Reinhard Döhl | Ballade, Bänkelsang, Legende
Komische Romanze

Dieses zweifache Mißverständnis des Bänkelsangs und der 'Kunst'romanze als volkstümlicher Dichtung, die Überzeugung, mit seinen Versuchen Muster volkstümlicher Dichtung bereitzustellen, war - wie gesagt - folgenreich und führte, auf dem Wege zur Balladendichtung, zunächst zur Etablierung der komischen Romanze.

Die Liste der Autoren, die hier zu nennen wären, ist umfangreich, ihre Namen sind heute meist vergessen: Johann Friedrich von Cronegk, Christian Felix Weiße, Johann Friedrich Loewen, Johann Friedrich Schink, Geißler, Friedrich Wilhelm Zachariae, Andreas Traugott Grahl, Friedrich Wilhelm Gotter und Daniel Schiebeler. Zum Teil sind sie zugleich mit der Geschichte des Singspiels verbunden.

Nachdem 1767 bereits in Frankreich ein "Recueil des Romances historiques, tendres et burlesques, tant anciennes que modernes" erschienen war, gab Christian Cay Lorenz Hirschfeld (1742-1792) nach diesem Vorbild 1774 die zweibändige Sammlung "Romanzen der Deutschen" heraus. Im Vorwort faßte er als für die Romanze charakteristisch zusammen, daß "das Abenteuerliche, eine Art des falschen Wunderbaren", an das man früher ersthaft geglaubt habe, heute lediglich "zu Spott" erzählt werde. Der "Ton" der Romanze bilde sich "aus Laune, und Drolligkeit, aus einer verstellten Einfalt, affektierten Ernsthaftigkeit, Traurigkeit, Mitleiden" und "Verwunderung". Ihr Dichter dürfe zwar "veraltete Wörter und Redensarten, gewisse burleske und niedrig-komische Ausdrücke" verwenden, müsse aber die "gemeinen und pöbelhaften" meiden. Dies alles vorausgesetzt, könne die Romanze sogar "wie die Satire und wie das Epigramm unterrichten [...]" und sich mit den "Torheiten beschäftigen, die unter uns nicht so selten geworden."

Das mag als Skizze der Entwicklung einer Gattung von ihren unsicheren Anfängen bis zur ihrer Anthologisierung und damit ihrem vorläufigen Abschluß reichen, einer Entwicklung, aus der, zum besseren Verständnis der Bürgerschen "Europa" lediglich zwei der genannten Romanzendichter etwas genauer bedacht werden müssen: Johann Friedrich Loewen und Daniel Schiebeler.

Nach Cronegk und Weiße war Johann Friedrich Loewen (1727-1771) der dritte Romanzendichter, wie die beiden anderen dem Theater verbunden, 1757 Theatersekretär in Berlin, 1767 Gründer und Direktor des Nationaltheaters in Hamburg, an das er Lessing als Dramaturgen und Kritiker berief (= Hamburgische Dramaturgie). Bereits 1762 gab Loewen erstmals eine Sammlung eigener "Romanzen" heraus, die er 1769 und ein zweites Mal 1771 um jeweils mehrere Stücke erweiterte. Interessant ist, daß Loewen schon bei der ersten erweiterten Ausgabe der Gattung zu mißtrauen begann, schrieb er doch im Vorwort:

"Diese kleine Sammlung komischer Gedichte mag aufgenommen werden wie sie will, so sollen es gewiß die letzten sein, die ich gesungen habe. Dergleichen Tändelein erregen Ekel, wenn man sich zu sehr damit überlastet." (Zit. Kayser, 76).

Wie die erweitere Ausgabe von 1771 zeigt, hat Loewen nicht Wort gehalten. Doch ist dies weniger wichtig als das Stichwort "Tändeleien" und die Angabe, er habe diese "komischen Gedichte" "gesungen". Letzteres ist nämlich keineswegs Metapher, lautete doch der Titel der Erstausgabe "Romanzen mit Melodien". Und in der Tat stand jeder Romanze eine Melodie voran. Diese Melodien sind übrigens bis heute noch nicht genauer untersucht worden, obwohl dies in dreifacher Hinsicht von Bedeutung wäre. Denn erstes rücken sie die zugehörigen Romanzen in die Nähe der Singspiele, in denen sie häufiger als Einlage fungierten. Zweitens gehören sie ohne Frage als ein wichtiges Kapitel in die Vorgeschichte der Balladenvertonungen, wobei sie drittens der Praxis des Bänkelsangs entsprechen.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an Gleims Überzeugung, er werde in dem Maße glauben, "die rechte Sprache dieser Dichtart getroffen" zu haben, "je öfter" sein "Versuch von den rühmlichen Virtuosen mit den Stäben in der Hand künftig gesungen werde." Nun kann daran Loewen, wie eine Analyse seiner "Romanzen" schnell einsichtig macht, nicht mehr ernsthaft geglaubt haben. Aber die Fiktion des Bänkelsängers hält er spielerisch fest, wie ein die Sammlung einleitendes "Schreiben an Herrn H**" und eine die Sammlung abschließende Antwort an den Verf. deutlich machen.

"Mitten unter dem Tumulte des Krieges," beginnt nämlich das "Schreiben an Herrn H**", "rund um von dem Winseln der ausgeplünderten Einwohner umgeben, verdammt, die größlichsten Mordgeschichten zu sehen oder zu hören, schicke ich Ihnen hier sieben Mordgeschichte [sic, R.D.]. Man kann zu keiner Zeit mehr verführt werden, sie zu singen, als gegenwärtig, da man so sehr gewohnt ist, sie zu thun. Um sie zu thun, braucht man nur - so zu verfahren, wie man in unserm itzigen Jahrhunderte im Kriege zu handeln pflegt. In unserem Jahrhundert, sage ich, auf das man eine Satyre machen würde, wenn man es das gesittete nennen wollte."

Ich überspringe das weitere Schreiben, das u.a. auf die Herkunft der Romanze aus Spanien und Frankreich eingeht, da dies schon im Zusammenhang mit Gleim erörtert wurde, und zitiere aus dem die Sammlung abschließenden Antwortschreiben, in dem von einem Manne die Rede ist, der relativ reich sei, "weil er die Messen und Jahrmärkte bezieht. Seit zwanzig Jahren hat er in Städten und Flecken die fürchterlichsten Erscheinungen und die schrecklichsten Mordgeschichte [sic, R.D.], jedermännlich zur Warnung, sich aber zum Nutzen abgesungen".

Dieser Bänkelsänger nun, so das weitere Antwortschreiben, habe sich der "Poesien" des Verfassers "bemächtigt", konkret: sie "abgeschrieben, und beschlossen, die Bilder darzu malen zu lassen [...], um sie auf dem nächsten Jahrmarkte abzusingen". Gleichsam in ausgleichender Gerechtigkeit werden deshalb dem Verfasser mit dem Antwortbrief die "Melodien" des Bänkelsängers mitgeteilt, vom Organisten aufgezeichnet, um dem Verf. so die Möglichkeit zu geben, "allemal eher auf den Jahrmarkt zu kommen."

Das ist natürlich nicht mehr der Ernst eines Gleim, sondern Fiktion und Spiel mit der Fiktion. Dennoch, und das scheint mir bemerkenswert und bisher auch übersehen: die einleitend zu den Greueln eines Krieges, konkret zum 7jährigen Krieg hergestellte Verbindung (1756-63) ist offensichtlich ernst zu nehmen.

Einmal, indem die komischen Romanzen Loewens, die "Mordgeschichte" der mörderischen Realität des Krieges konfrontiert sind bzw umgekehrt die mörderische Realität sich gegenüber der fiktiven Mordgeschichte umso deutlicher abhebt. Zum anderen nimmt Loewen die Realität der Krieges durchaus in seine "Mordgeschichte" auf, eher unbestimmt in der "So schreckliche[n] als blutige[n] Geschichte von einem durch Husaren entweyhten Nonnen-Kloster", konkreter in "Der / in dem blutigen doch muthigen / Treffen bey Roßbach, den 5 Nov. / 1757 verwundete, und von seiner / gnädigen Frau Mama herzlich / beweinte / Junker Hans / aus Schwaben."

Zur historischen Erinnerung: In der Schlacht bei Roßbach am 5. November 1757 siegte Friedrich der Große mit 22000 Mann (die Reiterei unter Seydlitz) über Soubise und das Reichsheer, das mit 64000 Mann zahlenmäßig deutlich überlegen war.

Loewen hat seine "Mordgeschichte" für die 2. Erweiterte Ausgabe seiner Romanzen geringfügig überarbeitet. Das schafft bereits in der ersten Strophe tendentiell Klarheit. Schrieb hier der Erstdruck:

Ein Junker aus dem Schwaben-Land
Sollt nach des Vaters Willen,
Einst rühmlich im Soldaten-Stand
Den Durst nach Ehre stillen.

So heißt es 1769:

Ein Junker aus dem Schwabenland
Kauft mit des Vaters Willen
Ein Fähnlein; im Soldatenstand
Der Ehre Durst zu stillen.

"Bey seines Kraises Contigent" avanciert er zum Leutnant, prügelt standesgemäß die Soldaten, und zieht schließlich in den 7jährigen Krieg nach Sachsen, wo er mit seinen Leuten in der Schlacht bei Roßberg die Flucht ergreift.

Da kam ein tapfrer Todtenkopf (=Husar)
Dem Schwaben auf den Hacken;
Er spaltete des Junkers Zopf,
Und schlitzt im beide Backen.

(...)

Die Helden liefen; blutend lief
Ihr Lieutnant in der Mitten.
Der Zopf war fort, das Maul hing schief,
Die Backe war zerschnitten.

Er kam, es sey dem Himmel Dank!
[2. Fssg:; Gott un den Preußen Dank]
Noch mit geraden Beinen,
Als die Mama gleich Caffe trank,
Zu den geliebten Seinen.

[Zum bürgerlichen Kaffeetrinken vgl. auch "Kabale und Liebe"]

Die Reaktion der Familie ist unterschiedlich: der Vater erinnert sich an sein soldatisches Heldentum in der Schlacht bei Pultawa, 1709 im Nordischen Krieg:

Dein Wunder hättest du gesehn!
Es zeigens meine Wunden;
Drey Tage sah ich fast vergehn,
Eh man mich erst verbunden.

Während die Mutter in der ersten Fassung "winselt":

Ach was wird Fräulein Rosamund
Zu dem Gesichte sagen!
Wird deine Tante wohl itzund
Sie dir zu geben wagen? ~ 1

Es folgt dann über 9 Strophen eine auffallend umfangreiche Nutzanwendung für Mütter, die 'Moral' der "Mordgeschichte", die, nachdem im ersten Teil der Romanze Kritik an einem Adel geübt wurde, der sich "Ehre" dadurch erwirbt, daß er mit "belebtem Geld', also gekauften und gepreßten Soldaten in den Krieg zieht, dabei aber keine gute Figur macht (= "der Zopf war fort") -

es folgt, sage ich, als 'Moral' der "Mordgeschichte" jetzt die Kritik an einen bildungsfeindlichen Landjunkertum, das sich auf Kosten der Bauern und Abhängigen an h"öischen Vorbildern orientiert:

Nicht für den Staat, auch nicht fürs Feld
Muß euer Söhngen lernen.
Wißt: euer Landgut ist die Welt,
Sollt er sich hier entfernen?

Was soll sich Frizgen mit Latein
Den schwachen Kopf zerbrechen;
Lernt er zur Not nur etwas fein
Französisch radebrechen;

Schläft euer Junkerchen gesund,
Und kann er, mit Ergötzen,
Die Bauren und den Hnerhund
Nur recht in Atem setzen;

Füllt er den Magen nur allein,
Und kann im Wein sich baden;
Was soll er dann noch mit Latein
Den Kopf sich überladen?

Ein Held zu seyn erfordert Muth,
Und kostet oft das Leben.
Doch durstet euer Sohn nach Blut,
Ihr könnt ihm Nahrung geben.

Er hetze manches wilde Schwein,
Mag Rehen Netze stellen,
Hohl im Galopp den Hasen ein,
Und lerne Füchse prellen.

Doch soll er ja auf kurze Frist
Hause sich entfernen:
Schickt ihn am nächsten Hof, und wißt:
Dort kann er Mores lernen.

Hofdamen zeigen ihm die Spur
Galant und feiner Sitten;
Denn hier wird von der Landfigur
Kein Ueberrest gelitten.

Drum gnäd'ge Mütter, denket ja
Weit adlicher und größer;
Sonst gehts, wie Hansens Frau Mama,
Euch allen auch nicht besser.

Vergegenwärtigt man sich schließlich noch den Adressaten dieser Moralstrophen - die Mütter - wird außen den schon genannten Zielen der Loewenschen Satire als dritte Zielgruppe das Bürgertum deutlich. Denn in ihm fiel den Müttern, bedingt durch die gesellschaftliche Rollenteilung des 18. Jahrhunderts, die Aufgabe der Erziehung zu, bei der sie - folgt man der Literatur der Zeit - zumindest, was die Töchter betraf - allzu häufig als Versager dastehen, indem sie bürgerliche Tugenden und Stand oft zugunsten der guten Partie und orientiert am Adel preisgeben und so Katastrophen auslösen. Ich denke z.B. an die Mütter der Emilia Galotti (1772), des Evchen Humbrecht (1776) oder der Luise Miller (1784). Nicht von ungefähr lautete der Titel einer Neufassung der Wagnerschen "Kindermörderin": "Evchen Humbrecht oder Ihr Mütter merkt's euch". Ein solcher Mütterappell steckt, meine ich, bereits in Loewens Mordgeschichte, nun allerdings so, daß er nicht direkt sondern indirekt vorgetragen wird, indem das, was in den Moralstrophen des "Junker Hans" vorgeschlagen wird, genau in seinem Gegenteil gemeint ist.

Beim zweiten Romanzendichter, auf den ich eingehen wollte, bei Daniel Schiebeler (1741-1771), kann ich mich wesentlich kürzer fassen Auch er gab - erstmals 1767 - seine "Romanzen mit Melodien" heraus, für die wie bei Loewen gleichfalls die Nähe zur Singspieleinlage einerseits, andererseits der Status der Zwischenstufe zwischen Bänkellied und Balladenvertonung gilt. Was Schiebeler im Vorfeld von Bürgers Bemühen um die Ballade vor allem bedeutend macht, ist, daß er, wenn nicht der erste, so doch einer der ersten ist, der in größerem Umfang in seinen "Romanzen" mit der Travestierung antiker Stoffe beginnt. "Pandore", "Proserpina", "Ariadne und Theseus", "Pyreneus und die Musen" (Laufhütte, 29), "Der Flötenspieler Agamemnons" etc.

Einer dieser travestierten Stoffe ist vor allem deshalb interessant, weil man in seiner Tradierung sehr schön den Umschlag von der komischen Romanze in die ernste Ballade belegen kann. Die Rede ist von Schiebelers "Leander und Hero", einer dem Rokoko verpflichteten Romanze, deren Ich von der "geliebten Chloe" aufgefordert wird, "etwas zu erzählen". Was erzählt wird ist die Geschichte von "Leander und Hero", die Umstellung der Namen im Titel zeigt bereits das spezielle Interesse des Erzählers. Entsprechend ist dann auch seine Nutzanwendung:

Die traurige Geschichte
Bewegt zu Tränen dich?
Du fühlst des Mitleids Züge;
Nur, Chloe, nicht für mich!

Doch zittre, folgst du länger
Der Sprödigkeit Gebot;
Auch in den stillsten Bächen
Trifft, wer ihn sucht, den Tod.

Im gleichen Jahr, in dem Schiebeler seine Rokoko-Version des Stoffes veröffentlicht, schreibt der dem "Göttinger Hain" später zugehörende Ludwig Christoph Heinrich Hölty seine "Romanze" "Leander und Hero" (1. Fssg 1768, 2. Fssg 1770) - auch hier also die Namensumstellung - in der inzwischen sattsam bekannten Mischung Romanze/Bänkelsang:

Schon ehmals sang der Leiermann
Musäus die Geschichte,
Die ich euch jetzt, so gut ich kann,
Erzähle und berichte. -

Ein Jüngling, der Leander hieß,
Kam einstmals in ein Städtchen,
Das seinem Blick die Hero wies,
die Krone aller Mädchen.

Er machte einen Reverenz,
Der ihn zur Erde drückte,
als er die Miß, im jungen Lenz,
Zum erstenmal erblickte.

Ich überspringe ein paar Verse:

Bald schwatzt er ihr von Liebe vor,
Von Martern, und von Schmerzen.
Und sie? sie widmet ihm ihr Ohr,
Nebst einem Platz im Herzen.

Das mag an Text genügen, zu zeigen, wie Hölty mit der Geschichte des Musäus, dessen Epos er übrigens kurze Zeit später übersetzt, umspringt durch unpassende Einschübe ("Miß", "Reverenz"), die Degradierung Heros zur Stadtschönen (Leander kommt in ein "Städtchen"), einer 'bürgerlichen' Schönen also, die dem Jüngling alsbald "ihr Ohr nebst einem Platz im Herzen" widmet.

Was Schiebeler und Hölty bewogen hat, fast gleichzeitig den altehrwürdigen Hero- und Leanderstoff, der ja auch als Volkslied von den zwei Königskindern tradiert und populär ist, ironisch zu brechen, wissen wir nicht. Nahe liegt die Vemutung, daß sie durch Gongora angeregt wurden, denn auch von ihm ist eine burleske Romanze zu diesem Thema bekannter geworden:

Aunque entiendo poco griego
En mis greguiescos he hallado
Ciertos versos du museo,
Ni muy duros, ni muy blandos.

De dos amentes historia
Contienen, tan pobres ambos,
Que ella papa una linterna,
Y et no tuvo para un barco.

In Prosa übersetzt: "Obgleich ich wenig Griechisch verstehe, habe ich doch in meinen Pluderhosen einige Verse des Musäus gefunden, weder sehr harte, noch sehr weiche. Sie enthalten die Geschichte zweier Liebenden, beide so arm, daß sie sich keine Laterne anschaffen konnten, und er keine Barke."

Allerdings, Gongoras burleske Romanze ist nicht nur Antikentravestie, sie ist gezielt gegen Juan Boscán Almogáver (ca 1490-1542) gerichtet, der das Epos des Musäus seinerzeit ins Spanische übersetzt und in Spanien bekannt gemacht hatte.

Eine derart parodistische Absicht haben Schiebelers und Höltys Romanzen in keinem Fall. Sie genügen als Travestie eines antiken Stoffes sich selbst.

Das ist dreißig Jahre später in Schillers Ballade "Hero und Leander", die 'des Menschen Verflechtung mit des Schicksals Mächten' ganz im Schillerschen Pathos vorfürt, natürlich anders. Was Schiller aus dem antiken Sagenstoff macht, ist "Ideenballade" im strikten Sinne. Entsprechend wird der schließliche Freitod der Hero von ihr selbst als ein "freudiges Opfer" verstanden für

...der Brautnacht süße Freuden,
die die Götter selbst beneiden

Der Tod Leanders, der Freitod Heros sind der von den Göttern für das höchste Glück eingeforderte Preis:

Ich erkenn euch ernste Mächte,
Strenge treibt ihr eure Rechte,
Furchtbar, unerbittlich ein.
Früh schon ist mein Lauf beschlossen,
Doch das Glück hab ich genossen,
Und das schönste Loos war mein.
Lebend hab ich deinem Tempel
Mich geweiht als Priesterin,
Dir ein freudig Opfer sterb' ich,
Venus, große Königin!"

Und mit fliegendem Gewande
schwingt sie von des Thurmes Rande
In die Meerflut sich hinab.
Hoch in seinen Flutenreichen
Wälzt der Gott die heil'gen Leichen,
Und er selber ist ihr Grab.
Und mit seinem Raub zufrieden
Zieht er freudig fort, und gießt
aus der unerschöpften Urne
Seinen Strom, der ewig fließt.

Nach diesem Vorgriff komme ich noch ein- und zum letztenmal auf die komische Romanze zurück, in deren Geschichte wir auch Bürgers "Europa" lesen und verstehen müssen. Etwa gleichzeitig mit Schiebelers und Höltys Antikentravestien greift auch Bürger einen antiken, den Europa-Stoff auf, arbeitet - ich wiederhole dies - an ihm auffällig lange und veröffentlicht ihn, nachdem er mit der "Lenore" bereits erfolgreich war. Qffensichtlich war ihm also sein Gedicht, für dessen Manuskript er wiederholt Zuspruch erfahren hatte, immer noch aktuell.