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Reinhard Döhl | Vorweg zur Ausstellung Friedrich Sieber. Bilder

Ich möchte, bevor ich auf den Maler und seine Ausstellung zu sprechen komme, der Begrüßung durch den Bürgermeister eine persönliche Bemerkung folgen lassen, einen Dank dafür, daß es durch die Kulturverantwortlichen der Städte Kornwestheim und vor allem Sindelfingen möglich wurde, Überblicke über und Einblicke in das jeweils beachtliche malerische Werk Günther C. Kirchbergers (1981), Atilas zu Anfang dieses Jahres und jetzt Friedrich Siebers zu bekommen. Das ist so dankenswert, wie es für die eigentliche Heimstatt der Gruppe 11 blamabel ist, an ihrer Peripherie auf hartnäckig übersehene Leistungen international ausgewiesener Künstler aufmerksam gemacht zu werden, Leistungen, die nicht zuletzt ja auch in den mit Unterstützung des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst gedruckten Katalogen eine Bestätigung finden.

Von den genannten Mitgliedern der einstigen Gruppe 11 ist Friedrich Sieber derjenige, der am meisten bei sich selbst, der seiner radikalen Entscheidung, die Welt als Farbe zu sehen, beharrlich treu geblieben ist. Angefangen bei einem Natur- und zugleich Schlüsselerlebnis der Eigengesetzlichkeit und Eigendynamik den Farben, Mitte den 50er Jahre, bis hin zu jenen Arbeiten Anfang der 80er Jahre, denen er den rätselhaften Titel "Naturform Farbe" gegeben hat. Von ihnen werden drei im Format kleinere, aber wichtige Beispiele in dieser Ausstellung zum ersten Mal gezeigt.

Was den Ansatz und den augenblicklichen Stand, was das ganze bisherige Werk Siebers verbindet, ist - wenn ich es richtig sehe - dreierlei.

1. die radikale Entscheidung für eine Welt aus Farben, die nicht a priori vorhanden ist, sondern sich in der Auseinander-, Gegeneinander- und Zueinandersetzung der Farben erst herstellt.

2. das Wissen, daß jedes gemalte Bild nur eine Annäherung an diese Welt aus Farben darstellt, nur eine Teilordnung dieser Welt aus Farben zeigt.

3. die Überzeugung, daß den im Bild gewonnenen Teilordnungen Ordnungen entsprechen könnten, die Friedrich Sieber partiell in der Natur vorgegeben findet als - wie er es nennt - "gewachsenes Gesetz".

Ich darf dies ein wenig ausführen und wiederholen, daß ein erstes Wasserzeichen der Sieberschen Malerei die Entscheidung für eine Welt aus Farben ist, die Entscheidung, Welt als Farbe zu sehen. Diese Entsoheidung resultiert aus einem Schlüsselerlebnis, auf das sich Friedrich Sieber im Katalog dieser Ausstellung wie folgt bezieht:

"Eines Tages hatte ich im Wald ein starkes, mich wandelndes Erlebnis. Ich sah, daß Kiefern und Birken, die eigentliche Bauform außer acht lassend, farbigen Gesetzen folgten. Die Welt bestand damals für mich aus Strukturen, die sich in einer ganz bestimmten Form meinen Augen darboten. Die Einzelform spielte plötzlich keine Rolle mehr. Mir fiel auf, daß Farben in ihrer Eigendynamik (meist Übergänge)für mich wirksam waren. Ich bin bis heute der Meinung, dieses Erlebnis war das bedeutendste für mein Leben."

Was Friedrich Sieber hier schon ein wenig abstrahiert formuliert, hat Wilhelm Gall vor einigen Jahren in einem Katalog noch so zitiert:

"Ganz spontan waren einige weiße Birken in einem dunkel-vielfarbigen Walde nicht statistische Anteile der Farbe innerhalb eines Gesamteindrucks, sondern zuckende Elemente, die ihr spezifisches Eigenleben hatten und für das Seherlebnis dynamisch waren."

Dieses "Seherlebnis" führte Sieber zu dem entscheidenden Schritt von einer bis dahin mehr oder weniger gegenständlichen Malerei zu einer seither informellen Malerei. Nicht der Naturausschnitt war das zu gestaltende "Seherlebnis", vielmehr das beobachtete Wechselspiel zwischen den unterschiedlichen Grüns der Blätter und Nadeln, beides vor der dunklen Vielfarbigkeit des Waldes. Nicht um Abbildung wie auch immer ging es also, sondern um Darstellung farblicher Spannungen und Schwingungen, um die Eigenwelt der Farben.

Konkret hieß dies, daß Friedrich Sieber sich in der folgenden Zeit von den Farben führen ließ, zunächst zu flachen, später stärkeren Farbgefällen - die ausgestellten Lithographien bieten hier Beispielmaterial - dann zu den farbigen Randumläufen, den Farbformabläufen der Bilder und Siebdrucke der 60er Jahre.

Wenn Sieber 1965 eine Mappe mit Siebdrucken syntaktisch mehrdeutig "impulse formen bilder (lies: "Impulse Formen Bilder" oder "Impulse formen Bilder") überschrieb, wollte dies besagen, daß erst die von den Farben ausgehenden Impulse letztlich zu Bildern führen, daß erst die Anordnung der Farbe zur Form das Bild entstehen läßt.

Die auf den Bildern Friedrich Siebers erkennbaren/wahrnehmbaren Formen liegen also nicht von Anfang an in der Absicht des Malers, sind nicht der angestrebte Bildinhalt, dem Farben zugeordnet werden. Sie sind vielmehr das Ergebnis eines farbmaterialen Vorgangs, der Interaktion von Farben.

Ich verwende diesen bei Josef Albers entlehnten Begriff gezielt, nachdem Sieber 1967 mit einer "Bild Bild braungrün" getitelten Arbeit selbst auf Albers gewiesen hat. In dieser auch hier ausgestellten Arbeit hat Sieber ein braunes und ein blaues Albers-Quadrat ineinandergesetzt und im unteren Teil der Bildfläche durch eine Farbskala ergänzt, die von hellblau bis violett fächert. Dieses "Bild Bild" ist zugleich geeignet, auf einen bedeutenden Unterschied hinzuweisen. Denn sowohl die Ineinanderschachtelung zweier Albersquadrate wie der Zusatz einer Farbskala korrigieren das Zitat. Und sie deuten in der Korrektur zugleich an, daß Sieber mit Albers in der Reduktion auf eine einzige Form zur Demonstration farbiger Interaktionen nicht einig geht. Denn anders als Albers geht es Friedrich Sieber nicht um die systematische Demonstration farbiger Interaktionen im Rahmen einer vorgegebenen Form, sondern um die Entwicklung von Formen aus farbiger Interaktion. Und dies nicht methodisch-systematisch, sondern von Fall zu Fall. Das erklärt auch die zunächst vielleicht verwirrende formale Heterogenität der Sieberschen Bilder.

"Ich kann", hat er schon 1959 für den Katalog einer Londoner Ausstellung festgehalten, "Farben nicht in streng begrenzten Formen sehen. Farben verändern sich, während ich male. Ich wünsche, diesen Prozeß sehbar zu machen."

Sehhilfen geben wollen auch die gelegentlich und zunächst oft seltsam anmutenden Bildtitel, die so etwas wie Arbeitstitel sind. "Impulsform weiß-grün", "Bildimpuls Blauskala-braun", "Formtendenz schwarz-grau", "Stufung braun-grün", "Faltung gelb-braun", "Drehverwindung weiß" - das Werkverzeichnis des Kataloges besteht zu weiten Teilen, ja fast ausschließlich aus solchen Titeln wobei Sieber mit zunehmender Flächigkeit seiner Farben seit etwa Mitte der 60er Jahre frühere Bezeichnungen wie "Stauung", "Ballung", "Dehnung" und "Quetschung" endgültig aufgibt.

Diese Bildtitel, die in der Regel erst formuliert werden, wenn das Bild fertig ist, oft sogar erst, bevor es in die Ausstellung kommt, verdienen etwas Aufmerksamkeit. Sie bezeichnen einmal den Ausgangspunkt. Das kann durch bloße Nennung der Ausgangsfarben geschehen, also "blau-violett", "gelb-grau" undsoweiter, was im Sinne Siebers "blau gegen violett", "gelb gegen grau" zu lesen ist. Oft erfolgt noch der Zusatz "Impulsforn", "Bildimpuls" oder ähnlich. Zum anderen können die Titel auf den Bildprozeß selbst, auf die Interaktion verweisen. In diesem Fall lauten die Zusätze dann "Faltung" , "Drehverwindung", "Stufung" undsoweiter.

Um dies ein wenig zu illustrieren, nehme ich ein Bild an, dessen Ausgangsfarben, dessen Ausgangssituation braun gegen beige sind. Wollte Sieber dieses Moment betonen, würde der Titel "braun-beige", "Impulsforrn braun-beige" oder "Bildimpuls braun-beige" lauten. Nun stellte sich aber z.B. während des Malprozesses die Frage: was passiert, wenn ich jetzt mit Weiß hineingehe? Damit wird einmal eine dritte Farbe gegen die beiden Ausgangsfarben gesetzt, der zum zweiten die Aufgabe zukommt, die beiden Ausgangsfarben im gewählten Bildrahmen (einer weiteren Determinante) im Gleichgewicht zu halten, ohne die zwischen ihnen bestehende Spannung aufzuheben. Um dies zu erreichen, muß das Weiß auf die beiden Ausgangsfarben hin unterschiedlich abgeschattet werden, entsteht der Eindruck einer Faltung und mit ihr die Form, die der Betrachter des Bildes schließlich wahrnimmt. Soll dies betont werden, würde der Bildtitel "Weißfaltung braun-beige" lauten. "Weißfaltung braun-beige" oder nur "braun-beige" - die Bildtitel geben durchaus Verständnishilfe, signalisieren, auf welche Phase des zum Bild erstarrten Malprozesses Friedrich Sieber das Auge des Betrachters zunächst lenken möchte, ohne ihn damit bereits festlegen zu wollen.

Nun kann es durchaus geschehen, daß der Betrachter, trotz dieser Arbeitstitel, auf den Bildern etwas wiederzuerkennen glaubt, das er in seinem Bewußtsein als Form gespeichert hat: Geometrisches oder Organisches, Wolken- oder Pflanzenähnliches, er mag auch an Arp erinnert werden u.a.m. Dieses Problem, auf das ich auch im Katalog schon hingewiesen habe, ist bei einer die Farbe in den Formschluß bringenden Malerei der Art Siebers nicht auszuschließen. Und soll wohl auch nicht ausgeschlossen werden, wie einige Arbeiten der letzten Zeit mich vermuten lassen.

Ich beziehe mich hier einmal auf die Blattform eines "grün gegen grau" getitelten Bildes aus dem Jahre 1980, das der Katalog auf Seite 97 abbildet. Ich beziehe mich ferner auf eine Farbstiftzeichnung "Blattform" aus dem Jahre 1977, sowie drei Farbstiftzeichnungen aus dem Jahre 1973, "Pilz", "Impulspilz" und "Vobist". Und ich beziehe mich schließlich neben einigen Kleinplastiken auf die in dieser Ausstellung zum ersten Mal gezeigten "Naturform Farbe" getitelten Bilder, deren technische Daten der Katalog mit "Baumschwamm, Pappmasché auf Hartfaserplatte" bzw. "...Leinwand" angibt. Ihnen allen ist gemeinsam, daß eine vorgefundene Naturform den Maler veranlaßt, die Interaktionen der Farbe in Richtung dieser Form zu steuern. Ich wiederhole: der Impuls geht also von einer vorgefundenen Naturform aus. Die Ausgangsfarben sollen dann diesen Formimpuls in eine Impulsform verwandeln und nicht etwa die Ausgangsform wiederholen.

Um konkret zu reden: bei der im Katalog, Seite 97 abgebildeten Arbeit ging zum Beispiel der Impuls vom Blatt einer der in Siebers Wohnung zahlreicheren Pflanzen aus, das keinesfalls wiedergegeben werden sollte. Das zeigt sich schon daran, daß auf dem endgültigen Bild alle wesentlichen Charakteristika eines Blattes ausgespart bleiben: der Blattstiel ebenso wie die Adern wie seine Körperlichkeit. Um was es Friedrich Sieber stattdessen ging, war vielmehr, im Ausreizen der Ausgangsfarben grün gegen grau, das Herausarbeiten eines bestimmten Grüns, das ihm so und in dieser Form nur bei dem konkreten Blatt auffällig geworden war. Anders wie bei der Farbkonstellation einer Illustriertenvorlage, die ebenfalls Anregung für zwei Ausgangsfarben geben kann, ist es also in diesem Falle eine konkrete Farbform, die impulsgebend wird. Vergleichbares wäre zu den drei "Naturform Farbe" getitelten Arbeiten zu sagen, bei denen Sicher von der ungestalteten Farbform eines Baumschwamms ausgegangen ist.

Lediglich hinweisen möchte ich auf das Umfeld der von Friedrich Sieber aufgenommenen Naturformen, das mit Pilz, Baumschwamm, Rinde und Blatt nur einen bestimmten Bereich der Natur als anregend einbezieht. Wiohtig ist mir dagegen, daß Friedrich Sieber vor ein paar Jahren auf die Frage, was denn das ganze Grünzeug in seiner Wohnung solle, lakonisch antwortete, das sei für ihn "gewachsenes Gesetz". Wenn dann solche Formen für die Malerei Siebers impulsgebend werden, muß gefragt werden, ob nicht und wieweit zwischen den aus farblicher Interaktion gewonnen Irnpulsform und der gefundenen Naturform Korrespondenzen bestehen.

Daraus folgt leicht, daß man bei Siebers Arbeiten keinesfalls von Farben-l'art-pour-l'art sprechen darf. Man wird vielmehr vor dem Hintergrund derart als Farbform eingesetzter Naturformen einerseits und der Beharrlichkeit der Bemühungen um Farbgesetzlichkeit und Formschlüsse andererseits davon ausgehen müssen, daß Friedrich Sieber analog zu dem "gewachsenen Gesetz" der Naturformen auch hinter seiner Welt aus Farben - vielleicht völlig unbewußt - ein Gesetz vermutet, dessen Paragraphen wir nicht kennen: ein definites Farb-Form-Gesetz, zu dem wir den Schlüssel verloren haben, das spekulativ auch gar nicht faßbar ist. Auf das hin sich aber ein Maler empirisoh, das heißt in vielen kleinen Schritten, sprich Bildern, bewegen kann. Das er in immer neuen Interaktionen umkreisen kann, wenn auch ohne die Gewißheit, es je ganz einzukreisen, es je ganz zu fassen.

[Galerie der Stadt Sindelfingen, 13.11.1983]