des schärfsten Kontrastes willen die Materialien der "Melancthe" in "Three Lives" zum Vergleich nehmen. In ihrem experimentellen Werk beabsichtigte Frau Stein, die Produktion einer zweiten Persönlichkeit zu vermelden, und sie hält sich selbst für erfolgreich. Der Automatismus, den zu demonstrieren sie fähig war, besaß die "Elemente" einer zweiten Persönlichkeit, er war in der Lage, alles, was eine zweite Persönlichkeit tun konnte, zu tun, aber er wurde niemals das organisch gewordene alter ego der Hysterie. Die oberflächliche Eigenart des gefolgerten Autors der "Tender Buttons" fügt deshalb der Theorie der automatischen Urheberschaft die Glaubwürdigkeit hinzu.

Die Gertrude Stein Enthusiasten mögen finden, daß ich bei dieser Beurteilung schrecklich ungerecht bin. Ich gebe zu, daß es in "Tender Buttons" Passagen gibt, die sich der vorangegangenen Analyse entziehen. Aber es muß klar gemacht werden, daß die beiden Gertrude Steins, die wir betrachten, nicht durch die Bucheinbände auseinandergehalten werden. Es gibt einen gut Teil der Gertrude Stein der "Autobiography" in den "Tender Buttons" in der Form relativ verständlicher Bemerkung, oft in Sinn-Parenthese. So steht am Schluß des Passus über Hammelfleisch (der beginnt "ein Brief der vernichten kann, ein Lernen das leiden kann und eine Schande die gleichzeitig ist") dieser Satz: "eine Mahlzeit von Hammelfleisch Hammelfleisch warum ist Lamm billiger, es ist billiger weil es so wenig mehr ist", der leicht als ein Vorurteil der Gertrude Stein der "Autobiography" wiederzuerkennen ist. Gleichermaßen ist eine solche Redewendung wie "die traurige Prozession eines nichtgetöteten Stieres" in "An Elucidation" eine deutliche Bezugnahme auf ein anderes Interessengebiet Gertrude Steins. Aber weit entfernt davon, unserer Theorie zu schaden, ist dieses gelegentliche Selbstinerscheinungtreten Gertrude Steins genau das, was die Theorie verlangt. In ihrem Aufsatz in der "Psychological Review" befaßt sie sich ausführlich mit der unvermeidlichen Alternative mit dem bewußten und dem automatischen Selbst, und in dem Zitat, das wir gegeben haben, wies sie, wie zu erinnern sein wird, auf diese Blitze des Bewußtseins hin. Selbst wenn der größere Teil der "Tender Buttons" automatisch ist, sollten wir ein "Element des verbundenen Gedankens" erwarten, und unser einziges Problem ist das, was Frau Stein selbst erwogen hat - nämlich, müssen wir den bewußten Blitzen alles, was an
zusammenhängendem Gedanken vorhanden ist, zuschreiben?

Es gibt da eine gewisse logische Schwierigkeit. Es könnte eingewandt werden, daß, weil wir alle verständlichen Sätze verzichten, indem wir sie bewußte Blitze nennen, daß wir nicht überrascht sein sollten zu finden, daß das, was übrig bleibt, dünn und bedeutungslos ist. Wir müssen unsere Theorie deshalb noch einmal in einer Weise darlegen, die diesen kritischen Einwand entkräftet. Wir unterteilen zunächst die Bücher Gertrude Steins in zwei Teile auf der Basis ihrer gewöhnlichen Verständlichkeit. Ich behaupte nicht, daß dies eine ausnahmslose Unterscheidung ist, aber es ist eine für die meisten Leute hinreichend reelle. Sie folgt nicht, was zu verstehen ist, den Umrissen ihrer Werke. Wir zeigen dann, daß der unverständliche Teil die Eigenarten des von Frau Stein bei ihren frühen psychologischen Versuchen hergestellten automatischen Geschriebenen hat, und von diesen und vielen anderen Erwägungen schließen wir, daß unsere Unterteilung der Werke in zwei Teile recht und billig und daß ein Teil seiner Beschaffenheit nach automatisch ist.

Ich kann in der "Autobiography" oder in anderen Werken, die ich gelesen habe, nichts finden, das dieser Interpretation widerspräche. Im Gegenteil, es gibt viele Beweisstücke, von denen keines für sich selbst sehr überzeugend sein würde, die es stützen. So wurde (1) "Tender Buttons" auf Papierfetzen geschrieben, und kein Fetzen wurde jemals weggeworfen; (2)liebt Frau Stein es, in Gegenwart ablenkender Geräusche zu schreiben; (3) ist ihr Handgeschriebenes häufig leserlicher für Frau Toklas als für sie selbst (d.h., ihr Geschriebenes ist kalt, sobald es hergestellt ist); und (4) "liebt sie den Buchstaben 'M' zu schreiben", mit welchem, der Leser wird sich erinnern, das automatische Verfahren häufig begann. In "An Elucidation", "ihrem ersten Versuch, klar darzustellen, was ihr Geschriebenes beabsichtigte und warum es war wie es war", gibt es viele wechselnde Hinweise auf die Tage des Experimentierens: "Do you all understand extraneous memory" , "Auf diese Weise sind meine Untersuchungen leicht zu lesen", ein plötzlich eingeschobenes "Ich stoppte ich stoppte mich selbst", welches die Hauptschwierigkeit bei ihren Versuchen ins Gedächtnis zurückruft undsoweiter.

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Es ist notwendig, anzunehmen, daß Gertrude Stein, als sie (um 1912?) zum automatischen Schreiben zurückkehrte, seine Ursprünge vergessen hatte oder kurz davor war, sie zu vergessen. Ich nehme die Behauptung in der "Autobiography" als in gutem Glauben gemacht an, daß "Gertrude Stein [weder] unterbewußt reagiert hat noch eine erfolgreiche Versuchsperson für automatisches Schreiben war", obgleich der Beweis des Gegenteils in ihrem frühen Aufsatz unstreitig ist. Sie hat es vergessen, wie sie ihre erste Erzählung, gleich nachdem sie vollendet war, vergaß und sich ihrer für fünfundzwanzig Jahre nicht mehr entsann. Überdies ist es durchaus möglich, daß die Art und Weise, in der sie die "Tender Buttons" schrieb, desgleichen nicht ungewöhnlich genug ist, um sie an deren Ursprünge zu erinnern oder um von anderen bemerkt zu werden. Eine der interessantesten Feststellungen in dem zitierten Exzerpt ihres frühen Aufsatzes ist, daß Gertrude Stein es hinreichend Ablenkung fand, dem, was sie schrieb, einfach einige wenige Worte hinter ihrem Bleistift zu folgen. Wenn sie im Laufe der Zeit fähig war, ihre Aufmerksamkeit dem Bleistift näher und näher zu bringen, muß sie möglicherweise einen Punkt erreicht haben, an dem nur noch der feinste Unterschied bestand zwischen "wissend was man gerade schreibt und wissend daß man es geschrieben hat". Daß ist ein Übergangszustand, dem Frau Stein einen beträchtlichen Raum in ihrem Aufsatz widmet. Deshalb ist es für uns vernünftig anzunehmen, daß der artifizielle Charakter des experimentellen Verfahrens vollständig abgenutzt ist und daß da ein Zustand nicht-weit-vom-Norma1en zurückbleibt, in dem Frau Stein hinläng1ich ahnungslos übergehen kann und in dem der Stil der "Tender Buttons" bevorsteht.

Nachdem sie wieder begonnen hatte, Material dieser Art herzustellen, konnte Frau Stein nicht umhin, dessen Eigentümlichkeiten zu bemerken. Wir kennen ihre eigene Überzeugung, daß die von ihr zitierten Sätze des automatisch Geschriebenen kaum einen zusammenhängenden Gedanken zeigen, und ich glaube, wir sind völlig berechtigt, den größeren Teil der "Tender Buttons" als "gewöhnlich unverständlich" zu charakterisieren. Ich weiß daß es für eine kluge und fleißige Person sehr wohl möglich wäre, eine Anzahl von Bedeutungen darin zu finden, wie es möglich ist, in einer zufälligen Wortanordnung Bedeutungen zu finden. Aber die Folgerung, zu der wir jetzt geführt werden, ist, daß das Werk, mit dem wir uns beschäftigen, sehr wahrscheinlich unverständlich in jeder üblichen Hinsicht ist, nicht nur für andere Leser, sondern für Frau Stein selbst. Warum veröffentlichte sie dann?

Es ist für unsere Theorie wichtig, daß Frau Stein zwischen 1896 und 1912 Picasso und Matisse kennen lernte und schon langst in Übung war, deren Werke gegen die Frage zu verteidigen: "Was bedeutet es?" Mit solch einer Erfahrung hinter sich ist nicht schwer, als Kunst zu akzeptieren, was man bisher als das interessante und ziemlich überraschende Ergebnis eines Experimentes abgetan hatte. Ich glaube, es war nur, weil Gertrude Stein die Verteidigung, wie sie auf Picasso angewendet wurde, schon vorbereitet hatte, daß sie ihr eigenes unverständliches Produkt als ein bedeutendes artistisches Experiment ausgab. Für eine Person mit der gesunden Intelligenz Frau Steins gibt es einen großen natürlichen Widerstand gegen die Produktion von Unsinn. Es war das Hauptproblem bei ihrer experimentellen Technik: "Ich stoppte ich stoppte mich selbst". Über das Schreiben erfolgte in diesem Fall, weil der Widerstand niedergebrochen war, zuerst durch das Verfahren der Versuche, welche die erhaltene Produktion von bedeutungslosen Sätzen erlaubten, und später durch das Eintreten für Picasso, was deren Publikation erlaubte. Dies war eine glückliche Verkettung von Umständen. "Ich könnte erklären", sagte sie in "An Elucidation", "wie es sich zufällig ereignete, daß glücklicherweise keine Erklärung notwendig war".

Frau Stein hat sich selbst jedoch nicht von dem Problem der Bedeutung der Sachen, die sie schreibt, befreit. Sie ist beunruhigt durch kritische Beurteilung in puncto Unverständlichkeit. Sie charakterisiert ihr Werk dieser Art häufig als experimentell, aber das ist in keiner Hinsicht eine Erklärung. Darüber hinaus scheint ihre Antwort zu sein, daß das Geschriebene seine eigene Rechtfertigung ist.

Es war nicht eine Frage, berichtete sie ihrer Zuhörerschaft in Oxford, ob sie im Recht war, so zu schreiben, wie sie schrieb. "Sie hatte es getan und sie tat es während einer Zeit von fast zwanzig Jahren, und jetzt wollten sie ihren Vortrag hören". Und die hatte sich zuvor in "An Elucidation" mit der Sache befaßt: -

"Wenn es ein Ereignis ist just durch sich selbst ist da eine Frage
Tulpen ist da eine Frage
Zahme Tiere ist da eine Frage
Pelze ist da eine Frage
Hürden ist da eine Frage
Ist da irgendetwas fraglich."

Ich glaube, wir müssen diese Antwort auf die ethische Frage, ob sie nach Oxford oder Kings Englisch richtig verfährt, akzeptieren. Der letzte Test, ob es richtig ist, ist, ob es jemand mag. Aber ein literarisches Werk ist kein "Ereignis durch sich selbst", und die Antwort auf Frau Steins Frage lautet, daß es da gewiß Fragen kritischer Art gibt, die rechtmäßig gestellt werden können. Bedeutung ist eine von ihnen.

Eine Art von Bedeutung, die gefunden werden könnte, wenn unsere Theorie gültig ist, ist psychologisch. Indem wir das Vorhandensein von Sprechfehlern erwähnen ("Einsetzungen gleichwertig im Klang aber völlig verschieden in der Bedeutung"), setzen wir uns der Kritik der Freudianer aus, die argumentieren würden, daß es da keine wirklichen Versehen gibt. Entsprechend dieser Sicht gibt es immer irgendeinen Grund, warum die Einsetzung gemacht wird, und das eingesetzte Wort wird einen tieferen Sinn haben, wenn wir es finden können. Aber wir befassen uns hier in erster Linie nicht mit solchen psychologischen Bedeutungen.

Für literarische Bedeutungen mag vorgebracht werden, daß es in jenem Teil des Werkes von Frau Stein, das wir überblickt haben, für den eingeweihten oder zustimmenden Leser einen intellektuellen Inhalt gibt. Nun, entweder wird er derart sein, daß er auch normal ausgedrückt werden kann, oder er wird eine spezielle Art von Inhalt sein, daß er die ihm von Frau Stein gegebene Form erfordert. Ein Anhänger könnte den ersten Fall durch Übersetzen einer repräsentativen Passage so leicht beweisen, daß wir es nicht als wahr annehmen können. Der zweite Fall erfordert zu seiner Verteidigung eine sehr schwierige Theorie aus Kenntnis, und wir werden ihn nicht genauer zu untersuchen brauchen. Es ist vollkommen richtig, daß für den gewissenhaften Leser der "Tender Buttons" einiges geschieht. Ein Teil der Wirkung kommt gewiß entweder der Wiederholung oder der Überraschung zu. Das sind anerkannte literarische Kunstgriffe, und es kann argumentiert werden, daß deshalb nicht eine dritte Art von Bedeutung, die wir als emotional bezeichnen können, zu finden ist. Aber in der gewöhnlichen Praxis ergänzen diese Kunstgriffe Ausdrucksweisen anderer Art. Das bloße Erzeugen der Wirkungen von Wiederholung und Überraschung ist in sich selbst keine literarische Vollendung.

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Wir haben auf das Vorhandensein irgendeiner oder aller Arten von Bedeutung Rücksicht genommen, indem wir nur von gewöhnlicher Verständlichkeit sprachen. Ich denke nicht, daß für irgendeine davon ein Fall ausfindig gemacht werden kann, der nicht augenscheinlich die Erfindung des Analysierenden ist. Auf jeden Fall ist das jetzige Argument einfach dies, daß der hier zur Bestätigung einer Theorie des automatischen Schreibens angebotene Beweis es wahrscheinlicher macht, daß Bedeutungen nicht vorhanden sind, und daß wir uns nicht plagen müssen, nach ihnen zu suchen. Eine Theorie des automatischen Schreibens schließt selbstverständlich Bedeutungen nicht notwendigerweise aus. Es ist möglich, eine zweite Persönlichkeit einzusetzen, die alle Merkmale eines Selbst-Bewußtseins besitzt und deren Geschriebenes in gleichem Maße bedeutungsvoll sein wird. Aber im gegenwärtigen Fall ist es klar, daß, wie Frau Stein ursprünglich beabsichtigte, eine wirkliche zweite Persönlichkeit nicht vorhanden ist. Dieser Teil ihres Werkes ist, wie sie das Resultat ihrer Experiments charakterisiert hat, wenig mehr "als was ihr Arm schrieb". Und es ist ein Arm, der sehr wenig zu sagen hat. Das ist, glaube ich, der Hauptwert der gegenwärtigen Theorie für literarische Kritik. Man ist befähigt, zu dem unverständlichen Teil der Gertrude Stein eine Herkunft anzugeben, die einen über dessen Bedeutungen beruhigt.

Es gibt gewisse Gesichtspunkte beim Schreiben von Prosa, wie Rhythmus, die im einzelnen von der Verständlichkeit nicht abhängig sind. Es ist möglich mit ihnen mit bedeutungslosen Worten zu experimentieren, und es kann argumentiert werden, daß dies im gegenwärtigen Falle geschieht. Beim Berücksichtigen der Freiheit, die Frau Stein sich selbst gegeben hat, ist das Resultat, glaube ich, nicht sehr eindrucksvoll, obwohl dies deutlich ein anfechtbarer Punkt ist. Es ist jedoch eine fairere Interpretation, in Übereinstimmung mit unserer Theorie anzunehmen, daß es zu der Zeit, als das Geschriebene veröffentlicht wurde, kein Experimentieren gab. Es kann für die nachträgliche Veröffentlichung des Materials als ein Experiment gute Gründe geben. Zum Beispiel gebe ich die Möglichkeit einer gesunden, wenn auch nebensächlichen Wirkung auf Gertrude Steins bewußte Prosa oder auf Englische Prosa allgemein zu. In "Composition as Explanation" zum Beispiel gibt es eine enge Verschmelzung der beiden Stile, und die bewußten Passagen sind dem automatischen Stil nachgebildet. Das gilt wahrscheinlich auch für Teile der "Autobiography". Es ist vielleicht unmöglich, gegenwärtig zu sagen, ob die Wirkung auf ihre bewußte Prosa etwas mehr ist als ein Verlust von Disziplin. Der ausgleichende Gewinn ist oft sehr groß.

Wir haben natürlich keinen Grund, den literarischen Wert dieses Teile des Werkes von Frau Stein zu beurteilen. Er könnte bedeutend sein, selbst wenn unsere Theorie fehlerfrei ist. Es ist augenscheinlich, daß Frau Stein ihn für wichtig hält und ihn folglich veröffentlicht hat. Wenn sie Recht hat, wenn dieser Teil ihres Werkes Geschichte wird, so bedeutend wie sie behauptet hat, dann ist die Wichtigkeit des Dokumentes, mit dem wir begannen, ungeheuer. Fürs erste sollten wir dann einen Bericht der Autorin selbst über die Anlage der zweiten Persönlichkeit haben.

Dennoch glaube ich nicht, daß diese Wichtigkeit besteht, weil ich nicht an die Wichtigkeit des Teiles des von Frau Stein Geschriebenen glaube, das keinen Sinn hat. Im Gegenteil, ich bedaure die verhängnisvolle Wirkung, die er ausübte, indem er das bessere Werk eines großartigen Verstandes verdunkelte. Ich begrüße die gegenwärtige Theorie, weil sie einem die Freiheit gibt, einen Teil des von Gertrude Stein Geschriebenen als ein vermutlich schlecht beratenes Experiment abzutun und den anderen und sehr großen Teil ohne Verwirrung zu genießen.