Abstract: Jacob Picard (1883-1967), der mit seinen Erzählungen das (alemannische) Landjudentum auf literarisch so hochstehende wie anrührende Weise tradiert hat, bedarf heute noch derselben Vermittlung wie zu seinen Lebzeiten. Denn nach wie vor ist unser Bild vom Judentum durch Vorstellungen bestimmt, die für das Landjudentum wenig Platz lassen - wenn es denn zwischen den beiden großen Polen Ghetto und Assimilation überhaupt Beachtung findet. In den Erzählungen Picards (in "Der Gezeichnete", 1936; neu als "Die alte Lehre", 1963 bzw. in "Werke in zwei Bänden", 1991) jedoch gewinnt das "Phänomen Landjudentum" aufs neue Gestalt, und zwar auf doppelte Weise: zum einen wird hier einer vermeintlich minderen Lebens- und Erscheinungsform des Jüdischen mit erzählerischen Mitteln Gerechtigkeit zuteil; zum anderen wird dieses Judentum hier in seiner besonderen Qualität deutlich. Picard zeigt es uns nämlich im Licht eines friedlich-nachbarlichen Miteinander und einer deutsch-jüdischen Symbiose, so daß nicht jüdische Selbstverleugnung und "Verstecken vor der Umwelt" angesagt sind, sondern Geltenlassen - gerade w e i l man Jude ist.
Der Referent: Manfred Bosch, geboren 1947 Bad Dürrheim,
lebt als freier Schriftsteller in Lörrach. Zahlreiche Publikationen
und Herausgaben zur südwestdt. Zeit-, Literatur- und Kulturgeschichte,
u.a. "Boheme am Bodensee" (1997), "Hiergeblieben" (1997), "Kultur-Land"
(2001). Herausgeber der Werke Jacob Picards; Mitherausgeber der Zeitschrift
"Allmende" und Vorsitzender der Literarischen Gesellschaft "FORUM ALLMENDE".
Manfred Bosch (Hg.): Jacob Picard. Werke. Libelle Verlag, Lengwil am
Bodensee, 1996.