reinhard döhl | gedichte | die vase, blaß, geborgen aus nacht und fahrt und licht
wechselnd unter dem mond

ein neues requiem | löse das band deiner schuhe | die irre (1) | die irre (2) | die irre (3) | bambusfloß am himmel | silberfisch und rose | ich hörte sagen | requiem 56 | trompete für pan | efeu | wechselnd unter dem mond | am achten tage der schöpfung (2. fassung) | brief an die freundin | segel traumlos

auch haben wir geglaubt
geschlechter auf schwankenden flößen
auch haben wir gesungen den choral
ein neues requiem

kommst du wieder,
singt der pirol,
der einzige unserer sümpfe.

das fieber der sümpfe
hat auch dich belehrt
umzukehren - ohne angabe der adresse
zwischen termitenhügel gehängt.

nicht mehr die moskitostiche merken,
das ist die antwort
der bloßen arme,
die braun in die sonne greifen.
 

löse das band deiner schuhe

löse das band deiner schuhe,
meine augen sind schwerer,
wenn ich sie
von der leere deiner hände
emporhebe.

löse die korallen,
die um deinen hals sind,
und gib sie dem schwan,
der dir das brot
aus der hand nimmt.

löse den traum,
der um beide,
um dich und mich noch ist.

löse das band deiner schuhe,
löse das blut der korallen.
tritt in den raum
ein und schweige,
wenn du mein spiegelbild siehst.
 

die irre (1)

sei behutsam zu ihr
und sprich worte,
wie man sie kindern sagt.

gibt ihr ruhig den stift
wieder,
den du ihr nahmst.

bleibe,
wenn ihr gekritzel klagt.
es klagt dich an.

sei behutsam zu ihr
und sprich worte,
aber sprich sie langsam.
 

die irre (2)

du hast den krug geleert,
ich will ihn zu scherben schlagen,
niemand kann sagen,
ob helios morgen noch fährt.

stunde des vogel greif,
über schädelstätten,
auf der liebenden betten
fällt morgen schon reif.

du hast den krug geleert.
(der müde alte zecher
opferte zuerst. er hatte den becher
bis zur neige begehrt.)

stunde, da niemand lacht;
mythos und wunde -
es schließt sich die runde
vielleicht schon zur nacht.

du hast den krug geleert,
ich will die scherben,
ich will die kerben
für das, was ich verzehrt.
 

die irre (3)

tragen, dahingehen wie ein hauch,
leib in urne aus rauch,
firmenschild des kälteren wächters.

tragen die kette der schwangeren,
kette aus mißgunst,
der tage wärme und laubgeruch verwest.

das lied der einfältigen,
aus billigem kaffeehausdunst,
zwischen den spitzen des gelächters.

tragen, dahingehen wie ein hauch.
tragen die kette der schwangeren.
singen das lied der einfältigen.
 

bambusfloß am himmel

bambusfloß am himmel
pappel aus den schwarzen
fenstern der ruinen,
türme von babylon
aus stahl und beton -
aber bambusfloß am himmel.

zerbrochen ist der tonkrug:
aus seinen scherben
sind die wurzeln der pappel,
sind die türme von babylon.

zerbrochen sind die sonnenuhren:
aus ihren ziffern
unter den blättern des weines
lesen kinder vielleicht eine zeit.

pappel aus stahl und beton,
pappel zwischen den türmen von babylon,
pappel aus den schwarzen fenstern
und bambusfloß am himmel.
 

silberfisch und rose

silberfisch und rose,
mit ihnen ist natur hinzugetreten,
die rose stahl ich, den fisch
schnitt ich aus einer konservendose.

silberfisch hat kein meer,
seine flossen rudern den himmel herab,
in seinen gräten ist der wind,
ist ein grab.

rose hat keine schwester,
hat auch kein wasser im krug,
eine handvoll sonne
ist am abend genug.

silberfisch und rose -
rose stahl ich,
fisch schnitt ich
aus der konservendose.
 

ich hörte sagen

ich hörte sagen,
die kathedralen
seien wieder.

ich hörte sagen,
auf grauen wassern
seien blaue segel.

ich hörte sagen,
die sonne sei weiß
über den kathedralen.

und als ich das hörte
ging ich hinaus
und schwieg.
 

requiem 56

formen -
kinderleicht, greisenschwer:
spiegelbild in den gebrochenen fenstern
der kathedralen.

das ist - verglichen mit dem geräusch
der gesprungenen glocken -
genug geräusch und requiem
für alte grabsteine
und vorübergehende.

unter dem starren auge
schrittlangsam die
ausgespienen der katakomben.

das müde gesicht des küsters
sieht erstaunt
und ohne sonderliches verständnis
auf die gesträubten nackenhaare
seines hundes.

trompete für pan

es ist so stille hier
als sei der große pan gestorben
[christoph martin wieland]
roter bordeaux auf den tischen,
die spur deiner lippen
am glas.
aus den nischen
spricht das auge des spötters.
auf den klippen schläft pan.

gib mir die trompete,
gib mir den traum,
bordeaux steht auf den tischen,
girlanden sind im raum -

bekränztes - schatten
unter dem augenlid.
gib mir die trompete,
das fenster will ich zerbrechen.

pan
öffnet die augen.
 

efeu

efeu an den wänden
der bars,
in den händen
der trinkerin. efeu im fallen des haars.

eine ranke ist noch aus tränen,
zerrissene insel im fluß stadt,
außer verfallenen kähnen
ist niemand, der solchen efeu hat.

muschel in der hand
des kindes, sand,
der durch sie hindurchgeht.

efeu an den wänden
der bar,
gebet
in den händen
der trinkerin. efeu im fallenden haar.
 

wechselnd unter dem mond

wechselnd unter dem mond
bin ich über die plätze gegangen.
sieh die schatten, sie verfärben sich,
dein gang ist von netzen verhangen.

der laternenanzünder
- der letzte , den ich weiß -
löschte auch diese laterne,
sie wurde zu heiß.

ich höre sein langsames
dahingehen. seinen schritten
folge ich. ich weiß,
er hat die laternen gelitten.

wechselnd unter dem mond
bin ich über die plätze gezogen,
verfärbt sind die schatten,
reif wurde der wein an den bogen.
 

am achten tage der schöpfung (2. fassung)

die hand der schöpfung:
weiß klappert die milch
in den ersten kannen
zu stadt.

die biegung der straße
läßt das abwasser
gerade durch den nebel
brechen.
 

brief an die freundin

ferne ist dein gesang,
langsame hügel tragen den schritt,
den du zögernd tust.

nicht deine augen sind es,
nicht dein mund -
dein atmen teilt sich den gräsern mit.

anders sind die dinge,
mit denen die wände beschäftigt sind -
und das blaß der fenster
ist anders
und dein herz.
 

segel traumlos

traumlos sind die segel.
sie kleben am himmel.
sie gehen mit dem wind.

achte auf die strömung.
vergiß nicht die ströme.
achte auf das meer.

traumlos sind die segel
über ufer und horizonte.


< zurück