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Reinhard Döhl | Fabrikverkauf [art-wear] [walking exhibition]. Eine Veröffnung

Vorspann

Die Redensart Auf den Hund kommen ist schon im 16. Jahrhundert vielfach bezeugt aber erst geflügelt worden, als der Hund aufs Theater kam bzw. das Theater auf den Hund gebracht wurde. Schillers

Der Schein soll nie die Wirklichkeit erreichen,
Und siegt Natur, so muß die Kunst entweichen
mutierte im klassischen Weimar zu:
Dem Hundestall soll nie die Bühne gleichen,
Und kommt der Pudel, muß der Dichter weichen.
Im 20. Jahrhundert ist man aufs T-Shirt gekommen.

T-Shirts und Tippfehler

lautete diese Woche eine Überschrift in einer der führenden Tageszeitungen, und die Nachricht:

Wegen seines T-Shirts hat ein DJ eines Stuttgarter Clubs Probleme mit der Polizei bekommen. Der junge Mann war am Sonntagvormittag gegen 11 Uhr in der Reinsburgstraße unterwegs, als er von zwei Polizisten gestoppt wurde. Der Grund: Er trug ein dunkelgrünes T-Shirt mit der Aufschrift "Pozilei". Den Buchstabendreher, so die Beamten, hatten sie erst bei zweiten Hinschauen bemerkt - so ähnlich sei das Hemd der offiziellen Bekleidung von etwa Motorradfahrern oder Hundeführern im Polizeidienst. Die Diskussion um Rechtschreibung und Kleiderordnung endete mit der Konfiszierung des T-Shirts; gegen den Besitzer wurde Anzeige erstattet wegen Missbrauchs von Titeln, Ehrenabzeichen und Berufsbezeichnungen gemäß Paragraf 132 a StGB.

Beat Wyss hat über Die Welt als T-Shirt fast ein Kultbuch geschrieben:

Im Brennpunkt der Betrachtungen steht die Auseinandersetzung mit dem großen Bruch, der das 20. Jahrhundert kennzeichnet: die Entwicklung von der analogen Reproduktion zur digitalen Produktion hat es ermöglicht, daß heute auf technische Weise Bilder und Ideen massenhaft vermittelt werden, für die es keine Entsprechung in der erfahrbaren Welt gibt. Diesen Verlust von Wirklichkeit in der digitalisierten Kultur nimmt Wyss zum Anlaß, die Möglichkeiten der Erfahrbarkeit des Schönen im Zeitalter von Cyberspace zu diskutieren. Am Ende dieses Essays [...] steht die Frage nach den Möglichkeiten und Chancen der Kunst am Ausgang des 20. Jahrhunderts.

Fabrikverkauf [art-wear] [walking exhibition] oder die T-Shirt-Kunst und Kunst auf T-Shirt

Frieder Rusmanns schließlich ist ein Real-Experiment, das klären soll, was e-commerce für die Kunst zu leisten vermag und was für Strukturen sich bilden. Der Käufer ist als Träger der Ware in den Kunstprozeß und das Ausstellungs-Projekt Fabrikverkauf eingebunden und wird als Flaneur Mitspieler in einer Permanentszene (André Thomkins), die Rusman als walking exhibition versteht.

Veröffnung

Frieder Rusmanns Fabrikverkauf [art-wear] [walking exhibition] kommt nicht aus heiterem Himmel. Er hat ihren Platz in einer Welt, in der es fast nichts mehr gibt, was nicht als Logo, Werbung oder ähnlich kapitalistischer Unfug auf Kleidung und insbesondere T-Shirts zur Schau getragen wird. In dieser Kleiderverordnung verhalten sich Rusmanns T-Shirts subversiv, indem sie Botschaften spazieren tragen, die Spieler und Zuschauer erst einmal zur Botschaft komplettieren müssen, um verstanden zu werden. Zum Beispiel:

Avantgarde is wurscht

Wer Rusmanns bisheriges Oeuvre kennt, das bildkünstlerische Arbeiten ebenso wie Essays zur bildenden Kunst

Über den notwendigen Zwang zur Interpretation von Kunstwerken

und Kulturgeschichte

Warum van Gogh sein Ohr verlor

umfaßt, muß dieses Diktum in zwei Richtungen lesen: in Richtung Dada und in Richtung Popart, wobei hier die amerikanische Spielart gemeint ist, die Lichtenstein, Warhol, Wesselmann vertreten, während bei Dada vor allem an Marcel Duchamp zu denken wäre: Ready made also und Fertiggericht und

der dritte Weg

weil Avantgarde auch und erst recht wurscht ist, wenn das Medium zur message und massage wird. Schließlich handelt es sich um Kunst auf T-Shirts. Und die trägt man in der Regel auf der blanken Haut, auch im globalen Dorf.

Avantgarde is wurscht

ist ursprünglich eine Arbeit aus dem Jahre 1997: Acryl auf Holz, 110 X 80 cm. Der Bildträgerwechsel von Holz auf Stoff (was nebenbei natürlich das Bild auf Leinwand ebenso mitironisiert wie das Sprichwort Wie des Garn, so das Hemd), der Medienwechsel demonstriert den von Walter Benjamin beklagten Auraverlust des Kunstwerks gleich in zwei Schritten, um dabei durch die Hintertür über die Trägerin/den Träger hautnah die Aura als etwas Persönliches wieder einzuschmuggeln. Gleichzeitig demonstrieren die Trägerinnen/Träger, daß

jede Form [...] multivalent

ist, eine Sprechblase Rusmanns, die es wie weitere Sprechblasen als T-Shirt noch nicht gibt. Der Fabrikverkauf läuft ja erst an. Auch das T-Shirt "Dada?" fehlt noch. An Stelle eines

Dada ohne Hoffnung

wird in einem radikalen Akt Rusmannscher Rechtschreibereform aus Kunst

unst: K

und Beyus ist auch schon da. Und Pierre. Che wird noch kommen. Jedesmal steht das, was da steht und zu sehen ist, auch für etwas, das fabricant und fabricateur zu sagen vergessen haben, mit Fleiß, weil sie darauf vertrauen, daß Käuferinnen und Träger, Trägerinnen und Käufer das Kunstwerk durch Kauf und Gebrauch erst eigentlich herstellen. Was dann wie bei den Texten Rusmanns funktioniert, die auch erst durch ihr Lesen zu essais werden. Hätte van Gogh nicht gelebt, man hätte ihn erfinden müssen, sagt Rusmann. Irreal und potentiell. Das ist wie Schach mit Marcel und L.H.O.O.Q. rasée.

Haben Sie eigentlich schon Ihr T-Shirt geordert?

[Internet, 21.11.1999]