Reinhard Döhl | Prosa | Das Buch Es Anna

Nach bisher unbestätigten Pressemeldungen

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Neues Österreich, 3.12.1966
Die blume und das alfabeet (Rüdiger Engerth)
Kurt Marti und Reinhard Döhl, deren Arbeiten der wolfgang-fietkau-verlag als schritte elf und zwölf vorlegt, gehören zu den profilierten Vertretern des modernen Gedichts. Kurt Marti ist Theologe, Reinhard Döhl Philosoph und Historiker. Marti verwaltet eine reformierte Pfarre in Bern, Döhl wurde durch einen Gotteslästerungsprozeß berühmt, in welchem klerikale und intellektuelle Prominenz über seine "missa profana" aussagten. Die gleiche Montagetechnik - liturgischer Text und Einschübe aus der Alltagssprache -die Döhl einst vor den Göttinger Kadi brachte, wendet Marti in sehr eindrucksvoller Weise in "credo und pierrot-le-suisse" an, einem Gedicht, in dem die altehrwürdigen Formeln des Apostolischen Glaubensbekenntnisses in Beziehung gesetzt werden zu den Erfahrungen des pierrot-le-suisse, "agent mit falschen pässen und koks / zuhälter tellerwäscher und clown / spion oder butler." Diese Montage stellt ein ergreifendes Zeugnis der christlichen Wirklichkeit unserer Zeit dar, die mit kleinbürgerlichem Pietismus nichts zu tun hat.

Reinhard Döhl dagegen gibt sich in "es anna" ganz profan. Sein Buch, enthaltend die sieben Vorworte Anna , dreizehn grammatische und banale Präliminarien , einen Roman in sieben Fortsetzungen, die dreizehn Kapitel Es Anna und einen abschließenden literarhistorischen Exkurs nach bisher unbestätigten Pressemeldungen nebst einigen verstreuten Fußnoten", basiert auf den diversen Annen der Weltliteratur von Ännchen von Tharau über die "allerschönste Frau" Lenaus und Anna Blume die Geliebte der "siebenundzwanzig Sinne" des Kurt Schwitters, zur Anna, "die nie Gorillas grillt", von Helmut Heißenbüttel. Nur Ännchen, die Nichte des Erbförsters in den böhmischen Wäldern und Oberjungfernkranzwinderin ist nicht mit von der Partie. Die romantische Dame war offenbar zu wenig literarisch, was mit Rücksicht auf den Junfernkranz seine Richtigkeit haben dürfte. Oder aber ihre Einführung in das literarischen Annenseptett hätte die heilige Siebenzahl in eine profane Acht verwandelt und damit dem Symbolgehalt des ständigen Wechsels zwischen sieben und dreizehn empfindlich geschadet.

Döhls "Annalogie" beruht weitgehend auf Permutationsreihen, die wohl bei Bense und Mon ihre Wurzel haben. Dabei darf der philosophische und allegorische Blickwinkel, unter dem "es anna" stets betrachtet wird, nicht aus den Augen verloren werden. "Mengentheorie und Sytematik" unterstützen den Leser in diesem Bemühen, während "Gruppengymnastik" und "Privateigentum" ihn von seinem Ziel wieder etwas entfernen.

Kurt Martis "alfabeete" finden sich wohl in dem Garten, in dem auch des "berühmten Schäffers Dafnis sälbst verfärtigte sämbtlich Fress-, Sauff- und Venus-Lieder" gewachsen sind. Es gibt da ein "alfabeet darin liebende sich erotische adjektivblüten / der composita-gattung pflücken und mit ihnen / auf alle weise heiter schmücken und erfreuen dürfen." Solche "adjektivblüten" sind zum Beispiel "clipsohrig" und "zehenzärtlich", "formfindig" und "wonnewarm". Pflückt hier, Erotiker alles Richtungen!

Sehr vergnüglich ist auch Martis "kleiner katalog für gedichtsame gärtner und gärtnerinnen, die in ihren alfabeeten poetische vergißmeinnichte ziehen möchten." Es handelt sich hier um Zitate aus Meisterwerken der Weltliteratur von Lohenstein bis Gütersloh,. Auch Däubler und die Lasker-Schüler werden als Quellen herangezogen.

Wer immer sich in die beiden schmalen und wohlfeilen Bändchen vertieft, wird sich aus ihnen viel "irdisches Vergnügen" holen können.

Stuttgarter Zeitung, ?.12.1966
Behagliches bei Niedlich. Reinhard Döhl las "Es Anna" (frö)
Es wäre ein Lüge, zu sagen, diese Dreiviertelstunde am Freitagabend hat geschockt. Gelangweilt allerdings entließ sie einen auch nicht, eher etwas belustigt. Reinhard Döhl las "Es Anna". Seine Zuhörer waren vorwiegend junge Leute mit Kennerblick. Müssen nun diese 33 Seiten ab sofort zur Pflichtlektüre von Hausfrauen, Studenten und Geistlichen erklärt werden? Muß man diesen Text kennen, damit die Welt einem zugänglicher wird? Einige Sätze aus dem Buch mögen das Engagement des Autors herausstellen. "Es Anna ist eine erstunkene und erlogene Geschichte die wahr ist." "Der Witz mit Es Anna ist ganz einfach der faule Witz mit Es Anna." "Mein Teekessel ist zum Beispiel es Anna." "Es Anna ist eine läufig gewordene Bezeichnung." Den Kleingläubigen setzte Döhl noch einen Satz von Arno Schmidt vor. Er steht im Vorwort zu dem Roman "Kaff" und heißt: "Wer nach 'Handlung' und 'tieferem Sinn' schnüffeln oder gar ein 'Kunstwerk' darin zu erblicken versuchen sollte, wird erschossen." Wer lebt da nicht gern! Döhl schaufelt seine Assoziationen aus einer mitteltiefen Sprachgrube. Seine witzanfälligen Wortketten sind imstande, Behaglichkeit zu erzeugen. Es kann durchaus sein, daß der Autor als Typ der modernen Buchstabenjongleurs mit einer solchen Wirkung nichts zu tun haben will.
Die Tat, 11.2.1967
Von Bense zu Schwitters. Reinhard Döhls Es Anna. Wolfgang Fietkau Verlag, Berlin (Hans-Jürgen Heise)
Trierische Landeszeitung, 13.2.1967
Unser Bücherfenster (HS)
Reinhard Döhl : "Das Buch Es Anna". Enthaltend die sieben Vorworte Anna , 13 grammatische und banale Präliminarien , einen Roman in 7 Fortsetzungen , die 13 Kapitel Es Anna und einen abschließenden literarhistorischen Exkurs nach bisher unbestätigten Pressemeldungen nebst einigen verstreuten Fußnoten. [...] Wir haben mit Absicht diese etwas umständlichen Angaben, so wie sie auf dem Titelblatt des schmalen Buches stehen, unserer kleinen Besprechung vorangestellt; denn Stil und Charakter dieser Angaben spiegeln bereits den gesamten Inhalt des bibliographisch ebenso eigenwilligen wie kostbaren Bändchens: es handelt sich um unbeschwert heiteren, liebenswerten Blödsinn. Es ist ein avantgardistischer Text, dem es nie in den Sinn käme, Anspruch darauf zu erheben, ein ernstes Kunstwerk zu sein. Und eben darum gelingt ihm auf eben diese spielerische Art eine köstliche Unterweisung in Pop-Art und allen anderen Experimentiertechniken moderner Dichtung. Von Nikolaus Lenau über Kurt Schwitters, hans Arp, Max Bense, John Sharkey bis Helmut Heißenbüttel wird die Rolle der Anna in der Dichtung auf eine überaus drollige Weise untersucht.
Eckart-Umschau Nr. 443. Evangelische Welt, 1. März 1967
"Linke Lyrik" - und andere (Kurt Ihlenfeld)
[...] Sogar einer von der Movens-Bande - pardon, ich dachte an die "Powenz-Bande" von Ernst Petzold - ist dabei: Franz Mon. Mit textplänen, sequenzen, permutationen, textbildern. Dann der Maler Ferdinand Kriwet mit extremen Wortspulen und -spindeln. Während Reinhard Döhl, Variationen über die gute alte Anna Blume des Kurz Schwitters (1919) auftischt unter dem Titel "es anna". Das Neue gegenüber Schwitters besteht in der konsequenten Verbindung des Vornamens mit dem Pronomen "es".
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. März 1967
Die Sprache macht Spaß. Wortspiel und Sprachwitz: Ernst Jandls "Laut und Luise" und Reinhard Döhls "Es Anna" (Dietrich Segebrecht)
Voraus Ernst Jandl ist nicht Christian Morgenstern und Reinhard Döhl ist nicht Hans Arp. Sondern Jandl ist Gymnasialprofessor in Wien und Döhl ist wissenschaftlicher Assistent an der TH in Stuttgart. Launig-lächerlichen Nonsens à ja "Galgenlieder" oder "Wolkenpumpe" wird man weder einemOberschullehrer zutrauen - und sei es ein österreichischer "Gymnasialprofessor" - noch gar einem angebenden Hochschullehrer. Man lese nur das Nahwort zu "Laut und Luise". Jandls Gedichte, heißt es da kurz und streng, seien nicht verächtlicher als die von Friedrich Hölderlin oder Eduard Mörike". Mit anderen Worten: sowohl Jandl wie Döhl sind durchaus ernstzunehmende Autoren.

Sicher, was "Anna" und "Luise" uns präsentieren, ist Unsinn. Aber es ist nicht ohne Sinn und Verstand, versteht sich. Döhls grammatische "Annalyse" ist komisch, zugegeben, und Jandls Textgrotesken sind zum Lachen. Aber der Ernst des Spaßes ist allein dadurch gesichert, daß in beiden Büchern auch Helmut Heißenbüttel das Wort nimmt, der unermüdliche, energische und konsequente Fürsprech der jungen experimentellen Literatur. Da haben wir's.

Nämlich: Döhl und Jandl sind "experimentelle" Poeten, Texteschreiber - der eine ein Bense-Schüler der "École de Stuttgart", der andere von der "Wiener Gruppe" (Artmann, Bayer, Rühm) beeinflußt. Der Unsinn, den sie uns vormachen, hat also Methode, das Wörter-Feuerwerk ist funktionell. Sie bosseln und dröseln, sie kombinieren und montieren mit Vokabeln, sie arrangieren artistische Allotria mit der Sprache, perfektes Larifari, kalkulierte Kinkerlitzchen. Das Wort hat Ausgang in diesen Texten, es tollt umher und es besinnt sich, frei vom Zaumzeug der Syntax, auf seine eigenen, materialen Möglichkeiten. Und die reichen vom einfachen Klangspiel über raffinierte Versetzung und Veränderung (etwa dadurch, daß einzelne Buchstaben entlassen oder neue in Dienst genommen werden) bis zur völligen Auflösung und Verwandlung von Wörtern in Schriftbilder(womit die Poesie sich der Grafik nähert).

Triumpf des Unsinns. Dada geht vorbei und lüftet den Hut. Rien ne va plus. Alles ist möglich. Freilich, daß Wort reden lassen nach Lust und Laune, das heißt, der wundersam vertrauten dichterischen Sprache von gestern den Laufpaß geben, heißt, den "Sinn" verabschieden (nämlich das, was sich in ein Gedicht, in ein Prosastück "hineinlesen" läßt). Die Texte von Jandl, Döhl und anderen Sprach-Werkern kann man nicht erfühlen und erleben. Da lebt nur, was die Wörter selbst variabel sagen, was sie entwickeln oder was sich gelegentlich unversehens von selbst entwickelt, wo Wörter systematisch spielerisch zueinander geordnet werden. Natur, Welt, Stimmung, Menschheit - nichts mehr davon. Das sind Phänomene außerhalb der wörtlichen Materie. Außerhalb der Ästhetik. Und allein der ästhetische Gesichtspunkt interessiert die "Texter"; ethische oder soziale Indikation per Poesie liegt ihnen meilenfern.

Keine Frage zum Beispiel, daß die Gedichte von Ernst Jandl als Aufruf, als Pamphlet unbrauchbar wären. Es sind absichtslose Gedichte. Sie reden nicht viel, sie evozieren nichts. Nichts - außer dem Selbstverständlichen. Das aber versucht der Autor ganz genau zu ermitteln. Heute ist er 42 (er schreibt seit etwa fünfzehn Jahren; "Laut und Luise" ist gleichwohl sein erstes größeres Buch, eine Sammlung alter und neuer Sprach-Arbeiten). Mit der Zeit hat Jandl die allerverschiedensten Möglichkeiten entdeckt, Wörter, Sätze, Redensarten (auch den Wiener Dialekt)präzise auszufragen. Nehmen wir zwei Beispiele aus dem Abschnitt "krieg und so". (In der Tat: die Gedichte sind nach Themen- oder Motivgruppen geordnet. Da gibt es etwa "volkes stimme" oder "jahreszeiten" oder eine "kleine erdkunde", Kapiteltitel, wie sie jedem herkömmlichen Lyrikband wohl anstünden. Aber warum nicht? In der Konfrontation mit dem Alten ist der Charakter des Neuen um so deutlicher zu erkennen.) Kriegsgedichte - aber ohne Pathos und Engagement. "schtzgrmm / schtzgrmm / t-t-t-t / grrrmmmm", so beginnt einer der Texte. Das mag von ferne an August Stramm erinnern. Mindestens der zweite Blick allerdings zeigt Jandls Methode -. bewußte Reduktion des Wortes "Schützengraben" auf lautmalerische Konsonanten -, die genau das Gegenteil von Stramms Technik der geballten Symbolworte ist.

Ein anderes Gedicht aus dem "krieg"-Teil fängt so an: "falamaleikum / falamaleitum / falnamaleutum / fallnamalsoovielleutum". Eine trübe Buchstabenbrühe? Keineswegs. Zunächst sind hier verschiedene Wörter lediglich unüblich zusammengeschrieben. In der ersten Zeile steht ein gewissermaßen angekränkeltes, aber unschwer erkennbares "Salem aleikum"' (also: Friede sei mit euch); in der zweiten, nach kurzem Buchstabentausch, ist das Wort- kaum mehr zu identifizieren, "falamaleitum", ist nichts als Laut. In der dritten Zeile jedoch, wieder mit Hilfe weniger Korrekturen, wird aus Nichts etwas Neues, ein redlich deutscher Satz, den man sprechend (am besten mit leichtem Wiener Tonfall) sogleich durchschaut: "Falln einmal Leut um". Kein Zauber, keine Magie: Jandl versetzt nur ein paar Buchstaben und schon sind aus einem faulen Frieden Kriegsvorbereitungen geworden (Wie es mit Krieg und Frieden weiter geht, zeigen die anderen hier nicht zitierten Verse)

Ich sagte es schon. Gebrauchsgegenstände hatte Jandl mit seinen Wort-Werken nicht im Sinn; als beschwörende Warnung vor einem Krieg ist "falamaleikum" deshalb denkbar ungeeignet. Dennoch wird hier ein Exempel statuiert - durch den Text selber. Er demonstriert, nicht ohne satirischen Witz, die Manipulierbarkeit der Sprache. Er macht anschaulich, wie durch scheinbar harmlose Retuschen die Bedeutung eines Wortes verfälscht und geradezu umgekehrt werden kann. Und das sollte kein ernsthafter Hintergrund für Jandls (eben nicht nur) kauzige Poetereien sein? Freilich, fröhlich ist dieses Buch außerdem. Viele Texte sind purer Spaß, meist auf Wortspiel und Sprachwitz aufgebaut, für die der Autor eine besondere Begabung hat. Possen, Posen und Pointen gibt's da haufenweis: "manche meinen l/ lechts und links / kann man nicht / velwechsern. / werch ein illtum!"

Aber nur weniges aus "Laut und Luise" ist ohne weiteres zitierbar; um es würdigen zu können, muß man auch die Anordnung auf der Buchseite kennen, man muß die Buchstabenschwärme sehen, das Druckerschwärze-Kofetti - zierlich wie Noten über das Weiß verteilte Typen -, die strammen Zeilen-Kolonnen, die etwa dramatilsch ein "bestiarium" vor Augen stellen, oder die traurig aneinandergekringelten Vokale, die "doode schbroooochn" (tote sprachen) zu Grabe tragen. Und schließlich gehört, recht bedacht, auch die Rezitation zum vollständigen Eindruck von dieser Poesie. Allerdings, nur einer kann Jandl-Texte vortragen, wie es sich gehört: Ernst Jandi. Flüsternd,, säuselnd, sprudelnd, zischelnd, rppelnd spricht er seine Gedichte, mit staunenerregender Präzision noch die stolperigsten Konsonantenfolgen meisternd, die oos und aas röhrend wie ein Ochs, die uus aus Dampfertutentiefe hervorbrummend - unheimlich fidel unvergeßlich eindrucksvoll. Aber natürlich ist Jandl viel zuwenig hier, in der Bundesrepublik. Ihn lesen zu hören ist der reine Glücksfall. So müssen wir's vorerst selber mal probieren: ganz leise, luise.

Und Reinhard Döhls "Anna"? Sie soll keinesfalls vergessen werden, zumal sie mit ihren 34 broschierten Seiten vor der dicken Luise (über 200 Seiten) fast verschwindet, und wir ohne sie um einen ausgeklügelten Spaß ärmer wären. Anna also: in der Literatur ist dieser Name durch Kurt Schwitters "Anna Blume" unsterblich geworden. Davon geht Döhl aus; sein Büchlein ist eine freundlich-ironische Hommage an die berühmte Dadadame, ein Denkmal in Worten oder viel mehr: "Es Anna ist schlicht und einfach die unehelliche Tochter von Anna Blume". Eine grammatische Tochter freilich, geboren aus Schwitters burleskem Seufzer: "O du, Geliebte meiner slebenundzwanzig Sinne, ich liebe dir!" Bei Döhl wird daraus die elnleuchtende Variation: "Ich du er sie Es Anna" und das Eingeständnis: "Es Anna ist ein grammatisches Modell".

Auch "Es Anna" ist also ein Textbuch; es enthält - außer ein paar spielerischen "Vorworten", spezifizierenden "Präliminarien" und spleenigen "Annalekten" - dreizehn Prosa-Kurzkapitel, die das Modell Anna in allerlei theoretisch-systematischen Situationen zeigen: als "Exemplarische Novelle", als "Topologie", als "Gesellschaftsspiel", als "Verallgemeinerung" und so fort. Die einzelnen Stichwörter sind dabei Ausgangspunkt veschiedenster experimenteller Übungen und Kombinationen, unter der Spitzmarke "Anna Blume", etwa in diese Art: "Es Anna ist weder die Rose von Jericho noch die Rose von Nowgerod noch the yellow rose of Texas noch die Windrose und ich bin nicht ihr Rosenkavalier. Es Anna ist auch nicht Rose weiß Rose rot und was weiß ich nicht noch alles. Es Anna ist keine "Heckenrose und ich bin nicht ihr Heckenschütze" usw. Das ist komisch, nur macht den Spaß weniger der Autor als die Sprache selbst. Döhl addiert lediglich, er liefert eine Wortstatistik, die zwischen Heckenrose, Teerose und Windrose keinen Unterschied macht. Die Sprache jedoch läßt solche Konjunktionen nicht ohne Widerspruch passieren. Sie deckt die Ungereimtheit eines "Windrosenkavaliers", eines "Heckenrosenschützen" auf und gibt sie damit dem Gelächter Preis.

Wessen Gelächter? Am Ende ist es mit den textexperimentellen Sprachlustspielen wie mit der klassischen Komödie im Theater: Lachen kann darüber nur, wer weiß, was gespielt wird. Die Wörter wollen erkannt sein; dann erst zeigen sie sich erkenntlich im Spiel aus Spaß mit der Sprache.

Berliner Morgenpost, 21. Juli 1967
Komik wird hier oft zur Blödelei (Martin Kurbjuhn)
"Es Anna" heißt das zwölfte Heft der Reihe Schritte, die im Wolfgang Fietkau Verlag erscheint. Autor Reinhard Döhl hat "sieben Vorworte über Anna, dreizehn grammatische und banale Präliminarien, einen Roman in sieben Fortsetzungen, dreizehn Kapitel Es Anna und einen abschließenden literarhistorischen Exkurs nach bisher unbestätigten Pressemeldungen nebst einigen verstreuten Fußnoten" zusammengestellt. Daran sieht man, daß hier Ironie im Spiel ist, die besonders in pseudologischen Erörterungen zum Ausdruck kommt. Die sprachliche Basis dieses Unternehmens ist schmal, der Erfindungsreichtum begrenzt, das Thema Anna in der Literatur setzt kaum Fleisch an, strikt hält sich Reinhard Döhl an vorgegebene Muster.

Sein Kurt-Schwitters-Humor, aufgelockert durch Heißenbüttelanleihen, artet zuweilen in schlichte Blödelei aus, die nicht so recht zündet, das sie den Ruch steifer Konstruktion nicht los wird. Man fragt sich, ob der modernisierte Dadaismus sich nicht bei Gelegenheit mal bemühen sollte, gegen unsere Wirklichkeit anzuschreiben, um ihr skurrile Erscheinungsformen abzugewinnen.

Jedenfalls ist Döhls Avantgardismus in einem Maße altmodisch und überholt, daß man ohne Freude liest. Er hat seine Zukunft längst hinter sich. Mit so dünner Sprache kann man sich nicht darauf berufen, daß man es eben ausschließlich mit der Sprache, dem Wort zu tun habe. Sicher handelt es sich um Kleinkunst, Doch ist Röhls [!] Kunst nur klein, weil durchweg entschlossen phantasielos.

An den kurzen Stücken dieses Buches kann man wieder die beliebige Vervielfältigungsmöglichkeit einmal erreichter Aufbauprinzipien eines bestimmten Art von Lyrik und Kurzprosa feststellen . Außerdem beweisen solche schriftstellerischen Versuche, je mehr sie nachgeahmt werden, einen klaren Mangel an originaler Sichtweise. Selbst die Methode, alles über den gleichen witzigen Kamm zu scheren, wirkt konservativ und ist kaum mehr als kleinkarierter Abiturienten-Avantgardismus. Allerdings entdeckt man in Döhls Versuchen einige private Anspielungen, über die gelacht werden kann. Das sei nicht geleugnet.
 
 

Niedlichs Schaufensterkritiken 1967 [Druck: Kritisches Jahrbuch 2, Stuttgart 1972]

Reinhard Döhl, Es Anna. Gerhard Rühm, Lehrsätze über das Weltall (Ernst Jandl)

Zwei Freunden. Zum Vergleich

1. Die Zeit des Bücher-Lesens ist vorbei!

2. Bücher werden nicht prinzipiell geschrieben; sondern: Bücher werden prinzipiell gemacht!

3. Bücher sind zum Blättern da!

Döhl sammelt (Lenau Schwitters, Arp, Bense, Sharkey, Heißenbüttel, Herausgeber, Döhl, Döhl, Döhl undsofort) ordnet (Das Buch Es Anna enthaltend die 7 Vorworte Anna 13 grammatische und banale Präliminarien einen Roman in 7 Fortsetzungen die 13 Kapitel Es Anna und einen abschließenden literarhistorischen Exkurs nach bisher unbestätigten Pressemeldungen nebst einigen verstreuten Fußnoten) und verteilt (auf 34 Seiten).

Rühm wählt eine zu einer bestimmten Art der Überarbeitung sich anbietende Druckschrift und benützt diese vorgegebene Ordnung, um darauf eine Super-Ordnung zu etablieren.

Beide verwenden als Operationsbasis eine berühmte Figur: Rühm Einstein, Döhl Schwitters. Döhl übernimmt die Rolle von Schwitters (spielt Schwitters), Rühm, modester, die Rolle des Verfassers (spielt Verfasser des offenen Briefes an Professor Einstein.

Döhls Treffpunkt mit Schwitters ist das Banale. Keins von Döhls eigenen Stücken innerhalb der Sammlung ist auf Perfektion angelegt; skizzenhaft, schnoddrig, salopp streifen sie unter den hochgezogenen Brauen akademistischer Titel ("Literaturkritik"; "Exemplarische Novelle"; "Mengentheorie"; "Systematik"; "Topologie") unbekümmert durchs Ungefähre. Döhls Ernsthaftigkeit und Rühms Ernsthaftigkeit sind verschiedener Natur. Döhl spielt ein offenes Spiel, Rühm deckt zu, übertuscht des fremden Briefschreibers Namen und Text, läßt auf jeder der so bearbeiteten Seiten 1 Wort, bzw. 3 oder 5 nebeneinanderstehende Wörter, sichtbar, was eine Art Konstellation zum Blättern ergibt ,die sich syntaktisch nicht schließt, also - und hier begegnet eine von Rühms Absichten überraschend einer von Döhls - offen bleibt. Daß der Zufall, der hier bei Döhl in Döhls eigenen Texten ohne Skrupel eine kräftige Hand im Spiel hat, bei dieser Rühmschen Methode nicht ebenso wirksam gewesen sein soll, scheint durch die Methode selbst ausgeschlossen. Freilich, was Rühm für seine Konstellation an Wörtern und Gruppen behält, besitzt unverwechselbar Rühmsches Pathos: "einen einigen unendlich großen Stern' (S. 9) oder: "nach innen reißen' (S. 10) oder, zusammen gelesen: "einen einzigen unendlich großen Stern nach innen reißen" - das ist und bleibt Rühm, auch im usurpierten sprachlichen Bereich.

So wie, ganz Döhl, Döhls Beethoven anders klingt, nämlich: "dat dat dat darf" - Schicksalssymphonie (: ist schließlich auch "Es Anna").
 
 

Junges Spiel, H. 58, München März 1968 (wn)
Reinhard Döhl: das buch es anna. Mit 7 Vorworten. Schritte 12, 1966. Der Verfasser der "Missa Profana" (auch in Schritte erschienen), die zum Gotteslästerungsprozeß geführt hat, spielt hier mit Anna, die von manchen Schriftstellern als Figur genommen wurde. Köstliche Verspieltheit und manche Referenz an andere Autoren, augenzwinkernd oder bewundernd.

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