Reinhard Döhl | Bänkelsang und Dichtung / Dichtung und Bänkelsang
[Vortrag, 15.10.87 Kansai-Universität, Osaka; 24.10.87 Wochenendseminar in Sengokuso [Fukuoka], 27.10.87 Universität Kagoshima]

Einführung | Dichtung und Bänkelsang | Bänkelsänger in der Dichtung | Bänkelsang und Dichtung | Politischer Bänkelsang | Bänkelsangparodie | Fallbeispiel 1 (Wilhelm Raabe: Horacker) | Fallbeispiel 2 (Bertolt Brecht: Leben des Galilei) | Fallbeispiel 3 (Chista Reinig: Ballade vom blutigen Bomme) | Anmerkungen

Einführung
Der Bänkelsang und mit ihm die Moritat scheinen ein ausschließlich europäisches Phänomen zu sein. Sie sind, speziell in der deutschen Literaturgeschichte, mit der Dichtung in Wechselbeziehungen eingetreten, die ihre Erforschung auch außerhalb der Volkskunde interessant machen. Aus volkskundlicher und kulturgeschichtlicher Sicht ist vor allem von Veit Riedel (1), Leander Petzoldt (2) und Wolfgang Braungart (3) inzwischen das Wesentliche gesagt worden. Auch die anthologische Präsentation (4) genügt seit Ende der 70er Jahre philologischen Ansprüchen, nachdem 1975 eine Ausstellung der Staatsgalerie Stuttgart entscheidende Voraussetzungen geschaffen hatte. Das Volkslied-Archiv in Freiburg und die Staatsbibliothek in Oldenburg besitzen umfangreiche Sammlungen einschlägigen Materials, so daß es hier kaum noch Neues zu entdecken gibt.

Ich möchte deshalb auch nicht den Bänkelsang als trivialliterarische Gattung diskutieren, vielmehr mein Augenmerk auf die Wechselbeziehungen von Bänkelsang und Dichtung richten, auf Beziehungen, die nicht nur für die Entwicklung der Kunstballade von Gottfried August Bürger bis Bertolt Brecht folgenreich wurden. Anders als bei Erforschung ausschließlich des Bänkelsangs ist die wissenschaftliche Literatur über diese Wechselbeziehungen bisher eher bescheiden. Zwar machte Erwin Sternitzke 1932 in einer Dissertation über den "Stilisierten Bänkelsang"(5) erstmals auf die literarische Adaption einer trivialen Gattung aufmerksam, doch dauerte es fast 30 Jahre, bis Karl Riha in seinen Untersuchungen "Zur Geschichte der modernen Ballade" (6) diesen Faden wieder aufnahm (in Unkenntnis übrigens zunächst der Vorarbeit Sternitzkes), und im Laufe der Jahre durch weitere Arbeiten ergänzte, die er 1975 als "Geschichte des engagierten Liedes in Deutschland" (7) bündelte. Im gleichen Jahr konnte ich die Ergebnisse eines zweisemestrigen Seminars, aus dem auch die Stuttgarter Bänkelsang-Ausstellung resultierte, im Katalog zu dieser Ausstellung publizieren (8). Damit ist, von einigen Detailuntersuchungen abgesehen (9), die wesentliche Literatur bereits genannt (9a). Denn obwohl es inzwischen üblich wurde, im Untertitel oder einem Anhang diese Wechselbeziehungen wenigstens anzudeuten, dürfen diese 'Andeutungen', die in der Regel auf den Ergebnissen Karl Rihas fußen und keine neuen Aspekte aufzeigen, unberücksichtigt bleiben.

Zum leichteren Verständnis angezeigt ist eine kurze historische und typologische Skizze des Bänkelsangs. Spätestens im 17. Jahrhundert tritt er das Erbe des Ereignisliedes und der Neuen Zeitung an (10). Er berichtet, wie diese, seinen Zuhörern sensationelle Vorfälle, Naturkatastrophen, Unglücke und Verbrechen, seltener politisch-historische Ereignisse. Dabei bedient er sich, in Tradition von Ereignislied und Neuer Zeitung, zunächst der gebundenen Rede, um sich im 19. Jahrhundert zunehmend in Prosa und abschließendes Lied aufzugliedern. Diese Aufgliederung kann erklärt werden durch eine seit dem 17. Jahrhundert in Abbildungen belegte Verbindung von Vortrag und Bild. Danach hatte die Prosa zunächst die Aufgabe der Bildexegese, das abschließende Lied die Funktion der moralisierenden und rührenden Zusammenfassung. Stimmt diese Vermutung, wäre das Zur-Schau-Stellen von Bildern (Raritätenschreinen, Guckkästen) an der Zweiteilung des Bänkelsängertextes konstitutiv zumindest beteiligt. Erst nachdem seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert und zunehmend im 19. Jahrhundert die Lesefähigkeit des einfachen Volkes, des eigentlichen Adressaten des Bänkelsängers zunahm, kehrte sich das Verhältnis um, beauftragt der Bänkelsänger einen Schildermaler, einen vorgegebenen Text ins Bild umzusetzen. Nicht mehr der Text dient der Explikation eines Bildes (einer Sehenswürdigkeit), sondern das Bild soll auf den Text aufmerksam machen, seinen Verkauf fördern. Denn vom Verkauf seiner Texte, nicht von seinem öffentlichen Auftritt lebte der Bänkelsänger. Nicht als Zuschauer und Zuhörer, sondern als Käufer und Leser war ihm das Publikum wichtig, so daß sich gelegentlich schon das zusammenfassende Lied explizit an den Leser wendet:

Wie die Liebe kann bethören,
Manchen bringen ins Unglück,
Dieses Leser wird dir lehren,
Hier im Liede die Geschicht'. (11)
Seinen Namen verdankt der Bänkelsänger dem Bänkel, also dem erhöhten Standplatz, den der Vortragende auf dem Jahrmarkt, den Messen, aber auch vor den Kirchen oder auf exponierten Plätzen in Stadt oder Dorf einzunehmen pflegte, um auf sich aufmerksam zu machen. Belegt ist das Wort erstmals 1709 in bereits übertragener Bedeutung (12), so daß wir es als Bezeichnung eines fahrenden Gewerbes wesentlich früher ansetzen müssen.

Das andere, für das Wort Bänkelsang meist synonym gebrauchte Wort Moritat ist wesentlich jüngeren Datums. Es wird, Erich Seemann folgend (13), in der Regel erstmals mit 1862 datiert, doch konnte Sammy K. McLean bereits einen Beleg für 1841 auffinden:

Da hört man eine Morithat
Sehr rührend deklamiren,
Dort Orgeln bis am Abend spath
sehr künstlich konzertiren. (14)
In diesem Beleg, einer "Einladung zum Augsburger Volks-Feste den 22. August 1841", wird offensichtlich der Auftritt eines Bänkelsängers angekündigt. Und ebenso offensichtlich hat das Wort Moritat dabei noch nicht den Unterton, den es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts infolge einer Vielzahl von Bänkelsangparodien bekommt. Wie Bänkelsänger zunächst wertfrei das Gewerbe, bezeichnet Moritat zunächst das Produkt. Aber wie Bänkelsänger alsbald in übertragener Bedeutung, wird Moritat spätestens seit 1862 auch in kritischer Distanz verwendet.

Die ursprüngliche Herkunft des Wortes Moritat ist bis heute ungeklärt. Man hat versucht, es von den Moralpredigten des späten Mittelalters, den moritates, von den französischen moralites herzuleiten. Man hat sogar konstruiert, das Wort setze sich aus more (vom hebräischen morâ = Furcht) und Tat zusammen, bedeute also furchterregende Tat (15). Wahrscheinlicher scheint mir, daß Moritat nichts weiter ist als das akustisch zerdehnte Wort Mordtat. "auf den jahrmärkten", notiert das Grimmsche Wörterbuch, "heißt eine mordthat die zur Schau gebrachte abbildung eines begangenen mordes und die erklärung eines solchen bildes durch bänkelsänger: die leute laufen zu den mordthaten; eine mordthat singen." Von "eine mordthat singen" zu "eine Morithat deklamiren" ist dann der Weg schon deshalb nicht weit, weil die Stoffe der Bänkelsänger durch das ganze 18. Jahrhundert als "Mordgeschichten" bzw. "Mordthaten" charakterisiert werden.

Das kann an historischer und typologischer Vorbemerkung ausreichen. Für die spezielle Frage Bänkelsang und Dichtung / Dichtung und Bänkelsang bietet sich dann folgende (eher systematische) Dreigliederung an:

Dichtung und Bänkelsang
Für diese dritte Gruppe kann ich mich relativ kurz fassen. Daß der Bänkelsänger, stets auf der Suche nach im wörtlichen Sinne vermarktbaren Stoffen, sich auch bei der Dichtung zu bedienen wußte, vorausgesetzt sie war populär, liegt auf der Hand.

Die Beispiele sind zwar nicht allzu zahlreich, aber bezeichnend. Und die Rezeptionsgeschichte kann hier Einblicke in die Popularität manchen Dichters und mancher Dichtung gewinnen, die sich dabei oft vom Namen ihres Verfassers löst. Ich beschränke mich, den Umfang andeutend, auf drei Beispiele: eine Melodie, einen Autor und ein Thema.

Beispiel 1. Kein Lied der Romantik wurde so populär wie Joseph von Eichendorffs "Das zerbrochene Ringlein" ("Ahnung und Gegenwart") - nach seiner Vertonung durch Robert Schumann:

In einem kühlen Grunde
Da geht ein Mühlenrad,
Mein Liebste ist verschwunden,
Die dort gewohnet hat. (15a)
Speziell auf dieses "Kunstlied im Volksmunde"(16) spekulierte ein Bänkelsänger, als er das seiner Geschichte von der "Müller-Anna oder Das Verbrechen des Säufers" folgende Lied beginnen ließ:
In einem kühlen Grunde,
Da geht ein Mühlenrad,
Die schöne Müller-Anna
all dort gewohnet hat. (17).
Ähnlich mit der Bekanntheit einer Melodie rechnet auch der Verfasser der "Beschreibung des dreifachen Mordes, welcher am 11. März 1847 im Dorfe Östergasse im Amte Hadersleben verübt worden ist. Nach der Melodie 'Im Garten des Pfarrers zu Taubenhain"' (18). Das führt mich zugleich zu Beispiel 2, zu Gottfried August Bürger, der wie kein zweiter Autor von Bänkelsängern und den Druckern "Neuer Lieder", in der Regel ohne Namensnennung, geplündert wurde. In meist unzulänglicher Wiedergabe lassen sich als populärer Lieddruck nachweisen  die Balladen "Die Weiber von Weinsberg", "Bruder Graurock und die Pilgerin" und "Die Pfarrerstochter von Taubenhain". "Das Lied vom braven Mann" bildet den Beschluß eines Bänkelsängerheftchens über "Die Wassernot von 1883" und die "Lenore" schließlich wird in einem anderen Heftchen zunächst in Prosa mit zahlreichen konkreten Zeit-, Namens- und Ortszutaten 'erzählt' bis zu dem Zeitpunkt des heimkehrenden Heeres. Als Lenore ihren Wilhelm "nicht unter den Heimgekehrten" sieht, stürzt sie "mit aufgelöstem Haar und mit Wahnsinn im Blick [...] zurück ins Schloß. Was hier nun vorging", schließt die Erzählung, "verkündet dem Leser das nachfolgende, von unserm vortrefflichen Dichter Bürger verfaßte Lied, das in und außerhalb Deutschlands so große Berühmtheit erlangt, von allen Ständen so gern gelesen, gesprochen und gesungen wird, und alle Gemüther tief ergriffen hat." (19)

Die Frage, was Bürger für die Bänkelsänger so handhabbar machte, ist schnell beantwortet, wenn man in Anschlag bringt, daß Bürger seinerseits beim Bänkelsang mancherlei Anleihen gemacht hat (2O). Was gleichermaßen für Friedrich Schiller gilt (21). Dessen "Räuber" wurden nämlich ebenso von Bänkelsängern verarbeitet, wie seine Ballade von der "Kindermörderin" auf dem Jahrmarkt gesungen wurde. Damit bin ich zugleich bei Beispiel 3. Sowohl die feindlichen Brüder (= "Die Räuber") wie die Kindsmörderin sind für die Geschichte des Bänkelsangs durchgängig belegbare, in der Literaturgeschichte dagegen zentrale Themen des Sturm und Drang, in deren Entfaltung sich sowohl ein Archtetypus (Kain und Abel) und Generationenkonflikt (="Die Räuber") als auch eine sich ändernde Rechts- und Moralauffassung (= Kindsmord) artikulieren. Wenn der Bänkelsang sich in der Folgezeit der literarischen Vorlagen Schillers, aber auch Bürgers (= "Die Pfarrerstochter von Taubenhain") bedient, vernachlässigt er auffällig die "revolutionären Tendenzen" seiner Vorlagen. Damit steht aber dieses dritte (thematische) Beispiel zugleich für die kulturelle Ungleichzeitigkeit ("cultural lag"), die sich aus den unterschiedlichen kulturellen Voraussetzungen der Adressaten ergibt. Oder anders gesehen: das dritte Beispiel belegt konkret, wie weit sich Wirkungsgeschichte unter verschiedenen Bedingungen vom Original entfernen, den ursprünglichen Anspruch bis fast in sein Gegenteil verkehren kann.

Bänkelsänger in der Dichtung
In der systematischen Untergliederung stand an erster Stelle der Auftritt von Bänkelsängern in der Dichtung. Er erfolgt nicht so früh wie in Werken der bildenden Kunst, und findet wahrscheinlich erstmals bei Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen statt. Gleichsam als Beleg für den Übergang von Neuer Zeitung zu Bänkelsang lesen wir in der Einleitung zum ersten Jahrgang des "Wundergeschichten-Calenders" (1670), daß sich der Held nach einer "bequemen Herberge" umsieht, um dort "auf traurige Mordzeitungen, große Seeschlacht-Zeitungen und dergleichen ungehindert spindisieren" zu können (22). Kurze Zeit später teilt Johannes Beer in den "Kurtzweiligen Sommer-Tägen" (1683) die "erschreckliche Zeitung" eines "Marckt-Singers", sogar im Wortlaut, mit:

Hört lieben Christen Leute
Was ich euch traurigs sing
Es geschieht von hier nicht weite
Ein wunderseltzams Ding
Ein Geist thut grob rumoren
Zu Steinbruch in den Thoren
Auf einem alten Schloß.
Aber anders als Grimmelshausen, der in der Perspektive des Zeitungssängers bleibt, wertet Beer. Für seinen Erzähler, "Herrn Wolfgang", ist der Sänger des Liedes ein "Marckt-Singer", sein Lied ein "Schimpf der edlen Music" und der Markt das gesellschaftliche Extrem zu Schloß (23) Solch "weitschichtige Land-Lügen" (Beer) machte auch Kaspar Stieler in "Zeitungs Lust und Nutz" (1695) nicht "zu unsern Zeitungen [...] rechnen", wenn er zwischen den Übermittlern seriöser Nachrichten und jenen "Gassen-Sängern, Landfahrern und Bettel-Weibern" unterscheidet, die "in Städten und Dörfern [herum]wandeln" und "gedruckte Lieder von vielen Wunder-Werken und Geschichten / so sich hier und dar begeben haben sollen / absingen und verkaufen." (24)

Eine derartige Zuordnung des Bänkelsängers zu den "unehrlichen Leuten" ist, wie das Gefälle von Dichtung zu "Traum und Lügen in hinkenden Reimen", mitzubedenken, wenn Benjamin Neukirch 1709 im übertragenen Sinne "die gelehrten Bänkleinsänger" als "die ärgsten Müßiggänger" abqualifiziert. Dieses Etikett des Bänkelsängers für einen schlechten Dichter läßt sich im 18. Jahrhundert durchgängig beobachten, z.B. bei Johann Christoph Gottsched, der in seinem "Versuch einer Critischen Dichtkunst" (1730) sogar überzeugt ist, "wenn ich [...] einen schlechten Poeten einen Bänkelsänger nenne, so ists neu" (25), oder noch in Johann Christoph Adelungs "Grammatisch-kritischem Wörterbuch der hochdeutschen Mundart" (1774 ff.), wo es heißt: "Figürlich und in verächtlichem Verstande" sei der Bänkelsänger "ein schlechter Dichter, der sich ein Geschäft daraus" mache, "gemeine Gegenstände auf gemeine Art zu besingen."

In Gottscheds "Critischer Dichtkunst", und zwar im Kapitel "Vom Ursprung und Wachsthume der Poesie" steht aber auch noch etwas anderes, nämlich, daß es "bey der einfältigen Welt" geschickt war, in die Dichtkunst "kleine Historien oder Fabeln, die etwas wunderbares und ungemeines in sich enthielten", einzubringen, denn das bezaubere "die sonst ungezogenen Gemüther. Die wildesten Leute verließen ihre Wälder, und liefen einem Amphion oder Orpheus nach, welche ihnen nicht nur auf ihren Leyern etwas vorspielten; sondern auch allerhand Fabeln von Göttern und Helden vorsungen: nicht viel besser, als etwa itzo auf Messen und Jahrmärkten die Bänkelsänger mit ihren Liedern von Wundergeschichten, den Pöbel einzunehmen pflegen" (26).

Dieser von Gottsched nicht zur Nachahmung gedachte Vergleich und Rückblick mußte sich jedoch in dem Augenblick ins Positive wenden, in dem man sich wieder auf den Ursprung der Poesie (Herder) besann, für eine Dichtung "des Volkes und mithin der Natur" (Bürger) entschied und den "Bänkelsänger als die seiner Zeit gemäße Verkörperung eines Volkssängers" (27) mißverstand.

Bänkelsang und Dichtung
Spätestens mit Entstehung der Kunstballade beginnt also das zweite systematische Kapitel der Wechselwirkungen zwischen Bänkelsang und Dichtung, undzwar so erfolgreich, daß wir kurze Zeit später Balladen Bürgers oder Schillers, aber auch Goethes auf dem Jahrmarkt wiederhören. Da die Entstehung der Kunstballade untrennbar mit der Wiederentdeckung des Volksliedes verbunden ist, sind auch in die Beschäftigung mit ihm Spurenelemente des Bänkelsangs eingegangen. "Alle Balladen, Romanzen, Bänkelgesänge", heißt es schon 1776 in Goethes Singspiel "Claudine von Villa Bella", "werden jetzt eifrig aufgesucht, aus allen Sprachen übersetzt. Unsere schönen Geister beeifern sich darin um die Wette." Knapp eine Generation später wollen Achim von Arnim und Clemens Brentano gar eine "Schule für Bänkelsänger" gründen, um "die in jenen höheren Ständen verlorenen Töne der Poesie dem Volke" zuzuführen. Und Goethe charakterisiert in seiner Rezension von "Des Knaben Wunderhorn" (1806/1808) den "Rattenfänger von Hameln" mit den Worten: "Zuckt aufs Bänkelsängerische, aber nicht unfein" oder die "Greuelhochzeit" als "Ungeheuren Fall, bänkelsängerisch, aber lobenswert behandelt" (28).

Nachdem sich erst einmal die Dichtung des Bänkelsangs assimilierend angenommen hat, reißen die Belege bis heute nicht mehr ab, und zwar in einer Vielfalt, die sich nur schwer typologisieren läßt. Ich beschränke mich deshalb auf das Aufzeigen einer Tradition, die ich den politischen Bänkelsang nennen möchte. Zweitens möchte ich das Augenmerk auf die für das 19. Jahrhundert typische Bänkelsangparodie richten. Drittens und schließlich möchte ich an drei Fallbeispielen zeigen, wie a) eine Bänkelsangparodie zum Romanvorwurf von Wilhelm Raabes "Horacker" werden kann, b) der Bänkelsang nicht nur strukturell Bertolt Brechts episches Theater, konkret "Das Leben des Galilei" mitprägt und c), daß Christa Reinigs berühmte "Ballade vom blutigen Bomme" in Wirklichkeit ein verkapptes Bänkellied ist. Dabei sollen diese Fallbeispiele auch Einblick in Umfang und Möglichkeiten einer Philologie vermitteln, die sich auf die Wechselwirkungen von Bänkelsang und Dichtung einläßt.

Politischer Bänkelsang
In seinen Studien "Zur Geschichte des engagierten Liedes in Deutschland" hat Karl Riha in Einzeluntersuchungen dargelegt, wie sich im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert das "Trivialgenre" Bänkelsang zu einer "literarischen Protestform" mauserte (29). Und Riha hat seine Studien mit den "Parodistischen Bänkelliedern und politischen Spottgedichten im Umkreis der bürgerlichen Revolution von 1848/49" (30) beginnen lassen. In Wirklichkeit ist der Gedanke und Versuch, den Bänkelsang als Mittel politischer Aufklärung und Kritik zu nutzen, sehr viel älteren Datums und zum ersten Mal 1759 belegbar, also zwei Jahre nach Erscheinen der "Romanzen" von Johann Wilhelm Ludwig Gleim, deren berühmteste, die "Marianne" (31), zugleich den Einsatz des "stilisierten Bänkelsangs" im Vorfeld der deutschen Kunstballade markiert.

Dieser sehr frühe operative Einsatz des Bänkelsangs ist aus mancherlei Gründen bemerkenswert. Sein "Vorbericht" spricht "Nach Standes-Gebühr und Würden" einen "Hochgeehrten Leser" an und macht derart sofort deutlich, daß Bänkelsang hier nur Maske ist (31 a). Unterzeichnet ist dieser "Vorbericht" mit "Pancratius Wolfzahn", einem sprechenden Namen, der sich erschließt, wenn man weiß, daß "Pancratius" zu den Eisheiligen zählt und "Wolf(s)zahn" auf ein wildes, gefürchtetes und gejagtes Raubtier weist, wobei in der Bildtradition ferner das Gleichnis vom Wolf im Schafskleid mitzubedenken ist (Matthäus 7, 15). Datiert ist das Heft "Hamburg den 18. Sept. 1759", also einen knappen Monat nach seinem Anlaß, und lokalisiert in "Garmsens Zeitungs-Bude", die es seinerzeit in Hamburg in der Tat gegeben hat. Doch ist dies ebenso eine falsch gelegte Fährte wie der sprechende Name ein bis heute ungelüftetes Pseudonym blieb.

Dem "Vorbericht" folgt als Prosa die "Haupt-Relation / Von dem solennen und prachtvollen Dank- und Freudenfeste, so, wegen des Rußischen Sieges bey Frankfurth, zu Ludwigsburg gefeyret worden, so wie sie auf Befehl des Würtembergischen Hofes bekannt gemacht worden." Datierung ("Ludwigsburg, vom 22. August 1759") und der folgende Text machen schnell deutlich, daß es sich dabei zunächst um den Nachdruck einer höfischen Relation, einer Festbeschreibung handelt. Aber dieser Nachdruck erfährt einen durchgängigen Kommentar in Form von Fußnoten, die der Verfasser wie folgt begründet:

"Einer der größten Fehler dererjenigen großen Gelehrten, welche die Zeitungen und Hof-Relationen schreiben, ist, daß sie sich, gemeiniglich gar zu kurz ausdrücken. Sie lassen nicht allein ihren Lesern sehr viel zu errathen übrig; sondern sie setzen auch voraus, daß ihre Leser eine abscheuliche Menge Dinge schon wissen sollen. Allein diesen Fehler kann man uns Bänkelsängern und Geschichtschreibern vor die gemeinen Leuthe gar nicht vorwerfen. Wir sind mit unseren Nachrichten gar nicht geizig; wir theilen mit vollen Händen aus und legen unsern Lesern alles fein deutlich und umständlich vor Augen, damit es, so zu sagen, ein Kind begreifen kann. So muß es auch seyn, wenn wir unsre Leser vergnügen wollen; und ich, Franz Stelzfuß, kann wohl sagen, daß ich den guten Abgang meiner Schriften, nächst Gott, der ungemein großen Deutlichkeit und Umständlichkeit zu danken habe, in welchen ich zu schreiben gewohnt bin. Da ich nun diese, von dem Würtembergischen Hofe publicirte, Relation, um mehrerer Glaubwürdigkeit willen zum Grunde lege; so sehe ich mich genöthiget, solche allenthalben mit meinen Anmerkungen zu begleiten, damit sie vor meine Art von Lesern brauchbar werde. Denn sie würde sonst in vielen Stellen vor meine Kunden gar zu kurz und unverständlich seyn, so, daß ich mir künftig in meinem Absatz vielen Schaden zufügen würde."

Eine solche Anmerkung ist natürlich nicht wörtlich zu verstehen, weshalb sie aus dem historischen Abstand fast wiederum eines Kommentars bedarf. Mit den "großen Gelehrten, welche die Zeitungen und Hof-Relationen schreiben'' sind offensichtlich die Autoren der Fest- und Festspielbeschreibungen gemeint, denen im 17. und frühen 18. Jahrhundert die Aufgabe zufiel, die Bedeutung des jeweiligen Festes als Feier des absoluten Monarchen zu fixieren. Unterschied Beer zwischen Schloß und Markt, hält hier der unbekannte Verfasser mit umgekehrten Vorzeichen den Festbeschreibern die "Bänkelsänger und Geschichtschreiber vor die gemeinen Leuthe" entgegen. Daß er dabei die gemeinen Leute, die wir uns als Analphabeten vorstellen müssen, nicht als Leser meint, verraten die zahlreichen Anmerkungen, quantitativ durch ihr Mißverhältnis von 291 Zeilen Kommentar zu 60 Zeilen Relation, qualitativ durch ihren Inhalt. Wobei eine Stichprobe genügt. "Des Vormittags um 10 Uhr", heißt es in der Relation, "versammlete sich der zahlreiche Hof von Dames und Cavaliers in den Vorgemächern Se. Herzogl. Durchl. und erschienen in größter Galla." Dazu wird angemerkt 1.: "Dames, heißen adeliche Frauenzimmer, und Cavealliers adeliche Reuther; das sind gemeiniglich Wörter, die bey einander stehen und sich auf einander beziehen."; 2.: "In größter Galla erscheinen, heißt so viel als seinen Festtags-Rock anziehen. Zwischen denen Festtags-Röcken der Vornehmen und der Bauren und Tagelöhner giebt es zweyerley Unterschiede; erstlich sind die Festtags-Röcke der Vornehmen mit Gold und Silber durchwirkt, oder verbrämt, und die andern nicht; dahingegen aber sind die Festtags-Röcke der Bauren gemeiniglich bezahlt, der Vornehmen aber sehr selten."

Vor allem die zweite Anmerkung macht deutlich, daß es sich hier um ein handfestes Stück Adelsschelte, politische Kritik handelt, vorgebracht in der Maske des Bänkelsängers, zu der auch das abschließende "Ein schönes erbauliches Lied" gehört, "Von den wunderbaren Dingen, so sich zu Ludwigsburg bey dem großen, allerprachtvollsten Sieges-Feste zugetragen haben." Dieses "schöne und erbauliche Lied"; merkt der Verfasser an, "wird nach der anmuthigen Melodey gesungen, welche der wohlbekannte, von einer traurigen Mordgeschichte zu Leipzig gemachte, recht auferbaulichen Gesang hat, davon der erste Vers folgendergestalt lautet:

Nun hört doch an, ihr Christen-Leut!
Was sich hat zugetragen,
Vor nicht gar langer Zeit.
Zu Leipzig hat es sich begeben,
Daß es solt Hunde vom Himmel regnen,
Mit Feuer, Donner, Hagel und Blitz.
Auf Inhalt von Relation und Lied, die ein Ereignis aus dem 7jährigen Kriege behandeln, will ich hier nicht eingehen, wohl aber abschließend darauf hinweisen, daß sich der Bänkelsänger nicht nur Pancratius Wolfzahn, sondern in den Anmerkungen mehrfach auch Franz Ludwig Stelzfuß nennt. Ein Stelzfuß aber ist besonders typisch für Soldaten, die im Kampf ein Bein verloren haben (Grimm), mit literarischen Belegen vom 30jährigen Krieg, u.a. bei Grimmelshausen, bis ins ausgehende 19. Jahrhundert, u.a. bei Theodor Fontane, der in "Vor dem Sturm" von "alten Mütterchen, primitiven Tabulettkrämern, endlich Stelzfüßen" erzählt, "die neben den beiden Berliner Zeitungen allerhand Flugblätter feilboten" (32).

Da auch in der bildenden Kunst diese Kriegsopfer, die sich ihren Lebensunterhalt als Lied- oder Bänkelsänger verdienen mußten, wiederholt dargestellt waren (33), können wir sicher schließen, daß der Leser des fingierten Bänkelsängertextes die Kontrastierung des fingierten Verfassernamens (= Stelzfuß) mit dem Gegenstand, einem höfischen Sieges- und Freudenfest im 7jährigen Kriege, sehr wohl verstand.

Daß das Bänkelsängergewerbe oft reine Notlösung war, um zu überleben, erfährt auch der Leser der "Nachtwachen. Von Bonaventura", wenn er liest: "Zu etwas mußte ich indes greifen, um nicht zu verhungern, hatten sie doch alles freie Gemeingut der Natur bis auf die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Wasser an sich gerissen und wollten mir kein Fruchtkorn zugestehn ohne gute bare Bezahlung. Ich wählte das erste beste Fach, worin ich sie und ihr Treiben besingen konnte, und wurde Rhapsode wie der blinde Homer der auch als Bänkelsänger umherziehen mußte". (34)

Das schon genannte Mißverständnis des Bänkelsängers als eines Volkssängers interessiert dabei weniger als die jetzt folgende Einschätzung von Publikumserwartung, Bänkelsang, seinen aufklärerischen Möglichkeiten und Grenzen. "Blut", fährt nämlich der Text fort, "lieben sie über die Maßen, und wenn sie es auch nicht selbst vergießen, so mögen sie es doch für ihr Leben überall in Bildern, Gedichten und im Leben selbst gern fließen sehen; in großen Schlachtstücken am liebsten. Ich sang ihnen daher Mordgeschichten und hatte mein Auskommen dabei, ja ich fing an, mich zu den nützlichen Mitgliedern im Staate, als zu den Fechtmeistern, Gewehrfabrikanten, Pulvermüllern, Kriegsministern, Ärzten usw., die alle offenbar dem Tode in die Hand arbeiten, zu zählen, und bekam eine gute Meinung von mir, indem ich meine Zuhörer und Schüler abzuhärten und sie an blutige Auftritte zu gewöhnen mich bemühte.

Endlich aber wurden mir doch die kleineren Mordstücke zuwider, und ich wagte mich an größere - an Seelenmorde durch Kirche und Staat, wofür ich gute Stoffe aus der Geschichte wählte; ließ auch hin und wieder kleine episodische Ergötzlichkeiten von leichteren Morden, als z.B. der Ehre durch den tückischen guten Ruf, der Liebe durch kalte herzlose Buben, der Treue durch falsche Freunde, der Gerechtigkeit durch Gerichtshöfe, der gesunden Vernunft durch Zensuredikte usw. mit einfließen. Da aber war es vorbei, und es wurden in kurzem mehr denn funfzig Injurienprozesse gegen mich anhängig gemacht". (35)

Wenn man so will, bündelt dieses Zitat eine Vielzahl dessen, was allgemein den politisch genutzten Bänkelsang von Heine über Wedekind bis Brecht auszeichnet: Kritik an Staat und Kirche, Bloßstellen von sozialer Ungerechtigkeit und Zensur. Das hatte, bis auf die Form, mit dem eigentlichen Bänkelsang nichts mehr gemein. Denn der reale Bänkelsänger, sei er es aus Not oder im 19. Jahrhundert zunehmend als Gewerbetreibender, war weder politisch noch progressiv. Er mußte sich vielmehr - der Zensur unterworfen - der offiziellen Meinung bedingungslos unterordnen. Nicht er, seine Adepten erkannten die operativen Möqlichkeiten des Genres.

Bänkelsangparodie
Sie erkannten aber auch die unfreiwillige Komik, die manchen Bänkelsängerauftritt auszeichnete, und nutzten auch diese, als sie den Bänkelsang vom Markt in den Salon holten, als "Salonbänkelsang", oder - wie man damals, Gleim folgend, sagte - als Romanze (36).

Diese komische Romanze gehört, wie schon gesagt, ins Vorfeld der Kunstballade. Sie entwickelte aber daneben ein Eigenleben, das im 19. Jahrhundert eine durchaus eigene Tradition entfaltet, als geistreiche Unterhaltung, Spiel mit Bildungsinhalten, Literaturparodie oder -satire und - durchgängig - Parodie des Bänkelsangs, deren berühmtestes Beispiel das "Sabinchen" wurde: "Sabinchen war ein Frauenzimmer, / Gar hold und tugendbaft, / Sie diente treu und redlich immer / Bei ihrer Dienstherrschaft. / Da kam aus Treuenbritzen / Ein junger Mann daher, / Der wollte gern Sabinchen besitzen / Und war ein Schuhmacher."

Mehrere Varianten dieser Bänkelsangparodie, ihre Publikationsgeschichte über die "Fliegenden Blätter", die "Musenklänge aus Deutschlands Leierkasten" (1849) bis ins studentische Kommersbuch einerseits bzw. zu den "Neu-Ruppiner Bilderbögen" (37) andererseits sind exemplarisch für die Beliebtheit dieses Genres. Und speziell diesem Genre entnahm Wilhelm Raabe offensichtlich die Anregung zu einem seiner humoristischsten Romane, dem "Horacker" (1876).

Daß Raabe Bänkelsang und Bänkelsangparodie nicht unvertraut waren, läßt sich dem Gesamtwerk ablesen. So spricht Minchen in "Altershausen" "von dem was so bei der Orgel auf dem Jahrmarkt gedruckt verkauft wird und bei der Arbeit - in der Küche, auf dem Felde und im Garten - von uns armen dummen Dingern gesungen wird zum Vergnügen" (38). In der "See- und Mordgeschichte" (sic, R.D.) "Stopfkuchen" räsoniert Heinrich Schaumann: "Von allen Menschen, so auf Erden um diese grausame und erschreckliche Historie herum wandelten, schnüffelten und sich die Köpfe zerbrachen, hätte von Rechts wegen ich der letzte sein sollen, dem das Vergnügen, sie vor einer gemalten Leinwand und zu einer Drehorgel kundzumachen, aufgehalst werden durfte." (39)

Wilhels Raabes Horacker | Fallbeispiel 1
Auffällig häufen sich die Hinweise auf Bänkelsang und Bänkelsangparodie aber im "Horacker". Zum Beispiel durch den Hinweis auf einen "neuen Böckler, Schinderhannes, baierschen Hiesel oder Hundsattler" (S. 410), renommierte Räuber des ausgehenden 18. Jahrhunderts, deren Andenken sowohl auf dem Jahrmarkt wie in einer volkstümlichen Räuberliteratur fortlebte, aber auch an Kontur verlor, wenn Raabe aus dem Schinderhannes, der mit bürgerlichem Namen Johannes Böckler hieß, in der Aufzählung zwei Räuber macht (= Böckler, Schinderhannes).

Diesen historischen Räubern, denen Raabe noch den 1715 in Dresden hingerichteten Philipp Mengstein alias Lips Tullian (39a) zugesellt (S. 330 f.), wobei Raabes Quelle wahrscheinlich eine Fabel Christan Fürchtegott Gellerts (= "Der Hund") ist - diesen historischen Räubern stellt Raabe mit Rinaldo Rinaldini (S. 327, S. 330, S. 367) eine populäre Räuberfigur der Trivialliteratur an die Seite:

In des Waldes tiefsten Klüften
und in Höhlen tief versteckt,
ruht der allerkühnste Räuber,
bis ihn seine Rosa weckt.
Diese Romanze bzw. ihr ursprünglicher Ort, der Roman des Goethe-Schwagers Christian Vulpius, auf den Raabe zitierend anspielt, haben dem Bürgertum des 19. Jahrhunderts auch eine Möglichkeit geboten, politische Passivität zu kompensieren. Das ist interpretatorisch nicht unbedeutend, da es neben der von Raabe zitierten Romanzenfassung mit offenem Schluß, die die Liebe des edlen Räubers besingt, eine Jahrmarktsfassung mit moralisch eindeutig gewendetem Ende gibt - exemplarischer Beleg einer Rezeptionswendung, wie ich sie bereits skizziert habe.(40)

Neben diesem Räuber-Arsenal begegnen dem Leser im "Horacker", ebenfalls auf den Bänkelsang verweisend, die Bezeichnungen "Mordgeschichten" (S. 310) und "Horackerhistorien" (S. 310; gleich zweimal auf S. 419), ist die Pfarrersfrau von Gansewinkel sicher: "Diese Geschichte wird noch mal gedruckt auf dem Jahrmarkt verkauft! [...] Ich kaufe sie mir selbst zum ewigen Angedenken, das steht fest" (S.350).

Bereits diese Belege machen sehr wahrscheinlich, daß Raabe bei der Geschichte des mutmaßlichen Räubers Horacker den hier einschlägigen Bänkelsang gleichsam als Folie benutzt hat. Ein noch genaueres Lesen aber zeigt, daß eine Bänkelsangparodie den Roman stofflich angeregt haben muß. Die Raabeforschung konnte bisher "literarische Einflüsse [...] nicht mit Sicherheit" feststellen (S. 544). Sie hat mit Immermanns "Münchhausen" und Fieldings "Joseph Andrews" aber ganz offensichtlich auch in der falschen Richtung gesucht.

Ich darf, in gebotener Kürze, vorausschicken, daß Raabes Roman von einem aus der Besserungsanstalt entwichenen Jugendlichen erzählt, der sich im Wald verborgen hält. Ein Mundraub macht ihn in der Fama alsbald zum Mörder und Schrecken der Gegend. "Vergebens", heißt es im 5. Kapitel "hatte der Staatsanwalt der Ortsgelegenheit sozusagen auf seine Ehre im Kreisblatt versichert, daß wenig oder eigentIich gar nichts an den fürchterlichen Gerüchten sei; vergebens versicherte er jedem, der ihn hören wollte, mündlich, daß, wenn Horacker selbst kein Phantom sei, der Räuber Horacker unbedingt als Mythus aufgefaßt werden müsse. Kein Mensch, kein Bauer und noch viel weniger irgendein Bauernweib glaubte seinen schriftlichen und mündlichen Versicherungen, und selbst mit den Bürgern und Bürgerinnen seiner Kreisstadt hatte er seine liebe Not" (S. 309). So läßt denn die "Fama" ihre "viele tausend Zungen" sprechen und die Horackerhistorien" nehmen immer "kühnere und grellere Formen und Farben"(S. 310) an."Selten waren in kürzerer Frist so viele alte Geschichten aus dem neuen Pitaval und aus Basses Verlag in Quedlinburg aufgewärmt worden wie hier seit dem Tage, an welchem Horacker einem alten Butterweibe aus Dickburen unter den 'Uhlköpfen' über den Weg gesprungen war" (311). Dieses "alte Butterweib" entspricht aber auffällig dem Opfer des "Butterräubers von Halberstadt":

Durch des Huywalds finstre Gründe,
Auf naturverschlungnem Pfad,
Wandert eine alte Butter-
Frau zum Markt nach Halberstadt.
Huh, da plötzlich stürmt des Waldes
Kühner Sohn aus dem Geheg,
Scharf bewehrt bis an die Zähne,
Und vertritt ihr flugs den Weg.
"Sind sie", fragt die Frau erblassend,
Einer dunklen Ahnung voll,
"Nicht vielleicht der Räuber Heising,
Der allhier grassieren soll?"
"Ja, ich bin's du Unglücksel'ge,
Ja, ich bin's der sich dir zeigt,
Und du bist diejen'ge, welche
Nimmer meinem Grimm entfleucht.
Denn mit hochwilkomm'nem Futter
Nahst du mir zu guter Stund'!"
Sprach's und schnitt von ihrer Butter
Schweigend sich ein ganzes Pfund.
Und wie Schuppen von den Augen
Fiel 's der Butterfrau sogleich,
"Sie sind Heising", ruft sie zitternd.
"Bin es!" sprach der Räuber bleich.
"Bin's und sage dir noch dieses:
Meinem Mordstahl fallest du,
Bringst du mir nicht auf dem Rückweg
Brot und Schlagwurst noch dazu!"
Und die Frau erfaßt ein Grausen,
Weiß nicht recht, was sie beginnt;
Und der Heising zieht waldeinwärts,
Uber Stoppeln streicht der Wind.
Schlimme Zeichen schlimmer Zeiten,
Wie man nie erlebt sie hat,
Wenn ein Räuber solchen Untug
Treibt, so nah bei Halberstadt! (41)
Ein solcher Räuber entspricht so gar nicht seinem populären Vorbild, das die Reichen beraubt und den Armen hilft. Als hungriger Wegelager der eine alte, arme Butterfrau überfällt, ist er gleichsam die Parodie seines Vorbilds. Und als solche war "Der Butterräuber von Halberstadt" zunächst auch gedacht. Aber dieser "Unfug" des zum "Butterräuber" verkommenen "edlen Räubers" läßt noch eine zweite, allerdings überraschende Interpretation zu, die Wilhelm Raabe, gegen die Absicht der Parodie, aus den "schlimmen Zeichen schlimmer Zeiten" herausliest, wenn er seinen Horacker aus wirklicher Not ein "altes Butterweib" überfallen läßt, um ihm, zwar nicht ein Pfund Butter, aber "einen Topf mit Schmalz" (S. 328) abzunehmen. Daß es sich dabei wirklich um eine Uminterpretation einer Bänkelsangparodie durch Raabe handelt, belegen weitere, z.T. wörtliche Entsprechungen.

Lautet im "Butterräuber [...]" die Frage: "Sind Sie [...] nicht [...] der Räuber Heising / Der allhier grassieren soll?", wird in Raabes Roman lapidar, aber typographisch hervorgehoben, festgestellt: "Horacker grassierte in der Gegend" (298). Der Bestätigung Heisings: "Ja, ich bin's, du Unglücksel'ge, / Ja, ich bin's, der sich dir zeigt", entspricht bei Raabe die eher klägliche Vorstellung: "Ja, ich bin die Witwe Horacker" (S. 329). Auch der stilechte Auftritt des "Butterräubers" - "plötzlich stürmt des Waldes / Kühner Sohn aus dem Geheg '" - findet in Raabes Roman lediglich noch gerüchtweise statt: "Hinter jedem Busch hervor sprang Horacker" (S. 310). In Wirklichkeit ist sein Auftritt jämmerlich und eines Räubers unwürdig: "Horacker, der Räuber trat aus dem Dickicht; das heißt, er wurde, mit beiden Backen an der Schinkelsemmel der Frau Konrektorin Eckerbusch kauend, von der Witwe Horacker am Jackenflügel aus dem Dunkel des Waldes hervorgezogen; und wenn der Frevier ebenso blutgierig als freßgierig war, so dürfen sich unsere Leserinnen auf eine fürchterliche Szene im nächsten Kapitel Hoffnung machen" (S. 326). Auch dies wieder in versteckter Entsprechung zum "Butterräuber", der mit dem "Mordstahl" droht, "Bringst du mir nicht auf dem Rückweg / Brot und Schlagwurst noch dazu!" Natürlich erfüllt Horacker die "Hoffnung" "auf eine fürchterliche Szene" nicht. Im Gegenteil ordnet Konrektor Eckerbusch an, "was an Vorrat noch vorhanden ist", in den fieberkranken elenden, vermeintlichen Räuber hineinzustopfen. "Halten Sie ihm die Flasche an den Hals, Windwebel! [...] Geben Sie ihm gleich die ganze Wurst ... Mensch, Jammerbild; Horacker, sind Sie es denn wirklich?" (S. 329)

[Auch wenn ohne Bezug zum Fallbeispiel, sei hier wenigstens auf die musikalische Uminterpretation des "Butterräubers" durch Hanns Eisler in der Bearbeitung von Manfred Grabs verwiesen.]

Bertolt Brechts Leben des Galilei | Fallbespiel 2
Die Belege für Einfluß und Spuren des Bänkelsangs im und auf das Werk Bertolt Brechts sind so zahlreich, daß Sammy K. McLean 1972 diesem Thema eine umfangreiche Studie "The Bänkelsang an the Work of Bertolt Brecht" (42) widmen konnte. Ihre Ergebnisse müssen im einzelnen nicht wiederholt werden. Doch möchte ich wenigstens ein paar Aspekte im Zusammenhang meiner Ausführungen in Erinnerung bringen bzw. hervorheben.

Anders als Wilhelm Raabe, der seine Kenntnisse von Bänkelsang und Bänkelsangparodie aus der Literatur, allenfalls noch aus dem geselligen Leben von Künstlergesellschaften, denen er angehörte, bezog, hat Brecht seine Erfahrungen 'vor 0rt' gesammelt, auf den Jahrmärkten z.B. in Augsburg und München. Es ist inzwischen unbestritten, daß diese Erfahrungen sich nicht nur im Gedichtwerk niederschlugen, sondern auch in Theorie und Praxis des epischen Theaters ausgewirkt haben. Brecht selbst hat seine Interpreten darauf hingewiesen, daß der "Versuch, dem Publikum die darzustellenden Vorgänge zu verfremden", in einfacher Form bereits "bei den theatralischen und bildnerischen Veranstaltungen der alten Volksmärkte" studiert werden könne. Und er hat im "Kleinen Organon für das Theater" ergänzt: "Den poetischen Historienstil kann man in den Jahrmarktsbuden, Panoramen genannt, studieren. Da das Verfremden auch ein Berühmtmachen bedeutet, kann man gewisse Vorgänge einfach wie berühmte darstellen, als seien sie allgemein und seit langem bekannt, auch in ihren Einzelheiten, und als bemühe man sich, nirgend gegen die Überlieferung zu verstoßen" (§ 67). Wie zur Illustration seiner Thesen hat Brecht mehrfach auch Bänkelsang/Bänkelsänger in seine Stücke funktional eingebaut. D.h. Bänkelsang/Bänkelsänger funktionieren jeweils innerhalb des Spiels und zugleich, für das Publikum, das Spiel verfremdend. Ein geradezu klassischer Fall eines notbedingten Bänkelsangs ist der Auftritt des Kochs und der Titelfigur im 9. Bild der "Mutter Courage [...]": "Werter Herr, Gesinde und Hausbewohner! Wir bringen zum Vortrag das Lied von Salomon, Julius Caesar und andere große Geister, denens nicht genützt. Damit ihr seht, auch wir sind ordentliche Leut und habens drum schwer, durchzukommen, besonders im Winter."

Berühmt und für unseren Zusammenhang am interessantesten ist aber die sogenannte Fastnachtsszene im "Leben des Galilei". Da Brechts Stück fast völlig auf Songs und kommentierende Monologe verzichtet, kommt dieser Szene bereits formal einiges Gewicht zu. Gegenüber dem Gelehrtenmilieu des Stücks und der entsprechend ausgeprägten Dialogform des Disputs kontrastiert der naive Auftritt des Balladensängers auf dem Marktplatz deutlich, wenn er die "ordo ordinum" des Mittelalters burlesk und mit sozialen Konsequenzen umkehrt.

Aufstund der Doktor Galilei
(Schmiß die Bibel weg, zückte sein Fernrohr, warf einen Blick auf das Universum)
Und sprach zur Sonn: Bleib stehn!
Es soll jetzt die creatio dei
Mal andersrum sich drehn.
Jetzt soll sich mal die Herrin, he! Um ihre Dienstmagd drehn."
Vor diesem Bänkellied und Bänkelsängerauftritt, deren Moral McLean auf die Formel bringt: "social revolution should accompany scientific revolution", läßt sich aber bei genauem Zusehen auch das ganze St³ck als eine Art Bänkelsängerauftritt deuten, denn mit ganz wenigen Ausnahmen sind die einzelnen Bilder zwar nicht mit Songs durchsetzt, aber von Vorsprüchen bzw. Vorstrophen eingeleitet, die nicht nur jeweils das einzelne Bild ankündigen, sondern - aneinandergereiht - durchaus einen eigenständigen Text herstellen.
1 In dem Jahr sechzehnhundertundneun / Schien das Licht des Wissens hell / Zu Padua aus einem kleinen Haus. / Galilei Galileo rechnete aus: / Die Sonn steht still, die Erd kommt von der Stell.
2 Groß ist nicht alles, was ein großer Mann tut / Und Galilei aß gern gut. / Nun hört, und seid nicht grimm darob / Die Wahrheit übers Teleskop.
3 Sechzehnhundertzehn, zehnter Januar: / Galileo Galilei sah, daß kein Himmel war.
4 Das Alte sagt: So wie ich bin, bin ich seit je. / Das Neue sagt: Bist du nicht gut, dann geh.
Das 5. Bild hat, was es natürlich hervorhebt, als erstes keinen Vorspruch bzw. keine Vorstrophe.
6 Das hat die Welt nicht oft gesehn / Daß Lehrer selbst ans Lernen gehn. / Clavius, der Gottesknecht / Gab dem Galilei recht.
7 In Rom war Galilei Gast / In einem Kardinalspalast. / Man bot im Schmaus und bot ihm Wein / Und hatt' nur ein klein Wünschelein.
8 Galilei las den Spruch / Ein junger Mench kam zu Besuch / War eines armen Bauern Kind / Wollt wissen, wie man Wissen find't. / Wollt es wissen, wollt es wissen.
9 Die Wahrheit im Sacke / Die Zung in der Backe / Schwieg er acht Jahre, dann war's ihm zu lang. / Wahrheit, geh deinen Gang.
Das 10. Bild ist die Jahrmarktsszene mit Bänkelsängerauftritt.
11 Die Tief ist heiß, die Höh'n sind kühl / Die Gass ist laut, der Hof ist still."
Das 12. Bild ist wiederum ohne Vorspruch bzw. -strophe.
13 Und es war ein Junitag, der schnell verstrich / Und der war wichtig für dich und mich. / Aus der Finsternis trat Vernunft herfür / Ein' ganzen Tag stand sie vor der Tür.
14 Sechzehnhundertdreiunddreißig bis sechzehnhundertzweiundvierzig / Galileo Galilei ist ein Gefangner der Kirche bis zu seinem Tode.
15 Liebe Leut, gedenkt des End's / Das Wissen flüchtete über die Grenz. / Wir, die wissensdurstig sind / Er und ich, wir blieben dahint'. / Hütet nun ihr der Wissenschaften Licht / Nutzt es und mißbraucht es nicht / Daß es nicht, ein Feuerfall / Einst verzehre noch uns all / Ja, uns all.
Kann man diese Vorsprüche und Vorstrophen, wie vorgeschlagen, als Ganzes nehmen, als Kommentar eines Bänkelsängers zu der Bilderfolge seiner Tafel, wäre das 10. Bild Bänkellied im Bänkellied. das würde interpretatorisch bedeuten, daß nicht nur das 10. Bild punktuell in der Perspektive des Balladensängers die Entdeckung des Galilei spiegelt. sondern daß beide Bänkellieder parallell gelesen werden müssen. Dem 'Epilog' im 15. Bild wäre also der Beschluß des Liedes des 10. Bildes zur Seite zu stellen:
Ihr, die auf Erden lebt in Ach und Weh
Auf, sammelt eure schwachen Lebensgeister
Und lernt vom guten Doktor Galuleh
Des Erdenglückes großes Abc.
Gehorsam war des Menschen Kreuz von je!
Wer wär nicht auch mal gern sein eigner Herr und Meister?
Umgekehrt müßte der Titel des Liedes des 10. Bildes - "Die erschröckliche Lehre und Meinung des Herrn Hofphysikus Galileo Galilei oder Ein Vorgeschmack der Zukunft" - auch für das ganze Stück geltend gemacht werden. Liegt in dieser doppelten Bezüglichkeit möglicherweise ein Grund dafür, daß Interpretation und Bewertung des Stücks bis heute umstritten blieben?

Christa Reinigs Ballade vom blutigen Bomme | Fallbeispiel 3
Mein letztes Fallbeispiel ist Christa Reinigs "BALLADE VOM BLUTIGEN BOMME":

HOCHVEREHRTES PUBLIKUM
werft uns nicht die bude um
wenn wir albernes berichten
denn die albernsten geschichten
macht der liebe gott persönlich
ich verbleibe ganz gewöhnlich
wenn ich auf den tod von BOMME
meinen freund zu sprechen komme
MÖGE IHNEN NIE GESCHEHN
WAS SIE HIER IN BILDERN SEHN
I. Bild
ZUR beweisaufnahme hatte
man die blutige krawatte
keine spur mehr von der beute
auf dem flur sogar die leute
horchen was nach draußen dringt
denn der angeklagte bringt
das gericht zum männchen-machen
und das publikum zum lachen
SEHT DIE HERREN VOM GERICHT
SCHÄTZT MAN OFFENSICHTLICH NICHT
II. Bild
EISentür und eisenbett
dicht daneben das klosett
auch der wärter freut sich sehr
kennt den Mann von früher her
BOMME fühlt sich gleich zu haus
ruht von seiner arbeit aus
auch ein reicher mann hat ruh
hält sein sarg von innen zu
JETZT GEHT BOMME DIESER MANN
UND SEIN REICHTUM NICHTS MEHR AN
III. Bild
SAGt der wõrter grüß dich mann
laß dirs gut gehn denk daran
wächter sieht auch mal vorbei
mach mir keine schererei
essen kriegst du nicht zu knapp
BOMME denn kein kopf muß ab
BOMME ist schon sehr gespannt
und malt männchen an die wand.
NEIN HIER HILFT KEIN DAUMENFALTEN
BOMME MUSS DEN KOPF HINHALTEN
IV. Bild
BOMME ist noch nicht bereit
für abendmahl und ewigkeit
kommt der pastor und erzählt
wie sich solch verdammter quält
wie er große tränen weint
und sich wälzet - BOMME meint
das ist alles interessant
und mir irgendwie bekannt
DENN WAS WEISS EIN FROMMER CHRIST
WIE DEM MANN ZUMUTE IST
V. Bild
AUF dem hof wird holz gehauen
BOMME hilft das fallbeil bauen
und er läßt sich dabei zeit
schließlich ist es doch so weit
daß es hoch und heilig ragt
BOMME sieht es an und sagt
das ist schärfer als faschismus
und probiert den mechanismus
WENN DIE SCHWERE KLINGE FÄLLT
SPÜRT ER DASS SIE RECHT BEHÄLT
VI. Bild
AUFstehn kurz vor morgengrauen
das schlägt BOMME ins verdauen
und da friert er reibt die hände
konzentriert sich auf das ende
möchte gar nicht so sehr beten
lieber schnell aufs klo austreten
doch dann denkt er: einerlei
das geht sowieso vorbei
VON ZWEI PEINLICHEN VERFAHREN
KANN ER EINS AM ANDERN SPAREN
VII. Bild
WÄRe mutter noch am leben
würde es auch tränen geben
aber so bleibt alles sachlich
BOMME wird ganz amtlich-fachlich
ausgestrichen aus der liste
und gelegt in eine kiste
nur ein sträfling seufzt dazwischen
denn er muß das blut aufwischen
BITTE HERRSCHAFTEN VERZEIHT
SOLCHE UNANSTÄNDIGKEIT
DOCH WER MEINT DAS STUCK WAR GUT
LEGT EIN' GROSCHEN IN DEN HUT.
Die Affinität dieser Ballade zum Bänkelsang ist von der Forschung von Anfang an gesehen worden. Karl Riha hat auf sie bereits 1965 hingewiesen und die ersten Nachweise geführt. Allerdings ist Riha, sind die ihm folgenden Interpreten (43) überzeugt, daß es sich bei diesem "bänkelsängerischen Rollenmonolog", der dort einsetze, wo er bei Wedekind und Brecht in der Regel abbreche, bei Inhaftierung und Hinrichtung, - daß es sich bei diesem Rollenmonolog um einen "fiktiven bänkelsängerischen Rahmen" handle, daß Christa Reinig die "Spielform" der Moritat als Mittel ironischer Distanzierung von einem fiktiven Geschehen nutze. Vor allem die von Riha in diesem Zusammenhang bemerkte interpretatorische Offenheit der "BALLADE[...]" ist bis heute unbestritten geblieben. Einerseits nehme der Text in seinem vorgeführten "vitalen Nonkonformismus [...] dem Verhängnis oder Tod die Einmaligkeit". Andererseits sei vielleicht bereits diese Deutung überzogen, sei "Reinigs Ballade" möglicherweise "nichts weiter als ein artistisches sprachliches Spiel in einem vorgegebenen literarischen Muster", eine "ästhetisch-provokative Spielerei, die wohlkalkuliert mit dem Entsetzen" scherze (44).

Eine solche Unsicherheit der Interpreten erklärt sich letztlich wohl aus dem Unvermögen, diesem Text hinter den Sinn zu kommen. Das ist aber durchaus möglich, undzwar in einem Doppelschritt. Erstens, indem man diese "BALLADE [...]" als Reaktion Christa Reinigs auf Oscar Wildes "The Ballad of the Reading Gaol" liest. Das ist bisher, obwohl Christa Reinig selbst darauf aufmerksam gemacht hat (46), nicht geschehen. Folgt man diesem Hinweis der Autorin, kontrastiert ihr "bänkelsängerischer Rollenmonolog" zu der poetischen Emphase Oscar Wildes, stellt er den von Wilde pathetisch in Anspruch genommenen christlichen Erlösungsgedanken durch seine gezielte Banalität in Frage. Den poetischen Anspruch der Wildeschen Ballade kontert Christa Reinig mit der Trivialität der Moritat, die poetische Überhöhung mit der banalen Wirklichkeit. Denn - und das ist zugleich der zweite Schritt - Christa Reinig hat einen echten Bänkelsängerstoff gestaltet: die Geschichte der Gladow-Bande.

Einen brauchbaren Zugang zum Stoff bietet das Heft 14 des SPIEGELs aus dem Jahre 1950; "Eine ganze Hundertschaft Volkspolizisten bot Ostsektoren-Polizeipräsident Waldemar Schmidt täglich als Eskorte auf, um Berlins kapitalste Nachkriegsverbrecherbande im improvisierten Schwurgerichtssaal im Reichsbahndirektionsgebäude Linienstraße zu bewachen. Den Schwarzhändlern in der Linienstraße wurden die numerierten Publikumstickets zu dem Prozeß aus den Händen gerissen. Sogar eingefleischte Westberliner fuhren in die berüchtigte Linienstraße, um Werner Gladow, den18jährigen Al Capone vom Alex, und seine Bande, darunter die Gangsterkönige Gustav Redzinski alias Bomme und Hannes Völpel, hauptberuflichen Scharfrichtergehilfen, zu sehen" (46).

Bereits dieses Zitat belegt, daß Reinigs "BALLADE" alles andere als "stilisierter Bänkelsang" ist, formulieren doch die Zeilen "auf dem flur sogar die leute / horchen was nach draußen dringt" recht genau den Andrang des Prozeßpublikums. Mit dem Spitznamen "Bomme" ist sowohl der Name des 'Helden' als auch ein Rätsel gegeben, denn Franz (nicht Gustav, R.D.) Redzinski wurde im Prozeß nicht zum Tode, sondern nur zu lebenslangem Zuchthaus und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt, zum Tode dagegen Werner Gladow, der am 10. Dezember 1950 in Frankfurt/Oder durch das Handbeil hingerichtet wird. Sowohl dieses Handbeil wie das Fallbeil der "BALLADE [...]" bringen den "Scharfrichtergehilfen" Gustav Völpel ("Scharfrichter-Hannes" war sein Spitzname, R.D.) ins Spiel, der zwischen 1946 und 1948 in West- und Ostberlin, sowie in Mitteldeutschland zahlreiche Hinrichtungen vollzogen hatte, mit dem Handbeil dort, mit dem Fallbeil hier. Beim Schwurgerichtsprozeß in der Linienstraße fehlte er allerdings als Angeklagter, denn die Westberliner Polizei hatte ihn "bei einer separaten Einbrechertour" (DER SPIEGEL, S. 8) im April 1949 verhaftet. 1950 von der 5. Großen Strafkammer in Westberlin zu 7 Jahren Zuchthaus verurteilt, starb er 1959, verarmt, eines natürlichen Todes. Dennoch ging offensichtlich Völpel, - "BOMME hilft das fallbeil bauen", "und probiert den mechanismus" - partiell im Balladenhelden auf. Der BOMME der "BALLADE" [...] wäre demnach aus drei realen Personen synthetisiert aus dem hingerichteten Führer der Bande, Gladow, dem "Scharfrichtergehilfen" Völpel und dem "geistesschwachen" "Analphabeten" Redzinski, der dem 'Helden' seinen Spitznamen (Bomme = Kopf) lieh, was der Zeile "BOMME denn dein kopf muß ab" ironischen Nebensinn gibt.

Zu den letzten drei Zeilen des "I. Bildes" liefert Cornelsen einen Schlüssel: "[...] oft hallt der Saal wider von dem Gelächter der Zuhörer über die teils naiven und teilweise unverschämten Antworten der jugendlichen Banditen". Speziell Gladow wird in den Quellen wiederholt als lustiger Vogel geschildert. "Meine Natur ist lustig und fröhlich", charakterisiert er sich selbst gegenüber seinem medizinischen Gutachter; und Cornelsen berichtet, daß der während eines Rundfunkinterviews mit Redzinski hereingeführte Gladow den fotografierenden Reporter angelacht habe: "[...] er lachte überhaupt, so daß die Funkaufnahme wegen allgemeiner Heiterkeit abgebrochen werden mußte". Lassen sich die 3. bis 6. Zeile des "II. Bildes" gleichermaßen auf Völpel (auch in seiner Funktion als Henker), Redzinski und Gladow beziehen, betreffen die letzten beiden Zeilen ausschließlich Gladow. Der einzige "reiche" Mann unter den Todesopfern der Bande war ein Juwelier, und den verwundete Gladow tödlich. Nicht zu entschlüsseln sind die ersten beiden Zeilen des "VII Bildes", denn die mitangeklagte, dann aber freigesprochene Lucie Gladow hat ihren Sohn überlebt, und von einer anderen Mutter ist in den Quellen nicht die Rede. Schließlich entsprechen sich wieder das im Grunde unerschütterliche Verhalten Bommes und die Ruhe, die Gladow während des Prozesses (von wenigen Momenten abgesehen) bewahrt und vor seiner Hinrichtung zur Schau trägt: "Ruhig und gefaßt legt er den Kopf auf den Richtblock".

Andere, ehe vage Entsprechungen führen nicht weiter. Müßig wäre eine Diskussion der Frage, ob Reinigs Kunstfigur BOMME eine Stilisierung des "Räuberhauptmanns Gladow" oder eine Personifizierung der Bande insgesamt darstellt. Dagegen wird als Frage entscheidend, warum Reinig eine solche Kunstfigur (die ja bei der Publizität des Falles via Namen sofort auf diesen verweist) und warum sie die Form des Bänkelsängerliedes wählt? Dazu ist es nützlich, sich die damalige Situation in Berlin, den Hintergrund ins Gedächtnis zu rufen, vor dem die Gladow-Bande agierte. Dieser Hintergrund ist nämlich ziemlich genau die Zeit der Berliner Blockade vom 24. Juni 1948 bis zum 9. Mai 1949, in der "die Stadtkommandanten General Koltikow und Oberst Howley ihren Privatkrieg führten" (DER SPIEGEL, S.85), aber auch Gladow mit seiner Bande Ost- und Westberlin in Atem hielt (will man datieren: vom 15. April 1948 bis 11. Mai 1949).

Gladows Biographie ist, wie die der meisten Bandenmitglieder, geprägt von den letzten Kriegsmonaten, in denen er als Hitlerjunge das Schießen lernte, sowie von der Orientierungslosigkeit der direkten Nachkriegszeit, der speziellen Berliner Situation. Sein Vorbild wurde Al Capone, über den er eine Biographie las: "Ein Mensch wird Verbrecher". Bleibt letzteres in der "BALLADE [...]" unerwähnt, findet die Prägung noch durch die Hitlerzeit, verbunden mit dem vom Gericht in Anwendung gebrachten § 20 des Reichsjugendgesetzes, den die Verteidigung als "ausgesprochen nazistisch" erklärte, da er "noch vom gesunden Volksempfinden" ausgehe", in BOMMES Charakterisierung des Fallbeils ("das ist schärfer als faschismus") ihre denkwürdige Formulierung.

Auch empfand das Volk im Falle Gladows durchaus uneinheitlich. Aus der Sicht der Opfer, angesichts der Toten und Verletzten galten er und seine Freunde als blutrünstige Gangster. Einen "grausamen, brutalen Banditen" nennt ihn Cornelsen, aber im selben Satz gleichfalls einen "naiven unmateriellen Phantasten". "Daß Gladow immer nur an die 'Tat' und nur sehr wenig an ihren materiellen Gewinn dachte", erkannte das medizinische Gutachten über den zur Zeit seiner Verbrechen noch nicht 18jährigen, weise "auf eine gewisse Naivität eines pubertierenden Jünglings hin". Das machte den Gangster auf der anderen Seite zu einem "Räuberhauptmann", die Taten der Gladow-Bande, ihre Überfälle auf Juwelierläden, ihre mehrfachen Entwaffnungen von Volkspolizisten zu einer Räuberpistole. Der Räuber, ganz im Sinne des trivialen Genres, als Volk, das von der immer wieder gefoppten Polizei, dem Staatsorgan gejagt und nicht erwischt wird - ist also die zweite Sicht des Falles Gladow, der drittens noch eine ausgesprochen politische Dimension hatte. Das gilt sowohl für den Prozeß, der "propagandistische Wirkungen haben kann und soll", der, was notabene die merkwürdige Formulierung vom "männchen-machen" erklären könnte, "auch ein politischer Prozeß" war, wie es für die Öffentlichkeit gilt in einer speziellen Verknüpfung von "Räuberhauptmann" und politischer Realität.

Reinig, die sich, bedingt durch ihr "Doppelleben" in Ost- und Westberlin, mit den verschiedenen Aspekten des Falles besonders intensiv beschäftigte, hatte damals u.a. ein Gedicht speziell auf Gladow gemünzt, aus dem sie gesprächsweise zitierte: "Die Polizei schützt uns vor Räubern / Und wer schützt uns vor Polizei?" Diese Zeilen, wie das ganze Gedicht sind nie gedruckt worden. Das Zitat stützt aber die abschließende These, daß in der Wahl des Bänkelsängerliedes eine Parteinahme der Autorin für den ("meinen freund") / für die Räuber implizit enthalten ist, daß die "BALLADE [...]" eine politische Aussage einschließt, die von den Zeitgenossen sehr wohl aufgeschlossen und verstanden werden konnte und sollte. Denn das Bänkelsänger-Alter ego Reinigs konterkarierte mit der "BALLADE VOM ELUTIGEN BOMME" unausgesprochen auch eine Haltung, die Gladow nach dem Erwachsenenstrafrecht verurteilte mit der Begründung: "Er zeigte in einer Zeit des Wiederaufbaues, daß er nicht daran teilnehmen will. Seine Einstellung ist völlig asozial und besonders gesellschaftsschädlich".



Anmerkungen
1) Veit Riedel: Der Bänkelsang. Wesen und Funktion einer volkstümlichen Kunst. Hamburg: Museum für Hamburgische Geschichte 1963.
2) Leander Petzoldt: Bänkelsang. In: R. W. Brednich, L.Röhrich, U. Suppan (Hrsg.): Handbuch des Volksliedes. Bd. 1: Die Gattungen. München: Fink 1973; ders.: Bänkelsang. Vom historischen Bänkelsang zum literarischen Chanson. Stuttgart: Metzler 1974 (Sammlung Metzler, 130).
3) Wolfgang Braungart: Bänkelsang. Texte - Bilder - Kommentare. Stuttgart: Reclam 1985 (RUE, 8041).
4) Während alle davor erschienenen Anthologien bereits im Wortlaut unzuverlässig sind, bringt Petzoldt 1978 zum erstenmal einen umfassenden Reprint einschlägiger Hefte (= Die freundlose Muse. Texte, Lieder und Bilder zum historischen Bänkelsang. Stuttgart: Metzler 1978). Doch genügt eigentlich erst die Edition Braungarts (s. Anm. 3) in ihrem Anhang den philologischen Forderungen, die auch an eine Edition von Bänkelsänger-Literatur gestellt werden müssen.
5) Erwin Sternitzke: Der stilisierte Bänkelsang. Diss. Marburg 1933.
6) Karl Riha: Moritat, Song, Bänkelsang. Zur Geschichte der modernen Ballade. Göttingen: Sachse & Pohl 1965 (Schriften zur Literatur, 7).
7) Moritat, Bänkelsong, Protestballade. Zur Geschichte des engagierten Liedes in Deutschland. Frankfurt: Athenäum Fischer Taschenbuch Verlag 1975.
8) Bänkelsang und Dichtung - Dichtung und Bänkelsang. In: Bänkelsang und Moritat. Stuttgart: Staatsgalerie 1975, S. 64 - B1.
9) W. Braungart: Emblematische Strukturen im Bänkelsang. In: Philobiblion 25, 1981, S. 97 - 116. (Vgl. dazu auch das Nachwort zu Anm. 3)
9a) Eine Ausnahme bildet der Aufsatz "Volksballade - Kunstballade - Bänkelsang" von Walter Hinck (in S. Schaefer (Hrsg.): Weltliteratur und Volksliteratur. München: Beck 1972), bei allerdings anderer Ausgangsfrage.
10) Vgl. Erich Seemann: Newe Zeitung und Volkslied. In: Jahrbuch für Volksliedforschung, Jg 3, 1932, S. 87 - 119.
11) Zit. nach Braungart (Anm. 3), S. 392.
12) Benjamin Neukirch: Herrn von Hofmannswaldau und anderer auserlesener und bisher ungedruckter Gedichte, Teil 6. 0.0. 1709, S. 343.
13) Erich Seemann: Bänkelsänger. In: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Berlin: de Gruyter, 2. Aufl., 1958.
14) Zit. nach Sammy K. McLean: The Bänkelsang and the Work of Bertolt Brecht. The Hague, Paris: Mouton 1972, S. 55.
15) Otto Görner: Der Bänkelsang. In: Mitteldeutsche Blätter für Volkskunde, Jg 7, 1932, H. 4, S. 160.
15a) Zur Popularität dieses Liedes vgl. zuletzt Peter Rühmkorf: Auf eine Weise des Joseph Freiherr von Eichendorff. In: Kunstücke - 50 Gedichte nebst einer Anleitung zum Widerspruch. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1962
16) "Kunstlieder im Volksmunde" nennt John Meier 1906 derart populär gewordene Gedichte.
17) Zit. nach Karl Heinz Kramer (Hrsg.): Lob der Träne. Ein Moritatenbuch. Köln, Berlin: Kiepenheuer & Witsch 1955, S. 133.
18) Zit. nach Elsbeth Janda u. Fritz Nötzold (Hrsg.): Die Moritat vom Bänkelsang oder Das Lied der Straße. München: Ehrenwirth 1959, S. 117.
19) Zit. nach Hans Adolf Neunzig: Das illustrirte [sic] Moritaten-Lesebuch. München: Nymphenburger Verlagshandlung 1973, S. 163. Der Titel des o.J. (1861) in Hamburg bei J. Kahlbrock Wwe verlegten Heftes lautet vollständig: Lenore, das Opfer blinder Liebe. Eine Geschichte aus Preußens großen Königs Friedrich II Helden- und Waffenthaten. Nebst dem Liede: Lenore fuhr um's Morgenroth.
20) Vgl. Lore Kain-Kloock: Gottfried August Bürger. Zum Problem der Volkstümlichkeit. Berlin: Rütten & Loening 1963, S. 166 u. passim.
21) Irma Emmrich: Die Balladen Schillers in ihrer Beziehung zur philosophischen und künstlerischen Entwicklung des Dichters. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jg 5, 1955/56, H. 1, S. 136.
22) Zit. Nach: Grimmelshausens Werke, Bd IV. Berlin u. Weimar: Aufbau-Verlag 1964,.S. 268.
23) Johann Beers Kurtzweilige Sommer-Täge. Abdruck der einzigen Ausgabe (1683). Halle: Niemeyer 1958, S. 283 ff. - Beer war, was sein Urteil mit erklärt, Musiker, zuletzt herzoglicher Konzertmeister am Weißenfeldischen Hofe, und verfaßte einige musiktheoretische Schriften.
24) Zit. nach Braungart (s. Anm. 3), S. 396.
25) Versuch einer Critischen Dichtkunst [...]. Leipzig: Breitkopf 1751, S. 15 (Anm. zu Horaz).
26) Ebd., S. 89.
27) Alle Goethezitate aus der Rezension von "Des Knaben Wunderhorn". Sämtliche Werke. Jubiläums-Ausgabe, Bd. 36, Stuttgart und Berlin: Cotta o.J., S. 247 ff. - Interessanterweise haben Arnim/Brentano in den 2. Teil des Wunderhorn aufgenommen "Des Pfarrers Tochter von Taubenhein" in einer volksliednahen Variation: "Da drunten auf der Wiesen / Da ist ein kleiner Platz, / Da tät ein Wasser fließen, / Da wächst kein grünes Gras."
29) Riha (s. Anm. 7), S. 13 ff.
30) Ebd., S. 42 ff.
31) Der genaue Titel lautet: Traurige und berühmte Folgen der schändlichen Eifersucht, wie auch heilsamer Unterricht, daß Eltern, die ihre Kinder lieben, sie zu keiner Heirat zwingen, sondern ihnen ihren freien Willen lassen sollen; enthalten in der Geschichte Herrn Isaac Veltens, der sich am 11. April 1756 zu Berlin eigenhändig umgebracht nachdem er seine getreue Ehegattin Marianne und derselben unschuldigen Liebhaber jämmerlich ermordet.
31a) Dies und die folgenden Zitate nach dem Exemplar der Stuttgarter Landesbibliothek.
32) Zit. nach Grimm: Deutsches Wörterbuch.
33) Eine sehr eindrucksvolle Radierung besitzt das Germanische Nationalmuseum Nürnberg HB 11 315, abgebildet in: Braungart (s. Anm. 3), S. 273.
34) Nachtwachen. Von Bonaventura. Leipzig: Insel 1980, S. 61 f.
35) Ebd., S. 62.
36) Vgl. Bänkelgesang und Singspiel vor Goethe. Hrsg. von Fritz Brüggemann. Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen. Aufklärung, Bd X.
37) Das "Sabinchen" ist in fast alle einschlägigen Anthologien aufgenommen worden. Neunzig (s. Anm. 19) verzeichnet die populäre Fassung. Janda/Nötzold (s. Anm. 18) verzeichnen auch die Urfassung. Der Neu-Ruppiner Bilderbogen ist wiedergegeben in Katalog "Bänkelsang und Moritat" der Stuttgarter Staatsgalerie.
38) Braunschweiger Ausgabe (dafür künftig BA), Bd. 20, S. 312.
39) BA, Bd 18, S. 167. - Die folgenden Zitate aus dem "Horacker", BA, Bd 12, sind im fortlaufenden Text mit Seitenangabe nachgewiesen.
39a) Lips Tullian, eigentlich Philipp Mengstein, 1715 in Dresden hingerichteter Räuberhauptmann, wurde auch vor Raabe häufiger in der Literatur bemüht, so in Moritz August von Thümmels "Wilhelmine" im Vergleich: "[...] wie der große Lips Tullian auf dem Richtplatze, da schon der Stab gebrochen ist, noch, für seine Nase besorgt, um eine Prise Rappé bat - noch schnupfte er ihn mit süßer Empfindung in dieser entscheidenden furchtbaren Minute, - reckte darauf mit einem Seufzer den Hals dar, und befand sich in der anderen Welt, ehe er - niesen konnte."
40) Während die Vulpius folgende zersungene Romanze noch im Kommersbuch von 1862 schließt: "Rinaldini, lieber Räuber, / Raubst den Weibern Herz und Ruh ;/ Ach, wie schrecklich in dem Kampfe, / Wie verliebt im Schloß bist dul", hatte ein fliegendes Blatt um 1840 bereits folgenden Schluß: "Lispelnd sprach das holde Mädchen, / Höre an, Rinaldo mein, / Werde tugendhaft, mein Lieber, / Laß das Räuberhandwerk sein!" / "Ja, das will ich, liebste Rosa! / Will ein braver Bürger sein, - / Und ein ehrlich Handwerk treiben, / Stets gedenken dabei dein."
41) Zit. nach Neunzig (s. Anm. 19).
42) S. Anm. 14.
43) Karl Rihas erster Interpretation (s. Anm. 6) folgten vor allem Wilhelm Große: Christa Reinig: Die Ballade vom blutigen Bomme. In: Peter Bekes u.a.: Deutsche Gegenwartslyrik von Biermann bis Zahl. München: Fink 1982; Karl Moritz: Deutsche Balladen. Analysen für den Unterricht. Paderborn: Schöning 1972; Kurt Bräutigam: Moderne deutsche BalIaden. Frankfurt/M. u.a.: Diesterweg 1968.
44) Große (s. Anm. 43), S. 201.
45) Mein Herz ist eine gelbe Blume. Christa Reinig im Gespräch mit Ekkehart Rudolph. Düsseldorf: Eremiten-Presse 1978.
46) Neben dem SPIEGEL, Jg 4, 1950, H. 14 versammelt aufschlußreiches Material Horst Cornelsen: Werner Gladow, und seine Bande. In: Thomas Brasch: Engel aus Eisen. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1981. Die erläuternden Zitate im Text nach Cornelsen.