Möglichkeiten, Umfang und Wurzeln experimenteller Literatur Kunst und Musik im 20. Jahrhundert


Reinhard Döhl |  Gertrude Stein und Stuttgart - eine Spurensuche Hence there is no possible way of avoiding what I have spoken of and if this is not believed by the people of whom you have spoken than it is not possible to prevent the people of whom you have spoken so glibly. (Gertrude Stein) Sechs Jahre nach Kriegsende erschien ein Roman Wolfgang Koeppens, der seinen Titel ("Tauben im Gras") und sein Motto (Pigeons on the grass alas) Gertrude Steins "Four Saints in Three Acts" entlehnt hatte. Gegen Ende dieses Nachkriegsromans wird von einem Vortrag erzählt, den der fiktive [?] angelsächsische Dichter Edwin - offensichtlich im Rahmen des von den Amerikanern den Deutschen verschriebenen Reeducation-Programms - vor recht gemischtem Publikum hält.

Der europäische Geist, sagte er, sei die Zukunft der Freiheit oder die Freiheit werde keine Zukunft mehr in der Welt haben. Hier wandte sich Edwin gegen einen Ausspruch der seinen Zuhörern völlig unbekannten amerikanischen Dichterin Gertrude Stein, von der erzählt wird, daß Hemingway bei ihr zu schreiben gelernt habe. Gertrude Stein und Hemingway waren Edwin gleichermaßen unsympathisch, er hielt sie für Literaten, Boulevardiers, zweitrangige Geister, und sie wieder gaben ihm die Nichtachtung reichlich zurück und nannten ihn ihrerseits einen Epigonen und sublimen Nachäffer der großen toten Dichtung der großen und toten Jahrhunderte. Wie Tauben im Gras, sagte Edwin, die Stein zitierend, und so war doch etwas von ihr Geschriebenes bei ihm haften geblieben, doch dachte er weniger an Tauben im Gras, als an Tauben auf dem Markusplatz in Venedig, wie Tauben im Gras betrachteten gewisse Zivilisationsgeister die Menschen, indem sie sich bemühten, das Sinnlose und scheinbar Zufällige der menschlichen Existenz bloßzustellen, den Menschen frei von Gott zu schildern, um ihn dann frei im Nichts flattern zu lassen, sinnlos, wertlos, frei und von Schlingen bedroht, dem Metzger preisgegeben, aber stolz auf die eingebildete, zu nichts als Elend führende Freiheit von Gott und göttlicher Herkunft. Und dabei, sagte Edwin, kenne doch schon jede Taube ihren Schlag und sei jeder Vogel in Gottes Hand.

Es geht mir hier nicht um Interpretation. Die zitierte Passage soll lediglich aufzeigen, wie unbekannt Gertrude Stein fünf Jahre nach ihrem Tode in Deutschland, wie unverstanden sie selbst im angelsächsischen Raum war, mit der Pointe, daß es ein Foto von Gertrude Stein und Alice B. Toklas gibt, das sie Tauben fütternd auf dem Markusplatz zeigt [= Hochzeitreise], was aber seinerzeit weder der fiktive Dichter Edwin noch sein Autor Koeppen kennen konnten.

Es hat nach dieser ersten Nachkriegserwähnung noch eine ganze Weile gebraucht, und der Prozeß währt im 50. Todesjahr Gertrude Steins eigentlich immer noch an, ihr Werk bekannter zu machen, Mißverständnisse diesem Werk gegenüber abzubauen. Dazu hat es im angelsächsischen Raum des unermüdlichen Einsatzes von Robert Bartlett Haas bedurft, wovon ich hier nicht zu reden habe. Mein Thema ist, wie Werk und Person Gertrude Steins der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur langsam vertrauter wurden. Dieser Prozeß fand an verschiedenen Orten statt, stets durch experientierfreudige Autoren oder Gruppierungen in Gang gesetzt, darunter und wohl als erste die Stuttgarter Schule bzw. Gruppe um Max Bense, auf die ich mich jetzt konzentrieren werde.

Ich war beinahe daran, diesen Vortrag zu sprechen und ihn nicht zu schreiben und zu lesen weil alle Vorträge die ich in Amerika geschrieben und gelesen habe gedruckt worden sind und obgleich sie für Sie sogar indem sie gelesen werden so sind als ob sie nicht gedruckt worden wären ist immerhin irgendwas in dem was geschrieben ist indem es gedruckt worden ist das es nicht mehr zum Besitz dessen macht der es schrieb und darum gibt es keinen Grund weshalb der Verfasser es mehr als sonst irgendjemand laut sagen sollte und darum tut man es nicht.
Darum war ich im Begriff zu Ihnen zu sprechen aber in Wirklichkeit ist es unmöglich über Meisterwerke zu sprechen und was sie sind weil Sprechen mit Schöpfung wesentlich nichts zu tun hat. Ich spreche viel ich spreche gerne und ich spreche sogar noch mehr als das ich möchte sagen ich spreche meistens und ich höre auch ziemlich viel zu und wie ich gesagt habe das Wesen eines Genies besteht darin sprechen und zuhören zu können zuzuhören beim sprechen und zu sprechen beim zuhören aber und dies ist sehr wichtig wirklich sehr wichtig sprechen hat mit Schöpfung nichts zu tun. Was sind Meisterwerke und warum gibt es schließlich so wenige davon. Sie können sagen es gibt immerhin eine beträchtliche Menge davon aber in irgend einem Verhältnis zu allem, was irgendjemand der etwas macht macht gibt es tatsächlich sehr wenige davon. Den ganzen Sommer hindurch meditierte und schrieb ich über diesen Gegenstand und schließlich wurde daraus eine Diskussion über die Beziehung der menschlichen Natur und dem menschlichen Geist und der Identität. Was man allmählich herausbekommt ist daß man keine Identität hat das heißt wenn man im Begriff ist etwas zu tun. Identität ist Wiedererkennen, Sie wissen wer Sie sind weil Sie und andere sich an irgendetwas über Sie erinnen aber wesentlich sind Sie das nicht wenn sie irgend etwas tun. Ich bin weil mein kleiner Hund mich kennt aber schöpferisch gesprochen indem der kleine Hund weiß daß Sie Sie sind und indem Sie erkennen daß er es weiß, das ist es was die Schöpfung zerstört. Das ist es was Schule macht. Picasso bemerkte einmal es ist mir gleich wer mich jetzt beeinflußt oder hat solange ich es nicht selber bin.

Das sind, wie die Freunde Gertrude Steins sofort erkannt haben, die ersten beiden Abschnitte der berühmten Rede "Was sind Meisterwerke und warum gibt es so wenige davon?" Undzwar in der Übersetzung von Johanna Schwanauer. Sie erschien, inzwischen in Vergessenheit geraten, im Mai 1958 in Max Benses legendärer Zeitschrift "augenblick", einer Zeitschrift, deren Untertitel "Tendenz und Experiment" bzw. "Zeitschrift für Tendenz und Experiment" lautete. Ich komme darauf noch zurück.

Kurz zuvor bzw. gleichzeitig waren im Zürcher Arche-Verlag erschienen: 1955 die "Autobiographie von Alice B. Toklas", 1958 "Picasso" und als dessen Anhang das seither vielen bekanntere "[...] vollendete Portrait von Picasso" - "Wenn ich es ihm sagte", ein Portrait, das uns damals so beeindruckte, daß wir es auswendig hersagen konnten.

Wenn ich es ihm sagte, hätte er es gern. Hätte er es gern, wenn ich es ihm sagte. Hätte er es gern, hätte Napoleon, hätte Napoleon, hätte, hätte er es gern. Wenn Napoleon, wenn ich es ihm sagte, wenn ich es ihm sagte, wenn Napoleon. Hätte er es gern, wenn ich es ihm sagte, wenn ich es ihm sagte, wenn Napoleon. Hätte er es gern, wenn Napoleon, wenn Napoleon, wenn ich es ihm sagte. Wenn ich es ihm sagte, wenn Napoleon, wenn Napoleon, wenn ich es ihm sagte. Wenn ich es ihm sagte, hätte er es gern, hätte er es gern, wenn ich es ihm sagte. Schlösser schliessen und öffnen sich wie Königinnen es tun. Schlösser schliessen und Schlösser und so schliessen Schlösser und so und so Schlösser, und so schliessen Schlösser und so schliessen Schlösser und Schlösser und so. Und so schliessen Schlösser und so und also. Und also und so und so und also. Lassen Sie mich erzählen, was Geschichte lehrt, Geschichte lehrt.

Dieses Portrait konnten wir aber damals nicht nur auswendig, es regte uns Anfang der 60er Jahre auch zu Texten an, die zum Teil unter dem Titel "Portrait und Einwände" veröffentlicht wurden, in Anspielung auf den ursprünglichen Publikationsort des Picasso-Textes, die "Portraits and Prayers" Gertrude Steins.

Wenn aber der Dienstweg eingehalten wird wenn Fragen. Wenn aber der Dienstweg eingehalten wird wenn Fragen Fragebogen. Wenn aber der Dienstweg eingehalten wird wenn Fragen Fragebogen und Antworten. Wenn aber der Dienstweg eingehalten wird wenn Fragen Fragebogen und Antworten in doppelter Ausfertigung. Wenn aber der Dienstweg eingehalten wird wenn Fragen Fragebogen und Antworten in doppelter Ausfertigung wenn Fragen. Wenn aber der Dienstweg eingehalten wird wenn Fragen Fragebogen und Antworten in doppelter Ausfertigung wenn Fragen Fragebogen. Wenn aber der Dienstweg eingehalten wird wenn Fragen Fragebogen und Antworten in doppelter Ausfertigung wenn Fragen Fragebogen und Antworten. Wenn aber der Dienstweg eingehalten wird wenn Fragen Fragebogen und Antworten in doppelter Ausfertigung wenn Fragen Fragebogen und Antworten wenn Fragen. Wenn aber der Dienstweg in doppelter Ausfertigung eingehalten wird hochachtungsvoll!

Gleichzeitig mit der Übersetzung der "Autobiographie von Alice B. Toklas" war 1955 aber auch ein wichtiger Aufsatz Helmut Heißenbüttels, wiederum in Benses Zeitschrift "augenblick", erschienen: "Reduzierte Sprache. Über ein Stück [!] von Gertrude Stein", der erstmals in Deutschland im größerem Umfang auf das bis dahin nahezu unbekannte Werk einer nahezu unbekannten Dichterin hinwies. Wobei nicht nur aus Chronistenpflicht ergänzt werden muß, daß praktisch zur gleichen Zeit F.C. Weiskopf in einem Aufsatz "'Ostdeutsch' und 'Westdeutsch' oder über die Gefahr der Sprachentfremdung", u.a. unter Bezugnahme auf die populäre Formel A rose ist a rose is a rose, von Tautologie, Amputation und Verkrüppelung sprach und aus der ostdeutschen Position der Formalismusdebatte das Werk Gertrude Steins kritisierte. So daß sich, noch bevor die Gertrude Stein-Rezeption überhaupt begonnen hatte, bereits zwei Positionen unversönlich gegenüber standen: eine ablehnende ostdeutsche und eine erst einmal um Verständnis bemühte westdeutsche.

Dieses Spiel mit Hinweisen und Erscheinungsdaten war mir wichtig, um zu belegen, wie zögernd und mit welcher Verspätung im deutschsprachigen Raum eine Gertrude Stein-Rezeption einsetzt. Wobei ich wiederhole, daß die Übersetzungen zunächst ausschließlich im Arche-Verlag, Zürich, also außerhalb Deutschlands erschienen. Zweitens wollte ich mit dem Jahr 1955 - erste Übersetzung im deutschsprachigen Raum; erster Aufsatz über Gertrude Stein in der Bundesrepublik - das Datum festschreiben, mit dem die Rezeption Gertrude Steins auch in Westdeutschland beginnt: 9 Jahre nach dem Tode der Dichterin, 10 Jahre nach Ende des Krieges und 22 Jahre, nachdem die Nationalsozialisten der deutschen Literatur, Kunst und Musik den Dialog mit der internationalen Entwicklung gekappt hatten.

Ich kann hier nicht ausführen, wie schwierig es war, den Dialog wieder aufzunehmen, wieder Anschluß zu finden, und wie schwer es denen gemacht wurde, die dies wollten. Schon Hinweise sind aufschlußreich. So fand ich, als ich mich unter dem Eindruck des Aufsatzes von Heißenbüttel in der Institutsbibliothek der Göttinger Anglistik kundig machen wollte, von Gertrude Stein keine Spur. Als ich nach meinem Umzug nach Stuttgart 1959 im Amerikahaus erneut suchte, war ich nur wenig erfolgreicher, fühlte mich dagegen bei dem Bild der amerikanischen Literatur, das dort vermittelt wurde, lebhaft an den von Koeppen nicht nur fingierten Vortrag Edwins erinnert. Vergleichbar wußte eine Anfang der 60er Jahre von den Presses Universitaires de Paris herausgegebene, auch in deutscher, englischer, italienischer, japanischer, portugiesischer und spanischer Sprache erscheinende "Enzyklopädie des XX. Jahrhunderts" in ihrem einschlägigen Band, "Die amerikanische Literatur", im Kapitel "Die verlorene Generation", eine Überschrift, die ohne Nachweis bei Gertrude Stein entlehnt war, über die Autorin selbst nur zu berichten, sie sei eine Entwurzelte gewesen, die - ich zitiere jetzt wörtlich - sich befleißigte, psychologische Studien ("Three Lives") mit einem Minimum an Worten zu machen, in einem altklugen und albernen Ton, wie ihn die Verfasser von Kinderbüchern manchmal glauben für ihre jugendlichen Leser anwenden zu müssen. [JFC: "Die amerikanische Literatur"]

Das Kapitel Gertrude Stein und Stuttgart, um das es mir hier ausschließlich geht, beginnt - wie gesagt - mit einem Aufsatz Helmut Heißenbüttels in Max Benses Zeitschrift "augenblick", undzwar in einem Jahrgang, in dem auch Eugen Gomringers Manifest der konkreten Poesie, "vom vers zur konstellation" erscheint, womit sich bereits ein Zusammenhang andeutet, in dem diese Auseinandersetzung auch stattfindet. Die Unsicherheit dieser ersten Versuche zu Gertrude Stein lassen sich schon daran ablesen, daß Heißenbüttel noch glaubte, den Lesern Gertrude Stein vorstellen zu müssen in einer biographischen Skizze, die nicht ohne Fehler war.

Gertrude Stein ist 1874 in Pittsburg[h] geboren.
In Wirklichkeit wurde sie Allegheny geboren, einem Vorort von Pittsburgh, der später eingemeindet wurde.
Sie kam 1903 zu ihrem älteren Bruder nach Paris und blieb bis zu ihrem Tode 1946, abgesehen von Reisen und einem längeren Amerikaaufenthalt, in Frankreich.
In Wirklichkeit hatte Gertrude Stein drei Brüder (Michael, Simon, Leo) und eine Schwester (Bertha). Nach mehrfachen Europa- und Parisbesuchen zwischen 1900 und 1903, zieht Gertrude Stein Ende 1903, endgültig im Sommer 1904 zu ihrem dritten Bruder Leo nach Paris.
Sie lebte zuerst in Paris und später (seit Ende der 20er Jahre) in der Nähe von Lyon.
In Wirklichkeit lebt Gertrude Stein hauptsächlich in Paris, zunächst in der Rue de Fleurus, seit 1938 in der Rue Christine. 1929 hatten Gertrude Stein und Alice B. Toklas in Bilignin ein Sommerhaus gemietet, in dem sie die Sommermonate, von 1939 bis 1945 auch die Kriegsjahre verbrachten.
Eine Amerikanerin in Europa also. Ihr Werk hat durchaus amerikanische Züge. Im Grunde muß es aber zur europäischen Literatur gerechnet werden.

Ich kann das Zitat hier abbrechen. Heißenbüttel hat diesen Teil seines Aufsatzes bei einem späteren Nachdruck (in: "Über Literatur") gestrichen, weil er 1966 sicher sein konnte, daß die Kenntnisse über Person und Werk Gertrude Steins inzwischen ausreichend waren, ihren Platz in der Topographie der Moderne annähernd zu bestimmen.

Das eigentliche Anliegen Heißenbüttels, das er anhand einer Interpretation von "As a Wife has a Cow. A Love Story" vorträgt, ist bereits der programmatischen Überschrift "Reduzierte Sprache" abzulesen: die Ablehnung einer Literatur, für die (immer noch) eine Zweiteilung in Inhalt und Form, Stil und Gehalt galt.

In der Opposition gegen diese Zweiteilung läßt sich ein Ansatzpunkt für die Literatur des 20. Jahrhunderts erkennen. Die Opposition ist agressiv. Sie reduziert den Inhalt und löst die Form in ihren traditionellen Erscheinungsweisen auf. Sie ist getragen von der Intention einer neuen Sprechmöglichkeit. Diese neue Sprechmöglichkeit wird gesehen in der Rückführung und Rückbesinnung der Sprache auf sich selbst. In dieser Rückbesinnung wird die Frage nach Inhalt und Form gegenstandlos.
Zu den wesentlichen Trägern dieser Opposition muß Gertrude Stein gezählt werden. Sich mit ihrem Werk zu beschäftigen heißt zuerst und vor allem, die Kategorie des Inhaltlichen fallenzulassen.

Sich mit ihrem Werk zu beschäftigen hieß 1955 aber und ganz pragmatisch zunächst, sich mit diesem Werk bekannt zu machen. Nicht von ungefähr fügte Heißenbüttel denn auch seinem Aufsatz eine Bibliographie an von - bezeichnenderweise - noch ausschließlich englischsprachigen Titeln. Sie war unvollständig, viele der genannten Titel waren Heißenbüttel durch Autopsie nicht bekannt, darunter die für die Gertrude Stein-Forschung unerläßliche "Bibliography" von Robert Bartlett Haas und Donald Clifford Gallup.

Lektüre also und nochmals Lektüre der zum Teil nur schwer zugänglichen Bücher Gertrude Steins und vor allem auch der Zeitschrift "Transition", in der zwischen 1927 und 1948 viele Arbeiten Gertrude Steins erschienen, war also der erste Rezeptionsschritt, die erste Rezeptionsstufe. Ihnen rechne ich auch zu die Übersetzungen von "What are Masterpieces?", aber auch von uns wichtig erscheinenden Aufsätzen, die sich mit dem Werk Gertrude Steins beschäftigten, zum Beispiel B. F. Skinner's "Has Gertrude Stein a Secret?"

Ein zweiter Rezeptionsschritt, eine zweite Rezeptionsstufe war, beginnend mit Heißenbüttels "Reduzierte Sprache", die theoretische Auseinandersetzung. Hier wären - im Zusammenhang seiner ästhetisch-philosophischen Überlegungen - vor allem Aufsätze Max Benses zu nennen, der 1957 in "Kosmologie und Literatur" eine Beziehung zwischen Überlegungen Alfred North Whiteheads und Arbeiten Gertrude Steins herstellt. Im Rückverweis auf Heißenbüttels Interpretation und im Bezug auf die Peircesche Zeichentheorie spricht Bense des weiteren von geradezu einer Index-Thematik Gertrude Steins, weist auf Beziehungen hin zwischen ihren Texten und der Sprachtheorie Wittgensteins und macht aufmerksam auf Zusammenhänge zwischen ihren Texten und kubistischen Theorien.

Diesen Zusammenhängen ist Bense 1965 in einer Festschrift für Daniel Henry Kahnweiler mit einer "Theorie kubistischer Texte" gezielt nachgegangen, um 1971 noch einmal in einer Festschrift für die große Stuttgarter Germanistin Käte Hamburger die Frage zu stellen: "Was erzählt Gertrude Stein?" Anhand von "The Making of Americans" und "Tender Buttons" kommt Bense dabei unter anderen zu dem Ergebnis, daß in "The Making of Americans" nicht von Helden, sondern ein Thema erzählt werde, daß "Tender Buttons" Texte hoher ästhetischer Mitteilung seien, eine Art Literatur, die der technischen Realität unserer Zivilisation entspreche.

Gerade mit Gertrude Stein wird der Begriff des Experiments zu einem Begriff der Literatur, der Sprachkunst. Im Bereich der wissenschaftlichen Erkenntnis war er es schon immer.Der Begriff des Schöpferischen wird fast austauschbar mit dem Begriff des Versuchs. Gertrude Stein hat selbstverständlich die meta-physische Weltkonzeption im Künstlerischen genauso hinter sich gelassen wie die Wissenschaft mit der technischen Realität, die sie auf ihren theoretischen Grundlagen errichtet, und es scheint sich die Vermutung Nietzsches zu bestätigen, daß die antimetaphysische Weltbetrachtung eine artische hervorruft.

War Bense 1971 vor allem an der Frage "Was erzählt Gertrude Stein?" interessiert, hatte Elisabeth Walther bereits 1958 in ihren "Notizen über Gertrude Stein" ihr Augenmerk mehr auf das Wie gerichtet und in einer Analyse von "The Making of Americans" Skinners Kritik energisch widersprochen mit dem Hinweis, daß Prozeß und Funktion der Wiederholung im Buch Gertrude Steins nicht nur eine syntaktische (worauf doch Skinner im wesentlichen abzielt), sondern auch eine semantische und nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine metaphysische Rolle spielen. Nicht nur der Text als solcher realisiert Wiederholung, sondern auch das, worüber der Text spricht, also die menschliche Existenz. Wiederholung ist nicht nur eine artistische Kategorie, die für den Aufbau des Kunstwerks notwendig ist, sie erscheint auch als eine existentielle Kategorie, die das Dasein des Menschen bestimmt.

Elisabeth Walthers Replik blieb nicht die einzige Reaktion auf Skinner's Aufsatz, den wir ja übersetzt hatten. Eine andere Reaktion war, daß wir uns jene Veröffentlichung Gertrude Steins und Leo Solomons beschafften, an der sich Skinners Kritik entzündet hatte, einen "Normal Motor Automatism" überschriebenen Bericht über Versuche automatischen Schreibens. Und daß wir unsererseits versuchten, diese Experimente fortzusetzen, zum Beispiel in einem "Siebenminutenroman".

Hence there is no possible way of avoiding what I have spoken of, and if this is not believed by the people of whom you have spoken, than it is not possible to prevent the people of whom you have spoken so glibly.
Stuttgart am 3. Februar 1962 Biagio und etwas beginnt rote Rose blauer Himmel fährt fort Massen von Farbe treten auf aufeinander zu aufeinander die Rose ist rot der Himmel ist schwarz weiß rot zu Rot auf Rot eins zum andern der Kanzler ist schwarz eins nach dem andern eins in eins Spuren sind sichtbar Spuren von Schwarz tauchen aus dem Hintergrund auf und lassen Flächen erscheinen aber Städte Städte sind keine Städte Salons Madame Récamier mehr Yves Klein sagt er legt Hand an da neben vor übermalt eins in eins tritt die Rose den Himmel ins Kreuz übers Kreuz geht etwas vor vor den Augen vor auf der Leinwand beginnt und passiert der Kanzler den Himmel was vorkommt so kann es geschehen kommt vor taucht aus dem Hintergrund auf läßt Flächen erscheinen in Massen von Farbe die vertuscht werden zusammentreten Massen von Farbe ziehen sich in sich selber zurück etwas geschieht wenn die Rose rot ist ist der Kanzler schwarz oder der Himmel ist blau und der Kanzler ist schwarz aber ein schwarzer Kanzler passiert keinen blauen Himmel es passiert auf der Leinwand geht es vor bloße Leinwand erscheint treibt Massen von Farbe vor sich her zusammen zu flächigen Teilen werden Farben vertuscht wenn die Rechte die Linke schieben sich flächige Teile des Bildes in und auf einander ineinander und stellen sich bloß anfangs bedeckt später wolkig keine Niederschläge mittags Temperaturen um zehn Grad aber Turner Tobey & Co. sagt er Städte sind keine Großstädte Salons Salons mehr der Himmel stürzt ein kein Kanzler stürzt ab schwarz und gerissen balkenförmige farbige Streifen erscheinen am Rande treiben bloßgelegte Leinwand vor sich her treten ins Blickfeld von rechts nach links nach rechts passiert der monochrome Kanzler den Himmel der blau ist Yves Klein sagt er die blau sind rot grün oder schwarze Balken treten vom Rande am Rande ins Bild und brechen nicht ab und verändern die Lage die hoffnungslos aber nicht ernst und nachträglich eingeritzte Zeichnungen zerstören die schwarzen Formationen treten zurück zu Gunsten von Rot oder Braun oder Grün oder Blau was vertuscht wird es gibt Zwischenstufen entweder ist die Rose rot oder der Kanzler ist rot aber wenn er nicht rot ist ist er schwarz und der Himmel stürzt ein schwarz und gerissen das ist er auch kein Ende wird schön sein sagt er Rot blitzt in Rot auf Schwarz in Grün in Blau und so weiter geschieht das am Rande schiebt jeder jedem den schwarzen Peter zu hin und darüber darüber hinaus hinüber die Fläche der Leinwand und der heilige Lappen Konradins Knappe von Moskau nach Rhöndorf und zurück in der Höhe Fortschritt nach Schritt hinter Schritt die Sprache der Jecken ne jroße Erfolch Schwarz passiert Rot passiert Schwarz was ursprünglich nicht da war aber da ist und zukommt gehn wir wir können nicht warum nicht wir warten spricht die Frau Mama der Papa perce Agnese V sposalizio e purificazione die heiligen Formeln Romualda = Agata + 2 Guiliana Roh wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann und Bilder sind gemalt und werden eingestrichen und übermalt weil sie nicht gelten was ursprünglich nicht da ist gehn wir wir können nicht warum nicht wir warten auf nawasschon el papa die Magd den Hirten den Kanzler den Knappen den Schildknapp den Ludwig den Frommen o Fallada der du da hangest zwischen Bonn und Gomorra treten Spuren auf die das Bild beeinträchtigen auftauchen aber unlöschbar sind treten Reste hervor mit den Teilen eines Bildes zusammen treten Spuren der Zerstörung in Farben mit Farben zusamnmen durch sie hindurch bezeichnen sie Massen von Farben oder farbige Flächen werden vertuscht mit Huschhuschbonnselebimbam näßt sich so durch die nässen sich durch und Durchausbewegungen die unterbrochen werden und Bewegungen der Handdienichtzögert zögert die unterbrochen werden der rechten Wasdielinketutbewegungen die Achwiegutdaßniemandweißbewegungen das Spiel mit dem Apfel Spieglein Spieglein an der Wand und Rot passiert Schwarz oder Grün oder Blau dabei passiert es tritt ein etwas Vorhergesehenes tritt ein verknüpft sich wenn alles im Kreise ums Goldene Kalb sich im Sande verläuft passiert es / einer ihr von da aus der / und ein mit und hinein / der nichts als und / in ihrer zu ihrer und sie um / die sie das in die / auf den / an / und in zwei / das den zum / und wenn er / dann es aus mit / wie sie die mit übers / der / nun bin ich so alt wie der Westerwald und hab nicht gesehen daß jemand / und darüber / und wie er / auf einmal eine von / die das / es auf den / und mit fort / fehlende Teile wurden von der Zensur gestrichen die Spuren der Mauer wir melden uns nach kurzer Pause mit eigenem Programm wieder aber Zeit haben ist mehr als Zeit haben und Zeit haben ist mehr als keine Zeit haben und keine Zeit haben ist mehr als keine Zeit haben und keine Zeit haben wenn Zeit Zeit hat oder Zeit Zeit ist und keine Zeit hat Yves Klein sagt er Turner Tobey & Co. aber Städte Städte sind keine Städte Salons Salons Madame Récamier mehr wenn dies oder jenes passiert und geschieht etwas auslöst das passiert die schwarze Rose den roten Kanzler die Schrift das Papier die Kreide die Mauer die Mauerkreide die kreidet die ankreidet schwarz Schwarz passiert Blau verläuft sich in Massen von Farbe die sich bewegen lassen die rot braun grün blau schwarz sind zu flächigen Farben und farbigen Flächen unterbrochen die sich bezeichnen lassen wenn Spuren auftauchen 50 75 120 180 270 480 720 und so fort durch die flächigen Formationen hindurchtreten wenn etwas über die Fläche hingeht was vertuscht wird schmutzig ist grau die Rose ist rot der Kanzler ist schwarz wenn der Himmel blau ist ist der Kanzler alt und entweder ist das jetzt so oder der Kanzler ist dann aber auch gewiß auch das ist er das da das ist es das ist er der Abschuß der totale Abschuß lieber tot als rot die Schmutzspur die schmutzig wo etwas vertuscht wird am Schmutzrand der Randschmutz die Schmutzspur die schmutzige Bombe endlich endlich auch hier.

Dieser "Siebenminutenroman", dessen Schluß auf Gertrude Steins "Reflection of the Atomic Bomb" rekurriert, führt mich zugleich zu einem dritten, vom zweiten nur bedingt abzusetzenden Rezeptionsschritt, der Rezeptionsstufe der praktischen Auseinandersetzung mit dem Werk Gertrude Steins. Diese Auseinandersetzung könnte man auch bezeichnen als ein Experimentieren mit dem Ziel, sich neuer literarischer Redeweisen oder - wie Heißenbüttel es nannte - Sprechmöglichkeiten zu vergewissern. Dabei übernahm die praktische Auseinandersetzung nicht nur Strukturen Steinscher Texte, sie versuchte, sie auch fortzuführen, und vor allem, sie den eigenen literarischen Intentionen entsprechend sich anzuverwandeln und umzuformen so weitgehend, daß rückblickend die Bezüge zu Gertrude Stein oft kaum mehr erkennbar sind. Dabei schlug die praktische Auseinandersetzung einen, wie die folgende Anthologie belegen soll, erstaunlich breiten Fächer auf, beginnend mit Max Benses "Mischtext" "Montage Gertrude Stein 1958".

Vorwort
Die Zeit geht rückwärts, sie kennt nur Entstandenes und richtet sich nach ihm; ein böser Krebs, der jeden Schritt in Schritte zerlegt; die tiefe Beziehung, die zwischen Proust, Gertrude Stein und Beckett besteht, betrifft den Zeitpunkt der Unterbrechung des Schreibens.
Hauptwort
Paris ist eine alte reiche Dame mit Hut aus der rue Fleuris, die den Boulevard Raspail hinuntergeht, die Seine hat keine Ufer, Rive gauche ist eine Küste, ein weicher Strand, der Mantel aus rostbraunem Leder und besonders schmalem Kragen von Hermes, eingesetzte Lederbiesen umranden den goldfarbigen Knopfschluß und enden im Rücken in einem Gürtel der mit goldfarbiger Schnalle verschlossen wird, von Amaryllis ein Ensemble aus haselnußbraunem Wildleder, Jacke mit Revers und Steppereien, dazu ein glatter Rock, eine Tasche mit Schulterband und eine Mütze, sie hatte keine Eleganz, auch nicht in der Sprache, schlank und beunruhigend nur die langen Linien der Sätze, die sie nie vermied, Stoffe aus Sätzen gemacht, Textilien, die nie erzählten, es ist lange genug erzählt worden, die Erzählungen verschwiegen, was andere erhofften und zerbrachen die Entscheidung an der Spitze des Leidens, man sollte verraten was geschieht, lange genug waren die Sätze Flüsse mit Kähnen, jetzt sind sie Fäden, ausgespannt zwischen Prinzipien, manchmal schwanken die Opfer im Wind einer Idee, aber sie schreibt ja nicht, sie näht und schneidet zu, tender buttons und portraits, landscapes und birthdays, everybodys autobiography, Freunde, Fremde, William James, Münsterberg, Leo, Picasso, Matisse, sogar Hemingway, ein wenig Whitehead und Kahnweiler und etwas mehr Edith Sitwell und Carl van Vechten, aber immer Alice B. Toklas, nur das Gespräch mit Proust müßte erfunden werden auf einem der schmalen Balkone des Boulevard Malesherbes, there is none in Proust in The Making of Americans or in Ulysses, Kriege und Frieden, Autos und Hunde, Yale und Montmartre, Lectures und Speisekarten sind auch Worte und Texte nicht als ihre abgezählten Schritte, auch der Stechschritt kommt vor, stationär gewordene Zustände der Sprache, Gräber vergessener Bedeutungen, Friedhöfe verbrauchter Interjektionen, lange Listen ferner Besuche und Empfänge, Paragraphen toter Verabredungen, Grammatik der Kahlschläge, Etiketten keine Rosenkränze begünstigten ihre Vereinfachung des Geistes (heute ist Frömmigkeit, wenn Cocteau eine Kapelle ausmalt und die Insel der Pinguine dem allgemeinen Tourismus geöffnet wird... Spanien: natürlich gibt es noch ein paar Lichter in seiner schamlosen Finsternis: die flachen Apfelsinenkähne, die aus den Häfen fahren, denn die berühmten Theresien, die Unamuno versprach, sind längst geliefert, schon auf den Straßen Moskaus langweilen sie sich und werfen die Rosenkränze in die Briefkästen, Köppen hat es gesehen, und die Stierkämpfe sind die Stierkämpfe Hemingways, etwas Pomade im Haar und einen Drink auf den Lippen), leading is expressing and expressing is meaning and meaning is feeling and feeling is submitting, es gab schon so viele Sommer und man hing so oft am Leben, der Ernst den man als Kind beim Spiel hatte ist jetzt der Ernst eines death on the afternoon, allenfalls ist jeder der heute etwas zu machen versucht verzweifel[t] dabei keinen Anfang und kein Ende zu haben aber nichtsdestoweniger muß man doch irgendwie aufhören, ich höre auf, Préfecture de la Seine, Cimentière Parisien d'est, Père Lachaise, situation de sépulture: nom Gertrude Stein, date de l'inhumation Huillet 1946, 94e Division, 1e ligne 77, No. 1297.
NS.
Die genaue Datierung eines Textes bedeutet vom Standpunkt seiner Grammatik einen Bestandteil der totalen Interpunktion des Lebens seines Verfassers.

Eine weitere hier zu nennende wichtige Arbeit Max Benses ist die "Textselektion" "Rosenschuttplatz", die Hansjörg Mayer 1964 typographisch collagierte und in 10 weiteren Blättern - wie wir es damals nannten - fortgeführt hat.

ABB: Rosenschuttplatz

Max Benses "Textselektion" wurde aber nicht nur typographisch collagiert und durch Hansjörg Mayer fortgeführt, sie ist auch akustisch von der "Schola Cantorum" unter Leitung von Clythus Gottwald realisiert und mehrfach aufgeführt worden.

O-Ton: Rosenschuttplatz

Benses "Textselektion" "Rosenschuttplatz" ist schon deshalb bemerkenswert, weil sie das berühmteste Gertrude Stein-Zitat in zwei Fassungen berücksichtigt, in der ersten, noch ohne den unbestimmten Artikel, und in der heute fast ausschließlich zitierten Form, allerdings nur als dreiteilige Formel a rose ist a rose is a rose. Es war dies zugleich die meines Wissens erste typografische Auseinanderssetzung mit Gertrude Steins berühmter Rosenformel, der ein Jahr später Reinhard Döhls "rosengarten" folgte, was, wie Benses "Rosenschuttplatz", auch Kritik an der einleitend zitierten Position F.C. Weiskopfs intendierte. Gar nicht einverstanden waren wir übrigens mit der 1971/1972 entstandenen, heute in der Landesbibliothek in Stuttgart zu besichtigenden Lösung des Druckers und Typographen Josua Reichert.

Andere Experimente, die wir damals anstellten, verließen sogar den Bereich der Literatur, z.B. die durch die "Tender Buttons" angeregten Knopfcollagen, in die wir auch die Knopfspiele der jungen Else Lasker-Schüler einbezogen. Oder auch ein durch die "Tender Buttons" angeregtes experimentelles "Cooking".

Ein Buch Gertrude Steins, das Reinhard Döhl damals besonders beschäftigte, waren die "Three Lives", die 1960 in der Übersetzung von Marlies Pörtner im Arche-Verlag in Zürich erschienen waren und die er 1961 besprochen hatte. Diese "Drei Leben" provozierten einen Versuch mit literarischen Frauenportraits, der sich damals nur unterschiedlich weit treiben ließ. [An wenigstens weit gediehen ist "Das Buch Heidi", in dem Döhl u.a. die Vorlage Johanna Spyris experimentell mit einer realen Person verschnitt]. Erschienen ist "Das Buch Es Anna", in dem sich Kurt Schwitters' "Anna Blume", Gertrude Steins "Die gute Anna" (aus "Three Lives") und eine reale Person verquirrlten. Fast abgeschlossen wurde, aber unveröffentlicht blieb "Das Buch Gertrud". Es sollte ein artistisches Portrait Gertrude Steins werden und bestand aus zwei Teilen, dem auszugweise bereits vorgestellten "rosengarten" und den "bunten steinen", Texten, die ein z.T. unsinniges Bild Gertrude Steins entwerfen wollten und dabei bereits mit der Stuttgarter Gertrude Stein-Rezeption spielten.

montage gertrude stein 1958
dienstage gertrude stein 1959
mittwoche gertrude stein 1960
donnerstage gertrude stein 1961
freitage gertrude stein 1962
samstage gertrude stein 1963
sonntage gertrude stein 1964
montage gertrude stein 1965
für m.b.
7 knopfmacher mit knöpfen auf den augen und einer träne im knopfloch knopfmacher die aus allen knopflöchern stinken mit einer träne im knopfloch knopfmacher die ins knopfkraut schießen und eine träne im knopfloch
6 als ihm der knopf aufgeht ist die schwarze köchin da als er sich um knopf und kragen redet ist die schwarze köchin da wenn der knopf aber ein loch hat war die schwarze köchin da
5 sie hatte es sich an den knöpfen abgezählt so war es während sie aus allen knopflöchern platzte so war sie hat sie sich einen knopf in den faden gemacht und das war es
4 eierknöpfe und knopfjäger knopfgeldjäger und eierknöpfe wasserknöpfe eitle knöpfe sture knöpfe hohlknöpfe kohlknöpfe arme knöpfe reiche knöpfe spitzknöpfe und rundknöpfe eierknöpfe und knopfjäger
3 knopfrechnen mit knopfleiste knopfleiste und knopfrechnen knopf ab und knopf auf knopf auf und knopf zu knopf zu und knopf ab knopf ab und knopf zu knopf abundzu knopfrechnen schwach
2 hals über knopf über hals kieloben kielunten knopfüber knopfunter seinen knopf verlieren sich vorknöpfen sich hals über knopf verlieben knopflos sein knopfseidank knopfseibeiuns
1 knopfgeburten und kehlknöpfe kehlknöpfe und knopfgeburten kropfknöpfe und knopfkröpfe sich einen knopf machen den knopf zerbrechen den knopf zerbrechen knöpfe rollen sehen knopfab knopfab
0 knöpf mich ich bin der frühling
alte knopfschachtel

Natürlich gibt es auch 'seriösere' Texte in diesem "Buch Gertrud", wie unser Bemühen um Gertrude Stein ja durchaus ernster Natur war. Aber den gelegentlichen Witz, die Ironie ihrer Texte hatten wir eben auch entdeckt und uns zunutze gemacht. So auch der damals der Stuttgarter Gruppe/Schule zuzurechnende Ernst Jandl, der wiederholt den Einfluß Gertrude Steins auf sein Werk betont hat. Seine "ode auf N" lasen wir damals, bezogen auf Gertrude Steins Picasso-Portrait, als Anspielungen auf Napoleon und Geschichte:

O-Ton: ode auf N

Die kleine Anthologie fürs erste abschließend, muß ich noch einmal auf Helmut Heißenbüttel zu sprechen zu kommen. Vor allem bei ihm sind Texte erhalten und gedruckt, die das Gleichzeitige der theoretischen und praktischen Auseinandersetzung mit dem Werk Gertrude Steins ablesen lassen. Das ist bisher kaum gesehen worden. Einer der wenigen, der die Rolle Gertrude Steins bei der Ausbildung einer "Experimentelle[n] Literatur und konkrete[n] Poesie" erkannt, wenn auch falsch bewertet hat, ist Hans Hartung. 1975 geht er in einem kurzen Gertrude Stein-Kapitel auf Heißenbüttels "Reduzierte Sprache" ein und spricht davon, daß sich in Texten Steins und Heißenbüttels vergleichbare sprachliche Formelketten fänden. Er belegt seine These durch einen Vergleich von "As a Wife has a Cow. A Love Story" mit den Anfängen von Heißenbüttels "Traktat" und "Grammatische Reduktion".

Nearly all of it to be as a wife has a cow, a love story.
All of it to be as a wife has a cow, all of it to be as a wife has a cow, a love story.
As to be all of it as to be a wife as a wife has a cow, a love story, has a cow a love story, all of it as a wife has a cow as a wife has a cow a love story.
Has made, as it has made as it has made, has made as to be as
a wife has a cow, a love story. Has made as to be as a wife has a cow a love story. As a wife has a cow, as a wife has a cow, a love story. Has made as to be as a wife has a cow a love story. When we can, and for that when we can, for that. When he can an for that when he can. For that. When he can. For that when he can. For that. And when he can and for that. Or that, and when he can. For that and when he can.
And to in six and another. And to and in and six and another. And to and in and six and another. And to in six and and to and in and six and another. And to and in and six and another. And to an six and in and another and and to and six and another and and to and in and six and and to and six and in and another

Wenn ich nicht nur ich wäre sondern wir wäre ich du er sie es. Da ich ich bin und nicht wir bin ich ich und kann nur von mir reden. Wenn ich wir wäre würde ich wenn ich von mir rede von uns reden. Da ich ich bin und nur von mir reden kann rede ich nicht von uns. Aber ich denke indem ich von mir rede [als ob wir]. Ich rede als ob ich wir wäre. [Wir wären wir wenn wir von uns reden könnten. Wir hat keine Rede. Wir ist ein Phantom aus ich plus ich plus ich. Dieses Phantom ich plus ich plus ich ist ein Phantom weil wir nicht von uns reden können.]  Du redest wenn du von dir redest als der der [ich] von sich selbst redet. Er sie es reden als der der [ich] von sich selbst redet. Es gibt dich nicht weil ich nicht von dir reden kann. Ihn sie es gibt es nicht weil ich nicht von ihm reden kann. Undsoweiter. Du ist ein Gedanke von mir. Er sie es sind ein Gedanke von mir. [Wenn ich du wäre wenn ich er sie es wäre könnte ich von euch allen und von ihnen allen reden.]
Wenn ich von mir als von mir rede rede ich von mir mit Hilfe einer gramnmatikalischen Fiktion. Wenn ich von dir rede ihm rede uns rede euch rede rede ich mit Hilfe einer grammatikalischen Fiktion. Wovon ich rede rede ich mit Hilfe von. Wenn ich ich bin weil ich von mir reden kann kann ich nur von mir reden mit Hilfe von. Wenn ich von mir wie von dir ihm uns euch nur mit Hilfe von reden kann bin auch ich ein Gedanke von mir. Wenn ich ein Gedanke von mir ist gibt es mich nicht. Es gibt mich nicht weil ich wenn ich von mir rede nur mit Hilfe von reden kann. Aber ich bin kein Phantom. Denn der Gedanke von mir ist ein Gedanke von mir.
Es gibt mich [es gibt alles wovon ich reden kann] weil ich aus dem Zirkel dieses [mit Hilfe von] heraustrete und mich über die Fiktion hinwegsetze und rede als ob nicht. Ich rede als ob nicht weil die Rede die ich rede als ob redet
Ich rede wenn ich rede in einer Sprache die meiner Rede fremd ist. Meiner Rede ist die Sprache in der ich rede uneigentlich. Redend in der Sprache die der Rede fremd geworden ist wird diese Sprache anders. Redend in der Sprache die dessen Rede sich macht macht die Rede die Sprache des Redenden zur anderen Sprache. Die aufhört dessen Rede fremd zu sein.

Hans Hartung hätte nicht nur bei Helmut Heißenbüttel sondern auch bei anderen Autoren der Stuttgarter Gruppe/Schule leicht weitere Texte, ja sogar wörtliche Stein-Zitate finden können als Beleg für die intensive praktische Auseinandersetzung mit dem Werk Gertrude Steins. Und er hätte so zeigen können, wie es den Autoren in der praktischen Auseinandersetzung und Anverwandlung auch um den differenzierten Entwurf eigenen literarischen Sprechens jenseits der Konvention ging. Aber darum ging es Hans Hartung wohl gar nicht. Ihm genügte ein erster oberflächlicher Augenschein, um sich sein Vorurteil zu bestätigen:

Experimentelle Literatur und konkrete Poesie Alles in allem dürfte eine bestimmte Kombination von Eigenschaften dafür verantwortlich gewesen sein, daß Gertrude Stein eine begrenzte, aber doch tiefgreifende Wirkung auf die experimentellen Bestrebungen in der Literatur gehabt hat. Es ist die Trias "hochinspirierter Dilettantismus", "unvergleichliches Sensorium für Zeitströmungen" und "stupide Primitivität der Aussage", um die zugreifenden Formulierungen Marianne Kestings zu zitieren: "die Einfachheit von Aussage und Thematik verhält sich umgekehrt proportional zu der Kompliziertheit des Experiments an sich und der schwierigen und durchaus modernen Bewußtseinslage, aus der überhaupt ein solches Experimentieren entspringt.

Ich muß gestehen, daß ich bereits angesichts des von mir ja nur stichwortartig aufgelisteten und zitierten Materials Hans Hartung nicht folgen kann. Und ich möchte dagegen halten, daß gerade die Verbindung von Theorie (der Stuttgarter Schule) und Experiment (der Stuttgarter Gruppe) in durchaus andere Richtung weisen.

Auf zwei Stichworte habe ich - die erste Phase der Stuttgarter Gertrude Stein-Rezeption abschließend - ausgehend von dem Zweittitel der Zeitschrift "augenblick" noch einzugehen: auf Tendenz und Experiment. Diese Begriffe waren im Verständnis des Herausgebers Max Bense und - wie ich ergänze - der damaligen Stuttgarter Gruppe/Schule ja nicht alternativ getrennt (= oder), sondern konjunktional gesetzt: und. Das scheint - bezogen auf Gertrude Stein - problematisch, wollte sie doch selbst den Begriff Experiment auf ihre Arbeiten nicht angewandt wissen, nachdem sie als Psychologie-Studentin des Radcliffe College unter William James und später als Studentin der Medizin an der John Hopkins Universität unter anderem mit automatischem Schreiben experimentiert hatte. Künstler, wird sie zum Beispiel von Thornton Wilder zitiert:

Künstler experimentieren nicht. Experimentieren ist Sache der Wissenschaftler; sie machen sich daran, mit unbekannten Faktoren zu experimentieren um von den Resultaten belehrt zu werden.
Ein Künstler legt nieder was er weiß, und in jedem Augenblick ist es das was er in jedem Augenblick weiß. Wenn er mit Dingen Versuche anstellt um zu sehen was aus ihnen wird, ist er ein schlechter Künstler.

Dem gegenüber steht einmal in der Stuttgarter Schule/Gruppe eine sehr enge Verbindung von Wissenschaft und Literaturproduktion mit durchaus fließenden Grenzen, zum anderen ein erweiterter Experiment-Begriff, der das gedankliche Experiment ebenso mit einschließt wie die Erweiterung, die dieser Begriff in den modernen Naturwissenschaften erfahren hat. Max Benses Begriffgebrauch belegt dies ebenso wie zwei Aufsätze Helmut Heißenbüttels, "Was bedeutet eigentlich das Wort Experiment" und "Keine Experimente? Anmerkungen zu einem Schlagwort" aus den Jahren 1963 und 1965, wie ein mehrfach erweiterter Aufsatz von Reinhard Döhl, "Das Experiment mit der Sprache", zuerst 1964, zuletzt 1989.

Helmut Heißenbüttel versah 1965 mit einem Fragezeichen, was Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre auch eine vielbemühte Wahlparole der regierenden CDU war: Keine Experimente! Sich auf Experimente einzulassen, war also schon von daher tendenziell politische Opposition, und die Experimente mit der Sprache insbesondere. Sprache, hatte dies 1959 der damals unseren Versuchen noch ferner stehende Günter Eich formuliert:

Sprache, damit ist auch die esoterische, experimentierende Sprache gemeint. Je heftiger sie der Sprachregelung widerspricht, um so mehr ist sie bewahrend. Nicht zufällig wird sie von der Macht mit besonderem Zorn verfolgt. Nicht weil der genehme Inhalt fehlt, sondern weil es nicht möglich ist, ihn hineinzupraktizieren. Weil da etwas entsteht, was nicht für die Macht einzusetzen ist. Es sind nicht die Inhalte, es ist die Sprache, die gegen die Macht wirkt. Die Partnerschaft der Sprache kann stärker sein als die Gegnerschaft der Meinung. [Rede zur Verleihung des Büchner-Preises]

So verstanden verbanden sich in der ersten Phase der Stuttgarter Gertrude Stein-Rezeption in der Tat Experiment und Tendenz, war die von Helmut Heißenbüttel für Gertrude Stein geltend gemachte Opposition in ihrer Rezeption durchaus beides: Opposition gegen traditionelles Literaturverständnis und Opposition gegen eine politische Wirklichkeit, die im Interesse der Machterhaltung auf Sprachlenkung aus war und nicht nur deshalb das Experiment verteufelte.

Zunächst weitgehend in Unkenntnis dieser ersten Phase kommt es in der 90er Jahren zu einer zweiten Phase der Stuttgarter Gertrude Stein-Rezeption: dem weit über Stuttgart hinauswirkenden dreiteiligen Gertrude Stein-Projekt 1990-1994 der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst. Ihm vorausgegangen waren 1986, 1987, 1988 mehrere Symposien in Culoz/Bilignin, dem langjährigen Sommersitz Gertrude Steins und Alice B. Toklas', an denen amerikanische, französische und deutsche Künstler und Studenten beteiligt waren. Initiiert waren diese Konferenzen von dem schon genannten amerikanischen Professor Robert Bartlett Haas, einem langjährigen Kenner und Vertrauten Gertrude Steins, der sich nach seiner Emeritierung in Nürtingen niedergelassen hatte. Robert Bartlett Haas war es auch, der dann das Stuttgarter Gertrude Stein-Projekt wissenschaftlich beriet.

Auf dem letzten Symposion in Culoz, 1990, meldeten sich erstmals Dozentinnen und Dozenten, Studentinnen und Studenten der Stuttgarter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst mit einem Studienprojekt zu Wort, einer unter Leitung von Gerdi Sobek-Beutter erarbeiteten "Hommage à Gertrude Stein", "Eine Amerikanerin in Paris".

Einspielung: Video

Dieses Studienprojekt wurde aber nicht nur in Culoz vorgestellt, sondern - immer wieder modifiziert - 1990 bis 1992 im Stuttgarter Amerikahaus, der Nürtinger Kreuzkirche, dem Cannstatter Wilhelma-Theater, dem Theater im Zimmer in Hamburg, dem dortigen Amerikahaus und anderen Orts, ging also als inszenierte Literatur regelrecht auf Tournee. Und nicht nur als inszenierte Literatur, sondern begleitet von Rahmenprogrammen: von Dichterlesungen, musikalischen Aufführungen, Ausstellungen zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler und von Vorträgen. So daß man die beiden Phasen der Stuttgarter Gertrude Stein-Rezeption - einer Einteilung des englischen Kunstkritikers und -historikers Lawrence Alloway folgend - auch derart unterscheiden könnte, daß der ursprünglichen und notwendigen Landnahme jetzt die Phase der Kolonisation folgte, daß sich einer Phase produktiver jetzt eine Phase wechselweise produktiver und reproduktiver Rezeption anschloß.

Allerdings - mit dem Anschluß war es eine eigene Sache. Infolge eines immer gravierenderen kulturellen Kurzzeitgedächtnisses waren nämlich die Bemühungen der Stuttgarter Gruppe/ Schule aus den 60er Jahren praktisch in Vergessenheit geraten, mußten erst wieder entdeckt werden. Das geschah 1993 im zweiten Teil der Hommage, die entsprechend auch "Die Avantgarde" überschrieben war und sich nicht mehr nur auf inszenierte Literatur und ein umfassendes Rahmenprogramm beschränkte, sondern mit der Uraufführung von Arnie Greenbergs "Goddy Goody" ein Theaterstück einspielte, das die Pariser Welt Gertrude Steins, die Avantgarde zu Beginn des Jahrhunderts lebendig werden ließ. Gleichzeitig wurden ihr Texte Max Benses, Helmut Heißenbüttels und ein akustisches Spiel Reinhard Döhls konfrontiert, so daß sich auf der Bühne des Wilhelma-Theaters praktisch zwei Avantgarden begegneten, kontrastierten und gleichzeitig als Verlautbarungen einundderselben Tradition auswiesen.

Um diese Begegnung wenigstens akustisch anzudeuten, stelle ich Ihnen nacheinander je einen Ausschnitt aus Greenbergs "Goddy Goody" (Regie: Gerdi Sobek-Beuter) und Döhls "man" (Regie: Christian Hörburger) vor. Hörburgers Regie mischt dabei die aktuelle szenische Realisation mit dem Original-Ton einer alten Aufzeichnung des Westdeutschen Rundfunks aus dem Jahre 1969.

O-Ton: Goddy Goddy
O-Ton: man

Natürlich wurde auch dieser zweite Teil der Trilogie außerhalb Stuttgarts, u.a. im Landestheater Tübingen, wiederholt, war er von einer Vielzahl von Vorträgen, Ausstellungen und musikalischen Aufführungen flankiert, die aufzuzählen ich mir erspare, mit einer Ausnahme, der deutschen Erstaufführung der Oper "Four Saints in Three Acts", 1994 in der Stuttgarter Friedens- und der Nürtinger Stadtkirche. Diese Aufführung, die auch einem deutschen Opernhaus gut angestanden hätte, ist dankenswerter Weise aufgezeichnet worden, so daß ich mit einer kurzen Einspielung wenigstens einen Eindruck vermitteln kann.

Einspielung: Four Saints in Three Acts

Im Oktober 1994 schließlich wurde mit einer weiteren Uraufführung im Wilhelma-Theater die Trilogie und "Hommage à Gertrude Stein", und mit ihr die zweite Phase der Stuttgarter Gertrude Stein-Rezeption fürs erste abgeschlossen. Undzwar mit einem eigens für diesen dritten Teil, der unter dem Stichwort "Identität" stand, geschriebenen Stück Reinhard Döhls: "es war morgen was gestern war oder die reise nach jerusalem".

Und wiederum gingen die Sprecher mit diesem Stück auf Tournee, ins Insel-Theater nach Karlsruhe, ins Hamburger Amerikahaus, nach Nürtingen in die Kreuzkirche, ins Schauspielhaus Wuppertal, jetzt nach Filderstadt und Ende des Monats zu einer letzten Aufführung ins Grazer Forum Stadtpark. Sie haben die Möglichkeit, sich dieses Stück am 16. März in der Alten Mühle, Bonlanden anzusehen, so daß ich zu ihm nichts weiter sagen muß. Im Rahmen dessen, was ich in den letzten anderthalb Stunde referiert habe, möchte ich lediglich darauf hinweisen, daß dieses Stück - um die über vierzigjährige Tradition der Stuttgarter Bemühungen um Gertrude Stein anzudeuten - auch Zitate aus den 60er Jahren verwendet, unter anderem aus dem unveröffentlichten "Buch Gertrud". Ich gebe mit dem Hinweis, daß wir zu Gertrude Steins 50. Todestag 1956 noch ein "Memorial" planen, ich gebe - damit zugleich mein Referat in der Gegenwart beendend - ein Beispiel und schließe direkt daran an eine Einspielung der entsprechenden Sequenz aus "es war morgen was gestern war oder die reise nach jerusalem".

a) beginnen. ein spiel
ich beginne
was ist ein schauspiel
du beginnst
ein schauspiel ist die wirklickeit
wir beginnen
eine entschuldigung ist keine traurigkeit
sie beginnen
eine scheibe brot ist nicht butter
wir begannen
es gibt ein erstarren in kälte
du begannst
es gibt kein erstarren in vorsicht
ich begann.
das gesprochene beispiel ist ein zeichen
ihr beginnt
ein schauspiel ist die ähnlichkeit
er sie es beginnen
was ist ein schauspiel

b) gertie, alice und elsi nehmen spielerisch die stühle wahr umschreiten sie und sprechen im wechsel
ich beginne
was ist ein schauspiel
ein schauspiel ist die ähnlichkeit
wir beginnen
eine entschuldigung ist keine traurigkeit
sie begannen
eine scheibe brot ist nicht butter
wir begannen
es gibt kein erstarren in kälte
du begannst
es gibt ein erstarren in vorsicht
ich begann
das gesprochene beispiel ist ein zeichen
ihr beginnt
ein schauspiel ist die ähnlichkeit
er sie es beginnen
was ist ein schauspiel
sprecher ein schauspiel ist die ähnlichkeit
eine entschuldigung ist keine traurigkeit
eine scheibe brot ist nicht butter
es gibt kein erstarren in kälte
es gibt ein erstarren in vorsicht
das gesprochene beispiel ist ein zeichen
ein schauspiel ist die ähnlichkeit
was ist ein schauspiel
gertie und alice haben wieder ins spiel gefunden und sprechen im dialog
wir gingen also weiter
und die leute sagten freundlich
amerikanischer akzent
hallo
und wir sagten
amerikanischer akzent
hallo
elsi ich bin nun aus prag wieder da
saß dort zwei stunden im kerker
wegen störung in der nacht
gertie und alice im dialog
und wir dachten
welche erfreuliche ähnlichkeit
doch zwischen new york und bilignin war
wo auf dem lande jeder im vorbeigehen
französischer akzent
hallo
sagt wie man es auf dem lande tut
elsi was soll man anderes in der nacht tun
ich hielt nur meinen 25 begleitern
aus einer tiefen nische einer kirche
die auf einen platz blickte
eine rede in arabischer sprache
über mein mißgeschick
gertie und alice im dialog
und dann sahen wir ein obstgeschäft
und wir gingen hinein
hallo miss stein sagte der mann
hallo sagte ich
und wie gefällt es ihnen sagte er
sehr gut sagte ich
er sagte es muß doch erfreulich sein
nach dreißig jahren zurückzukommen
und ich sagte
ganz bestimmt
elsi und als nach jahren mohammed pascha
der weißbärtige zum rosenfeste
nach der nilhauptstadt reiste
erzählte ihm seine tochter tino
auf dem wüstenwege
wie sie verspottet wurde
von dem torwächter der khediven
noch in derselben nacht
weckte mohammed pascha sein gefolge
gertie und dann kamen wir an land
dann in den zug und dann
mit einem rutsch nach paris
die städte die wir sahen
beunruhigten mich
elsi auf seinem schweren elefanten saß er
und ritt über die ruhenden leiber
der würdenträger und sklaven
und sie sollten diese
stunde nicht vergessen
alice gertie begann damals
landschaften zu beschreiben
als ob alles was sie sah
ein naturphänomen sei ein ding
das an sich bestand und
diese übung fand sie sehr interessant
elsi ich hatte damals meine ursprache
wiedergefunden noch aus der zeit sauls
des königlichen wildjuden herstammend
und ich verstehe sie noch heute
zu sprechen die sprache die ich
wahrscheinlich im traume einatmete
gertie ich versuche so alltäglich wie möglich zu schreiben
alice sagt sie oft zu mir
und dann sagt sie manchmal
ein wenig beunruhigt
gertie so alltäglich ist es auch wiederum nicht

[Vortrag 2.10.1993 Wilhelma-Theater, Stuttgart; erweiterte Neufssg: 1.3.1996 Filderstadt: Gertrude Stein und Stuttgart. Druck: Semiosis. Internationale Zeitschrift für Semiotik und Ästhetik, Jg. 18, 1993, H. 3/4 (H. 71/72 der Gesamtfolge), S. 125-134; Nachdruck in den Programmheften zu "es war morgen was gestern war", 1994 und zu "I.M.P.U.L.S.E", 1996]