In der zweiten Hälfte der 80er Jahre erfährt die bis dahin gradlinige Werkentwicklung Erdmut Bramkes eine doppelte Zäsur. Einmal, indem jetzt das grafische Werk gegenüber den Acrylbildern immer mehr an Selbständigkeit gewinnt. Zum anderen innerhalb des grafischen Werks. Besondere Aufmerksamkeit verlangen dabei eine Anzahl von Blättern, in die Zeitungsfragmente eincollagiert sind, um dann weitgehend übermalt bzw. überschrieben zu werden.
Kunstgeschichtlich ließe sich hier sicherlich an die Kubisten und Dadaisten erinnern, an die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten, die sie in ihren Collagen und Bildern für die Zeitung entdeckten. Aber Erdmut Bramke greift nicht einfach eine moderne Technik bzw. Methode auf, sie macht sie sich vielmehr als ein ihren Intentionen entsprechendes Mittel verfügbar.
Das wird einsichtig, wenn man zwei der Zeitung eigene Bedingungen berücksichtigt. Sie ist ein für die bildende Kunst uns ihren Anspruch auf Dauer eher ungeeignetes Material, das schnell vergilbt und Vergänglichkeit schon in ihrem materialen Einsatz thematisiert. Uns sie ist mit ihren heutigen Nachrichten bereits morgen überholt. Nichts ist älter als die Tageszeitung von gestern.
Wenn Erdmut Bramke Bruchstücke so verstandener Zeitung zur Formulierung persönlicher Botschaften einsetzt, werden sie durch das Medium zugleich anonymisiert, wie sie andererseits durch Überschreiben unlesbar gemacht werden: Botschaften von einer langen Reise durch die eigene Gegenwelt. Vielleicht ließe sich sogar sagen, daß in dem Augenblick, in dem die Künstlerin am unmittelbarsten von sich selber spricht, ein vergängliches, alltägliches, billiges Material zum Tragen kommt, mit dem sich nicht blenden läßt und das in seiner Anspruchslosigkeit zugleich einen hohen Anspruch an die ästhetische Wahrnehmungsbereitschaft des Betrachters stellt.
Diesen hohen Anspruch stellt jetzt auch eine in kurzer Folge entstandene Serie von Arbeiten auf Wellpappe, die, wie schon die Bilder mit eincollagierter Zeitung, Collage und Bild in einem sind, deren Elemente, so selbständig sie im Bildganzen funktionieren, zugleich an seiner écriture teilhaben. Die Wellpappe als Bildträger gewinnt diesen Arbeiten zugleich etwas von der tiefenräumlichen Wirkung früherer Bilder, nun allerdings so, daß der Betrachter aus dem Raum praktisch ausgegittert bleibt.
Eincollagierte Zeitungsstreifen, zum Teil als strukturierende Binden quer über den Bildträger gespannt, entzifferbar oder bis zur Unlesbarkeit überschrieben, eingeklebtes Papier, Pergamentfetzen, die dem lasierenden Farbauftrag der Acrylbilder entsprechen und mit ihren Rißrändern zugleich an die sichelartigen Farbschmisse von zuckender Schärfe gemahnen, die Pinselschrift selbst zwischen aufhellender und abdunkelnder Chromatik, sich vergitternd oder - auf den letzten beiden Arbeiten - so etwas wie einen unentzifferbaren Text notierend, dessen Botschaft sich dem Leser mehr verhüllt als erschließt - das ergibt zusammengenommen eine Werkgruppe, die bei aller Breite, mit der die Künstlerin hier ihre Mittel entfaltet, entschieden geschlossen und verschlossen bleibt.
Die ästhetische Spannung zwischen den Schreibmitteln (Acryl- und Pastellfarbe, Farbstift, verschiedene Papiere, Zeitung und Wellpappe als Bildträger) und Schreibschritten (Pinselschrift, Zerreißen, Collagieren) war im Oeuvre der Künstlerin selten größer, die Botschaft der Verletzlichkeit und des Verletztseins selten ästhetischer vermittelt als in der Spannung zwischen dem Anspruch des Bildes und der Anspruchslosigkeit seiner Mittel. Was auf und mit diesen Arbeiten entsteht, ist eine Poesie, deren Aussage und Schönheit sich dem Betrachter dann, aber nur dann erschließt, wenn er sich auf einen dies alles mitbedenkenden Leseakt einläßt.
[Einladungsfaltblatt zur Ausstellung Erdmut Bramke: Gemälde und Arbeiten auf Papier. Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath, S. 2]