Reinhard Döhl | Ballade, Bänkelsang, Legende
Zum Beispiel "Der Handschuh"

In der ersten Vorlesung hatte ich aus Arno Holz' "Blechschmiede" zitiert:

Weg, du Epopöe in Stanzen,
abgestanden ist der Bräu.
Heil, Roman dir in Romanzen,
du bist funkelnagelneu!

Wat? Roman un denn Romanzen?
Son Jeschmatze und Jeschmuhs!
Danach konnte man ja danzen,
schon als Karl durcht Posthorn bluhs!

Ausgeseufzt hat die Romanze,
die Ballade hat gebumst.

Ich bin nach der ersten Vorlesung kritisiert worden, dieses und andere Zitate hätten des Kommentars bedurft. Ich wiederhole also einleitend zum heutigen Gegenstand das Zitat und gebe den gewünschten Kommentar.

Literaturgeschichtlich zielt Arno Holz auf die Zeit von der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis Ende des 19. Jahrhunderts, die Ablösung des Epos nun allerdings nicht durch den Prosaroman, sondern zunächst durch die "Epopöe in Stanzen", dann den "Roman in Romanzen", wobei die "Epopöe in Stanzen" bereits ein beachtliches Alter aufweisen konnte, seit sie im 13. Jahrhundert erstmals in Italien als Versmaß der erzählenden Dichtung eingesetzt wird, so z.B. in Ludovica Ariostos "Orlando furioso" (1516) oder in Torquato Tassos "Apologia della Gerusalemme liberata" (1588) und "Gerusalemme conquistata" (1593).

Deutschlands bekanntestes und folgenreichstes Stanzenepos wurde Wielands "0beron" (1780), in allerdings abgewandelten Stanzen; wie wir sie auch in Aboys Blumauers "Abenteuer des frommen Aeneas; oder Virgils Aeneis travestiert" (1882/88) vorfinden. Während im Normalfall Parodien und Travestien das Ende einer Gattung andeuten, kam es im Falle der Stanze in der Jenaer Romantik (1799/1800) zu einer regelrechten "Stanzenmode", versuchte sich noch 1896 Detlev von Liliencron an einem Stanzenepos: "Poggfred", gegen welches unter anderem in Arno Holz' "Blechschmiede" gezielt wurde. Das mag, da der heutige Gegenstand die Romanze ist, an Hinweisen genügen.

Unter "Roman in Romanzen" sind Romanzensammlungen zu verstehen, die einen epischen Zusammenhang bilden, in Spanien z.B., woher auch die Romanze stammt, der "Romancero del Cid" (1605), in Deutschland vor allem Johann Gottfried Herders "Cid" oder Clemens Brentanos "Romanzen vom Rosenkranz", auf beides werde ich noch zu sprechen kommen. Auch im Falle der Romanze gilt für die Romantik eine modische Vielfalt, bis Karl Leberecht Immermanns "Tulifäntchen" (1830) und Heinrich Heines "Atta Troll" (1847) durch parodistische Verwendung der Romanzenform eine abgewirtschaftete Gattung noch einmal zu beleben versuchen.

Nun besteht wie im Falle von Bänkelsang und Ballade auch im Falle von Romanze und Ballade die Schwierigkeit genauer Abgrenzung, werden - worauf ich bereits mehrfach hinwies - Ballade und Romanze weitgehend synonym verwandt, sind sie allenfalls in ihrer Vorgeschichte deutlicher zu trennen: z.B. die nordischen Volksballaden, die Kaempeviser oder die ballads der Percyschen Sammlung von den spanischen Romanzen, und die wiederum von den italienischen ballatas, die im Gegensatz zu den spanischen Romanzen getanzt werden konnten, ebenso wie die Kaempeviser. Hier irrte also Arno Holz.

Im Zusammenhang der Vorlesung handelt es sich in allen Fällen um Vorformen, nur soweit interessant, wie sie für die Geschichte der Kunstballade konstitutiv wurden. Womit ich endgültig zur Romanze komme, bzw. zunächst zum synonymen Wortgebrauch von Romanze und Ballade. Und ich möchte mit einer Ballade Friedrich Schillers beginnen, die den meisten auch heute noch, wenigstens bruchstückhaft oder parodiert, geläufig ist,

Der Handschuh

Vor seinem Löwengarten,
Das Kampfspiel zu erwarten,
Saß König Franz,
Und um ihn die Großen der Krone,
Und rings auf hohem Balkone
Die Damen in schönem Kranz.

Und wie er winkt mit dem Finger,
Auf tut sich der weite Zwinger,
Und hinein mit bedächtigem Schritt
Ein Löwe tritt,
Und sieht sich stumm
Rings um,
Mit langem Gähnen,
Und schüttelt die Mähnen,
Und streckt die Glieder,
Und legt sich nieder.

Und der König winkt wieder,
Da öffnet sich behend
Ein zweites Tor,
Daraus rennt,
Mit wildem Sprunge
Ein Tiger hervor.
Wie der den Löwen erschaut,
Brüllt er laut,
Schlägt mit dem Schweif
Einen furchbaren Reif,
Und recket die Zunge,
Und im Kreise scheu
Umgeht er den Leu
Grimmig schnurrend;
Drauf streckt er sich murrend
Zur Seite nieder.

Und der König winkt wieder,
Da speit das doppelt geöffnete Haus
Zwei Leoparden auf einmal aus,
Die stürzen mit mutiger Kampfbegier
Auf das Tigertier,
Das packt sie mit seinen grimmigen Tatzen,
Und der Leu mit Gebrüll
Richtet sich auf, da wird's still,
Und herum im Kreis,
von Mordsucht heiß,
Lagern die greulichen Katzen.

Da fällt von des Altans Rand
Ein Handschuh von schöner Hand
Zwischen den Tiger und den Leun
Mitten hinein.

Und zu Ritter Delorges spottenderweis
Wendet sich Fräulein Kunigund:
"Herr Ritter, ist Eure Lieb so heiß,
Wie Ihr mir's schwört zu jeder Stund,
Ei, so hebt mir den Handschuh auf."

Und der Ritter in schnellem Lauf
Steigt hinab in den furchtbarn Zwinger
Mit festem Schritte,
Und aus der Ungeheuer Mitte
Nimmt er den Handschuh mit keckem Finger.

Und mit Erstaunen und mit Grauen
Sehen's die Ritter und Edelfrauen,
Und gelassen bringt er den Handschuh zurück.
Da schallt ihm sein Lob aus jedem Munde.
Aber mit zärtlichem Liebesblick -
Er verheißt ihm sein nahes Glück -
Empfängt ihn Fräulein Kunigunde.
Und der Ritter, sich tief verbeugend, spricht:
"Den Dank, Dame, begehr ich nicht",
Und verläßt sie zur selben Stunde.

Ich habe nach dem Erstdruck im Musenalmanach von 1798 zitiert, dessen drittletzter Vers noch recht moderat lautet, um später gegen "Und er wirft ihr den Handschuh ins Gesicht" ausgetauscht zu werden.

Schiller hatte Goethe den "Handschuh" mit der Bemerkung übersandt. es handle sich bei ihm um "ein kleines Nachstück zum Taucher", und Goethe hatte geantwortet, er sei "ein artiges Nach- und Gegenstück", das "durch sein eigenes Verdienst das Verdienst jener Dichtung um so mehr" erhöhe. Mit "Gegenstück" spielt Goethe dabei über das Formale hinaus auf den anderen Schluß an. Denn wird im "Taucher" der Knappe Opfer königlicher Willkür, kommt im Handschuh der 'dienende' Ritter mit dem Leben davon, wird das "Fräulein Kunigunde" - wenn man so will - das 'Opfer' ihrer eigenen Willkür. Ein dennoch positives Ende also hier, ein negatives dort.

Schiller wählte für beide Gedichte im Almanach 1798 die Bezeichnung Ballade, sprach aber 1799 im Falle des "Kampfes mit dem Drachen" und der "Bürgschaft" von Romanzen, ohne daß sich dem Briefwechsel oder anderen Orts ein Grund für diesen Wechsel der Gattungsbezeichnung entnehmen ließe. Friedrich Theodor Vischer hat in seiner "Ästhetik" (Bd VI) diese Gattungsunsicherheit durchaus registriert und anläßlich der Bezeichnung Romanze für den "Kampf mit dem Drachen" angemerkt:

"Sonderbar, tut er (= Schiller, R.D.) es wegen der lichten Deutlichkeit und beredten Entwicklung im Stile, so hätte er alle seine episch-lyrischen Gedichte Romanzen nennen können, außer dem Taucher (...) wählt er den Namen wegen des glücklichen Ausgangs im Gegensatze mit der tragischen Schicksalsidee in den andern, so wären der Gang nach dem Eisenhammer, der Graf von Habsburg, die Bürgschaft (die Schiller später als Ballade bezeichnete) auch Romanzen zu nennen."

Nimmt man hinzu, daß Goethe ursprünglich in seinen gesammelten Werken den einschlägigen Abschnitt Balladen und Romanzen überschreiben wollte, Sulzer, Blankenburg und Eschenburg in ihren Theorien beide Bezeichnungen verwenden, Eschenburg mit dem Zusatz: "Zwischen Romanzen und Balladen scheint durchaus kein wesentlicher Unterschied zu sein", scheint eine Unterscheidung zwischen Romanze und Ballade wie schon zwischen Bänkelsang und Ballade kaum möglich, zumindest aber bis zu dem Zeitpunkt, an dem man um 1800 noch einmal den Versuch einer Trennung macht.

Woher Schiller die Anregung für den "Handschuh" bekommen hat, ist nicht geklärt. Der Stoff war damals bereits mehrfach bearbeitet, unter anderem von August Friedrich Ernst Langbein in "Die Liebesprobe", einem Gedicht, daß in seiner
Regelmäßigkeit allerdings den Vergleich mit Schillers gespannter Verssprache kaum standhält.

Zum Thiergefecht auf rings umschranktem Plane
Ergoß sich zahllos Stadt und Land:
Und als schon kühn, mit wild gefletschtem Zahne,
Der Tieger vor dem Löwen stand,
Entschwebte schnell ein Handschuh von Altane
Aus eines schönen Fräuleins Hand.

Ihn trug der Wind tief in den Kreis der Schranken,
Und lachend sprach die Dame laut
Zu ihrem Freund, der mit der Liebe Ranken
Fest an ihr hing: "Herr Ritter, schaut
Den Handschuh dort! Liebt ihr mich ohne Wanken,
So geht und bringt ihn eurer Braut!"

Stumm ließ er sich aufs Feld des Todes schicken,
Hub zwischen Löw' und Tiegerthier
Den Handschuh auf, reicht ihn mit ernsten Blicken
Der Dam' und sprach kein Wort als: "Hier!"
Dann kehrt er stolz der Frevlerin den Rücken,
und schied auf Lebenszeit von ihr.

(1, 78 f.). Schiller könnte, muß aber nicht das Gedicht Langbeins gekannt haben. Als Quelle gibt er allerdings "Saint Foix, Essais historiques sur Paris", London 1754/5 an. (Brief an Goethe vom 18.6.97). Auffallend ist in beiden Fällen der Schluß, denn die Stoffgeschichte tradiert ihn anders. Diese Stoffgeschichte führt nach Italien und eigentlich nach Spanien. Dort wird der Stoff anspielt in einem Trauerspiel von Calderon und einem Schauspiel Lope de Vegas (El Guante de Donna Blanca / Der Handschuh der Donna Blanka), in dem der König bemerkt:
   Die Kastilianer pflegen
Viel zu preisen einen Ritter,
Der (wo wie wir hier es sehen)
Aufhob seiner Dame Handschuh,
Welchen hinterlistig jene
Warf in Mitte zweier Löwen,
Ihn zu prüfen.
Worauf Don Pedro antwortet:
   Sehr bedenklich
Wär' es, Herr, dem nachzuahmen,
Weil darauf ihr der Beherzte
Einen Schlag ins Antlitz gab.
Wahrscheinlich hat Lope des Vega den Stoff von dem neben Boccaccio wichtigsten italienischen Renaissance-Novellisten Matteo Bandello, der sich seinerseits wieder auf eine Erzählung des Kataloniers Valenza beruft. In Bandellos Novelle spielt die Geschichte am Hof von Sevilla, wo der König Löwen halten ließ, zu deren Fütterung sich die zum Hofe Gehörenden einfanden, darunter auch Leonore und Juan Manuel. Leonore ließ versehentlich oder absichtlich ihren parfümierten Handschuh in den Zwinger fallen und brach in Tränen aus: "Gott, wer wird mir meinen Handschuh, der mir so lieb war, wiederbringen? Jetzt wird sich zeigen, wer mir wohl will." Darauf stieg Don Manuel hinab, nahm den Mantel um den linken Arm, den Degen in die Rechte, ließ sich das Gitter öffnen, holte den Handschuh, brachte ihn Leonore, verbeugte sich, küßte den Handschuh, übergab ihn und der Dame eine kräftige Ohrfeige mit der Bemerkung: "Diese (...) habe ich euch gegeben, damit ihr ein andermal lernet, Ritter meines Gleichen nicht in Gefahr zu setzen". Die Königin, empört, daß ein Ritter es wagte, in ihrer Gegenwart eines ihrer Fräulein zu ohrfeigen, läßt Don Manual für einige Zeit vom Hofe verbannen und tadelt die Torheit eines Mannes, der sich unter die Löwen wagt und dann den Mut hat, ein Fräulein zu schlagen. (Zit. Schmidt, 142)

Ich überspringe weitere Belege der Stoffgeschichte und zitiere abschließend nur noch eine Volksromanze, die mit ca 1500 datiert wird und damit der älteste nachweisbare Beleg wäre, der in seiner ersten Strophe aber zugleich auf eine noch weiter zurückreichende Stofftradition verweist:

Graf Don Manuel von Leon
wurde oft im Lied besungen.
Hört die Tat, die schönsten Lohn,
höchsten Ruhm ihm hat errungen.

Dona Ana von Mendoza
in dem Schloßpark ging spazieren
in Begleitung ihrer Damen
und umschwärmt von Kavalieren.
Und sie wandelt durch die Gärten,
durch Alleen, Kolonaden
zu des Aussichtsturmes Stufen,
die zu Rast und Umschau laden.

Plötzlich hören sie ein Brüllen:
Unter ihnen liegt ein Zwinger
mit vier aufgeregten Löwen..
Dona Ana läßt vom Finger,
wie es scheint, ganz aus Versehen
ihren schönen Handschuh gleiten.
Er fällt mitten in die Grube.

Zu den Herrn, die sie begleiten,
spricht die Dame, schmeichelnd sanft:
"Jetzt muß es sich klar erweisen,
wer in diesem edlen Kreise
ist als Tapferster zu preisen.
Wer den Handschuh mir beschafft
furchtlos aus der Löwen Mitte,
sei mein Ritter und Gemahl,
ihm erfüll ich jede Bitte."

Graf Don Manuel von Leon,
Rittersmann von Mut und Adel,
hört den spöttisch leichten Ton,
fühlt den Angriff und den Tadel.
Zorn und Liebe sind im Streite.
Doch sein Schwert ergreift der Ritter,
Deckt den Arm mit seinem Mantel,
öffnet schnell das Löwengitter.
Sprungbereit die Katzen lauern,
aber blitzschnell, wie gekommen,
hat den Rückweg er gefunden
und den Handschuh mitgenommen.

Oben vor der Dame aber
packt der Zorn ihn, den so lange
er bezähmt hat, und gar unsanft
trifft ein Streich des Mädchens Wange.
"Diesen Schlag, o Dona Ana
nehmt ihn hin als eine Lehre!
Spielt um eines Handschuhs willen
nicht mit eines Ritters Ehre!
Doch scheint einem eurer Herren,
was ich tat, allzu verwegen,
will ich's nach dem Ritterrechte
gern vertreten mit dem Degen."

Schnell gab Dona Ana Antwort,
klug und mild ist ihre Rede:
"Trete niemand aus dem Kreise,
denn hier ist kein Grund zur Fehde.
War mein Mund zu stolz und spöttisch,
Don Manuel, er wird es sühnen.
Dies genügt: ich hab bewiesen
Euch als Kühnsten aller Kühnen.
Wollt mein Herz Ihr? Es gehört Euch,
seit ich weiß, daß Mut Euch adelt.
Und der taugt wohl zum Gemahl auch,
der das Schlechte tapfer tadelt."

Als das schöne stolze Mädchen
so sich selber hat bezwungen,
war im Herzen ihres Ritters
Zornes Stimme bald verklungen.
Seht, sie tauschen frohe Blicke
und zum Glücksbund ohne Ende
vor den Rittern und den Damen
geben beide sich die Hände.

(Tausendmund, 161 f.).

Dreierlei möchte ich zu dieser Volksromanze anmerken, bzw. in Skizze herausstellen: inhaltliche Unterschiede zu Schiller, das Alter der Romanze und ihre Form.

Verglichen mit Schillers "Handschuh" ist vor allem die Schlußpointe auffällig. Zwar straft der Ritter in den Romanze wie in der Ballade die Dame, aber diese Strafe wird von der Dame akzeptiert in einem gesellschaftlichen Kodex, der nicht nur Tapferkeit sondern auch den Mut, Schlechtes zu tadeln, einschließt. Dabei fällt die Strafe mit einer öffentlichen Ohrfeige recht drastisch aus. In seiner ersten Fassung fehlt Schillers "Handschuh" (in deutlicher Nähe zu Langbeins "Liebesprobe") diese Drastik. Daß Schiller in der zweiten Fassung der Dame "den Handschuh ins Gesicht" werfen läßt, nähert seinen Schluß der ursprünglichen Romanze, dem Romanzenstoff an, den er in der Zwischenzeit in irgendeiner Form kennen gelernt haben muß.

Denken ließe sich an die Novelle Bandellos, aber beweisen läßt sich dies nicht. Wäre Bandello der Zwischentrräger, vernachlässigt Schiller die dort mitgeteilte zeitweilige Verbannung vom Hofe, die ja auch Langbein nicht kennt. Dafür vermehrt Langbein bereits die in der Stofftradition ursprünglich ausschließlichen Löwen um einen Tiger, was Schiller dann noch einmal mit Leoparden steigert, was über die dramatische Steigerung hinaus das Ungeheuerliche der Aufforderung Kunigundes schon fast zu deutlich herausstellt. Die Aufforderung Kunigundes ist ebenso wie die Aufforderung des Königs in "Der Taucher" als ein Akt der Willkür zu verstehen; und zugleich als Kritik am Feudalismus. Entsprechend darf Kunigunde auch nicht erkennen, was Dona Ana lobt: die Berechtigung des Tadels.

Auf die leicht erkennbaren formalen Unterschiede möchte ich im Einzelnen nicht eingehen mit Ausnahme des Adressaten. Schillers Adressat ist primär der L e s e r. Für ihn wird das Geschehen in gesteigerter Dramaturgie auf die Schlußpointe hin aufbereitet. Das ist bei der Volksromanze durchaus anders:

Bei ihr ist der Adressat ein Zuhörer, nicht Schriftlichkeit sondern Mündlichkeit zeichnet sie aus:

Hört die Tat, die schönsten Lohn,
höchsten Ruhm ihm hat errungen.
Fast schon auf den Bänkelsänger vor weisen die letzten vier Verse:
Seht (!, R.D.), sie tauschen frohe Blicke
und zum Glücksbund ohne Ende
vor den Rittern und den Damen
geben beide sich die H'ände.
Aber Schilder gab es zu den Volksromanzen noch nicht. Ihre Sänger und den Bänkelsänger zu einer Person verschmolz erst sehr viel später Johann Wilhelm Ludwig Gleim.

Meine zweite Anmerkung betrifft das Alter dieser Romanze bzw. ihres Stoffes. Unüberhörbar sind die ersten Verse:

Graf Don Manuel von Leon
wurde oft im Lied besungen.
Es muß also bereits eine Fülle von Romanzen um diesen Don Manuel gegeben haben, denen sich nun diese Romanze als weitere zugesellt:
Hört die Tat, die schönsten Lohn,
höchsten Ruhm ihm hat errungen.
Ranken sich derart mehrere Romanzen um eine offensichtlich historische Persönlichkeit und ihre Taten, lassen sie sich auch zu Zyklen zusammenfassen und so etwas wie ein volkstümliches Heldenlied bilden. Diese Verbindung zum Heldenlied hat auch die spanische Romanzenforschung erkannt. So sind nach Menendez Pidal die ersten Romanzen Bruchstücke alter mündlich überlieferter Epen, die in der subjektiven Interpretation des Sängers verändert wurden (MGG XI, 845).

Eine solche Epenvorlage habe ich für die Romanzen um die Figur des Don Manuel nicht ermitteln können. Aber historisch ist der Stoff dennoch einzukreisen, undzwar über eine "Historia de las guerras civiles de Granada, por Gines Perez de Hita", die, Paris 1606 erschienen, eine arabische Quelle vorgibt. Innerhalb dieses Buches berichtet das 17. Kapitel, wie König Ferdinand sich Granada nähert und in Kreuzform (!, R.D.) eine Schanze baut. Vor dieser Schanze erscheint eines Morgens auf schwarzem Pferd ein Mohr und fordert die Ritter auf Santa Fe zum Zweikampf auf, undzwar namentlich, darunter

   auch Don Manuel
Ponce de Leon, der tapfre,
Jener der den Handschuh aufnahm
den man absichtlich ließ fallen
Hin dort wo die Löwen hausten
Und er holt ihn ohne Zagen.

0 el bravo Don Manuel,
Ponce de Leon llamado,
Aquel que sacava el guante,
Que por industria fue echado
Donde estaban los leones,
Y el lo saco muy osado.

Damit gehört die Romanze, gehören die Romanzen um Don Manuel in die Zeit der Auseinandersetzungen zwischen Mauren und Christen in Spanien; oder genauer in die Endphase des muslimischen Spaniens. Granada war der letzte arabische Staat auf europäischem Boden, erlebte im 14. Jahrhundert eine kulturelle Glanzzeit, bis es 1492 nach einem mehr als zehnjährigen Krieg gegen das "Katholische Königspaar" (Isabella I von Kastilien und Ferdinand II von Aragonien) sein Ende fand.

Es ist mir wichtig, zu betonen, daß die Romanze in einer Zeit entstand, in der Spanien unter maurischer Herrschaft mehrere kulturelle Höhepunkte erlebte, und vor allem - das wird für die Bewertung der Romanzen Heinrich Heines noch einmal wichtig werden - eine ausgesprochen tolerante Gesellschaftsform ausbildete, in der Araber, Christen und Juden in wechselseitiger Tolerierung und kultureller Befruchtung nebeneinander und miteinander zu leben verstanden.

Ich möchte es noch deutlicher sagen: nicht die spanischen Christen, die Katholische Kirche und die Inquisition waren es, die schließlich die Juden und Araber vertrieben und damit eine in der Geschichte bisher einmalige multikulturelle Zeit des Zusammenlebens gewaltsam beendeten. Und ich verstehe die Anmerkung durchaus als aktuelle Anspielung.

Doch zurück zu den Romanzen: gehört diese populäre Romanze über Don Manuel, gehört die Tat Don Manuels, die auch Cervantes im "Don Quijote" im Zusammenhang des Abenteuers mit dem Löwen zum (allerdings ironischen) Vergleich bemüht:

"0 du heldenstarker und über allen Preis tapferer Don Quijote von der Mancha, du Spiegel, worin sich alle Kämpen der Welt spiegeln können, du zweiter, wiederaufgelebter Don Manuel de Leon, der da Ruhm und Ehre war der Ritter in spanischen Landen! Mit welchen soll ich diese so erschreckliche Großtat erzählen, oder mit was für Worten soll ich sie den kommenden Jahrhunderten glaublich machen?" (II, 165). ~

Über den Apparat einer kritischen Ausgabe des "Don Quijote" habe ich inzwischen auch weitere Hinweise auf den Don Manuel der Romanze finden können:

Don Manuel de León, Ritter zur Zeit des / unter dem "Katholischen Königspaar" galt als tapferer Ritter und hat als solcher zahlreiche Romanzen inspiriert. Gesammelt von Timonesda in "Rosa gentil" (1573). Ob Don Manuel wirklich einen Löwenkäfig betreten hat oder der Vorgang nur seine Tapferkeit bildlich erhellen soll (= ein tapferer Ritter betritt unangefochten den Käfig des tapferen Löwen), ist ungeklärt.

Gehört, sagte ich, Don Manuel, zu den Romanzenhelden der Endzeit des maurischen Spaniens, fallen die Kämpfe und Taten eines anderen Romanzenhelden in die Anfänge der Reconquista (Rückeroberung). Ich spreche von Rodrigo Diaz de Vivar, genannt el Cid (1043-1099), spanischer Ritter und Nationalheld, über den es mehrere Heldenepen gibt. Das "Poema del Cid" (um 1140) wird von der Forschung sogar als "eines der glanzvollsten Epen des romanischen Sprachbereichs (MEL, V, 733) hervorgehoben. Daneben (oder auch daraus, s.o.) entstanden im/seit dem 14. Jahrhundert zahlreiche Romanzen, die 1551 im "Romancero" des Lorenzo de Sepulveda erstmals gesammelt wurden. Ich werde darauf im Zusammenhang mit Herders "Der Cid" noch einmal zu sprechen kommen.

Schiller - um damit die Anmerkung zum Alter der Don Manuel-Romanze abzuschließen, kannte den Originalhelden entweder nicht oder er war an historischer Treue nicht interessiert: jedenfalls verwendet er entsprechend seiner Quelle nicht nur andere Namen sondern ortet das ganze Geschehen auch Frankreich unter Franz I.

Auch auf die Form der Romanze - und damit komme ich zu meiner dritten Anmerkung - auf die Form der Romanze nimmt Schiller in keiner Weise Rücksicht. Die Form der Romanze scheint aber zuächst überhaupt Schwierigkeiten bei ihrer Adaption ins Deutsche gemacht zu haben. Was seinen Grund unter anderem darin haben dürfte, daß die romanische Dichtung silbenzählend bzw alternierend ist: d.h. es genügt dem Dichter, die feststehende Silbenzahl zu erreichen, wobei oft keine Rücksicht auf den Wortton genommen wird.

Der Romanzenvers war ursprünglich sechszehnsilbig mit Zäsur nach der 8. Silbe und Assonanz der geraden Halbverse. Später und heute stets wurden/werden die Romanzen als 8silber in meist vierzeiligen Strophen geschrieben. Um dies an einem konkreten Beispiel (wenn auch späteren Datums) zu erläutern, wähle ich das den meisten wohl noch bekannte "Grab am Busento" von August von Platen. In der Form, in der es bekannt geworden ist, zeigt es den ursprünglichen 16silbigen Romanzenvers, allerdings mit Reim statt Assonanz bei den geraden Halbversen.

Nächtlich am Busento lispeln, bei Cosenza, dumpfe Lieder,
Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es wider!

Und den Fluß hinauf, hinunter, ziehn die Schatten tapfrer Goten,
Die den Alarich beweinen, ihres Volkes besten Toten.

Diese Romanze, die in fast jeder Balladenanthologie, so auch in der Laufhüttes zu finden ist, war von Platen ursprünglich in der vierzeiligen, achtsilbigen Strophe gedacht und niedergeschrieben:
Am Busento bei Cosenza
Lispeln nächtlich dumpfe Lieder,
Antwort schallt dann aus den Wassern
Und in Wirbeln klingt es wider.

Und flußaufwärts und flußabwärts
Ziehn die Schatten tapfrer Goten,
Die um Alarich noch weinen,
Weinen um den großen Toten.

Von seinem Gegenstand her würde Platens "Grab am Busento" den historischen Romanzen zuzurechnen sein. Womit ich bei den Stoffkreisen wäre. Hier unterscheidet zum Beispielen Metzlers Literatur Lexikon zwischen

1. historischen Romanzen über geschichtliche Ereignisse oder Legenden,
2. Romanzen des karolingischen und bretonischen Sagenkreises,
3. den sogenannten Grenzromanzen, die über die Kämpfe zwischen Mauren und Christen, besonders in der letzten Phase der Reconquista, handeln und
4. den maurischen Romanzen, entstanden nach 1492, dem endgültigen Sieg der Christen über die Mauren, die das Leben spanischer Mauren idealisieren.
5. entstehen in dieser Zeit auch romanhafte, religiöse und lyrische Romanzen.

Aber nicht diese 'volkstümlichen' Romanzen wurden zunächst für die deutsche Dichtung wichtig, vielmehr jene der Kunstdichtung. Besonders im 16. und 17. Jahrhundert werden Romanzen nämlich auch als Kunstdichtung gepflegt und die Gattung bei gleichen Themenkreisen auch intentional und formal erweitert. Vertreter sind unter anderem Luis de Gongora, Francisco Gomez de Quevedo und Lope de Vega.

Ich hatte im Zusammenhang der Gleimschen "Marianne" bereits dargestellt, wie Gleim auf dem Umweg über Montcrif an die Romanze gerät, und brauche dies für die Skizze der Romanzenrezeption in Deutschland nur wieder in Erinnerung bringen.