Die Einladung zur Ausstellung verspricht ihren Besucher "Gemälde und Arbeiten auf Papier". Konkret ist das Verhältnis umgekehrt: dominieren die Arbeiten auf Papier, und dies - worauf ich noch zu sprechen kommen werde - aus gutem Grund.
In einer Zeit, in der auf dem Kunstmarkt die Antworten schon gegeben sind, bevor die Fragen überhaupt gestellt wurden, ist auch die Malerei Erdmut Bramkes bereits etikettiert und abgestempelt zum vorgeschriebenen Verständnis und Genuß. Dem Informel wird sie zugeordnet; Abstraktion, Struktur, Farbmalerei sind die Stichworte des Beipackzettels, die Gebrauchsanweisung für den Betrachter ihrer Bilder. Und die Kritiken variieren dies allenfalls graduell. Ich beschränke mich auf drei Stichproben anläßlich einer Gemäldeausstellung aus dem Jahre 1990.
Vom Kultivieren optischer Elemente ist da zum Beispiel die Rede, mit dem Ziel, ein inhaltsloses, emotionlioses Sehen zu ermöglichen. Erdmut Bramke hat im Lauf der Jahre ein in sich logisches malerisches Zeichensystem entwickelt, das r[!])ythmische Vibrationen der Bilder hervorruft. Gerade das Fehlen positiver Aussagen lenkt den Blick auf die Ästhetik der Anordnung, die Logik des Arrangements.
Um diesem etwas Lokalkolorit beizufügen, lese ich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: Farbe sei nicht mehr Instrument einer Darstellung. In der rhythmischen Entladung ihrer Energie wird Farbe selbständig und selbsttätig. Sie befreit sich zu einer Textur, in der sie sich selbst thematisiert, befragt und kritisch darstellt. [...]
Bramkes Bilder sind Bilder über das Fernsehen [!], konkrete Diskurse über die deutliche Undeutlichkeit konturloser Farbwahrnehmung. Sahen [...] ist als Farbsehen immer ein behutsam konzentrierter Akt der Diffusion. Farbe tendiert zur Überlagerung, zur Interferenz, zur richtungsneutralen Ausbreitung. Erst im Bild als Widerpart des Blicks wird Farbe konzentriert und geordnet. [...]
So erklärt sich auch, daß man in den Bildern eine impressionistische Gestimmtheit zu sehen meinte. Doch Bramkes Bilder sind nicht abstrakt impressionistisch. Im. Gegenteil. Der Rückgriff auf die impressionistische Malerei erweist diese - entgegen ihrem eigenen Verständnis - als ein gegenstandsloses Spiel der Farben, dem eine innige Verbindung zur subjektiven Empfindung erst im nachhinein - und womöglich zu unrecht - zugeschrieben wird.
Erinnerten die Bilder von Frau Bramke einige ihrer Kritiker an impressionistische Malerei, fühlte sich der Kritiker der Stuttgarter Zeitung durch die Farben Rot, Blau, Gelb und Orange an Mackes Palette erinnert, wohingegen die Struktur der Bilder gestisch aufgescheucht, gewissermaßen [...] organisch-prismatisch wirke. Freilich wollen Struktur und Farbgebung nicht getrennt betrachtet werden. Wenn die Künstlerin provencalische Landstriche heranzieht ("Lustrel", "Luberon") lenken keine landschaftlichen Akzente vom atmosphärischen Farbkonzept ab. Allerdings kommt es immer wider zu Tönungen von einer problematischen Gefälligkeit. Man wartet auf den Aufbruch aus den Bezirken des Aparten, des geschmackvollen farblichen Wohllauts - der ein Durchbruch sein könnte.
Wäre dies wirklich das letzte Wort, wäre eine Eröffnung der heutigen Ausstellung überflüssig, könnte man es beim Zitat belassen und zum üblichen Vernissagegemurmel übergehen. Aber bereits die ausgestellten Arbeiten, ihre Präsentation widersprechen nicht nur dem Zitierten, sie weiten auch den Blick von den Gemälden, denen bisher fast ausschließlich das Interesse der Kritik galt, hin zu den seit Mitte der 80er Jahre immer gewichtigeren Arbeiten auf Papier. Und diese wiederum belegen schon bei oberflächlicher Besichtigung, daß der angemahnte Ausbruch aus den Bezirken des Aparten, daß der Durchbruch längst stattgefunden haben. Aber auch, daß es sich bei den Gemälden wohl doch um mehr als ein gegenstandsloses Spiel der Farben, um anderes als um essentielle Malerei handelt.
Ich möchte mit den Gemälden beginnen.
Bereits Mitte der 80er Jahre hatte Ulrike Gauss für einige Arbeiten Erdmut Bramkes eine zurückweisende Kühle konstatiert und kommentiert: Die sichelartigen Farbschmisse von zuckender Schärfe, dünnbäutig, durchsichtig, in dichten Lagen übereinandergeführt, vermitteln den Eindruck gläserner Sprengkraft, als sei der Malerin eine neue Möglichkeit der Gegenwehr zugewachsen. Zu dieser Gegenwehr rechne ich als Zweites etwas, das sich als zunehmendes Vergittern, Verschließen der Bilder umschreiben ließe. Das gilt zum Beispiel für die hier ausgestellten 5 Beispiele aus den Werkgruppen "Rustrel" und "La Fratta", wenn auch auf unterschiedliche Weise. Wobei die "Rustrel"-Gruppe noch aus einen speziellen Grunde interessiert.
Auf den ersten Blick richtig, weist die Kritik darauf hin, daß in ihr keinerlei landschaftliche Akzente vom atmosphärischen Farbkonzept ablenken Dennoch wird für sie nicht einfach ein provencalischer Landstrich als Sammeltitel herangezogen. Das ist denn doch etwas komplexer, vor allem, wenn man die Werkgruppen "Luberon", "Rousillon" und "Lustrel" zusammen sieht. Da ist dann nur noch "Luberon" ein provencalischer Landstrich; Roussillon ist eine Stadt dieses Landstrichs, wo sich zugleich ein bekannter Ockerbruch befindet; Rustrel schließlich ist ein Ockerbruch mit einer auffälligen Farbenvielfalt vorn Weiß bis zum tiefdunklen Rot. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf das Rot von "Rustrel 5" im Eingangsbereich der Galerie.
Nun haben Bildtitel gelegentlich, bei Erdmut Bramke stets eine ernstzunehmende indexikalische Funktion, liest man sie nur richtig. Was in diesem Fall bedeutet, daß man den allen drei Gruppentiteln gemeinsamen Nenner Ocker erkennt, was nicht nur allgemein ,Farbe' anspielt, sondern auch daran erinnert, daß diese 'Malerfarbe' bereits auf den Felsbildern des Paläolithikums verwendet, in der Antike und im Mittelalter als Farbe für Wandgemälde bevorzugt wurde. Aber: Ocker spielte auch - als Farbe des Lebens gedeutet - bei der Totenbestattung, und dies wiederum spätestens seit dem Paläolithikum, eine Rolle, wobei man die Toten entweder auf einer Ockerschicht bettete oder mit Ocker bestreute.
Natürlich ist dies alles auf Erdmut Bramkes Bildern nicht thematisiert, geschweige denn illustriert. Andererseits schließen die Bilder, nimmt man ihre Titelei ernst, diese Konnotationen auch nicht aus. Inhaltsloses, emotionsloses Sehen also? Ich meine nein, in diesem Falle ebenso wie bei der Werkgruppe "La Stratta", bei deren Bildern sich das Auge in den sich überlagernden Pinselstrichen, in einer immer auswegloseren Struktur immer mehr verfängt. Die deutsche Sprache hat hier die Metapher vom undurchdringlichen Dickicht zur Hand. Und nichts anderes signalisiert auch der Gruppentitel "La Stratta", der wörtlich übersetzt nicht nur "das Gestrüpp" lautet, sondern den Betrachter bereits auf die strukturelle Besonderheit und eine intendierte Undurchdringlichkeit verweist.
Wenn ich jetzt zu den Arbeiten auf Papier übergebe, muß ich zugleich noch einmal an den Kommentar von Ulrike Gauss erinnern, der für die Gemälde Mitte der 80er Jahre eine neue Möglichkeit der Gegenwehr und damit eine Zäsur konstatierte. Diesem Zuwachs einer neuen Möglichkeit der Gegenwehr entspricht bei den Arbeiten auf Papier der Schritt von den sogenannten "Schmirgelblättern", die auf Verstörung mit der Zerstörung der Oberfläche des Bildträgers reagieren, zu den ersten Collagen, womit die Arbeiten auf Papier gegenüber den Arbeiten auf Leinwand auch technisch formal eine größere Eigenständigkeit gewinnen. Das beginnt mit Blättern, bei denen Erdmut Bramke Japanpapier auf Zeichenkarton aufklebt, so, als ließe sich nur mit doppeltem Bildgrund Abgründiges verbergen.
Diesem Spiel mit doppeltem Boden treten zweitens Arbeiten an die Seite, deren collagierte Elemente das Bild in zwei oder vier Teile gleichsam zerlegen, die dann zeichnerisch wieder zu einem Ganzen zusammengefügt werden, das mehr ist als die Summe seiner Teile.
Besondere Aufmerksamkeit verlangen drittens eine Anzahl von Blättern, in die Zeitungsfragmente eincollagiert sind, um danach weitgehend übermalt bzw. überschrieben zu werden. Das ist zum Beispiel eine Arbeit, auf der schließlich nur noch zu lesen ist: Chimäre, Gespinste, [Angst] vorm gedruckten und Wort - eine Arbeit, die gleichsam die Narbenspuren der "Schmirgelblätter" verbalisiert.
Kunstgeschichtlich ließe
sich hier sicherlich an die Kubisten und Dadaisten denken, an die Anwendungsmöglichkeiten,
die sie in ihren Collagen und Bildern für die Zeitung entdeckten.
Aber Erdmut Bramke greift hier nicht einfach eine moderne Technik oder
Methode auf, sie macht sie sich vielmehr als ein ihren Intentionen entsprechendes
Mittel verfügbar. Das wird einsichtig, wenn man zwei der Zeitung eigene
Bedingungen berücksichtigt. Sie ist ein für die bildende Kunst
und ihren Anspruch auf Dauer eher
ungeeignetes Material, das
schnell vergilbt und Vergänglichkeit schon mit ihrem materialen Einsatz
thematisiert. Und - sie ist mit ihren heutigen Nachrichten bereits morgen
überholt. Nichts ist älter als eine Tageszeitung von gestern.
Was - nebenbei gesagt - auch für das meiste an dort veröffentlichter
Kunstkritik gilt.
Wenn Erdmut Bramke Bruchstücke so verstandener Zeitung zur Formulierung persönlicher Botschaften einsetzt, und dies bis heute, werden sie durch das Medium Zeitung einerseits anonymisiert, wie sie andererseits durch Übermalen oder Überschreiben unlesbar gemacht werden: Botschaften von einer langen Reise durch die eigene Gegenwelt (die ich in meiner Lesart übrigens auch für die durch den gemeinsamen Nenner Ocker verbundenen Werkgruppen der Gemälde geltend machen möchte). Vielleicht ließe sich sogar sagen, daß in dem Augenblick, in dem die Künstlerin in den Arbeiten auf Papier am unmittelbarsten von sich selbst spricht, ein vergängliches, alltägliches, billiges Material zum Tragen kommt, mit dem sich nicht blenden läßt und das in seiner Anspruchslosigkeit zugleich einen hohen Anspruch an die ästhetische Wahrnehmungsbereitschaft des Betrachters stellt.
Diesen hohen Anspruch stellt auch die in kurzer Folge entstandene, in der heutigen Ausstellung gut dokumentierte Folge von Arbeiten auf Wellpappe, die - wie schon die Arbeiten mit eincollagierter Zeitung - Collage und Bild in einem sind. Deren Elemente, so selbständig sie im Bildganzen funktionieren, zugleich an seiner écriture teilhaben. Wobei ich den Hinweis auf die vergleichbare Vergänglichkeit von Zeitungspapier und Wellpappe ergänze durch die Feststellung, daß beide, die überholte Zeitung von gestern und die Wellpappe, schon von ihrer Funktion her, Verpackungsmaterialien sind, was sie den zunehmend vergitterten, verschlossenen Bildern durchaus vergleichbar macht. Gleichzeitig gewinnt die Wellpappe als Bildträger den Arbeiten dieser Werkgruppe etwas von der tiefenräumlichen Wirkung (Gauss) früherer Gemälde Erdmut Bramkes, nun allerdings so, daß der Betrachter aus dem Raum praktisch ausgegliedert bleibt.
Eincollagierte Zeitungsstreifen, zum Teil als strukturierende Binden quer über den Bildträger gespannt, entzifferbar oder bis zur Unlesbarkeit überschrieben - eingeklebtes Papier, Pergamentfetzen, die den lasierenden Farbauftrag der Acrylbilder entsprechen und mit ihren Rißrändern an die sichelartigen Farbschmisse von zuckender Schärfe gemahnen - die Pinselschrift selbst, zwischen aufhellender und abdunkelnder Chromatik, sich vergitternd oder so etwas wie einen unentzifferbaren Text notierend, dessen Botschaft sich dem Betrachter mehr verhüllt als erschießt - das ergibt eine Gruppe, die bei aller Breite. mit der die Künstlerin hier zu Werke geht und ihre Mittel entfaltet, entschieden geschlossen und verschlossen bleibt. Die ästhetische Spannung zwischen den Schreibmitteln (Acryl- und Pastellfarbe, Farbstift, verschiedene Papiere, Zeitung und die Wellpappe als Bildträger) und Schreibschritten (Pinselschrift, Zerreißen, Collagieren) - die ästhetische Spannung zwischen dem Schreibmitteln und Schreibschritten war im Oeuvre der Künstlerin selten größer, die Botschaft der Verletzlichkeit und des Verletztseins selten ästhetischer vermittelt als in der Spannung zwischen dem Anspruch des Bildes und der Anspruchslosigkeit seiner Mittel.
Erdmut Bramke hat die Serie der "Wellpappen" 1990 abgeschlossen und sich wieder Arbeiten auf Büttenpapier zugewandt. Auch bei ihnen kann ich mich nur auf Hinweise beschränken. Zunächst zum Format. Mit ihrer Größe von 168 x 123 cm sind diese Arbeiten deutlich auf dem Wege zurück zum Leinwandbild. Zum Vergleich: die Arbeiten der "La Fratta"-Gruppe weisen lediglich in der Höhe eine Differenz von 30 cm auf. Auch zeigen sich ihnen in der Tendenz zur Vergitterung einige der neuen Arbeiten auf Papier deutlich verwandt.
Anderes, wie das ästhetische
Spiel mit dem doppelten Boden, das Aufbringen von Japanpapier auf den Bildträger,
findet seine Vorstufen in der selbständigen Entwicklung des grafischen
Werks, wobei das Aufreißen des Japanpapiers, das Verletzen der Oberfläche
auf die sogenannten "Schmirgelblätter" zurückverweist.
Drei der neuen Arbeiten
darf ich abschließend stellvertretend hervorheben. Zunächst
das so getitelte "Tigerblatt", dessen Benennung man als nachträgliche
Assoziation der Künstlerin abtun könnte, wären da nicht
auf der einen Seite die von Frau Gauss als neue Möglichkeit der
Gegenwehr erkannten sichelartigen Farbschmisse von zuckender Schärfe.
Und auf der anderen jene abstrakten tibetanischen Tigerteppiche mit ihrer
ursprünglich meditativ-religiösen Funktion, Teppiche, deren Wanderausstellung
auch in Stuttgart Station machte.
Das zweite Blatt, auf das ich aufmerksam machen möchte, hängt zu meiner Linken und ist "Europas grüne Ferieninsel" getitelt, was sich leicht erschließt, wenn man sich auf das Entziffern der eincollagierten Zeitungselemente einläßt. Zugleich treten diese Elemente zu an Schrift gemahnende Zeichen, zu einer Art Schrift-Bild zusammen, das sich - wie alles Schriftähnliche im grafischen Werk Erdmut Bramkes - zugleich der buchstäblichen Entzifferung entzieht. Dennoch erscheint die primär ästhetische und allenfalls sekundär semantische Botschaft dieses Blattes offener als die vergleichbaren Botschaften der "Wellpappen", so, als setze die Malerin ihre Reise durch die eigene Gegenwelt jetzt mit leichterem Gepäck und gewissermaßen diesseitig fort.
Das dritte Blatt, das mich auch zum Ende meiner Einführung bringen wird, heißt "...vergessen.. .". Auch in seinem Fall sind eingeklebte Zeitungsausrisse signifikant und konstitutiv. Zum einen liefern sie den Titel. Zum anderen ist das, was sie als vergessenswert pointieren, politischer Kommentar und Wirtschaftsbericht, Realitätszitate aus unserer kapitalistischen Werkeltagswelt, zitiert mit Hilfe eines Mediums, das schon am Tag nach seinem Erscheinen Schnee von gestern ist. Wie die Börsenkurse, die zu erwähnen ich mir mit einem Blick auf die andere Straßenseite nicht verkneifen kann.
Aber geht nicht Kunst, wie der Maler Conti in Lessings "Emilia Galotti" nachdrücklich anmerkt, auch nach Brot? Natürlich tut sie das, doch bleibt sie, wenn sie sich mit dem Kapital einläßt, ungefährlich oder doch wenigstens unschuldiger als die Verbindung von Börse und Politik. Wer Geld braucht, hatte. dies bereits Wilhelm Raabe eingedenk der Tatsache, daß auch Kunstwerke ihren Preis haben, notiert: Wer Geld braucht, gewinnt es sich trotz allem, was man dagegen reden mag, durch die Kunst, durch schöne Künste, immer noch auf die unschuldigste Weise und tut jedenfalls anderen am wenigsten Schaden durch die Art, wie er ihr Geld ihnen abnimmt.
[Frankfurt, 2.5.1991]