siebenhundertfünfzig. ein spiel | gillray was here | die belämmerten ziegen | 12 purzelkarten fürs estherle | 13 mozartkugeln fürs schätzle | die woge, nach ernst max | rekonstruktion einer heiligen oder die himmelfahrt der anna selbdritt, nach ernst max | der nicht mehr einsame turner, nach baumeister willi | ikarus
siebenhundertfünfzig. ein spiel
die 1. handlung spielt in potsdam. in schloß sanssouci wird friedrich der kleine wieder einmal vom zipperlein geplagt. zur ablenkung läßt er sich von heinrich heine aus hamburg den nachttopf karls des großen bringen, worauf auch er einer ohnmacht nahe ist und der vorhang über die geschichte fallen kann.
im 1. zwischenspiel enthüllt helmut kohl (souffliert von philipp jenninger) in einem längeren entscheidungsmonolog seine inneren gedanken und den plan, den bonnbonnierendeckel nebst ecktürmen, hauptportal und fassadenschmuck zu restaurieren, während christo (gegenspiel und steigende handlung) den reichstag durch verpacken vor der bonner restauration bewahren möchte.
die 2. handlung spielt in plötzensee. sie ist jenen festspielbesuchern zugedacht, denen die gnade der späten geburt nicht zuteil wurde. um deutlich zu machen, daß nicht jede aufhängevorrichtung ein garderobenhaken ist, wird die handlung aber auch jenen gewidmet, die ihrerzeit gewissen und rechtsempfinden an der garderobe abgegeben hatte.
das 2. zwischenspiel ist eine klassische rüpelszene in einer version des frontstadttheaters. das bewußtsein, an vorderster front zu stehen, könnte bei steigendem spiel und gegenspiel in ebenfalls klassischer stichomythie in der sequenz gipfeln: bulle (sich vorbeugend, höflich): natty? punker (entgegenkommend und sich ebenfalls vorbeugend): bumppo!
die 3. handlung und zugleich peripethie des festspiels versammelt einige westberliner baulöwen in ländlicher idylle (berlin is doch keen dorf nich!) im wirtshaus gatow, das in fontanes werken nicht vorkommt und westdeutschen touristen gegenüber als adria-grill getarnt ist. einziges diskussionspunkt sind die zukunftsaussichten der postmoderne. entsprechend steht
das 3. zwischenspiel unter dem motto never moore minetti! in einem elegischen monolog beklagt der künstlich beatmete schauspieler auf einer parkbank nuschelnd das vermoorte tegel und räsoniert über die positiven konsequenzen, die eine seinerzeitige vermerzung berlins durch kurt schwitters gehabt hätte.
die 4. handlung verlegt den schauplatz nach ostberlin. sie berichtet in deutlich fallender handlung von den festvorbereitungen im ostsektor der stadt, die jedoch opfer der berichterstattung durch das zdf werden. der vorschlag höfers, diepgen und krack möchten wenigstens für einen frühschoppen ihre sessel tauschen, ist allenfalls retardierendes moment. in teicho-skopie zeigt
das 4. zwischenspiel bilder von der revue roter rummel<, die erwin piscator a.g. mit mitgliedern des metropol-theaters inszeniert hat (hauptrolle: dachdecker erich). hinter dem vorhang aufgenommene bilder von den kreuzberger umzügen können nur westlich der elbe und nördlich der mainlinie empfangen werden, da sich die berliner festspiele und der bayerische staatsrundfunk aus der direktübertraghung ausgeblendet haben.
die 5. handlung führt zu dem längst erwarteten ende vor historischer kulisse. während sich die hauptakteure zum obligaten show down am kalten buffett treffen, tragen die demonstrierenden zuschauer transparente mit sich, auf denen straßenzüge kreuzbergs, das vermoorte tegel und ein schließlich doch von christo verpackter reichstag zu erkennen sind. gleichzeitig mit dem absingen der lokalhymne das ist die berliner luftluftluft wird smogalarm gegeben und fällt der
vorhang
[das festspiel gehört mit den entsprechenden collagen/illustrationen zu der kunst&kompostkartenkorrespondenz mit wolfgang ehehalt. heute im archiv der akademie der künste, berlin]
gillray
was here
eine geschichte in bildern
[netzfssg]
der fall ist klar man geht
spazieren
um sich ein wenig auszuführen
er hebt es links sie hebt
es rechts
nach alter sitte des geschlechts
dann geht es rund man sieht
soeben
die beiden etwas ab sich
heben
was sich nicht umbringt macht
sich stärker
er lispelt lotte und sie
werther
frau steht auf mann und mann
auf frau
auf mann zwecks einer mauerschau
und während wir genau
noch hinsehn
geht manches unterdes in
binsen
sieht sie an und für
sich das glück
zieht er sich mehr und mehr
zurück
ist wie nun mal der lauf
der welt
sie kopf auf fuß und
fuß auf kopf gestellt
verliert die etikette in
gesellgem treiben
ganz peu a peu das unterleiben
erkennt man daß nur
rechts noch steht
was links kopfüber
untergeht
und in dem mancherlei bemühn
wird androgen zu androgyn
sie steht auf du er wir ihr
ich
und er auf sich ganz fürchterlich
dann geht mit ihm sie und
mit sich
und er mit sich gar auf
den strich
bis schließlich schrittweis
die auguren
die zukunft lesen aus den
spuren
der beiden die jetzt büßen
müssen
daß sie abhanden mit
den füßen
eins zwei dreifältig
doch in klarheit
erscheint zum schluß
die binsenwahrheit.
[1987. poster; die original collagen: grafische sammlung, stuttgart]
die
belämmerten ziegen
1. fssg. 1987 [netzfssg]
2. mail art-fssg 1994 im
besitz von ulrike müller-herancourt
3. fssg, "das ziegenballett",
grafische sammlung, stuttgart
4. das ziegenballett
(zus. mit bernhard knoblach) 1998
12 purzelkarten fürs estherle [netzfssg]
dieses kleine mädchen
hier
kommt dir das nicht putzig
für?
doch es geht wie überall
hochmut kommt stets vor
dem fall
darum folgen wie mans kennt
bäume die man purzel
nennt
dennoch geht’s noch einmal
gut
weil das ärschle bremsen
tut
und weil neu die schönen
kleider
geht der text noch etwas
weiter
folgt der handstand
auf der standhand
doch der will nicht
darum spielt sich
alles wie beim ersten mal
ab dem ärschle ists
egal
und noch einmal sind wir
mutig
ist das ärschle auch
schon blutig
legen hand wir an den grund
turnen ist ja soo gesund
schlagen rad und purzeln
weiter
auf der lebens hühnerleiter
um am end wie alle frommen
auf dem arsch zu sitzen
kommen.
[1988]
13 mozartkugeln fürs schätzle [netzfssg.]
1 tuen wir jetzt hugendubeln
oder gehn wir mozart kugeln?
2 ein mozartfan ist wie bekannt
nachts mehr musik als bei
verstand.
3 dem mörike sein mozart
auf der reise
nach prag aß keine
götterspeise.
4 don giovanni kommt hier
nur
einmal die woche: müllabfuhr.
5 was dem schwaben sein sträßle
ist dem mozart sein bäsle.
6 ein mozartzopf ist sehr
verfänglich
ein negerkuß ist mehr
vergänglich.
7 den zipfel einer wurst
erhält man schneller
als käufer einer mozartella.
8 der brief an maestro rubinstein
von mozart war nicht stubenrein.
9 wenn kühe rindern
ist es zeit zu decken
der rilling bacht im mozartsaal
die becken.
10 ein trüber tag beginnt
nicht mit der morgenröte
mit einem dreiklang stets
die zauberflöte.
11 die sedelmeier ist kein
papageno
drum scheiden sie und rommel
sich demnächst in reno*).
12 sire goennewine**) stands
out the door
im mozartjahr kömmt
er noch vor.
13 wir wissen was von ihm
wir haben
nur nicht wo mozart eingegraben.
[1990]
*) nachtrag 1996: namen
sind nicht nur im stuttgarter kulturleben austauschbar. so müßte
der 12. zweizeiler heute z.b. heißen:
magdowski
iris jana ist kein papageno
drum
scheiden sie und ostberg sich demnächst in reno.
**) we do not need sir gönnewein
we need
more cars and aeroplein
rekonstruktion einer heiligen oder die himmelfahrt der anna selbdritt, nach ernst max
der nicht mehr einsame turner, nach baumeister willi
[die überwiegend in den 80er jahren entstandenen geschichten in bildern wurden 1990 in der wendlinger retrospektive gezeigt]