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Reinhard Döhl | Zu den Objekten und Zeichnungen Ursula Laquay-IHMs

Die letztjährigen Arbeiten Ursula Laquay-IHMs, von denen im Folgenden in einer ersten Annäherung die Rede sein soll, sind nicht leicht zu klassifizieren. In einem Spannungsfeld zwischen scheinbar naiver Malerei und einer pittura metafisica, ästhetisierter Technik und ökologischer Klage blieben ihre Bilder, Zeichnungen und Objekte Fehldeutungen ausgesetzt, haben sie zu beachtlichen Mißverständnissen geführt. Mustert man die bisher vorliegenden Einführungen und kritischen Auseinandersetzungen, ihre Versuche, Verwandtschaften aufzudecken, Bezüge zu den Bildern Konrad Klapphecks, René Magrittes oder der Maschinenwelt Jean Tinguelys herzustellen, das Vegetative vor allem der früheren Arbeiten aus dem ornamentalen Jugendstil herzuleiten, so verstellen sie eher den Blick auf die Kunst Ursula Laquay-IHMs, als daß sie sie erklären helfen.

Ursula Laquay-IHM macht es dem Betrachter allerdings auch nur auf den ersten Blick leicht Arbeiten, von denen leichter zu sagen ist, was sie nicht sind als was sie sind. So sind z.B. die hier ausgestellten Zeichnungen und Objekte kein später Nachklang eines destruierenden Dadaismus oder Surrealismus, dessen Schönheit Lautreamont als die zufällige Begegnung einer Nähmaschine mit einem Regenschirm auf dem Operationstisch definierte. Sie bieten weder Aussichten in die Märchenwelt der Maschinen noch Einsichten in die magische Macht der Apparate. Sie sind so wenig ein bildnerischer Beitrag zur aktuellen Diskussion der Umweltzerstörung wie sie ein optimistisches und bejahendes Verhältnis zu Technik und Natur spiegeln. Sie lassen sich weder von den unverbesserlichen Apologeten des technischen Fortschritts noch von den ökologischen Aussteigern für ihre Zwecke reklamieren.

Dieses Weder-Noch, dieses Spannungsfeld zwischen Technik und Natur, naiver Malerei und pittura metafisica weist - positiv gewendet - die Arbeiten Ursula Laquay-IHMs vielmehr als eine Kunst zwischen den gängigen Stilen und Tendenzen, als eine Kunst des Dazwischen, der Zwischenräume aus, als einen sehr privaten und subjektiven Reflex auf Bedrängendes und Bedrohliches, dem Ursula Laquay-IHM mit allen Mitteln ihrer Kunst zu begegnen versucht.

Daß sich auf Arbeiten zwei heterogene Welten begegnen, wird bereits auf den ersten Blick ersichtlich. Die gelegentlich ein wenig poetischen Unterschriften bzw. Bildtitel lassen die Absicht ablesen. Da ist auf der einen Seite die Welt der technischen Zivilisation mit ihren "Wegwerfprodukten", oder auf älteren Arbeiten mit "Gasometer", "Fernrohr", "Hammerwerk", "Dampfhammer", "Eismaschine", "Elektrodenkessel", "Grüner Turbine". Auf der anderen Seite Natur und Landschaft, "Da wächst noch was", zeigen sich "Himmelskörper über dem Meer", gibt es eine "Herbstfärbung", sehen wir "Schmetterlinge", "Muschel", "Schnecke", "Felsgestein" und immer wieder Blätter, zu denen die Künstlerin ein besonderes Verhältnis zu haben scheint, denen in der Bilderwelt Ursula Laquay-IHMs eine besondere Bedeutung zukommt. Beide Seiten, technische Zivilisation und Natur/Landschaft sind zumeist auf merkwürdige Weise verquickt, determinieren sich. Da sind - die Künstlerin ist nebenbei bemerkt Innenarchitektin - da sind in die Pfälzer Landschaft die Grundrisse der Madenburg, der Burg Landeck eingefügt, da ist der "Himmel verschraubt", das "Wasser brauchbar", das "Grün .begrenzt", findet sich neben einem "Hoffnungsvollen Ausblick" eine "Brücke ohne Weg", wächst neben einer "Verödeten Landschaft" "Freundliches [...] aus Hohlräumen".

Technische Zivilisation und Natur/Landschaft erscheinen in diesem Wechselspiel und Bezugssystem auf einzelne, zumeist funktionslose Bestandteile reduziert: "Etwas von einer Turbine" heißt ein bezeichnender Titel; sie funktionieren gleichsam gegen ihren ursprünglichen, ihren eigentlichen Zweck: "Behälter entläßt Vegetatives", "Metamorphose eines Gewehrs", "Ginkgo in der Retorte", "Grün begrenzt". Was sich auf einen ersten Blick hoffnungsvoll gibt, ist bei genauerem Hinsehen eingekreist, "verschraubt", bedroht. Der "hoffnungsvolle Ausblick" auf Landschaft und Natur wird durch ein Röhrensysten, das diesen Ausblick gewährt, fast erwürgt. Und nicht anders verhält es sich beim "Freundlichen Wachsen in Hohlräumen", bei den "Blattnischen" etc.

Doch läßt sich dies alles wiederum auch positiv wenden. In den Nischen, in den Hohlräumen der Maschinen und Apparate nistet noch oder schon wieder Vegetatives. Denn die technischen Apparaturen, die Maschinen und Röhrensysteme sind inkomplett. Wo der "Bedarf gedeckt" ist - dies ein weiterer Bildtitel - wurde der Bedarf durch ein zentral eingezeichnetes Blatt gedeckt. Inkomplett wie die Welt der Apparate und Maschinen, der technischen Zivilisation bleibt freilich auch die Welt der Natur. Landschaft erscheint gerne erstarrt ("Erstarrung"), die Bäume in ihr sind schematisiert, begegnen in ihrer reduziertesten Form: als Blatt.

Eine reduzierte, eine unvollständige Bildwelt also aus Natur/Landschaft, Apparat und Maschine. Die Reduktion auf beiden Seiten läßt vermuten, daß es Ursula Laquay-IHM bei ihrer Malerei nicht darum geht, das eine gegen das andere auszuspielen, der Natur gegenüber der Maschine, der technischen Zivilisation gegenüber der Landschaft den Vorrang zu geben und umgekehrt. Als ästhetische Projektion stehen vielmehr die beiden Bestandteile ihrer Bild- und Bilderwelt in ihrer Kombination und Kontamination für Leben und Überleben im Kompromiß, im Ausgleich. Das scheint naiv, wenn man es mit der gegenwärtigen Realität vergleicht. Doch sollte man nicht übersehen, daß einerseits Landschaft/Natur nur in reduzierter Form gezeigt werden, ihre Gefährdung in der "Erstarrung" sichtbar bleibt, daß andererseits die Maschinen und Apparate ins schöne Fragment entfunktionalisiert sind, aus der technischen in eine ästhetische Funktion überführt wurden.

Ursula Laquay-IHM hat dies selbst für eine Ausstellung in der Gedok-Galerie als Absicht festgehalten und Norbert Huse zitiert, der verwundert darauf hinwies, daß Le Corbusier "eine hydraulische Bremse" kommentiere, "als sei sie ein Kunstwerk". Und Ursula Laquay-IHM hat mit einem ergänzenden Corbusier-Zitat deutlich gemacht, daß ihre scheinbar naive Malerei sich nicht auf eine kuriose Kombination heterogener Elemente beschränken will, sondern Denkanstöße geben möchte. "Die Kunst von Morgen", zitiert sie Le Corbusier, "Die Kunst von Morgen wird eine Kunst des Denkens sein."

Vielleicht kommt man den Objekten, Bildern und Zeichnungen Ursula Laquay-IHMs am weitesten auf die Spur, wenn man die reduzierten Bildbestandteile noch einmal reduziert, wenn man Natur, Landschaft, Blatt als "natürliche Form", wenn man die schönen Fragmente der technischen Zivilisation als von Menschenhand geschaffene, als "künstliche Form" versteht. Beide, natürliche und künstliche Form werden nun nicht etwa kontrastiert, sondern im Akt der Kunst miteinander in Beziehung gesetzt. Hinter einer solchen Kunst steckt die Überzeugung, daß das eine nicht ohne das andere möglich ist, daß es - soll Leben zugleich Überleben sein - der sinnvollen Verbindung von beidem, einem vernünftigen Nebeneinander und Miteinander bedarf.

Daß dies nicht weltfremde, ästhetische Utopie ist, möchte ich abschließend mit zwei Zeichnungen dieser Ausstellung belegen, die auch in einer Teilauflage des Katalogfaltblattes abgebildet sind. Ich meine die Zeichnungen "Haselkeimblatt" und "Ginkgoblatt". Auf beiden Zeichnungen treten Welt der Zivilisation und Pflanzenwelt in der Ader metaphorisch zusammen, tritt zur natürlichen Blattader eine künstliche Ader, etwas Schlauchartiges hinzu, das in das Adersystem des Blattes eindringt, es durchdringt und mit einem technischen Apparat ("Ginkgoblatt"), bzw. wüstenähnlicher Landschaft ("Haselkeimblatt") verbindet.

Doch wäre derart nur beschrieben, was der erste Blick sieht. Auf den zweiten Blick gibt die jeweilige Doppelung von Blatt zu denken, die auch in anderen Arbeiten Ursula Laquay-IHMs, sogar als Titel "Blattpaar" auffällt. Dann aber, und das scheint mir am Zentralsten, wäre die Frage zu beantworten, warum es ausgerechnet ein Haselkeimblatt, ein Ginkgoblatt sind, die hier als Naturfragment gewählt wurden, wobei wiederum das Ginkgoblatt besonders häufig auf den Bildern Ursula Laquay-IHMs begegnet, als "Ginkgoblatt", "Kontakt Ginkgo" und "Ginkgoähnlich" allein dreimal in dieser Ausstellung.

Gehen wir für die herausgegriffenen Zeichnungen der Reihe nach vor, gehört das Haselkeimblatt zu einer Pflanze, deren Früchte seit der Antike als Nahrungs- und Arzneimittel dienen. Im Volksglauben (und hier sei unter anderem auf das Haselreis verwiesen, das Aschenputtel sich in der deutschen Version des Märchens von ihrem Vater erbittet und auf das Grab ihrer Mutter pflanzt), im Volksglauben sind Hasel, Waldhasel, Haselstrauch zugleich Sinnbild der Lebenskraft und wurden vielfach für Wünschelruten oder als Mittel gegen Zauberei und Hexerei, Blitzschlag und sogar Schlangenbiß verwendet.

Was sich hier andeutet, bestätigt der Befund für das Ginkgoblatt. Der Ginkgobaum gehört zur Familie der Ginkgogewächse, die bereits für das Erdaltertum nachgewiesen ist in einer Artenvielfalt, von der allerdings nur der Ginkgobaum überlebte.

Hat man so herausgefunden, daß Haselkeim- und Ginkgoblatt Leben und Überleben signalisieren, müßte weiter auffallen, daß die dem Adersystem der Blätter von der Künstlerin eingefügten Schläuche einmal blau ("Ginkgoblatt"), das andere Mal rot ("Haselkeimblatt") sind: farblich also der Darstellung von Aorta und Vene auf medizinisch-technischen Zeichnungen entsprechen.

Und noch ein letztes müßte dem aufmerksamen Betrachter dieser beiden Zeichnungen eigentlich auffallen. Umso mehr, wenn er sich daran erinnert, daß sich die zweiteiligen Blätter des sommergrünen Ginkgobaumes im Herbst gelb färben. Diese Gelbfärbung ist als Hinweis deutlich nicht nur in der "Ginkgoblatt"-Zeichnung enthalten, sondern auch in der Zeichnung "Haselkeimblatt" durch den Hintergrund der gelblich gefärbten wüstenähnlichen Landschaft.

Die Rolle und Bedeutung des Herbstes im Jahresrhythmus bedürfen keiner ausführlicheren Erörterung, sie stehen für Reife aber auch für Absterben; er ist die Zeit, in der sich die Blätter färben und abfallen. Daß Ursula Laquay-IHM diesen Herbst mehr oder weniger deutlich in ihre Arbeiten hineinnimmt, die als weitere Jahreszeit die Zeit der Erstarrung, den Winter ebenfalls kennen, weist dem Betrachter, vergleichbar den "Blattnischen", den hoffnungsvollen Ausblick auf die Zerbrechlichkeit ihrer ästhetischen Utopie, die Gefährdung ihrer Hoffnung.

Vielleicht kann man auch sagen, daß es das Moment dieser Bedrohung ist, gegen das Ursula Laquay-IHM immer wieder von neuem angeht mit ihren unlogischen Versuchen einer ästhetiscben Harmonisierung von dem, was wir heute einem allgemeinen Trend entsprechend, als bedrohlich (die Technik) und bedroht (die Natur) erkennen. Für mich haben die Arbeiten, speziell die Zeichnungen Ursula Laquay-IHMs jedenfalls etwas von der verzweifelten Hoffnung Luthers, einen Apfelbaum zu pflanzen, obwohl wir wissen, daß wir morgen die Welt vielleicht schon zugrunde gerichtet haben könnten.

[Galerie im Asemwald Stuttgart, 2 .11.1981]