Seit Mitte Mai zeigt die Experimentier-Galerie des Studium Generale der Technischen Hochschule Stuttgart in ihren Räumen Ölkreidezeichnungen des Saarbrücker Malers Hans Dahlem, und damit eine Auswahl von Arbeiten eines Malers, dem das redliche Handwerk vor die moderne Masche und Schöpfung vor Popularität geht. Vor zahlreichem Vernissagepublikum (Professoren, Studenten, Vertretern des öffentlichen kulturellen Lebens, aber auch Künstlern und Schriftstellern) umriß Professor Max Bense zur Eröffnung am 12 Mai als Gastgeber das bisherige Oeuvre des Malers und wies ihm seinen Platz zu in den vielfältigen Landschaft moderner Malerei. Der geistigen Herkunft Hans Dahlems im weiteren Sinne galt dabei der Hinweis auf den Zeichner und Maler Paul Klee. Hans Dahlems Positon innerhalb einer modernen Malerei skizzierte Professor Bense durch den Hinweis auf ein bei einigen jüngeren Malern (z.B. Johannes Gecelli, G. C. Kirchberger) auftauchendes Problem einer abstrakten Gegenständlichkeit. Innerhalb dieses abgesteckten Rahmens führe Hans Dahlem einen bemerkenswerten Einmannkrieg gegen die Tachisten, Zufallsjongleure, die informelle Malerei ebenso wie gegen eine nur konstruktivistische Arbeitsweise, immer noch auf Seiten einer gegenstandslosen Malerei und nicht etwa in tendentiös kritischer Weise (wie z.B. Paul Wunderlich), aber mit dem heute fraglos nicht mehr selbstverständlichen Willen zum Schönen.
Wir möchten an das Referat Max Benses anschließen und sogleich zwei Einschränkungen machen. So trifft unserer Meinung wenigstens für die Ausstellung der Ölkreidezeichnungen der Hinweis auf den Zeichner Paul Klee kaum zu. Stattdessen scheint uns ein weiterer Hinweis angebracht nämlich auf das Problem der Farbe, wie es sich für Kandinsky ja neben dem Problem der Form stellte.
Unsere zweite Einschränkung betrifft den von Max Bense konstatierten Willen Hans Dahlems zum Schönen. Wer die Bilder in den Ausstellungsräumen aufmerksam betrachtet, wird sogleich übersehen, daß das Schöne, die schönen Farben, die schöne Farbkomposition ebenso in der Absicht Hans Dahlems liegen wie ihre sofortige (Zer)Störung.
Und das scheint uns mit das Interessanteste an dieser Ausstellung zu sein, indem es deutlich herausstellt, um was es dem Maler bei seiner Arbeit letztlich geht. Diese (Zer)störung erfolgt auf zweierlei Weise. Zunächst einmal werden dadurch, daß die Blätter nicht mit Passepartouts abgedeckt sind, deutlich ihre Schmutzränder, der Randschmutz ins Bild miteinbezogen. Dazu finden sich oft links oder rechts unten Versuche möglicher Farbkombinationen, die der Maler augenscheinlich zu Anfang seiner Arbeit unternommen hat. Dem aber, daß der Maler nicht nachträglich die Spuren der Herstellung verwischt, daß er weder Palette noch Schmutzrand bzw. Randschmutz nachträglich vor dem Betrachter versteckt, gilt unser ästhetisches Interesse ebenso wie der Tatsache, daß dadurch diesen Zeichnungen und einer Ausstellung dieser Zeichnungen so immer etwas Atelier beigegeben wird, was wir begrüßen möchten. Eine zweite Art von (Zer)Störung wird in den auf den aufgetragenen Ölkreiden nachträglich vorgenommenen Abschabungen und Einkritzelungen demonstriert, wobei die 'Handschrift' des Malers als äußerst exakt, ja stellenweise fast zu genau erscheint. Und so kann man zwar von einem Willen des Malers zum Schönen sprechen, aber mit der sofort zu treffenden Einschränkung, daß das beabsichtigte Schöne, das nur Schöne alsbald wieder aufgefangen wird durch seine teilweise Zerstörung.
Das Maß der Zerstörung ist dabei graduell und es gibt Bilder in dieser Ausstellung, die dadurch faszinieren, daß sich Hans Dahlem mit ihnen bewußt in eine gefährliche Nähe desjenigen Leerlaufs des Schönen begibt, die man Kitsch nennt, ein Problem übrigens, das ja bei den ganz anders gearteten konkreten Arbeiten Max Bills auch begegnet. Daß aber wegen des mitgeteilten Ateliers, wegen des gerade in dem richtigen Ausmaß angebrachten Maß an Zerstörung diese Ölkreidezeichnungen nie in einen Leerlauf des Schönen geraten, spricht unseres Erachtens von der Intelligenz ihres Malers und von den Qualitäten einer Malerei, die formlos erscheinen könnte durch die Betonung des Problems der Farbe, die aber formal aufgefangen wird durch die (Zer)Störung. Und so demonstriert diese Ausstellung unseres Erachtens in überzeugender Weise eine Malerei, die an der Grenze des Schönen und seiner jeweiligen (Zer)Störung ebenso siedelt wie an der Grenze einer puren Artistik, aufgefangen durch die Formlosigkeit der Farben. Oder anders gesagt: so provoziert diese Malerei den Betrachter durch ihre Annäherung an die Grenzen zu einer puren l'art pour l'art und durch eine Vielzahl von kleinen Grenzzwischenfällen. Die Malerei des Saarlandes ist in Westdeutschland bisher kaum bekannt geworden. Hans Dahlem vermochte sie mit seiner Ausstellung überzeugend vorzustellen: als ein Maler, der deutlich zeigt, was auf seinen Bildern drauf ist, und dessen Bilder deutlich zeigen, was an ihrem Hersteller dran ist.
[Saarbrücker Zeitung 20.5.1963]