Geschichte
und Kritik eines Angriffs. Zu den Behauptungen gegen Paul Celan.
-
Jahrbuch 1960 der Deutschen
Akademie für Sprache und Dichtung. Darmstadt: Lambert Schneider 1961,
S. 101-132
*
Günther Rühle
| Wege zur Würde
Die Frühjahrstagung
der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung
-
Frankfurter Allgemeine Zeitung
27.4.1961
[...] Seit Ivan Golls Witwe
1953 einen offenen Brief an Verleger, Kritiker und Schriftsteller schickte,
in dem es hieß, das Celan
die Gedichte Golls "durch
geschickt assimilierte Verwertung von Wendungen und Bildern" imitiere,
wechselten Proteste,
Zitieren neuer Vergleichsstellen
und neue Entschließungen einander ab. Auf Veranlassung der Akademie
hat nun Reinhard Döhl
(im Jahrbuch der Akademie
1960) das vorgebrachte Material untersucht. Er stellt dort Zitate nebeneinander
(fügt sogar neue
Vergleichsstellen bei),
prüft die Chronologie, den Kontext (wenn auch nicht sehr eindringlich)
- und kommt zu dem Ergebnis,
daß es sich bei den
Aehnlichkeiten um "wandernde Bilder" handele, die man ja in der Literaturforschung
seit langem kennt.
Döhl weist auf den
ähnlichen Entwicklungsgang Golls und Celans (Berührung mit dem
französischen Surrealismus), Celans
Nähe zu Trakl und Else
Lasker-Schüler hin und erklärt die vorgetragenen Vorwürfe
für grundlos. - Dieses klare Wort zu einer
peinlichen Sache ist ein
Verdienst der Akademie. Im Herbst vorgelegt, hätte die Preisverleihung
als ein noch klareres Eintreten
der Akademie für einen
verdächtigten Schriftsteller gegolten. [...]
*
Fazit
D.W. - Das Attentat Frau Claire
Golls auf den Ruf des Lyrikers Paul Celan ist endgültig vereitelt.
Der Vorwurf, Celans
Gedichtband "Mohn und Gedächtnis"
sei bei "zeilenweiser Anleihe" und durch "geschickt assimilierte Verwertung,
von
Wendungen und Bildern".
eine "Imitation" des Nachlaßbandes "Traumkraut" von Yvan Goll, hat
sich als haltlos erwiesen.
Das ist der Tenor einer
Untersuchung, die Reinhard Döhl auf Anregung der Deutschen Akademie
für Sprache und Dichtung
und unter der Schirmherrschaft
Fritz Martinis angestellt hat - quasi als letzte Instanz eines Prozesses,
der seit 1953 läuft und der
unter anderem durch einen
Artikel Rainer K. Abels in der WELT (am 11. November 1980) in die Öffentlichkeit
getragen
wurde.
Rainer K. Abel nahm die Partei
Claire Golls, und er bediente sich im wesentlichen ihrer Argumente. Heftige
Proteste gegen
seine Äußerungen,
an denen es auch sonst nicht gefehlt hat, brachten wir am 16 und 31. Dezember
1960. Sie stammten von
Hans Magnus Enzensberger,
Dietrich Schaefer und Georg Maurer.
So lautet im großen
der Spruch Reinhard Döhls im Jahrbuch der Deutschen Akademie: Schon
die bibliographischen Daten
entkräften die meisten
Vorwürfe gegen Paul Celan; Claire Goll hat unsauber zitiert; sie hat
Aussagen Dritter für ihre Zwecke
frisiert, der Tatbestand
des Plagiats wäre selbst dann nicht erfüllt, wenn alle Argumente
Frau Golls stichhaltig wären.
Döhl hat mit großer
Sorgfalt gearbeitetet und dabei nicht einmal auf die Lesbarkeit seines
Textes Rücksicht genommen. Sein
Fazit verdient allen Respekt,
den wir hiermit bezeigen.
Diese Achtung gebührt
selbstverständlich auch Paul Celan, der sich bis heute aus dem Streit
herausgehalten hat, vermutlich im
Vertrauen auf seine Freunde,
die sich so wacker für ihn geschlagen haben.
Soviel aber nehmen wir dabei
auch für uns in Anspruch: Nachdem dieser Streit einmal begonnen hatte,
mußte er ausgetragen
werden. Es ist Sache einer
Zeitung, daran teilzunehmen. Wir meinen, daß wir unsere Pflicht und
Schuldigkeit getan haben,
indem wir Stimme und Gegenstimme
getreulich meldeten. Das ist letzten Endes auch Reinhard Döhl und
damit Paul Celan
zugute gekommen.
*
Vgl. auch Jürgen
P. Wallmann u.a. | Schmarotzen als Stilprinzip