Reinhard Döhl | Zu Friedrich Wolfs "SOS ... Rao, Rao ... Foyn - "Krassin" rettet "Italia"

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Bei dem Versuch, die ersten sechs Jahre Hörspielgeschichte zu gliedern, wurde in der letzten Sendung vorgeschlagen, drei Phasen zu unterscheiden. Ich darf kurz rekapitulieren und bei dieser Gelegenheit die beiden ersten Phasen mit dem auszugsweisen Zitat je eines Beispiels belegen. Beide Zitate lassen sich dabei in einem wenigsten indirekten Zusammenhang mit dem heutigen Beispiel hören und können so helfen, die vorgeschlagene Gliederung weiter zu differenzieren.

Nach dem Vorschlag der letzten Sendung bilden die Jahre 1924/1925 eine erste Phase der Hörspielgeschichte. Ihre Produktionen sind wesentlich durch ein verständliches Interesse an der Darstellung fingierter oder echter Katastrophen charakterisiert und damit durch den Versuch, den Hörer zum scheinbar zufälligen Ohrenzeugen einer Sensation zu machen. Es geht um die Erprobung und Demonstration der "akustischen Illusionsmöglichkeiten" (Ulrich Lauterbach) des neuen Mediums. Und diese Demonstration "medium-gebundener Suggestivkraft" (Klaus Schöning) funktioniert so gut, daß man zum Beispiel im Falle des ersten französischen Hörspiels in weiser Voraussicht mitten in der totalen Schiffskatastrophe, beim Untergang des Schiffes aus dem Spiel fällt, um den Hörer zu beruhigen, daß "die Menschen, deren Tod sie gerade miterlebt haben, (...) alle noch am Leben" sind. Hören Sie einen Ausschnitt aus der Neuproduktion des Hessischen Rundfunks.

Einspielung
Maremoto

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Geht es hier den beiden Verfassern Gabriel Germinet und Pierre Cusy auch um die Frage:

Zitat

Wie sind die Geräusche?

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und die Antwort:

Zitat

Ganz hübsch, ganz hübsch. Das Meer könnte ein bißchen stärker sein. Es kommt etwas leise -

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so dient die zweite Phase der Hörspielgeschichte - 1926 bis 1928 - vor allem der konsequenten Erprobung der Materialien und medialen Möglichkeiten. An die Stelle der fingierten oder echten äußerlichen Sensation tritt in zunehmendem Maße so etwas wie eine primär akustische Sensation, eine "Hörsensation" (Helmut Heißenbüttel). Wobei "Hörsensation" eingeschränkt als eine ans Medium gebundene, nur durch das Medium zu vermittelnde und von ihm gelöst nicht mehr existente Sensation verstanden werden soll.

Wichtige Beispiele dieser Phase sind die sogenannten "akustischen Filme" und - sie fortsetzend - seit etwa 1930 die sogenannten "Aufrisse", die Alfred Braun als "Versuche" verstanden wissen will,

Zitat

ein Thema der Geschichte oder des Zeitgeschehens, eine Erscheinung des äußeren oder ein Problem des inneren Lebens in Variationen zu behandeln. Dokumentarische Zeugnisse standen neben Spielszenen, realistische Diskussionen neben literarischen Spiegelungen, scheinbar ungeordnet, wie einem Zettelkasten entnommen, und doch innerlich gebunden und die Totalität anstrebend. Vielleicht wird man heute darin das erste Experimentieren an der Form des "Feature" sehen dürfen.

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Soweit noch einmal ein Zitat Alfred Brauns, das wie die beiden Zitate der letzten Lektion deshalb so wichtig ist, weil leider keine "akustischen Filme" jener Jahre als Aufzeichnung erhalten sind. Ein paar erhaltene kurze Sequenzen eines später datierenden "akustischen Films" beziehungsweise "Aufrisses" können diese Zitate weiter ergänzen. Umso mehr, wenn man sie mit dem themaverwandten Beispiel der letzten Lektion - "Brigadevermittlung" - vergleicht.

Einspielung
Menschheitsdämmerung

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Diese Sequenzen stellen aber zugleich - bezogen auf den Hörspieltyp des "akustischen Films" - einen Grenzfall dar. Sie bieten eine Mischung akustischer und semantisch-faktischer Sensation Krieg. Damit verweist diese Sequenzenfolge auf die dritte Phase der Hörspielgeschichte seit spätestens 1929. Das ist einmal wichtig für die noch zu schreibende Geschichte des Feature, die in einer der folgenden Sendungen wenigstens skizziert werden wird. Zum zweiten erweist sich diese kurze Sequenzenfolge als interessantes Binde-, ja - bei Mißachtung der historischen Reihenfolge - sogar als Zwischenglied zwischen "Maremoto" und unserem heutigen Beispiel auf der einen, zwischen dem "akustischen Film" und dem der dritten Phase zuzurechnenden "SOS... Rao, Rao ... Foyn" Friedrich Wolfs auf der anderen Seite.

Diese dritte Phase beginnt, um auch dies kurz zu rekapitulieren, zunächst mit der Darstellung sich ereigneter sensationeller Begebenheiten in zeitlicher Nähe ihrer Darstellung. Und sie führt 1929 zu einer Anzahl - wie man sagen könnte - zeitbezogener Hörspiele.

Den größten zeitlichen Abstand zu seinem Gegenstand hat dabei Ernst Johannsens um einen "Klappenschrank" gruppiertes Stimmenspiel "Brigadevermittlung", der Versuch einer modellhaften Darstellung des Grauens, des wehrlos Ausgeliefertseins an die unsinnige und unmenschliche Maschinerie des 1. Weltkrieges.

Eineinhalt Jahre nach der ersten Überquerung des Atlantischen Ozeans im Flugzeug durch Charles Lindbergh gab Bertolt Brecht eine chorisch-balladeske Interpretation dieser fliegerischen Leistung: "ein Radiolehrstück für Knaben und Mädchen, nicht die Beschreibung eines Atlantikfluges, (und) zugleich eine bisher nicht erprobte Verwendungsart des Rundfunks, bei weitem nicht die wichtigste, aber einer aus einer Reihe von Versuchen, welche Dichtung für Übungszwecke verwenden."

Ein Jahr nach dem mißglückten Polflug des italienischen Luftschiffs Italia griff Friedrich Wolf diese damals mehrfach behandelte Katastrophe auf unter dem Aspekt des vergeblichen Rettungsversuchs durch den russischen Eisbrecher Malygin und der erfolgreichen Rettungsfahrt des damals stärksten, ebenfalls russischen Eisbrechers Krassin.

Allen drei Hörspielen gemeinsam ist der Versuch, Wirklichkeit zu interpretieren, einen singulären Fall, ein aktuelles Ereignis zum Modellfall zu verallgemeinern. Allerdings auf der Folie der technischen Wirklichkeit des 20. Jahrhunderts.

- So geht es Johannsen um den der technischen Vernichtungsmaschinerie des 1. Weltkrieges wehrlos ausgelieferten Menschen allgemein, nicht um individuelles Schicksal.

- So geht es Brecht um die kollektiv verstandene Leistung der Ozeanüberquerung:

Zitat

Bitte tragt mich / In einen dunklen Schuppen, daß / Keiner sehe meine / Natürliche Schwäche. / Aber meldet meinen Kameraden in den Ryanwerken von San Diego / Daß ihre Arbeit gut war. / Unser Motor hat ausgehalten / Ihre Arbeit war ohne Fehler.

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- So geht es Wolf - der hier mehr Erbe des Expressionismus ist und nicht, wie man vermutet hat, des Naturalismus - um das

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wohl erste Heldenlied unserer Zeit, unserer Technik, unserer Solidarität. Nicht der Impuls eines Übermenschen, nicht das "Ethos" eines Religions- oder Staatsgedankens hat dieses Rettungswerk ermöglicht, sondern die von der Technik beflügelte Solidarität der Völker."

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Es ist die ähnlich wie bei Brecht kollektiv verstandene technische Leistung, die Wolfs "SOS ... Rao, Rao ... Foyn" so deutlich von Walter Erich Schäfers "Malmgreen" unterscheidet, daß ein vom Vorurteil des literarischen als des eigentlichen Hörspiels bestimmtes gegenseitiges Werten am eigentlichen Problem vorbeizielt. Denn Schäfer will, wie Heinz Schwitzke zu recht feststellt, "inhaltlich und formal etwas ganz anderes" als Wolf. Und genau dieser andersartige Ansatz- beziehungsweise Ausgangspunkt läßt zwar den Vergleich, keinesfalls aber eine Wertung zu. Doch darf ich zunächst Schwitzke im Zusammenhang zitieren:

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Wolf will realistisch, aber mit dramatischem Pathos, Sprechchören und Gesängen eine Art Kollektiverlebens wiedergeben, eine Heilstat aus ideologischer Kraft, die plakativ mitreißen und überzeugen soll. Die Rettungsoperation des russischen Eisbrechers überwindet alle tödlichen Schwierigkeiten leicht, der einzelne ist nur ein unbedeutendes Glied einer politisch-technisch durchorganisierten Welt.

Schäfer will inhaltlich wie formal etwas ganz anderes, viel Schlichteres und Allgemeingültigeres ausdrücken: das Humane. Sein Held ist keine massierte Macht,

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das ist er auch bei Wolf nicht! -

Zitat

sondern ein wortkarger Gelehrter.

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Und eben damit ein Individuum, um das es Johannsen kaum, Brecht und Wolf aber keinesfalls geht.

Zitat

Seine Sprache ist, fernab von jeder pathetischen Selbstsicherheit, die Sprache eines Mannes, dessen menschliche Leistung "nur" darin besteht, daß er, um den anderen zu helfen, mit der eigenen Schwäche und dem eigenen Tod fertig wird. Das ist, gerade weil es das Geschehen als Einzelschicksal sieht, und es auf innere Vorgänge in einem Einzelnen reduziert, als Aussage, die durch das so intime Medium des Rundfunks aus dem stillen Studio des Funkhauses in das private 'Kämmerlein' des Einsamen und Einzelnen getragen wird, unendlich viel glaubwürdiger

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Es ist leicht einsichtig, daß eine solche Auffassung von Hörspiel in der DDR nicht unwidersprochen bleiben konnte. Besonders gegen Schwitzkes Brecht-Interpretation polemisiert denn auch Siegfried Hähnel in seinem instruktiven Aufsatz über den "Funktionswandel der Worthandlung im Hörspiel und den spezifischen Charakter dieser Kunstform".

Hähnel wirft darin der bürgerlichen Forschung allgemein vor, daß sie "die Entwicklung des Hörspiels aus den historisch-gesellschaftlichen Bezügen, aus dem Zusammenhang von Zweck und Funktion" herauslöst. Zum "Maßstab der historischen Bewertung" werde "die Entdeckung der sozusagen ewiggültigen gattungseigenen Möglichkeiten" genommen, "wobei aber gleichzeitig in den verschiedensten Variationen eine gesellschaftlich nicht progressive Funktion mehr oder weniger stillschweigend vorausgesetzt" werde.

Gerade die notwendig kontroverse Einschätzung des Wolfschen Hörspiels und Brechtschen Radiolehrstücks hilft aber, so meine. ich, zu einem besseren und gerechteren Einschätzen des historischen Stellenwertes und der hörspielgeschichtlichen Bedeutung dieser beiden Stücke, von denen heute Abend vor allem das Wolfsche interessiert.

Ich darf deshalb noch einmal auf den Aufsatz Hähnels zurückkommen. So meldet Hähnel gegenüber der Dissertation H. G. Funkes über die "Literarische Form des deutschen Hörspiels in historischer Entwicklung" keine Einwände an, wenn Funke herausstellt: Schäfer habe mit seinem "Malmgreen" einen "ganz wesentlichen Schritt" getan, "ein neues funkisches Prinzip" entdeckt, das "in dem den ganzen seelischen Innenbereich aufschließenden Innenmonolog" "der Funk-Poesie das Geheimnis der Individualität" eröffnet habe. Dagegen kritisiert Hähnel, daß Funke - übrigens schon vor Schwitzke - "gleichzeitig aus diesem Grunde dieses Hörspiel in der historischen Bewertung gegen Friedrich Wolfs 'SOS ... Rao, Rao ... Foyn' aus dem gleichen Jahre" ausspiele:

Zitat

So hält nach Funke die Sprache Wolfs "im großen und ganzen den vital-naturalistischen Jargon einer poetisch nicht verfeinerten Ausdrucksweise durch; verzichtet auf dichterische Tiefe zugunsten einer dem Alltagsleben eingegliederten aktualisierten Sprechweise", so vermochte zwar "das kollektive Ethos Wolfs den sicheren Einsatz der funkischen Mittel zu bewirken, aber er entfernte sich dabei von einem auch gleichzeitig literarischen Formkönnen", während Schäfer eben "die Bezirke des 'poetischen Innenraums' zugänglich geworden" wären.

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Die "entscheidende, wirklich historische Leistung" Wolfs sieht Hähnel dagegen in der "Umfunktionierung des Hörspiels, ja - für die Sendezeit - des Rundfunks im gesellschaftlich progressiven Sinne". Darin,

Zitat

daß Wolf es, ausgehend von der "von der Technik beflügelten Solidarität der Völker" und der Tatsache, "daß zwei einander bekämpfende politische Systeme durch Hilferufe des Funkers Biagi zu einer gemeinsamen brüderlichen Aktion zusammenstanden, um Menschen aus Eis- und Todesnot zu erretten", erreichte, daß erstmals im deutschen Rundfunk das "Ethos" einer neuen proletarischen Gesellschaft "verkündet" und erstmals die Internationale von einem deutschen Sender ausgestrahlt wurde.

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In jedem Fall wird seine Einschätzung den Intentionen Wolfs, dessen Einleitung er zitierend in seine Argumentation einbezieht, am ehesten gerecht. Diese Einleitung, in der Berliner Inszenierung übrigens von Alfred Braun gesprochen, spricht für sich und braucht deshalb hier nicht weiter erörtert zu werden. Eins entgeht aber auch Hähnel. Ähnlich wie kurz nach ihm Schwitzke, urteilt auch H.G. Funke vom Vorverständnis eines "literarischen Formkönnens" aus und kritisiert von daher die Sprache Wolfs.

Nun hat gerade Wolf sich über seine Sprache sehr genaue Gedanken gemacht: "Das rasend Schwierige" schreibt er z.B. am 2. Mai 1929 an Else Wolf, "ist tatsächlich die Sprache". Und er charakterisiert sein Verhältnis zur Sprache anhand einiger als Beleg zitierter Dramentitel als eine Entwicklung von einer "übernommenen Sprache" über die Ausprägung einer "eigenen Sprache" zur "Sprache der Menschen von heute". Das heißt aber, wenn man sein Hörspiel genau abhört und ein fraglos auch auf Konto der Regie und des Zeitgeschmacks gehendes pathetisches Überhöhen überhört, daß es Wolf eben nicht um das Durchhalten eines "vitalnaturalistischen Jargons", um naturalistische Umgangssprache geht. Daß er statt dessen vielmehr an einer objektivierten, durch Umgangssprache angereicherten Sprache (Walther Pollatschek) interessiert ist. Seit 1918 zum linken Flügel der USPD zählend, im Jahre der Bildung des Thälmannschen ZK, der KPD beigetreten, stellt sich ferner für den Autor Wolf die Frage nach den "gattungseigenen Möglichkeiten des Hörspiels" nur im Zusammenhang mit den "konkreten historisch-gesellschaftlichen Voraussetzungen und Aufgabenstellungen" (Hähnel).

Insofern ist er nicht nur einer der ersten "Dichter", die für den Funk Hörspiele schreiben, sondern er ist neben Brecht auch einer der ersten Autoren, die an eine Umfunktionierung des Hörspiels, und - für dessen Sendezeit - auch des Rundfunks" in einem politischen, auf Gesellschaftsänderung zielenden Sinne denken.

Damit wird aber das Massenmedium Rundfunk im Bereich des Hörspiels zu jenem "Instrument politischer Meinungsbildung" und -äußerung, das er in seinen Anfängen nach Meinung Hans Bredows schon deshalb nicht sein konnte, weil "diese Absicht unbestreitbar auf einen starken Widerspruch gestoßen" wäre, der die Entwicklung wesentlich verzögert hätte.

Ich überspitze möglicherweise, aber mir scheinen die Niederschrift und Produktion des Wolfschen "SOS .. Rao, Rao .. Foyn", des Brechtschen Radiolehrstücks in der dritten Phase der Hörspielgeschichte einen wesentlichen Punkt anzudeuten, eine Konsequenz zu signalisieren, auf die eine Analyse der Hörspielentwicklung in der DDR zum Beispiel immer wieder zurück reflektieren müßte.

Eine genaue Überprüfung der Hörspielprogramme zeigt allerdings, daß Wolf und Brecht keine Einzelfälle darstellen, wenngleich sie am konsequentesten scheinen. Klaus Schöning hat 1967 in seiner Bestandsaufnahme "40 Jahre Hörspiel im WDR" auf die unter Leitung Ernst Hardts relativ große Gruppe politisch zeitbezogener Hörspiele der Jahre 1929 bis 1933 hingewiesen und dabei auf Autoren wie Rudolf Leonhard oder den Arbeiterdichter und persönlichen Protégé Hardts, Karl August Düppengießer, um hier wenigstens zwei Namen zu nennen.

Ebenfalls nur andeuten kann ich auch eine in diesem Zusammenhang interessante Diskussion über das "mannigfache und zusammengesetzte Publikum", in der 1929 als Ergebnis von Hörerpost-Kritik und "persönlicher Aussprache mit Vertretern der verschiedenen Bildungskreise der Funkhörer" zusammengefaßt wurde,

Zitat

daß die sogenannte werktätige Bevölkerung nach dem künstlerisch-kulturellen Gut (...) am hungrigsten verlangt, ja, daß sie schlechtweg eine kulturelle Haltung des Rundfunks fordert.

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Zwischen diesem Ergebnis, den Intentionen Wolfs, Brechts und anderer und der Entwicklung des "Arbeiter-Radio-Klubs e.V." (1924) zum "Arbeiter-Radio-Bund" (1927) zum "Freien Radio-Bund" (1929) scheinen mir Zusammenhänge und Widersprüche deutlich zu werden, die einer gründlichen Analyse bedürften. Umso mehr, als die bisher vorliegende Literatur über das Hörspiel sie entweder übersehen zu haben scheint oder - falls sie das eine in ihre Argumentation hineinnimmt - durch das Auslassen des anderen diese Spannungen und Widersprüche verdeckt.

Im Gegensatz zu Schwitzke - um hier abschließend noch einmal zu den einleitenden Überlegungen zurückzukehren - möchte ich innerhalb des Versuchs einer "Geschichte und Typologie des Hörspiels" weniger für "Malmgreen" als vielmehr für "SOS ... Rao, Rao ... Foyn" von einer Nähe beziehungsweise Vorstufe des Feature sprechen, das sich bereits in den "akustischen Filmen" andeutet und in den "Aufrissen" - wenn man der Beschreibung Brauns folgen will - weiter herausbildet. Was Braun dabei unter anderem für den "Aufriß" als eigentümlich anführt: dokumentarische Zeugnisse, Spielszenen, realistische Diskussionen, literarische Spiegelungen - wie einem Zettelkasten entnommen, das könnte mit Einschränkungen auch für Wolfs Hörspiel geltend gemacht werden.

Und noch ein Zweites: die von Braun halb entschuldigende Einschränkung, im Anfang sei nicht das Wort, sondern die Technik gewesen - scheint auch für "SOS .... Rao, Rao ... Foyn" mit Einschränkungen zuzutreffen. Zumals Wolfs Interesse an der Technik, präziser gesagt: an den Möglichkeiten des Funks in diesem Hörspiel so hervorstechend ist, daß ein oberflächliches Abhören es als Darstellung äußerlicher Ereignisse, eines sensationelles Falles - ähnlich "Maremoto" - erscheinen läßt. Entsprechend rechnet auch Eugen Kurt Fischer ("Hörspiel, Form und Funktion") Wolf jenen Autoren zu,

Zitat

die die Technik als Mitspieler überschätzen, weil sie meinten, eine Kunstform, die sich einer technischen Vermittlungsapparatur bediene, müsse diese dem Hörer möglichst oft zu Bewußtsein bringen.

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Man wird Fischer hier jedoch nur bedingt zustimmen können. Erstens, weil Wolf die Italia-Katastrophe ursprünglich gar nicht als Hörspiel gestalten wollte:

Zitat

Als die Nobile-Tragödie die ganze Welt erschütterte, wollte ich zunächst ein Schauspiel daraus machen. Doch wurde ich mir bald darüber klar, daß die häufige Verschiebung zu lösen sei. So begann mich das funkische Problem zu interessieren.

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Bezeichnend scheint mir in diesem Zusammenhang auch, daß Wolf den ersten Satz seiner Einleitung

Zitat

Das folgende Spiel wurde geschrieben, weil der Stoff hierzu herausforderte

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für die "Gesammelten Werke", in denen er ferner "die szenische Anlage" skizziert, umschrieb: "Das Spiel - eine Synthese von Bühne, Funk, Film - wurde geschrieben, weil der Stoff hierzu herausforderte" und so den multimedialen Charakter seines Spiels hervorhob.

Zweitens: wird man Fischer aber auch deshalb nur bedingt zustimmen, weil es Wolf ja, wie seine Einleitung deutlich sagt, um mehr als um die überschätzte "Technik als Mitspieler", das Bewußtmachen der "technischen Vermittlungsapparatur" geht. Denn ein Autor, der für "die von der Technik beflügelte Solidarität der Völker" plädieren will, muß der Technik den gebührenden Stellenwert, die gebührende Rolle zuweisen. So war es auch weniger der gesellschaftspolitische Impetus als vielmehr die ins Spiel gebrachte Technik, das funktionable Spiel mit den technischen Möglichkeiten, das Wolfs Hörspiel nicht nur in Deutschland erfolgreich machte, sondern zwei Jahre nach seiner Erstsendung in einer französischsprachigen Inszenierung des Oberspielleiters des Westdeutschen Rundfunks, Rudolf Rieth, in Paris zu einem durchschlagenden Erfolg verhalf:

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Die Darstellung war das Beste gewesen, was jemals vor einem französischen Mikrophon geboten wurde (L'Intransigeant), oder: Niemals bisher haben wir ein so funkgeeignetes Werk verzeichnen können (L'Intransigeant).

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Derartige Presseurteile über diese in der Hörspielgeschichte doppelte Premiere - erstes deutsches Hörspiel in französischer Sprache, erste Einstudierung eines ins Französische übersetzten Hörspiels durch einen deutschen Spielleiter - sollten aber auch mißtrauisch gegenüber vorschnellen Urteilen machen und eine neuerliche historische Ortsbestimmung eines Werkes provozieren helfen,

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das die oft mißbrauchte Bezeichnung "Hörspiel" tatsächlich verdient (L'Atenne).

WDR III, 16.7.1970