Wilhelm Ludwig Wekhrlin
Patriotische Phantasie.

Ich sann dem Schicksale Württembergs nach, als mich der Schlaf überfiel. Es schien mir, daß ich mich an dem Eintritte in ein Land befand, welches von einer schönen Sonne beleuchtet ward. Ein lüftiges Wesen voll Freundlichkeit näherte sich mir. Ich bin der Genius dieses Landes, sprach er, ich werde dir die Merkwürdigkeiten desselben weisen: folge mir. Fr faßte mich bei der Hand. Wir kamen durch eine schöne und wohlgebaute Landstraße, die zu beiden Seiten mit Bäumen besetzt war, welche Früchte trugen, auf einer großen Ebene an. Alle öffentliche Straßen dieses Lands, sagte er, sind so beschaffen, wie die gegenwärtige. Der Regent hat die Anlegung wohlbeschaffener Straßen für einen Vorzug des Landes angesehen. Man hat nicht geruhet, bis man die zu dieser Unternehmung benötigte Kosten auftrieb. Da die Anschläge hierzu mit Weisheit entworfen waren, und eine genaue Ausführung versprachen, so hielt es nicht schwer, vermögliche Leute zu finden, welche dem Staate Geld vorschossen. Man bezahlte sie wieder von den Einkünften der Straße. Dann der Vorteil, den man dadurch gewann, ist sichtbar. Unsere Straßen werden von den Reisenden gesucht, welche zuweilen andere Länder umfahren, um sich der unserigen zu bedienen. Dies erwirbt einen beträchtlichen Wegzoll, und zieht die Handlung in unsere Gegenden.
Voll Bewunderung über die Weisheit einer so guten Anstalt gelangte ich auf die Ebenen. Blühende Fluren, deren Früchte viel vollkommener und schöner zu sein schienen, als gewöhnlich, bedeckten die Erde. Zwischen denselben wandten sich Kanäle, woran man die Hand des menschlichen Fleißes erkannte, nach schiffbaren Flüssen. Eine unzählbare Menge Menschen wimmelte auf diesen Fluren, und auf diesen Kanälen.
Am Ende der Ebene lag ein marmorner Palast. Mein Führer ließ mich denselben betreten Dies ist der Palast der Landwirtschaftsaufsicht, sagte er. Hier in diesem Saale, wo das Bildnis des Landesvaters, als allgemeinen Haushälters der Nation, aufgestellt ist, halten die zur Aufsicht über die Aufnahme des Ackerbaues und der Feldwirtschaft bestellten Weltweisen ihre Versammlung und Beratschlagungen. In jenem Saale, dessen Decke mit der Geschichte des Saturns und der Ceres ausgemalt ist, werden die Kunstwerkzeuge und Erfindungen aufbehalten, welche der menschliche Witz bei allen Nationen zur Beförderung des Ackerbaues und der Ökonomie einführt. Dort auf der Gegenseite ist ein Saal mit
chinesischen Gebräuchen ausgemalt, worin man die öffentlichen Belohnungen der ökonomischen Tugend, und die Preise für den Feldbau und die Erzeugung austeilt. Im Pavillon des Palasts wohnt die vom Regenten gestiftete Akademie des Ackerbaues und der Hauswirtschaft.
Meine Aufmerksamkeit war außerordentlich, einen so vollkommenen Zusammenfluß nützlicher Gegenstände zu sehen. Der Schutzgeist des Landes führte mich in ein Kabinett. Hier wies er mir ein Buch, welches eben nicht von großem Umfange war. Dies ist, sagte er, die Sammlung der Gesetze für den Ackerbau. Sie sind nicht weitläufig. Dann, um die Natur zu verstehen, braucht man nur einfache Begriffe: und um der Menschlichkeit wohlzuwollen, sind nicht viel Worte nötig. Lies. Ich fand folgende Betrachtungen, die meinem Gedächtnisse unvergeßlich sind.
Der Ackerbau ist die Grundstütze und das Leben des Staats.
An dem Zustande der Felder kann man die Kräfte eines Staats erkennen.
Das wesentlichste Mittel zur Aufnahme des Ackerbaues ist die Bevölkerung.
Das Klostersystem und der Militäretat widersprechen der Aufnahme des Ackerbaues gänzlich.
Es ist kein ehrwürdigerer Stand als der eines Bauren.
Erziehet eure Kinder lieber zu fleißigen Feldmännern, als zu Schreibern, Rechtsgelehrten, Geistlichen und Künstlern.
Man schaffe die Frondienste ab, weil sie den Fleiß hindern und die Menschen erniedrigen.
Alle Feiertäge, die den Genuß der Arbeit stören und den Müßiggang einführen, sind Gott nicht gefällig.
Der Nahrungsmangel ist das vornehmste Hindernis der Bevölkerung.
Die Steuer muß im genaumöglichsten Verhältnisse mit dem Ertrage stehen.
Ich erstaunte über eine Menge ähnlicher Begriffe, welche an Deutlichkeit und Kürze einander übertrafen. - Es ist genug, sprach mein Führer. Laß uns weiter gehen.
Er führte mich auf einen Hügel, welcher sich hinter dem Palaste der Landwirtschaftsaufsicht erhob. Sobald ich den Gipfel erreicht hatte, so eröffnete sich mir eine neue Aussicht in ein unübersehbares Tal. Dieses Tal war von einer Menge angenehmer Dörfer und vielen einzelnen Häusern bevölkert. Auf den zwischenliegenden Flächen weidete unzähliges Vieh, welches viel größer und stärker war als andererorten.
Die Menge dieses Viehes, sprach der Schutzgeist, welche du bewunderst, entstehen von der Vorsicht der Landwirtschaftspolizei, die die Raubtiere gänzlich ausgerottet hat, und von der Einrichtung einer Vieharzneischule, so sich in einem jener einzelnen Häuser aufhält, welche du dort siehest.
Indem wir auf das nächstgelegene Dorf gehen, so muß ich dir sagen, daß die einzelnen Häuser, die hin und wieder, größtenteils an Flüssen, zerstreuet liegen, Fabriken sind, welche der Regent zum Vorteile der armen Landleute angelegt hat. Diese Fabriken beschäftigen den Überfluß der Bevölkerung, und verarbeiten die rohen Erzeugnisse des Feldbaues. Du siehest, daß sie, zufolge ihres Stoffs, mit Vorsicht situiert sind, um entweder bei der Quelle des Produkts nahe zu sein, oder sich im Mittelpunkte verschiedener Ortschaften zu befinden, denen sie Nahrung und Leben geben. Alle diese Werker stehen unter der Aufsicht der Handlungs- und Manufaktur-Akademie, die sich in der Hauptstadt aufhält.
Ich konnte die Klugheit solcher Einrichtungen nicht genugsam bewundern. Ich bemerkte, daß die Lage der Fabriken so weislich ausgedacht war, daß jede nicht nur für sich selbst ihre Subsistenz hatte, sondern, daß sie auch vermittelst der Kanäle, welche das Tal durchkreuzen, eine immerwährende Korrespondenz miteinander unterhielten. Z. B. in der Nähe einer Tongrube fand sich eine Ziegelhütte, oder eine Porzellanfabrik. Unweit einer Erzgrube war ein Eisenhammer: er schickte seinen Stoff einer benachbarten Gewehrfabrik, und diese ließ einen Teil desselben einer entlegeneren Nadelfabrik zukommen. Auf diese Art hingen alle Fabriken zusammen. Sie schienen eine Maschine auszumachen, wovon jede Fabrik eine von den Springfedern war.
Gestehen Sie mir, redete ich den Schutzgeist an, daß diese bewundernswürdige Situationen nicht natürlich sind. Die Dinge in einen solchen Zusammenhang zu bringen, muß sich die Natur ein Land besonders ausersehen haben, um Wunder zu tun.
Nichtsweniger, erwiderte mir der Geist. Die Natur ist sich überall gleich. Vor zwanzig Jahren war all dieses noch nicht. Es ist ein Werk des menschlichen Fleißes, von dem Einflusse einer erleuchteten Regierung unterstützt. Der gesunde Willen des Landsherrn macht alles möglich. Indem wir der Natur auf der Spure waren, und ihr die Wege bahnten, so eröffnete sie ihre Schätze von selbst. Eine Anstalt erleichterte die andere. So entstund der Zusammenhang eines Ganzen ohne Mühe.
Während dieser Unterredung erreichten wir das Dorf. Eine neue Szene meiner Aufmerksamkeit. An dein Gasthofe, wobei ich vorüberging, sah ich eine Tafel angeschlagen, an welcher mit großen Kennzügen die Taxe der Gastherberge von Obrigkeits wegen verzeichnet war. Dies geschiehet, belehrte mich der Schutzgeist, um der Fuhrleute und Reisenden willen, welche die Handlungsstraße, so durch dieses Ort gehet, beziehen.
Ich eilte zuerst nach der Schule. Hier sah ich die Kinder währendem Unterrichte, den ihnen der Lehrmeister in den Lehren der Religion, der Wohlanständigkeit, der Sitten, der bürgerlichen Erkenntnisse, und der vaterländischen Gesetze gab, Händearbeit verrichten, stricken, nähen, klöppeln. Der Schutzgeist machte mich bemerken, daß nur ein kleiner Ausschuß Knaben zum Schreiben angeführt wurde. Diese Kunst, fügte er hinzu, ist nur wenigen auf dem Lande nötig: ihr Unterricht aber macht viel an der, bei der Erziehung der Jugend so edlen, Zeit verlieren.
Von der Schule führte mich mein Begleiter in das öffentliche Versorgungshaus. Jedes Dorf sprach er, hat ein dergleichen Haus. Dieses Hans dient dazu, dem unglücklichen Menschengeschlechte, welches Alters, oder Leibesgebrechen, oder zufälliger Krankheit halber zur Feldarbeit untüchtig ist, Zuflucht und Nahrung zu verschaffen. Die Gemeinde versiehet das Haus, auf ihre Spekulation, mit Arbeit aus den Fabriken. Hiebei gewinnt dieselbe einen kleinen Beitrag zu Tragung der öffentlichen Lasten, und versorgt ihre Armen.
Ich konnte mich nicht enthalten, zu bemerken, daß ich seit meiner Umwandrung im Lande noch keinen Bettler gesehen hatte.
Dieses Ungeziefer, sagte der Schutzgeist, wächst in der Pflanzschule des Müßiggangs und des Lasters auf, und ist der gewisseste Verräter eines übelbeschaffenen Staats.
Ich war in bewundernden Betrachtungen über die Reinigkeit der Gassen und die Bequemlichkeit der Häuser vertieft, als mich ein Haufe Reuter unterbrach, welche im Dorfe ankamen. Man sagte uns, daß es die Landpolizeikommission wäre, die auf ihrer gewöhnlichen Ronde begriffen sei. Diese Kommission, die sich in einem ewigen Kreislaufe drehet, bestund ans einem Gesetzverwalter, einem Arzte, einem Sittenaufseher, einem Schreiber und einem Gerichtsdiener.
Auf die Vorbitte des Schutzgeists gestattete man mir, dem Amte beizuwohnen, welches die Landpolizeikommission hielt. Eine Obrigkeitsperson wurde ihres Dienstes entsetzt, weil einem Burger hart begegnet war. Der Steuereinnehmer wurde gestraft, weil er die Beitreibung der Steuer bei einem Burger ein Jahr lang hatte anstehen lassen, welches veranlaßte, daß die Schuldigkeit im zweiten Jahre so groß war, daß sie der Schuldner nicht, ohne sich wehe zu tun, abführen konnte. Eine Handlung der Unmenschlichkeit bei einem reichen Manne, gegen einer seiner Dienstboten, wurde mit vierzehntägiger Arbeit im öffentlichen Versorgungshause belegt. Wegen dem Ungehorsam eines Kindes gegen seine Eltern empfing der Schulmeister einen scharfen Verweis. Ein Trunkenbold wurde zum 24stündigen Kerker verdammt.
Während der Arzt von Haus zu Haus ging, sich nach den herrschenden Krankheiten zu erkundigen, und den Leuten entweder Verordnungen aufzuschreiben, oder sie vom
Gebrauche der einfachen Arzneimittel zu unterrichten, visitierte der Gerichtsdiener die Gasthöfe, die Kramläden und den Kerker; der Schreiber aber den Zustand der öffentlichen Gebäude, Brunnen, Brücken, usw.
Von dem Gefühle der Bewundrung durchdrungen bat ich meinen Begleiter, mich tiefer ins Land zu führen. Jedes Dorf, das ich berührte, enthielt einen eigenen Vorwurf des allgemeinen Besten. Hier traf ich ein Kornmagazin, auf Rechnung des Staats, an. Dort entdeckte ich eine Landhebammenschule. Jetzt wies mir der Schutzgeist ein Waisenhaus. Im nächsten Dorf war der Sitz der Bezirksfeuerversicherungskasse. So viel merkwürdige Marktflecken, so viel Züge der Staatsweisheit.
Wir hatten nur noch ein kleines Gehölze zwischen uns und der Hauptstadt. Vermutlich redete ich den Schutzgeist an, wird es in Ihrem Lande einen Überfluß an Wildbret, Hirschen von dem edelsten Schlage, und Fasanen geben, die im Geschmacke vortrefflich sind? - Es ist alles niedergeschossen, erwiderte mir der Geist. Die Wildbahn ist bei uns gänzlich abgeschafft, und das Gewild wird wie Raubtiere behandelt, welche dem Untertanen an seinem Brote schädlich sind. Unser Regent betrachtet die Jagdlust als einen grausamen und der Gesundheit nachteiligen Zeitvertreib, der der Beschäftigung eines Prinzen unwürdig ist. Wenn wir Leckerbissen auf unsere Tafeln haben wollen, so bekommen wir dessen von unsern Nachbarn, die damit zum Überflusse beschwert sind, gegen unser Mastvieh, unsere Fische und Manufakturen, in Menge.
Nunmehr war ich mit meinem Führer in der Stadt angelangt. Ein unermeßliches Gebäude, woran die Kunst all ihren Geschmack verschwendet zu haben schien, fiel mir sogleich ins Gesicht. Dies, sagte der Geist, ist der Palast des Staats. Ich werde dich von einem zum andern seiner Departements führen. Betrachte, und denke!
Über der Türe des ersten Saals, in welchen wir traten, stunden die Worte: Polizeikanzlei. Eine Menge Beamten waren beschäftigt, ihre Pflichten zu üben. Hier arbeitete ein Kreis über der neuen Ausgabe des Landrechts. Diese neue Ausgabe sollte zum Vorläufer dienen von einem neuen Gesetzbuch, wordurch der Monarch seine Regierung zu verewigen beschlossen hatte. Das alte Landrecht war in den meisten Teilen unbrauchbar worden. Die Revolution der Einsichten, der Sitten, der Erziehung, des Clima, der benachbarten Regierungsverfassung foderte eine Abänderung der Gesetze. Dann der Regent hielt dafür, daß kein Gesetz möglichst gut seie, wenn es nicht seinem Jahrhunderte angemessen ist. Allein da die Wahl der Gelehrten, welche zu diesem wichtigen Unternehmen erfodert wurden, nicht leicht war, so verzögerte sich die Ausführung der Sache. Der Regent glaubte. daß, außer einigen vorzüglichen Rechtskundigen, noch eine Anzahl Philosophen und Naturkenner nötig wären, weil bei der Gesetzverfassung sehr viel auf den gesunden Verstand ankommt.
An einem andern Tische befand sich eine Gesellschaft, welcher aufgetragen war, die Kriminalordnung zu verbessern, und die Folter abzuschaffen.
Am dritten Tische übeten sich geschickte Männer über einen Vorschlag zur Verkürzung der Zivilprozesse.
Der vierte war der Mittelpunkt einer Kommission Zu Verbesserung der Gymnasien und Landschulen. Einrichtung eines neuen Erziehungssystem, nach dem Muster der benachbarten Staaten, Gründung einer Normalschule, oder Modellschule für Lehrer.
Im übrigen Raume des Saals wurden Ausfertigungen an das Publikum der Hauptstadt, in Betreff der öffentlichen Sicherheit, der Verschönerung, der Aufnahme der Stadt, geschrieben.
Aus dem Saale der Polizei führte mich der Schutzgeist in einen andern, welcher zufolge der Überschrift, die Finanzkanzlei war.
Zuvörderst fiel mir ein Mann ins Gesicht, welcher ein Papier vor sich hatte, das sich die Staatskarte des Landes benennte, Diese Karte, welche mit dem genauesten Fleiße von den geschicktesten Gelehrten aufgenommen, und welche ein Kabinettsgeheimnis des Staats ist, entlhält außer den gewöhnlichen geographischen Verhältnissen des Landes eine zuverlässige Nachricht von den natürlichen Vorzügen desselben.
Sie ist der Richtpunkt bei den Entwürfen der Kammer, des Kommerzkollegiums, und der Kabinettskanzlei. Die Beilagen, welche ihr angehören, sind die Populationstabellen, welche aus dem Verzeichnisse der Geburts- und Totenlisten errichtet werden; die Konskriptionslisten, worin man die Anzahl der Menschen und des Viehes findet; die Manufakturtabellen; und die Ökonomietabellen.
Und was für eine Karte haben Sie hier in Händen? So fragte ich einen, den ich an einem zweiten Tische in Betrachtungen vertieft sah. - Es ist die Staatsbilanz, versetzte er, oder die jährliche Tabelle der allgemeinen Staatsausgaben und Staatseinnahmen und des Kassarests. Sie ist bei den
Operationen des Kabinetts und der Kriegskanzlei ohnentbehrlich.
Indem erblickte ich einen Zirkel von mehr als sechs Männern. Ihr Fleiß zog meine Aufmerksamkeit an sich. Wir arbeiten, sagten sie, an dem Entwurfe zu einem neuen Rechnungsfuße: ein Gegenstand, der dem Lande höchstnotwendig ist. Die bisherige Rechnungsmethode ist so verwirrt, so dunkel und so abgeschmackt, daß man eine eigene Vernunft braucht, sie einzusehen, um die seinige nicht zu verwirren. Das Leben eines Mannes ist kaum hinreichend, sie zu erlernen, um alle Probleme zu entwickeln, welche die Zunftmeister in dieser Kunst aufzugeben wissen. Wir sind der Meinung, daß eine Anwendung der gedoppelten Buchhaltung auf die Ökonomie das beste Muster sei, welches wir zu
einem neuen Rechnungsfuße erwählen können; und wir haben gehört, daß diese Art Rechenfuß in andern erleuchteten Staaten mit glücklichem Erfolge eingeführt ist.
Ich verließ diese Männer, deren Beschäftignng mir sehr nützlich zu sein schien, bloß, um mich zu einem Kreise von anderen zu wenden, die nicht minder Emsigkeit verrieten. Sie beschäftigten sich mit der Verbesserung der Zünfte und der Handwerker. Wir trachten, sprachen sie, den Unsinn abzuschaffen, welcher sich in der Einrichtung der Zünfte befindet, und welcher dem Fortkommen der Handlung widerspricht. Indem wir ihre Zunftartikel umgießen, die Lehrjahre abkürzen, die Meisterstücke aufheben, die Gesellenjahre einschränken, und tausend andere Mißbräuche abändem, welche dem Kunstfleiße und der Beförderung der Nahrungswege entgegen sind, so gedenken wir die gesunde
Vernunft in ihren Verfassungen wiederherzustellen, und sie dem Staate nützlich zu machen.
Der dritte Saal war die Kriegskanzlei. Hier wies mir jemand den Etat der Armee, woraus ich genau sah, daß er mit den Kräften des Landes im Verhältnisse stund. Die Truppen schienen nicht vorhanden zu sein, um auf Befehl zu warten, bis sie zum Dienste eines fremden Herren, dessen Interesse
das Vaterland lediglich nichts angehet, zum Morden oder zur Schlachtbank angeführt werden, weil sie dieser Ausländer bezahlt hat, immittelst aber ihr Leben in Müßiggange zuzubringen.
Es waren ihrer nicht mehr, als man zu Bewahrung der öffentlichen Sicherheit des Staats, zu Beschützung der Gesetze und der landesherrlichen Obermacht, und, auf den Notfall, zur Verteidigung der Grenzen, zu bedürfen schien. Und da sie von dem allgemeinen Schatz bezahlt wurden, so
gehörten sie dem Vaterlande.
Sie waren immer so verlegt, daß durch ihre Position zu gleicher Zeit das Land beschützt, und überall die Konsumtion der Lebensmittel und der Umlauf des Geldes ausgebreitet wurde. Die eine Hälfte der Armee war beständig in Urlaub, wo sie das Land bauen half, sich in der Liebe zur Arbeit, und in der Bewegung und Ausbildung des Körpers erhielt Die andere Hä!fte war beständig in Waffen.
Unter den Verordnungen, welche der Kriegsrat heute ausfertigen ließ, waren folgende merkwürdig.
Der Staat wird fürohinmehr keine andere als seine eigene Untertanen zum Kriegsdienste zulassen. Die Ehre des Vaterland zu verteidigen, ist zu wichtig, um sie Mietlingen zu überlassen.
Die Leibwache des Regenten wird fürohin bloß aus Landeskindern bestehen. Es ist beleidigend, daß der Regent seine Person jemand anders, als seinen Untertanen anvertraue.
Die Aushebung der Rekruten zum Dienste des Vaterlandes wird künftig nach Anleitung der jährlichen Konskription, und nicht anders als mit Beiziehung der Zivilvorstehere, geschehen.
Die Werbungen sowohl für den Dienst des Hauses, als fremder Potentaten, sind ein für allemal gänzlich abgeschafft.
Zum Besten des Ackerbaues, worauf das wichtigste Wohl des Staats beruhet, sollen die Kapitulationen bei der Armee auf sechs Jahre eingeschränkt, und genau erfüllt werden.
Das Geld, welches der gemeine Mann währendem Urlaub für sich verdient, bleibt seiner Disposition nicht überlassen. Die Gemeinde, welche es für ihn einkassiert, wird der Compagnie davon Rechenschaft geben Er ist gehalten, währendem Urlaub auf den Fuß der Kaserne zu leben. Den Über-
schuß, den die Compagnie in Verwahrung nimmt, wird ihm zu einem Sparhafen dienen, sich entweder loszukaufen, im Falle er die Kapitulationszeit nicht abwarten will, oder ein Kapital beilegen, womit er sich bei seiner Austretung ein Etablissement verschaffen kann.
Die Chefs und Officiers der Regimenter werden erinnert, den Soldaten weniger zu einer unnötigen Übung in Handgriffen und im Putze anzuhalten, als zum Gehorsam, zur Sparsamkeit und zum Fleiße im bürgerlichen Leben, welches seine künftige Bestimmung ist.
Es war nur noch ein einziger Saal für meine Betrachtung übrig. Über der Tür stund: Kanzlei der Ge!ehrsamkeit. Diese Etiquette befremdete mich anfänglich. Aber ich war schon gewohnt, außerordentliche Dinge in diesem Lande zu sehen.
An den Saal grenzten verschiedene Kabinette, welche soviel Departements der Gelehrtenkanzlei ausmachten. Sie folgten einander im Range.
Das erste war
 Die praktische Philosophie.
Hierunter gehörte: Der Feldbau und die Ökonomiekunst. Die Handwerkskünste. Die Prachtkünste. Der Handel. Die ausübende Heilungswissenschaft. Die Wundarzneikunst. Die Hebekunst. Die Scheidekunst.
Das zweite Departement war
Die Moral.
Die ihr untergeordneten Wissenschaften bestunden in der Rechtsgelehrsamkeit. Die Religionslehre. Die bürgerliche Politik.
Im dritten Departement wohnten
Die Staatswissenschaften.
Hiezu gehört: Die Polizei. Die Finanz. Die Handlungswissenschaft. Die Staatsklugheit. Das Staatsrecht. Die Staatsgeschichte. Das Völkerrecht.
Das vierte Departement enthält
Die theoretische Weltweisheit.
Und teilt sich in die Größenlehre Die Naturlehre. Die Krankheitslehre. Das Natur- und Sittenrecht. Die Kriegswissenschaft. Die Philosophie der Religion.
Das fünfte Departement war
Der Geschichte
gewidmet.
Das sechste Departement gehört den 
Schönen Künsten.
Die Tonkunst. Die Malerei. Die Bildhauerkunst. Die Altertümer. Die Dichtkunst. Das Schauspiel.
Im letzten Departement behandelt man
Die Schulkünste.
Die Sprachen. Die Vernunftlehre. Die Schönheitslehre. Die Geschichte der Literatur. Die Kritik.
Der Endzweck der Beschäftigungen dieser Kanzlei war, die Wissenschaften von dem Vorurteile abzusondern, sie der Regierung nutzbar zu machen, die verschiedenen Kanzleien der Staatsverwaltung über die Gegenstände ihres Amtes aufzuklären, die Praxis der Wissenschaften zu gründen, und Verstand und das Herz der Nation zu erleuchten. Bei weIchem Volk Wissenschaft herrscht, bei dem ist auch Rat und Mut.
Als wir den Palast des Staats verließen, so besahen wir noch viel andere vortreffliche Gebäude, welche Einrichtungen zum öffentlichen Besten des Staats enthielten: die Akademie der Wissenschaften; die Handlungs- und Manufakturakademie; die Realschule, worin die Muster von allen Erzeugnissen der vier Naturreiche, von allen Produkten der Kunst und der Erfindung gezeigt werden, und welche eine Erziehungsschule für die Handwerksbursche unterhält; die öffentliche Bank; das Pfandhaus zum Behuf der Bedürftigen, und auf Rechnung der Armenkasse gegründet. Das Intelligenzcomptoir; das große Versorgungshaus; das Magazin zum Vorteil arbeitloser Künstler und Handwerker; die Kriegsschule; das allgemeine Hospital; das Nationalschauspielhaus.
Indem mich mein Führer von der Einrichtung und den Gegenständen dieser Anstalten belehrte, so schlug eine große Glocke an, deren Ton sich über die ganze Gegend der Hauptstadt verbreitete, und welche das Herz auf eine besondere Art zu rühren schien. Man läutet, sagte der Schutzgeist, zur Audienz des Regenten. Laßt uns eilen, den Thron zu sehen, und Zeugen von der Austeilung seiner Weisheit und seiner Wohltaten zu sein.
Er führte mich in den Mittelpunkt der Hauptstadt, wo ich einen Palast sah, der aus den Händen der Grazien gekommen zu sein schien. Der Zufluß des Volks war eben nicht groß. Da der Regent sich mit dem Wohl seiner Untertanen ununterbrochen beschäftigt, und da er keinen Tag vorbeigehen läßt, ohne einen Glücklichen zu machen: so ist die Anzahl der Bittenden sehr gering.
Sobald sich der Fürst gezeigt hatte, so warf sich das Volk in den Staub. In diesem Augenblick verschwand mein Begleiter an meiner Seite. Ich sah seine Gesichtszüge in der Bildung des Regenten. Der Schutzengel des Landes war der Fürst selbst
Das Schrecken, welches mir diese Verwandlung verursachte und der Schmerz., den ich über den Verlust meines Gefährten empfand, erweckte mich. - Wo ist die Stadt? Wo ist mein gütiger Schutzgeist? wo ist der weise Regent? Rief ich voll Betrübnis.
Mein Freund, Herr Freymut ein Eingeborner Württembergs, dessen Bekanntschaft ich zu Lyon stiftete, überraschte mich mit seinem Besuche. Ich erzählte ihm meinen Traum. - Hier, sagte er, sind alle diese Gegenstände, die Sie verloren haben, die wohlgebauten Landstraßen, die Fabriken, das neue Gesetzbuch, die Gelehrtenkanzlei usw. Er wies mir einen Aufsatz, dessen Überschrift enthielt.:
 

Verlorne Projekten

für

mein Vaterland.

 
[aus: Anselmus Rabiosus Reise durch Oberdeutschland IV: Württemberg]





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