Claus Henneberg: Zwei Schaufensterkritiken

Das Unsägliche | Zwischen Räume

Das Unsägliche
Veröffentlicht ein so berühmter und von der Kritik gefeierter Dichter wie Paul Celan einen neuen Gedichtband (Die Niemandsrose, S. Fischer Verlag), so darf er erwarten, daß man sein Buch gründlicher liest und strenger beurteilt als den Erstling eines unberühmten und ungefeierten, wenn sich Kritik nicht im Nachplappern einmal gefundener Kategorien erschöpfen will. Der erste Verdacht an diesem neuen Werk Celans entsteht jedoch schon beim Durchblättern des Bändchens, wenn man die vielen Pünktchen, sowie einfachen und doppelten Gedankenstriche sieht, die ein Indiz dafür sein könnten, daß es sich hier vielleicht wieder um jenes oft beschworene "Unsägliche" der Dichtung handelt, dem man mit Sprache nicht beizukommen vermag. Der Argwohn verstärkt sich, sobald man die Texte auf andere Sorten Striche, beispielsweise Trennungs- und Bindestriche hin durchsieht und auch sie in reichem Maße verwendet findet. Warum trennt der Dichter ein: Da-/von, oder ein: Ge-/trunken. / Ge-/segnet. / Ge-/benscht? Deutet nicht diese so dezidierte Weise der Abtrennung auch darauf hin, daß das Wichtigste eigentlich "zwischen den Zeilen" steht, weil es eben "unsäglich" ist? Mit den Bindestrichen, die ebenso häufig auftreten, scheint es sich ähnlich zu verhalten; das Gemeinte, aber nicht Ausgedrückte schwebt zwischen den durch Striche verbundenen Wörtern. Schwierig wird es für Dichter indessen, wenn beispielsweise an einem Zeilenende Trennungs- und Gedankenstrich zusammentreffen wie bei dem Gedichtende: Reiß die Morgentür auf, Ra- -/. Auch hier soll das Unsägliche, nämlich das abgetrennte, aber fehlende "bbi" von Rabbi evoziert werden, wobei man sich allerdings fragen muß, ob diese drei Buchstaben wirklich so "unsäglich" sind. Sie stehen außerhalb des Gedichtes und damit außerhalb jeder ästhetischen Erwägung. Betrachtet man die Sache aber vom technischen Standpunkt aus, so muß man noch glücklich darüber sein, daß dem Setzer im Unterschied zum Schreibmaschinisten lange und kurze Striche zur Verfügung standen: einen kurzen für die Trennung und einen langen für den Gedanken. Wollen wir uns aber nicht bei den mannigfaltigen Konflikten aufhalten, die beim Zusammenstoß von Strichen und wirklich allen nur möglichen Interpunktionen entstehen, sondern nach weiteren Indizien forschen, die unseren ersten Verdacht, es handle sich hier um einen Poeten des Nichtgesagten und Nichtausgedrückten bestätigen können. Und da stößt uns auch schon ein zwölfmaliges 0 auf ("0 einer, 0 keiner, 0 niemand, 0 du" etc.), das noch immer die geeignete Interjektion für solche Dichter gewesen ist, die es mit dem "Unsäglichen" zu tun gehabt haben. Nicht, daß dieses noch verhältnismäßig schlichte 0 nicht noch zu steigern wäre zu "oh" oder "ah" wie in dem Gedicht Huhediblu, in dem es heißt: "Den Ton, oh, / den Oh-Ton, ah, / das A und das 0, / das Oh-diese-Galgen-schon-wieder, das Ah-es-gedeiht." Aber wir erkennen: dies oh und ah ist satirisch gemeint, - doch was macht den Unterschied aus? Ist der Mensch, der ärgerlich, respektive zufrieden, ausruft: "Oh-diese-Galgen-schon-wieder" , respektive "Ah-es gedeiht", ein schlechter Mensch? Er ist es; denn er schreibt das echte Dichter-O mit h. Fiel es Celan nicht auf, daß er mit solchen Manierismen seinen eigenen Stil karikiert? So kurz aber wie in diesen Gedichten der Weg vom o zum Du ist, so kurz ist er auch von der Silbe Schmerz zur Silbe Herz, und man wundert sich deshalb kaum noch darüber, wie oft sie hier allein oder in teilweise grotesken Verbindungen mit anderen Wörtern vorkommt (Herzgewordenes, Herzstein, Herzmund, herzhell, Herzrücken' Herzfinger, Herzteile, Herzbahnen, Herzsinn, Herzbuckelweg, Herzstrahl, herzlinienhin, Herzhammersilber, Herz-Nie usw.). Der Poet des Unsäglichen besitzt jedoch noch ein anderes Organ, mit dem er fühlt und ahnt, nämlich die Seele, und richtig, da taucht sie schon auf, meistens allein, manchmal aber auch in wunderlichen Legierungen wie etwa: Seelen-/ ringe, Seelenohr usf., doch ist man gewillt, auch darüber noch hinwegzusehen und es für die Schrulle eines doch nicht zu Unrecht gefeierten Dichters zu achten. Ganz schlimm wird es erst, wenn er, ähnlich wie in Huhediblu satirisch, in einer Gauner- und Ganovenweise humoristisch sein möchte und, von der Sprache allzuleicht verführt, eilig dahinreimt: Mandelbaum, Bandelmaum. / Mandeltraum, Trandelmaum. / Und auch der Machandelbaum. / Chandelbaum. / Heia. / Aum." Verweilen wir nicht dabei, es ist lediglich albern. Verweilen wir auch nicht bei Sentimentalitäten ("Offen lagst du mir vor, / lagst du mir, lagst / du mir vor / meiner vorspringenden Seele"), peinlichen Mystizismen ("betende Schoten", "Erschlafene", "Er nämlich Gott, legt uns nicht trocken"), oder schlicht fürchterlichen Sprachunglücken (Kyrillisches ritt ich über die Seine, ritts übern Rhein), sondern "sondern lassen uns endlich unseren schlimmen Verdacht in "Tübingen, Janner" vom Dichter nun hinlänglich charakterisierten Art und Weise des Redens sagt: "Käme, / käme ein Mensch, / Käme ein Mensch zur Welt, heute, mit / dem Lichtbart der / Patriarchen: er dürfte, / spräche er von dieser / Zeit, er / dürfte / nur lallen und lallen, / immer-, immer-/zuzu." Celan jedenfalls hält sich an diese Devise, die ihm vor "schwimmenden Hölderlintürmen" eingefallen ist. Er lallt. Des Dichters Amt aber ist es, das Unaussprechliche das Unaussprechliche sein zu lassen, und etwas mit Wörtern, aber nicht "zwischen den Zeilen" oder mit bedeutungsschwangeren Strichen zu sagen. Denn noch gilt Wittgensteins Satz: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen."
[Paul Celan, Die Niemandsrose, Gedicht, S. Fischer Verlag]

Zwischen Räume
Die Publikation eines Sammelbandes, den der Herausgeber Almanach nennt, ist heute, da die Verlage den Buchmarkt mit allen nur möglichen Anthologien, Sammelbänden, Jahr- und Lesebüchern überschwemmen, an sich noch kein Grund zur Freude, es müßte sich denn dieser Almanach stark von ähnlichen verlegerischen Unternehmungen unterscheiden. Bei dem von Reinhard Döhl im Limes Verlag edierten Gedichtalmanach Zwischenräume, der den Leser durch seine Geschlossenheit, Ausführlichkeit, Neuheit und Qualität des Dargebotenen überzeugt, ist freilich ein solcher Unterschied deutlich erkennbar. Man spürt nämlich nicht nur eine ordnende Hand, die Unwesentliches aussondert, Akzente setzt und auf Höhepunkte hinarbeitet, sondern bekommt auch stets eine zur Beurteilung hinreichende Anzahl von Texten der einzelnen Autoren geboten: 13 bis 17 Gedichte im Durchschnitt und nicht lediglich 2 oder 3 wie in den meisten Anthologien. Außerdem erfährt der Leser dieses Buches tatsächlich Neues, weil die in Zwischenräume vorgestellten 8 Autoren bislang nur in Zeitschriften oder Anthologien vertreten waren und mit einer Ausnahme noch keinen eigenen Gedichtband veröffentlicht haben. Das Wichtigste aber ist, daß wir in diesem Almanach, der im Erfahrungs- und Gedankenaustausch des Herausgebers mit seinen Autoren zustande gekommen ist, die Bekanntschaft mit wenigstens 3 Autoren machen, deren Namen man sich wird merken müssen. Es sind dies: der 1934 in Helsinki geborene Anselm Hollo mit seinen vielleicht an Cummings geschulten Gedichten (zum Beispiel die witzige "kundgebung" oder ein Gedicht von so zarter Intimität wie "the daughter, new"); der 1925 in Wien geborene Ernst Jandl, der als seine Ausgangspunkte Stramm, Arp und Gertrude Stein nennt, - so gelungene Gedichte wie "etüde in f", "lichtung" oder "flichtinge begegnung" könnten auch an Schwitters denken lassen - aber es ist kaum eines in dieser Auswahl, das nicht in einem zweifachen Sinne gelungen wäre! -; und schließlich der 1933 in Marienbad (Tschechoslowakei) geborene Wolfram Menzel, der Gedichte von ebenso großer Kompliziertheit wie Schönheit schreibt. Die in ihnen vorkommenden, zum Teil sogar noch abgekürzten und dadurch verfremdeten Wörter oder Zitate aus lebenden und toten Sprachen, beispielsweise aus der Sapphischen Ode an die Poikilodrou adanai Aphrodite, oder einem französischen Kinderlied, sollten nämlich den Leser weder einschüchtern, noch ihn über dem Poeta doctus Menzel den Lyriker Menzel vergessen lassen, dessen Verse mit einem Minimum an Wörtern ein Maximum an ästhetischer Wirkung erzielen. Die Eliminierung alles Überflüssigen, das die ästhetische Wirkung nicht vergrößern, sondern nur vermindern würde, bringt jedoch nicht ein "Gedicht-Skelett" hervor, wie der Herausgeber in seinem Vorwort meint, dem man in diesem einzigen Punkt wird widersprechen müssen, sondern eher einen geschliffenen und à jour gefaßten Diamanten reinsten Wassers, ein Ding eben, das unter anderem die Eigenschaft hat, trotz relativer Kleinheit sehr kostbar zu sein. Dies sind Entdeckungen, zu denen man dem Herausgeber der Zwischenräume gratulieren kann. Der Zweck eines Sammelbandes wäre verfehlt, wenn der Leser aber - bei solchen Höhepunkten angelangt - nicht getrost zurückblättern könnte: zu Rolf Gunter Dienst, Dietrich Segebrecht, Dieter G. Eberl, Britta Titel und Hans Heinrich Lieb, deren Arbeiten sich mit denen ihrer bereits genannten Mitautoren in diesem Buch zu einer eindrucksvollen Demonstration junger Dichtung vereinigen.
[Zwischenräume, herausgegeben von Reinhard Döhl, Limes Verlag]