Reinhard Döhl | Poetische Korrespondenzen / Renshi/Renku-Projekte
Sofortlandschaften

Eine poetische Korrespondenz von Carmen Kotarski und Reinhard Döhl

1

Aufwachen Eintauchen
in den Halbschlaf der Blüten
schon kehrt der Maulwurf
das Unterste zuoberst

eine Sprichwörterzeit
für Gehen Kommen
und wieder verebben
und wieder der erste Blick

innen außen
das Blau in Bewegung
Schäfchen zählen
et in Arcadia ego

ein Weltende mit Else
ein Stelldichein mit Sulamith
Hälfte des Lebens
Einssein mit Allem

das Laub kehrt die Gärten
dem Horizont zu
der Schatten naht
indem er untergeht

gestern war morgen
war Sonntag jetzt gleich
Bilder Spiegel
Spiegel Bilder

ein Vogel steht im Weiß
ein Komma im Schweigen
Sonnenuntergänge
hinter dem Ofen zu singen

mit den Schwalben
kehren die Toten zurück
wir sind
wo Kreise sich schneiden.

2

Eine Handvoll Erde
ein Blick im Vorübergehen
Namen
getrennt vom Gesicht

und weiter durch Geflimmer
dreht sich der Weg
während ich stehe
fällt mein Schatten hin

Wegwarte Cekanka
rot wie Blut
rot wie Supernova
vierhändig zu spielen

dort Schritte hier
das Echo der Schritte
die Farbe wechseln
Farbe bekennen

und wenn sie nicht
Fortsetzung folgt
manchmal von vorn an
Trip to Elsewhere

und jetzt nach jetzt
auf einem Endlosband
Schnee Regen
Regen Schnee

Gegenwart
und so war es
im Flüchten der Sterne
Suite für Sekunden

weiße Leinwand
leeres Blatt
so könnte es anfange
und so fängt es an.

3

Wolken weiß
Wolken schwarz
Yün
ch'ü-lai

schon
fliegen wir
auf Pappelschatten
ins Erlengerede

Abschiedzeilen
am wirklichen Himmel
Fäden ziehen
Altweibergewäsch

rufst du mich
wenn ich dir antworte
ein Dreiklang bin ich
und die Umkehrungen

je dunkler je heller
an Zeichen entlang
wo sich die Straße
bieget, und

am Sankt Nimmerleins Tag
im Niemandsland
Klang Farben
Farben Klang

dein Grün mein Grün
dazwischen wachen Felder auf
gelbsüchtig
blauäugig

Gegenwart ist
eine Erinnerung von gestern
das Ferne nah
das Nahe fern

4

Alkmene!
Ach!
wer warst du
wer bist du jetzt

das Hin und Her
in einem Trickfilm
leere Nester
gefüllte Körbe

jede Ähnlichkeit
ist Zufall
und fällt dir zu
wem sonst

die Antwort ist: nichts
und was fragst du
schreib mir
ich warte

all the world's a stage
much ado about nothing
fin de partie
ja da war i scho amol

nicht mehr dort
noch nicht hier
Zeit
die Sonnenuhren zu stellen

chaque instant de la vie
wie man so sagt
sagt man so wie
quando sag mir quando

wie Wald wie Rostflecken
in allen Wipfeln balde
der Kuckuck läßt
nichts mehr von sich hören

5

die Öchsle
da hocketse
vorm Scheunentor
vorm Berge

Bilderbücher
sind voll davon
Sternbilder
Kinder auf der Wiese

Schnee
zwischen den Zeilen
Schnee
auf den Lidern

war da nicht etwas?
wie war das nur?
mots survants
de la vie

früh wenn die hähne
leuchtet sogar der Lärm
jenseits des Eisbruchs
holt die Sonne uns ein

im Schweigen
zu Hause
niemand im Spiegel
restlose Gegenwart

noch ein Sofortbild
noch ein Sofortland
Schatten
Risse

und wenn sie nicht
und wenn sie nicht
altes Lied
für Geigen und Robinien

6

tritt nur herein!
greif nur hinein!
ein Sprung ins Leere
nächsten level bitte

Spielfeld See
die Reiher stellen sich auf
Flügelschlag der Schnee-Eule
am Rand der Dämmerung

unter dem Strich
was zählt
was nicht zählt
unter dem Himmel spielen

irgendwie verzofft
irgendwie versifft
es fiel ein Reif
fiel ein Reif

trocken Brot
Morgenrot
und vor dem dritten Reim
der umgestürzte Hafen

über die Roßbreiten
über Ewigkeiten
ein Zeigersprung
ein Zeilensprung

Wunsch Traum atemlos
sich fallen lassen
(laß den Fallschirm zu
du Schuft!)

nach den Arterientagen
Venus der Venen
Berberitzen
Fliederbeeren

7

zur halben Nacht
im doppelten Mantel
im halben Mantel
I'm gonna wait

Kaffeesatz
Rauchzeichen
Horizontlinien
im Buch der Unruhe

noch einmal
Anfang spielen
von Anfang an
spielen

Wegkreuze
Kreuzwege
Steinkreise
Wendekreise

Gegend
überlichtet
Seelandschaft
mit Pocahontas

vieil océan
aux vagues de cristal
Wasser viel zu tief
Ufer fern genug

Rundblick mit Petrarca
bergabwärts allein
jetzt käme ein Wind
käme dein Schatten ans Fenster

dis-le-moi
dis-le-moi, océan
im Wirbel
am Rand

8

du kehrst die Scherben raus
ich lege dich aufs Papier
P.S. das Schiffchen ist fertig
kommt der Fluß zurück

war alles tot
alle sind schon da
Grautöne
Rottöne

der Himmel ist weiß
ein schwarzer Fleck
der Himmel ist kalt
eine kleine Kurskorrektur

nochmal die Miesmuscheln
durchkolorieren
bevor wir vom m
zum n wechseln

hinter dem Spiegel versteckt
die Schrift
Narzissenglück
nichts davon zu wissen

Phantasiestück
für zwei leere Hände
aimai-je un rêve?
tant pis!

Poesie der Zwischenräume
Fußnotenprosa
Versuche über Versuche
am Rand des Papierkorbs

das letzte Kreuzworträtsel
bleibt ungelöst
dunkle Figuren lösen sich
in dunklen Straßen auf

[1997]