Reinhard Döhl | Prosa
Ansichtssachen (1)

Eines Tages | Ansichtskarten | Märchen

Eines Tages

erstreckt sich eine Straße aus einem Fenster werden Autos getrieben mit einer Handbewegung verhält sich ein Hund umkreist ein Fahrrad lehnt an einer Hauswand bezeichnen Narren Hände hier wie dort

bewegt sich eine Spinne über eine Wand. Ein Fenster ist nach außen geöffnet. Eine Zeitansage wird getroffen. Ein Mann bewegt sich über das Gesicht einer Frau das er betrachtet. Eine Frau schläft auf dem Rücken unter den Blicken eines Mannes die sie betrachten. Sie bewegt die Lippen über ihr Gesicht. Ein Mann erhebt sich vor ein Bett. Ein Fenster ist nach außen geöffnet Ein Mann bewegt sich über einen Teppich zur Tür die er öffnet. Eine Spinne bewegt sich über eine Tapete zum Fenster das auf ist. Eine Frau bewegt sich auf den Rücken. Ein Mann verläßt sie durch die Tür. Eine Spinne befindet sich vor einem Fenster und verharrt. Ein Wetterbericht erfolgt. Ein Mann singt unter der Brause heute morgen jederzeit

sehen Autos auf und vorbei im Fenster verwischen Männer mit Besen die Straße verdunkelt die Sonne verdunkelt ihre langen Schatten verdunkeln ihre kurzen Schatten die sie bewegen Besen schultern Männer bleiben im Schatten auch Frauen gegenüber sehen auf und vorbei

verwischen Autos die Straße von da nah da ohne Ende im Fenster unterläuft einem Auto ein Mann. Andere Autos werfen einen Blick darauf. Ein Metermaß verweist die Bremsspur zurück. Andere Autos sind ungeduldig und machen einen Bogen. Der Asphalt ist fehlerlos den ein Mann zwischen den Armen hält. Ein Auto nahm seine Unschuld denn er blutet. Scherben liegen herum. Ein Kind schreit. Eine Frau nimmt es mit sich fort. Eine Straße zögert und zieht sich hin. Andere Autos schlagen ihre Augen auf und fahren fort. Eine Bogenlampe sieht einem Mann in die Augen ohne Bewegung liegt ein Mann unter einer Bogenlampe unter anderen mit offenen Augen

werden Autos in ein Fenster getrieben mit einer Fußbewegung verhält sich ein Hund umkreist ein Fahrrad lehnt an einer Hauswand ergibt sich eine Reklame mit bunter Schrift beschmieren Narren Hände die Zeit

besprechen Stimmen im Radio. Eine Frau liegt auf einem Bett und bewegt sich. Sie dreht den Stimmen den Hals um mit einer Handbewegung. Eine Frau verfolgt mit Blicken eine Spinne zum Fenster das auf ist. Sie bewegt ihre Hände von dort nach dort über ein Bett auf dem sie liegt. Über eine Wand bewegt sieh eine Spinne über eine Tapete auf die die Frau starrt zum Fenster das auf ist. Ein Mann geht von irgendeiner fort. Eine Frau erinnert sich mit geschlossenen Augen ihres Liebhabers. Sie liegt so da mit geschlossenen Augen um sieh zu erinnern bewegt sie die Hände vor ihr Gesicht und hält sich vor Augen. In einem Radio besprechen sich Stimmen die Zeit und das Wetter ohne Ende

erstreckt sich eine Straße in ein Fenster das auf ist ergehen Geräusche an das Ohr der Beischläfer verhält sich die Nacht betrifft ein Fahrrad ohne Licht verbirgt sich eine Reklame an einer Hauswand verbleiben Schatten Schultern Frauen immer wieder verhalten sich Hände hier wie dort

Ansichtskarten

Man schickt von einer Reise Ansichtskarten, um den Daheimgebliebenen zu sagen, daß man sie nicht vergessen hat. Man unterläßt es, einem Freund, der in bescheidenen Verhältnissen lebt innerhalb eines Sommers Karten aus Ragusa, Capri und Nizza zu schicken. Auch wäre es taktlos, einem Bürokollegen eine Karte zu schicken und einen anderen zu übersehen. Dem Chef und hochgestellten Persönlichkeiten schickt man nur dann Ansichtskarten, wenn man mit ihnen privat befreundet ist Man läßt auch nicht zufällige Urlaubsbekanntschaften ihre Namen auf Karten kritzeln, da diese Leute für die zu Hause Gebliebenen keinerlei Bedeutung haben. [Gutes Benehmen Dein Erfolg]
1
Es gibt Ansichtskarten und Ansichtskarten. Immer wieder fallen den Leuten Ansichtskarten ein in meinen Briefkasten mit jeder Postwurfsendung. Immer wieder muß ich viele Ansichten auseinander halten. Ich habe mir einen Karteikasten gekauft und eine Systematik gemacht. Ich sammle Ansichten die mir mein Briefträger zuträgt. In meinem Karteikasten sammeln sich die Ansichten einer ganzen Welt die sie beschreiben.

2
Ansichtskarten sind Ansichtssache und leicht überschaubar. Man schätzt ihren Umgang. Sie sind genügsam. Man kann sie sich an den Hut und hinter den Spiegel stecken. Man kann sie unbesehen zerreißen verbrennen verlegen. Man kann sie jederzeit vorholen und oberflächlich betrachten. Man kann sie ganz genau betrachten. An ihren Ansichtskarten kann man sie erkennen. Ansichtskarten sind nicht jedermanns Sache.

3
Es gibt schwarzweiße Ansichtskarten, die von den Schwarzweißsehern verschickt werden. Immer noch verteilen die Schwarzweißseher ihre gebildete Ansicht. Die schwarzweißen Bilder der Welt sind billig zu haben. An allen Kiosken der Welt wird eine um die andere Ansicht für bare Münze gehalten Sie ist wiederholbar für jeden erschwinglich. Täglich sichten die Schwarzweißseher den Bestand der verteilbaren Welt und lassen ihn umgehen.

4
Ansichtskarten sind keine kleinen Mädchen die bunt angemalt sind. Die buntangemalten Ansichtskarten ändern ihre Meinung nicht von heute auf morgen. Sie hängen ihr Mäntelchen nicht nach dem Wind Man kann sie erinnern. Ein Kreuz mit Tinte bezeichnet die Stelle der Wohnungnahme. Viele Leute machen ein Kreuz und möchten sich hinter verstecken. Ansichtskarten sind keine Regenbögen die bunt angestrichen sind.

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Von allen bekannten Blumen sind Ansichtskarten die schönsten Sie blühen nicht im Verborgenen Sie sprechen von sich aus. Sie sagen nicht: laßt Blumen sprechen. Und sprechen nicht durch die Blume oder in Rätseln. Sie sprechen in Bildern. Sie haben sich eine Ansicht gebildet. Sie haben sich eine genaue Ansicht gebildet. Sie besagen nichts weiter.

6
Meine Ansichtskarten zeigen eine Ansicht die sonst niemandes Ansicht ist. Man kann sie keinem Menschen vorlesen. Man kann sie in keine Sprache übersetzen. Man kann sie nicht vom Blatt singen. Sie bezeichnen eine Welt die es sonst auf der Welt nicht gibt. Die es nirgendwo auf der Welt mehr gibt. Und die gezeigte Welt ist jedesmal eine andere.

7
Die Ansichtskarten sind jetzt alle verteilt, Man hat sich seine Ansicht gebildet hiervon und davon. Man weiß was auf den Ansichtskarten drauf ist. Man hat säuberlich die Häuser von den Bäumen und den Himmel von der Erde geschieden. Man spricht darüber und läßt es Tag und Nacht werden. Man spricht immer noch darüber. So ward aus Abend und Morgen ein anderer Tag.

[1963]

Märchen

... kürzere volksläufig unterhaltende Prosaerzählung von phantastisch-wunderbaren Begebenheiten und Zuständen aus freier Erfindung ohne zeitlich räumliche Festlegung. [Sachwörterbuch der Literatur]
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Jemand ist gut. Jemand ist böse. Jemand Böses begegnet jemand Gutem. Es geht nicht gut aber das Gute siegt. Es geht gut aus : Jemand ist böse. Es steht schlecht um ihn und er nimmt ein schlimmes Ende : Jemand kann über seinen Schatten springen. Jemand kann nicht über seinen Schatten springen. Es gibt Zwischenfälle : Früher oder später. Es kommt was kommen muß. Jedermann weiß wie es endet. Das erwartete tritt ein. Es geschieht nichts weil man weiß was einem bevorsteht. Das Ende ist sicher. So oder so : Das Ende ist wahrscheinlich. Das Ende ist unwahrscheinlich. Das Ende ist eine frage der Marktlage : Es gibt keine befriedigende Lösung. Etwas löst etwas aus. Etwas löst etwas ab undsoweiter ad infinitum : ad infinitum.

2
Für alle Tage haben alle Kinder haben alle Kinder für alle Tage langes Fädchen faules Mädchen haben alle Kinder alle lieben und fleißigen Kinder fleißiges Lieschen die Männer treu die Männer satt haben alle Ritter alle Straßen Spesen und Raub Ritter Sporn Feinsliebchen mein Feinslieschen treu den Mann im Ohr zum Schlößli auf kam Rittersporn zu Männertreu zur tiefen Nacht im Wunderland wuchs Rosenstock die Wacht am Rhein kam Hinkelmann schlug alles krumm köpfte die Sonne und schlug mit einem krummen Säbel mit einem krummen Türkensäbel den Mond kaputt den Graf entzwei den Rittersporn unds Tausendschön pfui Spinne schrie Feinsliebchen mein schlief tausend Jahre Tag für Tag und spann ein Garn drei Parzen rechts zwei Warzen links ein langes Garn ein Seemann gar sah flugs herein ein Fädchen gar fürs Spinnennetz den Drahtverhau fing Vögel mit fing Vögel mit fing vögel drin sing Nachtigall fürs liebe Kind fürs Ritterkind fürs Vaterland Trutznachtigall und wie es zur Sonn kam wars ein verwelkt Sonnenblum und der Mond ein Stück faul Holz und drehte sich ums Spinnenbein und alle Kinder haben alle Kinder langes Fädchen faules Mädchen fürs Spinnennetz fleißiges Lieschen fürs Lügennetz haben alle Kinder den lieben langen Tag lang haben alle Kinder alle Tage für alle Tage kurze Beine.

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Etwas das wie ein Märchen klingt oder etwas das wie im Märchen ist was ein Märchen ist wenn einmal etwas war und so anfängt von wo es war und nur im Märchen vorkommt und darin geschieht weil ich nicht an Märchen glaube daran glaube ich nicht daß es vorkommt daß einmal etwas war und Großmutter erzählt die ganze Geschichte von Anfang bis Ende warum hast du ein so großes Maul und jemand zuhört der zuhören kann weil er nicht dabei gewesen ist und jemand immer wieder davon erzählt oder es zu hören kriegt aber nicht hören will aber hinhören muß weil er zufällig da ist der nicht dabei war als etwas passiert ist das jemand gerade erzählt und sagt daß es so ist und nicht anders und es immer wieder vergißt wenn er nicht daran denkt denkt er denkst du daß es aufhört wenn niemand zuhört wenn sie nicht gestorben sind die zuhören und zuhören weil sie nicht gestorben sind und immer noch leben damit etwas erzählt wird was nicht wahr ist das einmal war und davon lebt daß etwas einmal nicht wahr war und einem gesagt wird daß es wahr ist was wie ein Märchen klingt und keines ist was darin vorkommt und immer wieder passiert was wie im Märchen klingt aber wahr ist geht es hier weiter.

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