missa profana

- missa profana. prisma, Jg 4, Nr 4, Juni 1959
- missa profana. zeitgedichte moritat liebesgedichte variationen. [Lineare Fssg]. schritte 5. Berlin-Zehlendorf: Wolfgang Fietkau Verlag 1961

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ad missa profana

Stundentenrat

In der letzten Sitzung des Studentenrates der Göttinger Universität ging es hoch her. Nicht die Berichte des AStA standen im
Mittelpunkt, sondern das prisma. Genauer gesagt, die "MISSA PROFANA" aus der letzten Nummer. Die Diskussion wurde durch
eine Anfrage an die prisma-Redaktion gestartet: "Hält die Redaktion den Beitrag des Herrn Döhl für Kunst? Wenn ja,
warum?"

Die Debatte - sie wurde zunächst einmal unterbrochen, weil die prisma-Redaktion zu dieser Frage ihre Feuilletonredakteurin
hinzuziehen wollte - glitt aber schon im Anfangsstadium von ihrem erklärten Ziel, nämlich die künstlerischen Gesichtspunkte zu
beleuchten, ab und entwickelte sich zu einem der bekannten Dispute um die Kernfrage "Wir subventionieren das prisma und Ihr
schreibt dann solche Artikel!"

In der Debatte fielen scharfe Worte über eine mögliche Zensur des prisma, die sich dann konkretisierten zu einem Antrag
folgenden Wortlautes: "Der in der letzten prisma-Nummer erschienene Beitrag "MISSA PROFANA" verstößt gegen die guten
Sitten und stellt eine der schmutzigsten Diffamierungen nicht nur der katholischen Kirche, sondern jedes Christen dar. Der
Studentenrat verlangt vom prisma, sich in der nächsten Nummer zu entschuldigen und sich von diesem Pamphlet zu distanzieren."
Nach der Satzung des prisma sind eine Entschuldigung und eine Distanzierung von einem gebrachten Artikel nicht von der
Redaktion zu verlangen. Darum wurde daraufhin von einem der Herausgeber eine Erklärung des prisma zu diesem mit großer
Mehrheit beschlossenen Punkt vorgelesen: "Die derzeitigen Herausgeber und die derzeitige Redaktion des prisma lehnen es ab,
dem vom SR angenommenen Antrag des Herrn Golkowsky zu entsprechen. Die allgemeinen Grundsätze der Pressefreiheit
einschließlich der vom SR verabschiedeten Satzung des prisma und der Freiheit der demokratischen Meinungsäußerung verbieten
es, Personen und Institutionen außerhalb des Herausgebergremiums und der Redaktion des prisma, Einfluß auf die Gestaltung des
prisma zu gestatten."

Die augenblickliche Verwirrung war so groß, daß der nächste Tagesordnungspunkt bereits aufgerufen war, bevor man sich
einigermaßen erholt hatte. Noch nie war es in der Geschichte des Göttinger Studentenrates vorgekommen, daß ein Beschluß so
unmittelbar und so entschieden zurückgewiesen wurde. Um in die nun entstandene Situation Klarheit zu bringen, entschied
sich dann die überwältigende Mehrheit, folgenden Antrag anzunehmen:

"Der SR hebt den letzten Beschluß auf. Der SR mißbilligt schärfstens den in der letzten prisma-Nummer veröffentlichten Beitrag
"MISSA PBOFANA" von Reinhard Döhl, denn dieser Beitrag verstößt in ärgster Weise gegen die guten Sitten und stellt eine der
schmutzigsten Diffamierungen nicht allein der katholischen Kirche, sondern jedes Christen dar. Der SR spricht Herausgebern und
Redaktion des prisma einen scharfen Tadel aus, daß dieser Beitrag überhaupt zur Veröffentlichung gelangte. Das prisma wird
aufgefordert, diesen Beschluß in der nächsten Nummer zu veröffentlichen."

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Die Redaktion

Nun, Sie haben diesen Beschluß eben gelesen. Interessiert Sie vielleicht wie der Studentenpfarrer der ESG zu den "schmutzigsten
Diffamierungen... jedes Christen" steht? Dann blättern Sie bitte diese Nummer einmal durch.

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Wilhelm Schmidt

Der Studentenrat hat zu der "missa profana" von R. Döhl, die in der letzten Nummer des "prisma" veröffentlicht wurde, Stellung
genommen, indem er den Herausgebern und der Redaktion einen scharfen Tadel für die Veröffentlichung ausgesprochen hat. Eine
Gesellschaft wie wir sie wünschen, kann sich glücklich schätzen wenn in ihr kritische Menschen nachwachsen, die ihrer Kritik
öffentlich Ausdruck geben. Der Studentenrat hat ohne Zweifel mit seiner kritischen Stellungnahme seine Verantwortlichkeit
gewahrt. Und das ist ein gutes Zeichen.

Indessen ist der Inhalt des Tadels derart, daß man ihm schwerlich zustimmen kann. Er macht sich die Sache nun doch zu einfach.
Ich greife nur einen Punkt heraus, nämlich den, daß die "missa profana" "eine der schmutzigsten Diffamierungen nicht nur der
katholischen Kirche, sondern jedes Christen" darstelle. Mit welchem Recht befindet der Studentenrat in Sachen der Chri-
stenheit? Die Evangelische Studentengemeinde wird dieses Urteil voraussichtlich nicht so pauschal hinnehmen können, wenn sie
sich mit dieser Frage auseinandersetzt.

Mir persönlich hat sich bei der eingehenden Lektüre nicht der Gesichtspunkt der Diffamierung und Verhöhnung der Christen
aufgedrängt. Abgesehen von einigen Stellen, die mir unverstiindlich sind, und anderen, die in der Tat böse Montagen darstellen,
verstehe ich dieses Experiment als in einer Richtung gedacht, die Christen schwerlich so einfach verdammen können, ohne aus
ihrer Kirche einen frommen Naturschutzpark zu machen. Wir lassen ja in der Tat "die Ratten nicht ins Bewußtsein dringen", wenn
wir unsere Gottesdienste halten und die gottesdienstlichen Texte sprechen. R. Döhl holt das Religiöse sehr hart in die Welt, in der
wir ja nun faktisch leben, und ich meine, daß wir vor den entstehenden Dissonanzen die Ohren nicht schließen dürfen. Die
Botschaft der Messe wird uns nicht heilen können wenn wir sie wie ein Denkmal behandeln. Ich würde es für möglich halten, daß
R. Döhl die Tatsache, daß es die Botschaft der Messe in unserer Zeit gibt, sehr viel ernster genommen hat als seine Kritiker, und
daß er darum seine eigene Antwort dazu sagen kann. Dem gegenüber ist es doch wohl kein Bekenntnis, wenn wir Christen mit
Empörung reagieren.

Ich hätte Verständnis dafür, wenn der Studentenrat aus Gründen des Kunstverstandes oder eines anderen Verständnisses der
Aufgaben, die das "prisma" hat, gemeint hätte, es wäre ungerechtfertigt, für diesen Beitrag drei Seiten herzugeben. Sich aber
einfach an den Schürzenzipfel der gar nicht so eindeutigen guten Sitten zu hängen oder gar "jeden" Christen hier ins Feld zu führen,
ist ein bedrückend primitives Verfahren.

Über den Mangel an Sachgebundenheit hinaus fällt an dem Tadel besonders der totalitäre Jargon auf, dem hoffentlich die zu
Grunde liegende Haltung nicht entspricht. Formulierungen wie "verstößt in ärgster Weise", "schmutzigste Diffamierungen" und
"jedes Christen" täuschen eine Totaleinsicht vor, die es nicht gibt. Wer Superlative in dieser Weise gebraucht, setzt sich der
Frage aus, ob er wirklich nachgedacht oder nur seine "Volksseele" zum Kochen gebracht hat. Im übrigen wäre es interessant zu
wissen, wie weit denn alle Tadler die "missa profana" mit der Mühe gelesen haben, die einem scharfen Tadel vorhergehen sollte.

Wilhelm Schmidt, Pastor
Ev. Studentenpfarramt

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Leserbriefe

Sehr geehrte Herausgeber!
Die von Ihnen herausgegebene Studentenzeitung habe ich bisher immer mit Interesse und Zustimmung verfolgt und darin meist die
Ziele, wie sie im Mai-Heft von Ihnen zusammengestellt worden sind, verwirklicht gefunden.
In den mir vor einer Woche zugeschickten beiden ersten Heften dieses Semesters sind jedoch "literarische Gehversuche"
enthalten, gegen die ich sehr deutlich Einspruch erheben muß.
In Zeiten oft unerträglicher Spannungen - innerhalb fast aller Bereiche unseres Lebens - sollte man doch wohl derartige
Taktlosigkeiten - um nicht härtere Worte zu gebrauchen - vermeiden. Ich bedaure sehr, daß Ihre Zeitung, die
repräsentativ für zwei Hochschulen ist, etwas Derartiges wie die Missa profana von R. Döhl gebracht hat, die eine unerhörte
Verhöhnung der Heiligen Messe darstellt.
Ich bin überzeugt, daß auch die Mehrzahl der in- und ausländischen Studenten sich in ähnlicher Weise über diesen Beitrag äußern
wird, soweit sie Menschen sind, die die Überzeugung anderer achten, auch wenn sie sie nicht verstehen.
Mit den besten Wünschen für zukünftige bessere, d. h. nicht Ärgernis erregende, Auswahl literarischer Versuche grüßt Sie
Lotte Müller.

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Sehr geehrte Herren!
Zuerst dachte ich, die Überschriften seien auf die falschen Seiten gerutscht. Aber es sollte wohl so richtig sein. Richtig? Über
Geschmack läßt sich nicht streiten, heißt es: wo bleibt hier Geschmack? Der gute, meine ich? Es wurde eine etwas billige
Methode praktiziert: man nehme einen Schuß akute Problematik (z. B. Atomwaffen), eine breite Schicht sex - oder was man
dafür hält, hier weitgehend ins Sumpfige reichend - zerhacke das Ganze, bis torsaohfte Fragmente übrigbleiben, schlage ein paar
gedankliche salto mortale, vollziehe einige (vermeintlich) kühne Entsprechungen - und dann glaubt man wahrscheinlich, man
gehöre der Avantgarde, den "zornigen jungen Männern" an, die etwas zu sagen haben. So weit, so gut.
Oder auch nicht. Denn nicht immer braut ein Gottfried Benn diese Trümmerlyrik zusammen, so daß ein Hauch echter Aussage
uns beim Lesen streift und man das geniale spürt. Manchmal bleibt es auch nur beim möchte-gern. Wie gehabt.
Daß dem Exsudat aber der lateinische Text, gerade d i e s e r lateinische Text als Gerüst untergelegt ist, das ist nicht nur banal,
das ist einfach geschmacklos. Ich bin nicht katholisch, und im allgemeinen auch nicht gerade als prüde verschrien. Aber es kam
mir der Verdacht, daß dieser "Lyriker" identisch sein könnte mit dem Verfasser des Schlußartikels von Nr.3 des Prisma, der uns
hier allerdings nur überdruckt vorlag. Es besteht keine Identität - nicht im Fleische, aber im Geiste!
Hat man in der Prisma-Redaktion nun keinen Geschmack, daß man diese Pubertätsschwulitäten abdruckt, oder hat man nichts
Besseres (dann: zumachen!) oder hält man es gar für eine große geistige Leistung? Das wäre schade. Denn das Niveau kann
auch höher sein - wie auch schon gehabt!
Arnd Peters

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Ich habe versucht, in dem "geistreichen" Beitrag mit der Überschrift MISSA PROFANA einen Sinn zu entdecken; ich konnte
aber trotz aller Mühe höchstens die Tendenz finden, auf gemeine Weise die Messe und mit ihr Gott und alles, was
über den Bereich des Materiellen hinausgeht, in den Schmutz zu ziehen. Man könnte fast meinen, diese literarische Pflanze sei
unter der roten Sonne des Regimes jenseits des eisernen Vorhangs gewachsen. Sie hätte sicher, abgesehen von den
existentialistischen Anspielungen, dem Produzenten ein Lob der Partei eingetragen!
Ich will nicht dem Verfasser seine Einstellung vorwerfen - jeder Mensch hat das Recht, seine Meinung zu haben und zu vertreten
- ich wende mich aber entschieden gegen die Art, wie er, ohne dabei rot zu werden, die Dinge, die vielen von uns
noch heilig sind, mit der größten Selbstverständlichkeit auf die Ebene des Ordinären herunterzerrt. Wo bleibt da die vielgerühmte
Toleranz?
Gegen eine Meinungsäußerung in einer dem Thema angemessenen Form wird niemand etwas einzuwenden haben. Bei allem
Respekt vor der persönlichen Meinung des Verfassers wäre es doch Sache der Redaktion, die eingehenden Beiträge kritisch
unter die Lupe zu nehmen und nicht alles abzudrucken, was "modernen" Anstrich hat, ohne Rücksicht auf seinen Wert. Über
Witze wie coito ergo sum kann ich nicht lachen (selbst wenn man von dem sprachlichen Feh1er absieht)!
Den wunderbaren ausdruckstiefen Gedichten auf der Rückseite des Juniheftes sprechen Sie "das Maß künstlerischer
Vollkommenheit" ab. Wo wollen Sie dann das äußerst fragwürdige literarische Produkt auf Seite 12 bis 14 einstufen?
Alfred Bäuml, stud. phys.

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Für die regelmäßige Übersendung des Prisma möchte ich Ihnen hiermit herzlich danken! Ich vermisse hier, an einem kleinen College im Süden der USA, sehr die Atmosphäre und Anregungen, die eine Universität wie die Georgia Augusta bieten kann und die sich auch im prisma widerspiegeln. Ganz besonders möchte ich Sie zu dem erstaunlich hohen Niveau beglückwünschen, auf das Sie das prima in den beiden letzten Semestern gebracht haben.
Ernst-Helge Schönfelder, Davidson, N. C.

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In der Juni-Nummer Ihrer Zeitschrift bringen Sie nunmehr zum dritten Mal innerhalb eines halben Jahres einen Beitrag von R.
Döhl. Wir können uns kaum vorstellen, daß es auf die beiden ersten Veröffentlichungen hin eine positive Stellungnahme
gegegeben hat, die Sie bewogen haben mag, auch noch dieses schmutzige Elaborat, die sogenannte Missa Profana, erscheinen zu  lassen. - Oder sollten wir uns irren?
Wie auf der letzten Studentenratssitzung zum Ausdruck kam, hat Ihre Feuilletonistin entgegen dem Willen Ihres Herausgebers (!)
den Druck dieses Pamphletes durchgesetzt. Wir würden es gern sehen, wenn die Dame diesen ihren Schritt einmal begründen
würde, ohne die landläufigen Argumente, wie: "prüde Spießbürger müsse man nun einmal aufrütteln", ins Feld zu führen. Wir
möchten sehr hoffen, daß uns solche Artikel, wie diese Missa Profana, in Zukunft nicht mehr zugemutet werden.
Hans Beithoff, Reinhard Koepp, Joseph Hewing, G.H. Wingender, D. Hoeschen, Josef Floßdorf, Wolfgang Winners.
P.S. Nach dem Überdruck der letzten Umschlagseite im Mai-Heft fragen wir uns, ob die schwarzen Klekse im Lyrikteil des
prisma Dez.58, die wir für eine "originelle graphische Gestaltung" hielten, nicht ähnliche Obszönitäten zu verbergen hatten wie die
Paradiesgeschichte, die der Herausgeber erst nach dem Druck (!)! zu sehen bekam.

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Das prisma erscheint unter der alleinigen Verantwortlichkeit des jeweiligen Chefredakteurs. Die Herausgeber haben (im
Gegensatz zu sonstigen Zeitschriften) weder finanzielle noch redaktionelle Risiken, Pflichten oder Rechte. Die Artikel müssen
ihnen nicht vorgelegt werden, sie haben vielmehr das Recht, diese vorher einzusehen. So jedenfalls ist es in der vom SR
verabschiedeten Satzung des prisma vorgesehen und so ist es auch gut. Die beiden Ausrufezeichen dokumentieren (deshalb weil
das alles in der zitierten SR-Sitzung gesagt wurde) eine auf Verbohrtheit, wenn nicht gar Böswilligkeit, beruhende Unkenntnis.
(Lesen Sie dazu bitte auch den Bericht auf der zweiten Umschlagseite).
Oehlschlägel, Chefredakteur

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Ansgar Skriver | Missa Profana

Am 10. Juni 1959 veröffentlichte der Student Reinhard Döhl in der Göttinger Studentenzeitschrift "Prisma" eine lyrische Montage
unter dem Titel "Missa Profana", deren ironische Kontrastierung mit dem lateinischen Messetext sowohl die geschlossene
mittelalterliche Glaubenswelt wie die Errungenschaften des finsteren 20. Jahrhunderts in Frage stellte. Auszugsweise sei hier aus
der 6. Strophe des nunmehr öffentlich zugänglichen Textes (Reinhard Döhl: Missa Profana Zeitgedichte Moritat Liebesgedichte
Variationen, im Wolfgang Fietkau Verlag, Berlin-Zehlendorf 1961) zitiert:

vernehmt die moritat des heutigen sonntags
wie sie geschrieben steht
bei moses ovid und vielen anderen
also lautend
"einst lebte auf einem sonnentrabanten
ein seltsam hell pigmentiertes
geschlecht!"

QUID TOLLIT PECCATA MUNDI

und es kamen wolken über den himmel
am abend
das waren keine wolken
der mensch aber sprach
"des fleisches ende ist vor mich gekommen
und die erde ist voll von meines gleichen
und siehe ich will sie verderben
und die erde"

AGNUS DEI
QUID TOLLIS PECCATA MUNDI
MISERERE NOBIS

und es kamen vögel
über den himmel
am abend die waren
gemacht aus stahl
und gedanken
am abend
"also daß vertilgt würde alles
was auf der erde war
vom menschen bis auf das vieh"

AGNUS DEI
QUI TOLLIS PECCATA MUNDI
MISERERE NOBIS

"und auf die vögel unter dem himmel"
der voll wolken war
und weich wie der schnee
der schwarz war

DONA NOBIS PACEM

die schweinepreise ziehen
wieder an

Die Studenten der Technischen Hochschule Hannover Peter van Gindern und Franz-Peter Görres erstatteten am 19. Juni 1959
Strafanzeige mit der Begründung, daß sie sich in ihren religiösen Empfindungen verletzt fühlten; der die katholische Diözese
Hildesheim vertretende Generalvikar Dr. Wilhelm Offenstein erstattete für die Diözese Hildesheim Anzeige am 30. Juni 1959.
Döhl erhielt von der Universität Göttingen einen Verweis ins Studienbuch. Die Presse von Flensburg bis Garmisch hallte wider von
Gerüchten, denn das Corpus delicti war beschlagnahmt. Eine Zeitung schrieb von der "miß profana", andere von dem "Artikel,
Aufsatz" usw., die wenigsten Journalisten, die sich entrüsteten, hatten die "Missa Profana" selbst zu Gesicht bekommen. Im
Göttinger Studentenrat tobten heftige Kämpfe zwischen den hochschulpolitischen Gruppierungen.

Am 20. Juni 1960, also mehr als ein Jahr nach der Veröffentlichung der "Missa Profana", lehnte das Amtsgericht in Göttingen die
Eröffnung des Hauptverfahrens ab. In seiner Begründung stützte sich das Amtsgericht auf Gutachten des katholischen
Moraltheologen Professor Dr. Auer in Würzburg, von Professor D. Otto Weber in Göttingen, Professor Dr. Max Bense in
Stuttgart, Professor D. Ernst Wolf in Göttingen, des Lehrers und Schriftstellers Rudolf Otto Wiemer in Göttingen und des
Verlegers Dr. Witsch, Köln.

Professor Auer kam zu folgendem Schluß:

In der MISSA PROFANA sind die Messetexte nicht Leitbilder, die blasphemisch interpretiert werden. Sie rücken vielmehr im
Zug der Selbstkritik immer wieder die Gegenposition der Heilswirklichkeit und der Heilsbotschaft scharf in das Blickfeld und
wollen dem Christen, der diese Texte gar zu leicht ohne Bezug zur konkreten Weltsituation spricht, den unerhörten Widerspruch
zwischen dem Weltplan und der Weltliebe Gottes und den vom Menschen in seiner frevlerischen Selbstvergötzung in allen
Lebensbereichen angerichteten Verwüstungen hart und drastisch vor Augen stellen.

Der katholische Verleger Dr. Joseph Witsch nannte Döhls Gedicht "eine eindrucksvolle Vision von Sodom und Gomorrha" und
schrieb:

Die Bilder, die hier beschworen werden, machen den sakralen Text nicht verächtlich, im Gegenteil, er ist das Maß und der
Anspruch, an dem die Tiefe des Abfalls, die menschliche Verkommenheit erschreckend kenntlich wird. Unmittelbarer,
einleuchtender als durch diesen Kontrast kann die Klage nicht formuliert werden. Wir hätten es mit einer grotesken Verkennung,
mit einem erstaunlichen Fall von Blindheit zu tun, wenn man hierin bereits eine Verächtlichmachung kirchlicher Einrichtungen
sehen wollte...

Die Staatsanwaltschaft legte jedoch sofortige Beschwerde ein, der stattgegeben wurde. Am 30. September und 1. Oktober 1960
fand das Verfahren vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Göttingen statt, unter Vorsitz von Landgerichtsrat Dr.
Kleefeld, der von der "Missa Profana" als von "dem gedruckten Dingsda" sprach. Besonders beanstandet wurde im Strafprozeß
vor dem Landgericht Göttingen u. a. folgende Stelle:

die hochgeschlagenen mantelkragen im oktober
beweisen die notwendigkeit der wärme
aus leergetrunkenen brunnen
die leergetrunkenen gläser füllen Ex
einmal wöchentlich in den bordells
eine gastrolle geben MARIA VIRGINE
bei den versuchen bleiben
eine einfache melodie zu singen
ich liebe die schöne frau
nicht zuletzt
um ihrer dummheit willen
mit der sie sich verhökert
für talmi und sprüche
ich liebe die schöne frau
nicht zuletzt
für den augenblick
wenn die kirchturmglocken
zu allen möglichen anlässen schlagen
ich habe deine worte satt
und deine lippen MARIA VIRGINE
schmecken mir längst nicht mehr
ich rülpse und gehe Ex MARIA V.

Weitere Gutachten lagen inzwischen vor von den Schriftstellern Heinrich Böll, Stefan Andres, Erhart Kästner, Hans-Jürgen Schulz
(Kirchenfunk des Süddeutschen Rundfunks), Joachim Günther, den evangelischen Studentenpfarrern Wilhelm Schmidt und Hans
Schmidt. Professor Dr. Max Bense hatte erklärt, er halte die Dichtung "Missa Profana" von Reinhard Döhl für einen der
bemerkenswertesten Beiträge zur neuesten Dichtung innerhalb des deutschen Geistesraumes, und der Schriftsteller Dr. Hans
Magnus Enzensberger steuerte in seinem Gutachten eine Definition der literarischen Montage bei: "Die Montage kann weder
rühmen noch schmähen, weder preisen noch lästern, weder schmeicheln noch beleidigen. Sie nimmt nicht Stellung. Das ist ihr
Gesetz. Aus ihm erhellt, daß der § 166 StGB auf den in Frage stehenden Text von Reinhard Döhl nicht anwendbar ist." Das
Gutachten des Literaturwissenschaftlers Professor Dr. Fritz Martini (Stuttgart) hat folgenden Wortlaut:

Die Anklage, die gegen Herrn cand. phil. Reinhard Döhl wegen seines Gedichtes Missa Profana, veröffentlicht in der Zeitschrift
Prisma, Göttingen-Hannover, Juni 1959, 4. Jahrgang, Nr.4, Seite 12-14, erhoben worden ist, beruft sich auf eine Anzeige wegen
Gotteslästerung, Verächtlichmachung von Gebräuchen und Einrichtungen der katholischen Kirche und Beleidigung. Zum letzteren
Punkte ist, soweit ich informiert bin, keine nähere Erläuterung gegeben, gegen wen sich diese Beleidigung richtet. Es fällt mir
schwer - auch nach mehrfachem Gespräch mit mir nahestehenden Theologen, u. a. mit dem Pfarrer meiner Gemeinde, als deren
Altester ich tätig bin, die Gründe für diese Anklage exakt einzusehen und zu verstehen. Jedoch soll im folgenden versucht werden,
auf ihre mutmaßlichen Aspekte einzugehen.
Es handelt sich in der Missa Profana von Reinhard Döhl unzweifelhaft um ein Gedicht, also um eine Form der sprachlichen
Aussage, deren Intention und Sinn die Integration in der einen bestimmten Gehalt gestaltenden Form ist. Was gesagt wird, wird
nur in dieser einen bestimmten Form gesagt, die selbst nicht nur ein Teil dieser Aussage bedeutet, vielmehr sie überhaupt erst
realisiert, überhaupt erst möglich macht. Gehalt und Form bilden somit eine voneinander unablösbare Einheit im ganzen Umfange
des Gedichtes. Die Form bekommt ihren Sinn vom Inhalt her; der Inhalt wird nur ausgesprochen in dieser und durch diese Form.
Beide begründen und beleuchten sich gegenseitig. Das schließt zugleich ein, daß man nicht die gewählte Form angreifen kann,
ohne den Inhalt einzubeziehen, daß man ebensowenig den Inhalt angreifen kann, ohne die Bedeutung der Form zu werten. Es
bedeutet weiterhin, daß jeder Vers, Satz, noch jedes Wort im Kontext des Ganzen steht, von ihm begründet und relativiert wird
und nicht etwa Einzelnes, etwa eine Einzelstelle, herausgegriffen und unter Anklage gestellt werden kann.
Es liegt weiterhin im Wesen jedes ästhetischen Gebildes, sowohl seiner Intention wie seiner Art nach, daß es nur als ein
darstellendes ästhetisches Gebilde aufgefaßt werden kann. Es handelt sich in ihm nicht um eine Aussage, die ihre Wirkung enseits
des Ästhetischen sucht; also in einer direkten Meinungsäußerung, Dokumentation von realhistorischen Fakten, in einer Agitation
oder Polemik. Grenzverwischungen sind auf diesem Gebiet natürlich möglich. Der eigene Charakter eines ästhetischen Gebildes
wird jedoch um so deutlicher, je mehr die sprachliche Aussage eine feste Form wählt und als ihre ästhetische Ordnung durchhält,
sich von ihr aus bestimmt und sie zu erfüllen sucht Es ist offensichtlich, daß dieses ästhetische Anliegen in der Missa Profana
dominiert, der Autor dezidiert, ja, wenn man will, überpointiert, solche feste ästhetische Ordnung gewählt hat, wenn er sich der
Sprache der Missa bediente. So bleibt also eine Frage, ob die Wahl dieser Form einen Mißgriff einschließt, der eine Anklage
wegen Verächtlichmachung von Gebräuchen und Einrichtungen der katholischen Kirche begründet.
Ich halte fest: Als ästhetisches Gebilde will und kann auch das Gedicht nichts beweisen, angreifen, widerlegen, was außerhalb des
Ästhetischen seine andersartige Wirklichkeit hat und gänzlich andere Fundamente besitzt. Selbst wenn es sich um einen Mißgriff
handelt - ein ästhetischer Mißgriff berührt nicht die reale und existentielle Ebene, auf der man berechtigt ist, von einer
Gotteslästerung zu sprechen. Hier scheint mir eine Verwirrung der Dimensionen vorzuliegen.
Es ist offensichtlich die Absicht des Autors gewesen, seine Erfahrung der gegenwärtigen gesellschaftlich-zivilisatorischen
Wirklichkeit im Gedicht metaphorisch zu gestalten, das heißt in einer Form auszusagen, die das Chaos und das Bitter-Absurde der
ungelösten oder wenigstens für ihn unlösbaren Dissonanzen und Sinnentleerungen dieser Wirklichkeit aufzudecken vermag. Dies
Demaskieren geschieht ohne Pathos, in einer Addition von nüchternen Tatsachen, Thesen, Satzfragmenten, die rhythmisch
geordnet sind und zu einer Form zusammengefaßt werden, die sich der Form der Missa bedient, aus ihr in deutlicher Abhebung
(vgl. Druckbild) Sätze und Formeln zitiert. In diesem Demaskieren, Aufdecken in der Darbietungsart eines nüchtern-radikalen,
stark pointierenden Sprechens, wozu die Technik des rhythmischen Wiederholens gehört, liegt ein Bedürfnis, sich in irgendeiner
Form von dem Bedrückenden, wenn nicht Trostlosen und Absurden zu befreien, es zu widerlegen. Dazu dient ihm die ästhetische
Form.
Er hat die Form der Messe der katholischen Kirche entlehnt und damit allerdings ein Äußerstes gewagt. Er hat es gewagt, die
geschlossenste, objektivste, mit einem sakralen Inhalt gefüllte Form und ihren religiösen Symbol- und Ordnungscharakter, der das
Absolute an Heilsgewißheit einschließt, mit dem Chaos einer total säkularisierten, aller Wertentscheidungen entleerten
zivilisatorischen Zeitwirklichkeit zu konfrontieren. Dies ergibt ein Spannungsverhältnis besonderer Art.
Zunächst muß daran erinnert werden, daß eine Übernahme sakraler Sprach- und Dichtungsformen, sei es der Litanei, der Hymne,
selbst der Messe zum Ausdruck weltlicher, säkularisierter Gehalte bis an die Grenzen der Parodie eine Übung ist, die sich in der
europäischen Literaturgeschichte bis in das frühe Mittelalter und seine lateinischen Texte (vgl. z.B. die Carmina burana)
zurückverfolgen läßt und einer humanistischen Pflege der poesia docta geläufig war. Sie ist keineswegs von Literaturhistorikern
beider Konfessionen als religiös anstößig bezeichnet worden. Sie hat in der europäischen Geschichte der literarischen Parodie
ihren festen Platz (vgl. u.a. P. Lehmann, Die Parodie im Mittelalter, 2 Bde. 1922, ebenso P. Lehmanns Textsammlung 1923).
Aber es ist nach meiner Überzeugung überhaupt nicht am Platze, im Falle der Missa Profana von Reinhard Döhl von einer
Parodie im genauen Sinne zu sprechen. Vielmehr verhält es sich in diesem Gedicht eher umgekehrt: die Entlehnung der sakralen
Form dient dazu, die Kritik am Chaos einer wertentleerten Zivilisation und ihren Desillusionen durch die Erinnerung an die
äußerste Gegenposition zu akzentuieren. Die Form der Missa, eben als Form, als gestaltende Form, bedeutet den Aufruf einer
gänzlich anderen Wirklichkeit gegenüber dem Chaos, die seine Nichtigkeit, in die jeder in dieser Zivilisation lebende Mensch
hineingerissen wird, schonungslos demaskiert. Die gewählte Form der Missa bezeichnet die verneinende Position zu einer Welt, in
der sich - nach Meinung des Autors - nur noch diese Form (als Form) erhalten hat, während der Inhalt dieser Wirklichkeit ein
schlechthin heilloser Inhalt geworden ist, dem nichts als der Untergang bleibt. 'Die hochgeschlagenen Mantelkragen im Oktober /
beweisen die Notwendigkeit der Wärme / aus leergetrunkenen Brunnen die leergetrunkenen Gläser füllen...' Die Form der Missa
ist somit, als sakrale Form, der stärkste Vorwurf gegen diese Welt, ein stärkstes Mahnzeichen dessen, was verloren worden ist
oder verlorengeht Dieser Vorwurf wird nicht direkt ausgesprochen; er liegt in der Radikalität des Zitierens des Absurden dieser
Zivilisation und in der Darbietung solcher Welt mittels dieser ästhetischen Form. Die Form - Ästheticum - ist die in das Gedicht
eingestaltete Gegenstimme. Ich verweise auf das, was von der komplexen Einheit von Gehalt und Form gesagt wurde. Diese
gegenseitige Verwebung kann zum Anschein einer Parodie und damit eines Mißbrauchs führen; die genaue Analyse zeigt jedoch,
daß hier gerade nicht die Parodie der Messe, sondern die Demasklerung einer entheiligten, absurden Welt intendiert ist.
Daß in dem Gedicht ein Inhalt ausgesprochen wird, der in einer völligen Negativität endet, drückt doch wohl die Verzweiflung
eines jungen Menschen aus, der sich radikal dieser entleerten Wirklichkeit als der ihn umgebenden und ihn einschließenden
Wirklichkeit stellt - radikal nicht nur in seiner intellektuellen Aufmerksamkeit und Sensibilität, nicht nur in einem Pessimismus,
der sich nichts vorlügen will, sondern radikal auch in seiner Enttäuschung. Diese Enttäuschung folgt aus einer enttäuschten
Erwartung: das Ethoslose wird nur so nüchtern und bitter und höhnisch erkannt, wo ein Bedürfnis nach einem Ethos gegenwärtig
ist. Ich meine, es ist nicht die Schuld dieses jungen Menschen, daß sich unsere zivilisatorische Wirklichkeit derart darbietet. Dies
Ethos des Vorwurfs, des Hohns und der Verzweiflung hat sich in die von ihm gewählte Form geflüchtet; als eben die Gegenlage,
die Gegenstimme, an der diese Welt gemessen wird. Der Eindruck einer Blasphemie wird nur dadurch fälschlich geweckt, daß
Form und Inhalt ineinander übergreifen, wie es einem ästhetischen Gebilde gemäß ist. Man kann darüber diskutieren, ob die Wahl
dieser Form unbedingt notwendig war, ob es sich um einen ästhetischen Mißgriff handelt.
An diesem Punkt müssen divergente Ansichten ins Spiel kommen. Es gibt auch im Gebiet des Ästhetischen Fragen und Anliegen
des Taktes. Aber ich betone entschieden, daß es sich da um ästhetische Probleme handelt, die Gegenstände der literarischen
Kritik und Wertung sind, nicht aber juristisch entschieden werden können, überhaupt nicht Sache der Rechtsprechung sind.
Keinesfalls kann ich bei gewissenhaftester Prüfang der Sache einsehen oder Gesprächen mit dem Autor entuehmen, daß es sich
in dem Gedicht objektiv um eine Verächtlichmachung von Einrichtungen und Gebräuchen der katholischen Kirche handelt oder
daß subjektiv dies intendiert wurde. Dies ist um so weniger der Fall, wenn man erkennt, wie hinter dieser bitteren Weltklage der
Ruf nach einem Ethos und einer Ordnung dieser Welt anklingt. Der Widerspruch als Signum der Zeit, ihrer Gleichzeitigkeit des
Widersprechenden, ist im Widerspruch von Form und Inhalt, im Widerspruch des Gebrauchs dieser Form zu ihrer sakralen
Ordnung in diesem Gedicht als Ästheticum gestaltet, nicht aber als Angriff und Beleidigung des Sakralen und seiner Hüter, der
Kirche, gemeint und durchgeführt.

In einer brieflichen Stellungnahme äußerte sich der konservative Schriftsteller Bernt von Heiseler betont kritisch:

Ich sehe hier nicht einen jungen Menschen, "der einmal revoltiert" und darum Nachsicht verdient. Denn was er mit dieser "Missa
profana" sich geleistet hat, ist nicht nur von einer sehr selbstzufriedenen und sich selber wichtig nehmenden Banalität, sondern es
ist zugleich das Produkt einer gewissen intellektuellen "Mode", es appelliert an die dürftigsten Instinkte der Zeit und rechnet mit
ihnen es hat endlich auch einen - für mich äußerst übelriechenden - politischen Beigeschmack. Ich kann mir daher gut vorstellen,
was den Staatsanwalt zu seinem harten Strafantrag veranlaßte. Das besonders Unerfreuliche an der Sache ist, daß die Leute, die
solche "Dichtungen" verfassen und drucken, den Anschein zu erwecken verstehen, es handle sich hier um die Gesinnung der
deutschen Studentenschaft überhaupt - was zum Glück bei weitem nicht stimmt, doch wird dieser Eindruck dadurch erzielt, daß es
immer wieder diese Kreise innerhalb der Studentenschaft sind, die sich am lautesten gebärden und viel von sich reden machen und
die - bewußt oder unbewußt - von jenseits des Eisernen Vorhangs gelenkt werden.
Sie brauchen sich übrigens [...] nur einmal vorzustellen: was würde geschehen, wenn irgendein Esel sich erlaubt hätte, etwa die
religiöse Vorstellungswelt des Judentums in derselben Weise, wie es hier mit der christlichen Glaubenswelt geschieht, zu
verunglimpfen? Die ganze deutsche Öffentlichkeit von Kiel bis München würde - und zwar mit Recht - über einen "Nazi
redivivus" schreien, drei Jahre Gefängnis wären nicht genug, man sähe die Demokratie in Gefahr. - Gut; aber man kann unseren
heutigen demokratisch-christlichen Staat auch in Gefahr sehen, wenn die Heiltümer des christlichen Glaubens ungestraft verhähnt
werden dürfen.
Ich bin, rückständiger und barbarischer Weise, der Meinung, daß man geistige, sittliche, religiöse Werte vor der Kanaille nur
dadurch schützen kann, daß man Verletzungen dieser Werte streng bestraft. Meine Kenntnis der Geschichte und meine Skepsis
gegenüber den Anlagen des Menschengeschlechts läßt mich den Standpunkt Luthers als den einzig realistischen ansehen: daß
die Obrigkeit eine Zuchtrute haben und auch anwenden soll. Will man die Straßen sauber halten, muß der Kot weggeräumt
werden. Was wir - nach meiner Ansicht - nötig haben, ist ein scharfes und deutliches Pressegesetz, das dergleichen Dinge
unmöglich macht.
Da wir aber ein solches Pressegesetz nicht haben und auch kaum bekommen werden, und da der § 166 zwar im Strafgesetzbuch
steht, aber so gut wie keine Anwendung in der Praxis findet (es könnten sonst sehr viele Bücher des heutigen Marktes weder
gedruckt noch verkauft werden) - so scheint es mir eine Ungerechtigkeit und ein Fehler, nun plötzlich gegen einen Schreiber und
zwei Redakteure einer Studentenzeitschrift die ganze Schärfe dieses Strafparagraphen anzuwenden. Denn die drei jungen Leute
durften mit gutem Grund voraussetzen, daß ihre Verhöhnung des Christentums ihnen keinerlei Schaden bringen, vielmehr ihnen
den Ruf von fortschrittlichen und unabhängigen Geistern eintragen würde. Ich glaube, daß nicht nur der Satz NULLA POENA
SINE LEGE gelten muß, sondern daß ein Gesetz auch im Bewußtsein der Öffentlichkeit sein sollte, eh man es in so scharfer
Weise handhaben kann. Steckt man die Leute für Jahre ins Gefängnis, so werden sie sich als Märtyrer vorkommen, die ganze sog.
"intellektuelle" Presse (d.h., die nicht denken kann) wird ihnen ihr Märtyrertum bescheinigen, und der Aufenthalt im Gefängnis
wird weder ihre Anschauungen reinigen, noch ihre Sitten bessern. Sie haben bis jetzt vielleicht nur verschrobene Ansichten; eine
Gefängniszeit würde sie wohl tatsächlich verderben.
Darum meine ich, daß hier der wohltätige Sinn, den eine Strafe haben soll, nicht gegeben ist. Vielmehr sollte man den drei
Studenten die Armseligkeit ihres Verhaltens vor Augen führen, ihnen eine Geldbuße auferlegen und ihr Blatt verbieten; vor allem
aber sollte man auch ihre Studienarbeit überprüfen. Wenn sie diese rechtschaffen leisten, wird ihnen vielleicht weniger Zeit zur
Abfassung überflüssiger Druckschriften bleiben.

Der Staatsanwalt forderte in seinem Plädoyer, "der Entwertung der Werte im Kreise von Literaten aus ExistenEiaiistenkellern"
entgegenzutreten. Um sich zu vergewissem, ob in Döhls Gedicht klrchliche Einrichtungen beschimpft werden, hörte das Gericht 18
katholische Zeugen, ob sie einzelne Stellen als Beschimpfung aufgefaßt hatten. Alle wurden gefragt: "Fühlen Sie sich durch die
'Missa Profana' in Ihren religiösen Gefühlen verletzt? Halten Sie das Gedicht für eine Beschimpfung der Messe?" Sie alle fühlten
sich verletzt, Hausfrauen, Buchhalterinnen, Buchhändler, Angestellte darunter. Dabei war die Missa Profana in einer
ausschließlich für Studenten herausgegebenen Zeitschrift erschienen. Die meisten Zeugen gaben an, sie verstünden das Gedicht
überhaupt nicht, die einen hatten es von ihrem Pfarrer zugesandt bekommen mit der Aufforderung, sich binnen 24 Stunden dazu zu
äußern, den andern war der Text erst an der Schwelle zum Gerichtssaal in die Hand gedrückt worden. Die Zeugen gaben Urteile
ab wie diese: "Der normale Menschenverstand kann den Sinn des Gedichts nicht fassen", "Ich habe in dem Gedicht insgesamt
keinen Sinn entdeckt", "Es werden nur Dinge gezeigt, die man einfach nicht lesen kann", "Da ist ja von einem Sektor des Lebens
die Rede, der abseits liegt, die Liebe". Ein katholischer Studienrat bekannte: "Hier (vor Gericht) müßte Nietzsche stehen, und hier
müßte Voltaire stehen." Eine Zeugin sah die "Gefahr, daß sich der Katholik gekennzeichnet sieht als Vertreter der
Rückständigkeit", durch Döhls Gedicht gegeben.

Um den literarischen Horizont seiner Zeugen zu prüfen, stellte Landgerichtsrat Dr. Kieefeld die Frage: "Kennen Sie die moderne
Literatur, also Hofmannsthal, Joyce, Rilke und Gerhart Hauptmann?" [...]. Diese Zeugenaussagen wurden "bei Gott dem
Allmächtigen und Allwissenden" beschworen, der Student Reinhard Döhl wurde wegen Vergehens gegen § 166 StGB anstelle
einer an sich verwirkten Gefängnisstrafe von zehn Tagen zu 100,- DM Geldstrafe und zu den Kosten des Verfahrens verurteilt. In
den Gründen wurde dem Verurteilten vorgehalten, er habe - was bei der von ihm beabsichtigten und in langer Denktätigkeit
durchgeführten recht gewagten Verwendung von Teilen des katholischen Messetextes für seine dichterischen Zwecke sehr
nahegelegen hätte - "auch nicht etwa einen katholischen Geistlichen, also einen Sachkundigen, darüber zu Rate gezogen, ob und
gegebenenfalls warum solche Verwendung des Messetextes für katholische gläubige Menschen mehr oder weniger verletzend
wirken könnte".

Die kirchlichen Interessenten und Urheber der gegen Döhls Missa Profana inszenierten Pressekampagne triumphierten und
verteilten den Text des schriftlichen Urteils, noch bevor er Döhls Verteidiger zugestellt worden war. Sogar an Vermutungen über
"Hintermänner in der Sowjetzone", die Döhl inspiriert hätten, fehlte es nicht.

In seiner Revisionsschrift und seinem mündlichen Vortrag vor dem 5. (Berliner) Strafsenat des Bundesgerichtshofes in Sachen
Döhl am 23. Juni 1961 ging Döhls Verteidiger, Rechtsanwalt Helmut Beyer (Göttingen), ausführlich auf die Frage ein, ob die
Freiheit der Kunst denselben Einschränkungen unterliegt wie die Freiheit der Meinungsäußerung, die Pressefreiheit und die
Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film im Grundgesetz.

Während nämlich Satz 2 des Artikels 5 GG bestimmt: "Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorrechten der allgemeinen
Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre", heißt es danach in
Satz 3: "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur
Verfassung." Dementsprechend führte der Verteidiger aus:

Obwohl Art. 142 der Weimarer Reichsverfassung ebenfalls die Freiheit der Kunst garantierte, wurde damals ganz allgemein die
Auffassung vertreten, daß gleichwohl diese Freiheit der Kunst ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen finde. Diese
Auffassung ist heute der Ansicht gewichen, daß die Freiheit der Kunst nach Art. 5 Abs. 3 GG nicht den Schranken der
allgemeinen Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG unterliegt. (Vgl. B.Verw.G vom 21.12.54 in NJW 55/1204 sowie die dort
enthaltenen Nachweisungen.)

Die Schranken der Freiheit der Kunst könnten aber nur dort liegen, wo unter Mißbrauch dieser Freiheit in andere Grundrechte
oder in solche Güter eingegriffen werde, die für den Bestand der staatlichen Gemeinschaft notwendig seien, also dort, wo es sich
bei der künstlerischen Betätigung und der begriffsnotwendig damit verbundenen Veröffentlichung des geschaffenen Werkes um
eine ausgesprochen mißbräuchliche Ausnutzung der verfassungsmäßig garantierten Freiheit handele und der Bestimmungsgrad
der künstlerischen Betätigung nicht mehr im eigentlich künstlerischen Bereiche, sondern in ausgesprochen strafrechtlichen
Bereichen zu suchen sei.

"Ein Mißbrauch der Freiheit der Kunst kann sicherlich nicht schon darin gesehen werden, daß einige Leser das Gedicht ablehnen
oder sich in ihren sogenannten religiösen Gefühlen verletzt glauben. Sprache, Ausdrucksmittel und Ausdrucksform der modernen
literarischen Kunst sind notwendigerweise durch die hinter uns liegende Entwicklung, welche ihrerseits geprägt ist durch zwei
verheerende Weltkriege, eine Zeit der Unterdrückung und Erniedrigung, durch Atombomben und Massenvernichtung in
Konzentrationslagern in starkem Maße geformt und beeinflußt. Die Auseinandersetzung mit diesen Erfahrungen erfordert
sicherlich eine andere Sprache und andere Stilmittel, als sie vor dem ersten Weltkrieg gebräuchlich waren. Dabei müssen
Mißklänge, die dem einen oder anderen nicht gefallen, in Kauf genommen werden..."

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes unter Vorsitz von Senatspräsident Sarstedt sprach den Angeklagten Döhl frei, die
Kosten des Verfahrens gegen ihn wurden der Landeskasse auferlegt. In den Gründen wurde ausgeführt, ein Vergehen nach §
166 StGB werde nicht schon durch die Freiheit der Kunst ausgeschlossen, vielmehr unterliege dieses Grundrecht dem sogenannten
allgemeinen Gemeinschaftsvorbehalt des Artikels 2 Abs. 1 Halbs. 2 des Grundgesetzes. ("Jeder hat das Recht auf die freie
Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder
das Sittengesetz verstößt.") Die verfassungsmäßige Ordnung in diesem Sinne bestehe aus den Rechtsnormen, die formell und
materiell der Verfassung gemäß seien; zu innen gehöre auch der Gotteslästerungsparagraph. "Auch § 166 StGB selbst wird aber
in seiner 'das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt'; denn bei seiner Auslegung muß die Bedeutung
berücksichtigt werden, welche die im Grundgesetz anerkannte Freiheit der Kunst im freiheitlich demokratischen Staate hat...
Bei der Prüfung, ob ein Kunstwerk Einrichtungen oder Gebräuche einer christlichen Kirche beschimpft, entscheidet daher nicht,
wie das Reichsgericht (RGSt 64, 121, 126) meint, allein das Verständnis und das religiöse Gefühl der überzeugten Anhänger dieser
Kirche, soweit sie sich ebenso von übergroßer Reizbarkeit wie von Gleichgültigkeit fernhalten, auch nicht allein das schlichte
Gefühl des einfachen, religiös gesinnten Menschen. Die vom Grundgesetz gewährleistete Freiheit der Kunst erfordert vielmehr,
daß bei der strafrechtlichen Beurteilung eines Kunstwerkes das Wesen der zeitgenössischen Kunst mitberücksichtigt wird, auch
wenn es nicht ganz leicht verständlich ist."

Das Landgericht Göttingen war davon ausgegangen, welchen Eindruck "ein künstlerisch aufgeschlossener oder zumindest um
Verständnis bemühter, wenn auch literarisch nicht besonders vorgebildeter Mensch von dem Kunstwerk hat". Hierzu erklärte das
Bundesgericht: "Wie dieses auf eine solche gedachte Person wirkt, hat der Richter selbst zu beurteilen; nötigenfalls kann er sich
das Kunstwerk von einem Sachverständigen erklären lassen. Bestimmte einzelne Männer und Frauen über die Empfindungen, die
das Werk in ihnen hervorruft, als 'Zeugen' zu vernehmen, war nicht angängig."

Damit ist die in Heidelberg (Paradiesgeschichte) und in Göttingen (Missa Profana) geübte Praxis verworfen worden, wonach eine
Art gesundes Volksempfinden entscheiden soll, wer Gotteslästerer ist und wer nicht. Die Gefühlsschutztheorie des § 166 StGB hat
einen empfindlichen Stoß erlitten.

Das Bundesgericht rügte ferner, daß die Vorinstanz bei ihrer Auffassung, durch bestimmte Verse des Gedichts werde der
Marienkult der katholischen Kirche beschimpft, nicht den Zusammenhang der Verse mit dem übrigen Inhalt des Gedichts
berücksichtigt habe. "Bei rechtlich einwandfreier Auslegung ist es unmöglich, in der oben behandelten Stelle eine Beschimpfung
der Marienverehrung zu finden."

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FM [Felix Mondstrahl, d.i. Richard Salis] | Wir lesen unter dem Fallbeil

Reinhard Döhl / Missa Profana, Zeit- und Liebesgedichte, Wolfgang Fietkau Verlag, Berlin-Zehlendorf, 34 Seiten, DM 2,80.
Döhl schreibt für eine Kaste, für die Kaste der Beinheber, die gleich ihm gerne pinkeln möchte und ach! nicht kann. Völlig
unverständlich, wie es wegen des Titelgedichtes, nämlich der Missa Profana, überhaupt zu einem Prozeß kommen konnte. Was ist
denn an dem "Dingsda" (Bezeichnung eines Landgerichtsrates namens Dr. Kleefeld) so Aufregendes und Ägernis Erregendes
dran? Wortsalate, auch wenn sie frisch aus der Schreibmaschine von ehrgeizigen Studenten kommen, sollte man nicht
überbewerten. Auch wenn sie von Prof. Max Bense empfohlen werden. Gerade weil die von dem lieben Prof. Max Bense

empfohlen werden.

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Vgl. auch Jürgen P. Wallmann u.a. | Schmarotzen als Stilprinzip