Reinhard Döhl | Geschichte und Kritik eines Angriffs. Zu den Behauptungen gegen Paul Celan

[Der Essay wird hier vollständig, d.h. ohne die redaktionellen, nicht im Einverständnis mit dem Verf. vor dem Druck im Jahrbuch der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung vorgenommenen Kürzungen und Änderungen wiedergegeben.]

Der Plagiatsvorwurf | Unerfindliche Gründe | Drei 'Kronzeugen' | Biblio- und biographische Daten | Parallelstellen | Schluß | Anmerkungen

Der Plagiatsvorwurf

1953, ein Jahr nach Erscheinen de Gedichtbandes "Mohn und Gedächtnis" von Paul Celan, richtete Claire Goll, die Witwe und Nachlaßbetreuerin Yvan Golls, einen "Offenen Brief" an eine Anzahl Verleger, Kritiker und Schriftsteller (1), in dem sie Parallelstellen aus dem späteren Werk ihres Mannes und dem Band "Mohn und Gedächtnis" von Paul Celan zusammenstellte und so versuchte, ihre Plagiatsthese zu begründen, daß nämlich "Mohn und Gedächtnis" bei zeilenweiser Anleihe und durch geschickt assimilierte Verwertung von Wendungen und Bildern eine Imitation des Gollschen Nachlaßbandes "Traumkraut" sei.

1955 erschien ein neuer Gedichtband Paul Celans, "Von Schwelle zu Schwelle"; im JAHRESRING 1955/56 stellte Curt Hohoff zwei Zeilen dieses Bandes zwei weiteren Zeilen Yvan Golls gegenüber; in einem im BAUBUDENPOET Heft 5, März/April 1960, abgedruckten Brief, "Unbekanntes über Paul Celan", griff Claire Goll diese neue Parallelstelle auf und führte - neben einem Angriff auf die Persönlichkeit Paul Celans - Curt Hohoff, Georg Maurer und Richard Exner als Kronzeugen für ihre Plagiatsthese an. Schließlich, am 11. November 1960, veröffentlichte die WELT einen Artikel Rainer K. Abels (= Kabel): "Umstrittener Ausflug in die Vergangenheit. Anleihe oder Anlehnung? - Zur Kontroverse um Yvan Goll und Paul Celan". Hier wurden die schon bekannten Parallelstellen wiederholt und um einige weitere vermehrt. Auch wurden die drei Kronzeugen (mit Hinweis auf den BAUBUDENPOETen) übernommen. Darüber hinaus versuchte Rainer K. Abel, das Ganze in ein philologisches Gewand zu kleiden, wobei er es für eine weitergehende Untersuchung offen ließ, ob es sich um den Einfluß des Bedeutenderen oder um die willkürliche Übernahme einzelner Bilder und Themen handelt. Einen Schritt weiter war er aber schon in seiner Besprechung der "Dichtungen" Yvan Golls (CHRIST UND WELT Nr.44, 1960) gegangen, wo er es einer Untersuchung für wert behauptet, einmal die Abhängigkeit Paul Celans von seinem 'Meister' Yvan Goll festzustellen, den er bis in einzelne Zeilen und Bilder nachgeahmt habe. Mit diesen beiden letzten Veröffentlichungen Rainer K. Abels aber war die Kontroverse um Yvan Goll und Paul Celan, die längst keine echte Kontroverse mehr, die nie eine echte Kontroverse gewesen war, über die Tageszeitung, beziehungsweise eine Wochenzeitung vor die Öffentlichkeit getragen und zu einem "Fall Paul Celan" geworden.

Gleichzeitig erfolgten die ersten Richtigstellungen und Erklärungen für Paul Celan. DIE NEUE RUNDSCHAU publizierte Heft 3, 1960, eine von Marie Luise Kaschnitz, Ingeborg Bachmann, Klaus Demus unterschriebene "Entgegnung", Peter Szondi stellte in einem Leserbrief zur Besprechung Rainer K. Abels in CHRIST UND WELT richtig; unter der Überschrift "Was zum Fall Paul Celan zu sagen ist" erschienen am 16. Dezember 1960 in der WELT zwei Leserbriefe, beziehungsweise Stellungnahmen von Hans Magnus Enzensberger und Dietrich Schaefer. Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG hatte bereits am 18. November 1960 einen längeren Artikel Peter Szondis, "Anleihe oder Verleumdung", gebracht, in dem er sich mit Rainer K. Abels "Umstrittener Ausflug in die Vergangenheit" auseinandersetzte, dabei auch die philologische Methode Abels in Frage stellte. Am 22. Dezember 1960 veröffentlichte DIE TAT "Ein notwendiges Wort" Arnim Mohlers, dem allerdings eine irrtümliche Behauptung unterlief, die er - wohl auch in Folge eines Briefes Claire Golls an DIE TAT - am 29. Dezember 1960 berichtigte. Schließlich entschuldigte sich CHRIST UND WELT am 17. Februar 1961 - Eckart Kleßmann: "Was ist ein Plagiat?" - ausdrücklich bei Paul Celan für den von Rainer K. Abel am 27. Oktober 1960 in seiner Rezension des Gollschen Gesamtwerkes erhobenen Vorwurf, Celan habe Goll imitiert, und distanzierte sich ausdrücklich von den Verleumdungen der Claire Goll und ihres Anhangs, ohne allerdings die in der Überschrift gestellte Frage zu beantworten. Ferner liegen inzwischen eine über dpa verbreitete Erklärung der Träger des Büchnerpreises (2) vor sowie eine umfangreichere Sympathieerklärung österreichischer Schriftsteller "In Sachen Paul Celan" im FORUM, Heft 85 (Wien, Januar 1961), die unter andern von Franz Theodor Csokor, dem Präsidenten des Österreichischen PEN-Clubs, Christine Busta, Heimito Doderer, Milo Dor, Herbert Eisenreich, Friedrich Heer und Fritz Hochwälder unterzeichnet wurde. Nach einer anschließenden Notiz hat der Österreichische PEN-Club an Paul Celan die Einladung zur Mitgliedschaft ergeben lassen und Paul Celan diese Einladung angenommen.

Unerfindliche Gründe

Es ist bisher unerfindlich, aus welchen persönlichen oder sachlichen Gründen Claire Goll 1953, zwei Jahre nach Veröffentlichung des Bandes "Traumkraut" ihres Mannes und ein Jahr nach Veröffentlichung des Bandes "Mohn und Gedächtnis" von Paul Celan, plötzlich in ihrem "Offenen Brief" den Plagiatsvorwurf erhob (3), zumal da sie mit Paul Celan bekannt war und vermutlich auch das Manuskript zu "Mohn und Gedächtnis", wenigstens zum Teil, gekannt haben dürfte). Ihre Begründung ist, soweit sie überhaupt die Sache betrifft, fadenscheinig, wenn nicht sogar - was noch zu zeigen sein wird - bedenklich unbegründet. Ersichtlich scheinen nach der Lektüre des Briefes im BAUBUDENPOET und anderer Briefe, z.B. an DIE TAT, lediglich persönliche, emotionale Gründe. Die aber sind nicht Sache der Öffentlichkeit, wie sie auch keine öffentliche Kontroverse rechtfertigen. Eine subjektive emotionale Argumentation in der Nähe des strafrechtlichen Komplexes der üblen Nachrede und Diffamierung ist auch kein Argument gegen literarische Texte, wie immer sie sein mögen, erst recht aber kein Beweis für ein angebliches Plagiat. Es kann also im folgenden nichts dazu und nichts dagegen gesagt werden, außer, daß hier ausdrücklich festgestellt wird, daß eben solche persönlichen Anwürfe und Angriffe ein der Sache inadäquates, fragwürdiges Verfahren darstellen.

Es wird im folgenden ferner nicht von der literarischen Qualität der "Dichtungen" Yvan Golls sowie der bisher vorliegenden Gedichte Paul Celans zu reden sein. Das ist Aufgabe einer gründlichen (ästhetischen) Interpretation, die zu unternehmen der unserer Untersuchung  zur Verfügung stehende Raum und die zur Verfügung stehende Zeit verbieten. Auch würde eine solche Interpretation wenig zur Klärung der Sache beitragen. Stattdessen geht es hier darum, den schon von Peter Szondi versuchten und eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen, indem der Vorwurf des Plagiats, die angeblichen Parallelstellen, die Methode des Nachweises der Anleihe oder Anlehnung und ihre Glaubwürdigkeit Schritt für Schritt überprüft werden, wobei auch zu erwähnen sein wird, was Plagiat eigentlich meint und wann überhaupt davon die Rede sein kann (4).

Drei 'Kronzeugen'

In "Unbekanntes über Paul Celan" führt Claire Goll, wie gesagt, drei gewichtige Kronzeugen für ihre Plagiatsthese an, die Rainer K. Abel mit Hinweis auf den Brief im BAUBUDENPOET unbesehen übernimmt: Curt Hohoff, Georg Maurer und Richard Exner. Claire Goll schreibt:

Im 'Jahresring 1955/56' stellte später Dr. Curt Hohoff folgende Zeilen einander gegenüber: Bei Goll heißt es: "Die Eber mit dem magischen Dreieckskopf / Sie stampfen durch meine funkelnden Träume" (Traumkraut).Und bei Celan: "In Gestalt einer Ebers / Stampft mein Traum durch die Wälder am Rande des Abends".Ohne Kommentar.

Kurz davor hatte Claire Goll von "Mohn und Gedächtnis" gesprochen. Die beiden Zeilen Paul Celans entstammen aber dem Band "Von Schwelle zu Schwelle" (ebenfalls stehen die beiden Zeilen Yvan Golls nicht in "Traumkraut", sondern in "Neila - Letzte Gedichte"). Ob durch Weglassen der Quellenangabe der Anschein erweckt werden soll, sie ständen in "Mohn und Gedächtnis", kann nicht sicher behauptet werden. Mit Sicherheit sind dagegen beide Zitate falsch wiedergegeben. Ob diese Änderung vorgenommen wurde, um die Zitate einander näherzurücken, wie Peter Szondi vermutet, bleibe zunächst dahingestellt. Jedenfalls finden sich die falschen Zitate sowohl bei Claire Goll wie später bei Rainer K. Abel, der allerdings die richtige Quelle angibt.

Während ihr Curt Hohoff im JAHRESRING 1955/56 ohne Vorwurf und ohne Kommentar lediglich diese eine Parallelstelle geliefert hat, bedient sich Claire Goll der beiden anderen Kronzeugen sozusagen als Gutachter.
So berichtet sie über Georg Maurer:

Im Jahre 1956 schrieb man mir, daß Georg Maurer, auf der Lyrikerdiskussion des deutschen Schriftstellerkongresses in Ostberlin, im Januar sagte: "Ich verweise nur auf den Meisterplagiator Paul Celan, der in seinen Versen das mittelmäßig wiederholt, was Yvan Goll zur Meisterschaft gebracht hat".

Es wäre nützlich und aufschlußreich zu erfahren, wer dieser man ist, auf den sich Claire Goll beruft, denn in einer viel zu wenig beachteten Zuschrift an die WELT (abgedruckt am 31. Dezember 1960) berichtigte Georg Maurer:

Kürzlich wurde ich von Professor Hans Mayer auf einen Artikel aufmerksam gemacht, der in der WELT vom 11. November anläßlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises an den Lyriker Paul Celan erschienen ist ["Umstrittener Ausflug in die Vergangenheit", R.D.]. Darin heißt es: "... 1956 soll Georg Maurer von Paul Celan als einem Meisterplagiator gesprochen haben."
Der Satz an meinem Referat 'Zur deutschen Lyrik der Gegenwart' (abgedruckt im Bändchen "Der Dichter und seine Zeit", Aufbau-Verlag, Berlin 1956), auf den sich das Gerücht bezieht, heißt: "Wenn unsre jungen Lyriker ihren begabten Kollegen Paul Celan, der jetzt in Paris lebt, oder Ingeborg Bachmann lesen, ist es gut, wenn sie auch Ivan Goll und Else Lasker-Schüler etwas kennen."
Ich habe damit den Dichter Paul Celan ebensowenig wie die Dichterin Ingeborg Bachmann (ich schätze eine ganze Reihe von Gedichten beider Autoren hoch ein) des Plagiats bezichtigt. Außerdem: es gibt Fälle (und es sind nicht wenige in der Kunst- und Literaturgeschichte), bei denen man sich mit dem Vorwurf des 'Plagiats' nur lächerlich machen würde. Bewußt habe ich aus der voraufgegangenen Dichtergeneration, von der wir alle lernen, Ivan Goll und Else Lasker-Schüler genannt als (im Vergleich zu Heym oder Trakl etwa) der jüngsten Generation weniger bekannte Repräsentanten des 'expressionistischen Jahrzehnts', die kennenzulernen sich lohnt.
Der Begriff "Meisterplagiator" war mir unbekannt. Auf Anhieb würde ich ihn, da ich ihn nun kenne, auf Shakespeare anwenden, den schon sein Zeitgenosse, der Dramatiker Greene, mit einer "aufstrebenden Krähe, die sich mit fremden Federn schmücke", verglich, oder auf Brecht, dessen von ihm öffentlich bekundete Auffassung über 'geistiges Eigentum' inzwischen berühmt geworden ist.

Der dritte Kronzeuge, Richard Exner, wird von Claire Goll folgendermaßen vorgestellt:

Eingeladen von verschiedenen Universitäten der Vereinigten Staaten, über meinen Mann Vorträge zu halten, bereiste ich ab 1952 die U.S.A. Nach einem Vortrag in der University of California kam der junge Germanist, Professor Richard Exner, auf mich zu und sagte: "Kennen Sie 'Mohn und Gedächtnis' von Paul Celan?" Ich verneinte. "Eine völlige Anlehnung an die Gedichte 'Traumkraut' ihres Mannes, die ich heute zum ersten Mal höre". (5)

Dem Ehepaar Goll muß aber - auch nach den Angaben des Briefes Claire Golls im BAUBUDENPOET - Paul Celans erster Gedichtband, "Der Sand aus den Urnen" (1948), bekannt gewesen sein. Und dieser Band hat die drei Teile: "An den Toren", "Mohn und Gedächtnis" und "Todesfuge". Man kann also ohne Schwierigkeit folgern, daß wenigstens die Formulierung "Mohn und Gedächtnis" Claire Goll bekannt gewesen sein mußte. Abgesehen davon scheinen aber auch sonst - wie im Falle Georg Maurer - die Angaben Claire Golls fragwürdig. In einem vorliegenden Brief vom 22. Januar 1961 an Fritz Martini erklärt nämlich Richard Exner gewissermaßen an Eides-Statt unter anderem über seine Begegnung mit Frau Goll in Los Angeles:

Ich kannte von Goll den Band "Traumkraut". Ich las 1952 "Mohn und Gedächtnis" von Paul Celan und war begeistert. Im selben Jahre hielt Frau Goll, die damals ein fellow der Huntington Hartford Foundation (so hieß es wohl) in Los Angeles war, einen Vortrag an der UCLA, einen Vortrag über Gedichte und Leben ihres Mannes. Nach diesen Vortrag war ein kleiner Empfang im Hause des damaligen dt. Generalkonsul, Dr. Richard Hertz. Während einer Unterhaltung fragte Frau Goll mich (es war dar erste Mal, daß ich sie sah): "Gibt es etwas Neues in der deutschen Lyrik von heute" -- Ich antwortete: Ja "Mohn und Gedächtnis" von P.C. -- 0, den kenne ich, sagte sie. Was halten Sie davon, fragte sie mich. Ich sagte, daß ich nicht mit dem Kritiker Schwedhelm übereinstimmen könne, der im Klappentext sagt: diese Sprache ist unbekannt im deutschen Gedicht oder so ähnlich. Mir schiene, fuhr ich fort. Daß die glücklichen Landgewinne des Surrealismus im Deutschen in Anlehnung an die frz. Lit. bereits Leuten wie Goll gelungen seien. Da fuhr sie hoch und sagte: er hat abgeschrieben. Seit dieser Zeit ließ sie mir keine Ruhe und wollte, daß ich das Gollsche Werk, besonders das frz. auf Parallelstellen durchgebe, was ich nicht gemacht habe, nicht machen konnte, weil ich damals nicht sehr gut frz. las. Auf dieser Konversation baut Frau Goll seit einem Jahrzehnt mein "Germanistengutachten" auf und seit Monaten muß ich mich deswegen verhören lassen -- Ich schrieb 1954 einen Aufsatz über Golls deutsche Lyrik, in dem ich sagte, daß man Goll vergessen habe, so gründlich sogar, daß man anläßlich Celans von einer vollkommen neuen Sprache im deutschen Gedicht spreche. Das war meine letzte öffentliche oder private Äußerung zum Fall Celan. Nun hat mich Frau Goll in ihrer wahnsinnigen Verfolgungssucht zum Wortführer gemacht, nennt mich Ordinarius an der UCLA (seinerzeit war ich "first year graduate student" und nicht an der UCLA) aber diese Lügen vermehren sich und werden brav abgedruckt. Alle diese Leute wie Demus, wie Rudolf Hirsch (der hier eine Ausnahme ist, denn er hat mich um Aufklärung gebeten und dann nichts damit gemacht), wie Leute an der "Welt", der "NZZ" drucken munter den alten Schmarren weiter ab, jeder weiß, daß ich noch lebe, keiner fragt an.

Die von Claire Goll angeführten und von Rainer K. Abel ohne Nachprüfung übernommenen angeblichen Äußerungen Richard Exners oder Georg Maurers sind also entweder entstellt oder für die von Frau Goll vorgebrachte Plagiatsthese zurechtformuliert. Die von Curt Hohoff gelieferte neue Parallelstelle wird falsch wiedergegeben. Damit aber entbehren alle diese Äußerungen jeder Überzeugungskraft. (6)

Biblio- und biographische Daten

Im vorigen Abschnitt wurde der erste Gedichtband Paul Celans in einem Zusammenhang erwähnt, der evident macht, wie wichtig die Kenntnis der bibliographischen Daten bei den einzelnen Fragen ist. Bereits Peter Szondi, Dietrich Schaefer u. a. wiesen auf diesen Punkt hin. Es scheint deshalb geraten, zunächst den bibliographischen, wenn nötig den biographischen Daten beider Dichter zu folgen und in jedem Fall sogleich die notwendig erscheinenden Anmerkungen hinzuzufügen (7).

In "Unbekanntes über Paul Celan" schreibt Claire Goll von den mittelmäßigen, epigonenhaften Versen, die er in einem in Wien erschienenen Band, soviel ich erinnere, noch unter seinem Namen Antschel vereinigt und herausgegeben hatte. Die Exemplare zog er übrigens schnellstens, nachdem er sich in Celan verwandelt hatte, ein. Claire Goll erinnert sich allerdings nicht richtig, denn sowohl die Gedichte im PLAN wie der Gedichtband "Der Sand aus den Urnen" waren schon unter dem Namen Paul Celan erschienen. Auch erfolgte die Einziehung so nicht wegen der Namensänderung, sondern wegen der vielen Druckfehler, von denen es in der Tat in dem Bande wimmelt. Eines aber wird mit Sicherheit aus den Angaben Claire Golls deutlich: ihr und ihrem Mann war dieser erste Gedichtband bekannt, und das heißt auch, wie gesagt, daß ihr bekannt sein mußte, daß der zweite Teil dieses Bandes den Titel "Mohn und Gedächtnis" führte. Daß der erste Teil, "An den Toren", mittelmäßige, epigonenhafte Verse enthält, soll nicht bestritten werden. Doch schon für den zweiten, erst recht für den dritten Teil, die "Todesfuge", dürfte diese Behauptung Claire Golls schwerlich zu beweisen sein. Darüber berichtet Claire Goll in "Unbekanntes über Paul Celan": ... hatte er flüchtig und ungekonnt einige Gedichtbände meines Mannes vom Französischen ins Deutsche übersetzt. Die Übertragungen wurden vom Pflug Verlag Zürich [recte: Thal/St. Gallen, R.D.] als schlecht abgewiesen. (9). Dagegen heißt es in der "Entgegnung": Nach Abschluß der letzten Übersetzung ließ die Witwe Iwan Golls das Manuskript von ihrem Verleger mit der - im Hinblick auf die spätere Bezichtigung der "völligen Anlehnung" so aufschlußreichen - Begründung zurückweisen, es trüge allzudeutlich die Signatur Paul Celans. Worauf die im Besitz aller Abschriften Verbliebene dann selbst zu übersetzen begann. So wenig zunächst die Richtigkeit einer dieser beiden Versionen angenommen werden kann, so sehr wird aber die Version Claire Golls fraglich, wenn Richard Exner auf ein ähnliches Vorgehen wie das der Zurückweisung aufmerksam macht. Er schreibt nämlich, in dem schon oben zitierten Brief: ... einen vom New Yorker 'Aufbau' angeforderten Aufsatz [Richard Exners, R.D.] über Celan ließ Frau Goll nach Einhändigung an die Redaktion kassieren. Er wurde nie gedruckt oder honoriert. Auf diesen Band "Mohn und Gedächtnis", besonders den ersten Teil, beziehen sich die meisten Parallelstellen, wobei als Erscheinungsjahr 1952 angegeben und die Tatsache unterschlagen wird, daß die Gedichte des ersten Teiles (mit Ausnahme des "Chanson einer Dame im Schatten", welches übrigens unter den Parallelstellen auch nicht erfaßt ist) schon 1948 gedruckt, spätestens 1948 also als Manuskript vorlagen. Der von Claire Goll als Vorbild Paul Celans ständig genannte Gedichtband Yvan Golls ist "Traumkraut". Dieser Band ist, nach den Äußerungen Claire Golls, Paul Celan als Manuskript bekannt und zugänglich gewesen: und nicht nur dieser Band. Fraglos muß, wenn das "Traumkraut" für Paul Celan vorbildlich gewesen sein soll, seine Entstehungszeit vor 1948 liegen. Und in diesem Punkte weichen die Angaben sehr voneinander ab. Mit Sicherheit kann man zunächst nur die Daten folgender drei (bzw. vier) gedruckten Ausgaben erfassen: Wesentlich schwieriger zu ermitteln sind die genauen Entstehungsdaten der Gedichte. Nach den Angaben des Vorwortes der Limes-Ausgabe begann Yvan Goll mit der Arbeit am "Traumkraut" im Straßburger Hospital: also im September 1948. Dem steht entgegen, daß bereits vier Gedichte der späteren, poshum herausgegebenen Sammlung im Mai 1948 in DAS GOLDENE TOR abgedruckt wurden, also spätestens Ende April 1948 vorgelegen haben müssen. In der "Bibliographie sommaire d'Yvan Goll" (in den "Oeuvres choisies") gibt Claire Goll das Jahr 1947, und zwar nach dem Mai, als époque des premiers poèmes de L'Herbe du Songe an; 27 Seiten vorher, im Vorwort, allerdings wiederum erst den Aufenthalt im Straßburger Hospital; so auch im Vorwort zum "Traumkraut" in den "Dichtungen". Im "Quellenverzeichnis" der "Dichtungen" dagegen wird als Entstehungszeit 1941-1949 genannt, darunter das spezielle Entstehungsdatum des "Ozeanliedes" mit dem 1. Januar 1941 angegeben. In den "Oeuvres choisies" wiederum ist zwar das "Chanson de l'Ocean" abgedruckt, jedoch ohne diese Datierung. In ihrem Brief vom 15. Januar 1961 an DIE TAT, z. Hd. Max Rychner, bezieht sich Claire Goll auf das in ihrem Besitz befindliche Manuskript des "Traumkrauts" in deutscher, gotischer Handschrift und fährt fort, daß sich auch die Notizbücher mit den ersten Niederschriften aus dem "Traumkraut", im Straßburger Hospital 1948, in ihrem Besitz befänden. Das aber beträfe erneut die Zeit nach dem September 1948. Auch in diesem Brief sagt sie, daß Gedichte aus dem "Traumkraut" in DAS GOLDENE TOR abgedruckt wurden, was aber (s.o.) bei dieser Datierung unmöglich sein kann.

Noch in einem anderen bibliographischen Punkt, der nicht unerwähnt bleiben soll, variieren die Angaben Claire Golls. So schreibt sie im Vorwort der Limes-Ausgabe: Aber als er 1948 vor seiner tragischen Krankheit, der Leukämie, in das Spital von Straßburg flüchtete, das ihn nach fünf Monaten wunderbarerweise noch einmal befristet ins Leben entließ, nahm die Sprache seiner Jugend wieder von ihm Besitz und es entstand - neben einem Band hermetischer Sonette in französischer Sprache: "Le Char Triomphal de l'Anitmoine" - schon ein Teil der Gedichte des "Traumkrauts". Im Vorwort zu der Auswahl in den "Oeuvres Choisies" lautet der entsprechende Passus: ... Ja majeure partie des poèmes qui composent "Traumkraut" (Herbe da songe). 1960 heißt es im Vorwort zu "Traumkraut" in den "Dichtungen" dann: ... und es entstand die erste Hälfte der Gedichte des 'Traumkrauts'. (Von den übrigen Abweichungen der Vorworte wird an anderer Stelle noch die Rede sein.)

Ungenau wie bei den Angaben der Entstehungsdaten verfährt Claire Goll besonders bei ihren Angaben über den Abdruck in DAS GOLDENE TOR. Die erste Erwähnung dieses Abdruckes befindet sich unseres Wissens in der "Bibliographie des Oeuvres d'Yvan Goll", 1956, in den "Oeuvres choisies". Sie lautet kurz: DAS GOLDENE TOR. Poèmes' signés 'Tristan Thor'. Lahr, Verlag Schauenburg, und für den unwissenden Leser wird hier der Eindruck einer selbständigen Publikation erweckt; ebenso in der von Claire Goll stammenden Goll-Bibliographie in der Taschenbuchausgabe der "Menschheitsdämmerung", Rowohlt-Verlag, Hamburg 1959. Dort heißt die entsprechende Angabe: Traumgras, Gedichte (unter Pseudonym Tristan Thor); Mainz 1948. Im "Quellenverzeichnis" der "Dichtungen", 1960, ist dann nur noch vom Abdruck einiger Gedichte aus 'Traumkraut' im 'Goldenen Tor', Verlag Schauenburg, Lahr, unter dem Pseudonym Tristan Thor die Rede. In dem schon erwähnten - mit Frau Dr. Yvan Goll unterzeichneten - Brief an DIE TAT, z. Hd. Max Rychner, schreibt Frau Goll dann, Alfred Döblin habe in seiner Zeitschrift: "Das Goldene Tor", Mainz, neun Gedichte aus dem "Traumkraut" abgedruckt, (es sind aber nur fünf).

Abgesehen von den einfach falschen Angaben, die hier nicht noch einmal zusammengefaßt werden müssen, dürfte es allerdings vorläufig nahezu unmöglich sein, ein bestimmtes Entstehungsdatum als sicher und verbindlich anzugeben, zumal da die Angaben Claire Golls durch ihre anscheinende Wahllosigkeit wenig Glaubwürdigkeit mehr besitzen. Eine nähere Analyse der Gedichte des "Traumkrauts", insbesondere der ersten Hälfte, lassen über Formulierungen wie

Bluthund in meinem Fleisch
Fang die Träume die mir entfliegen
Bell die weißen Geister an
...
Dies schwanke Knochenhaus
Auf Sand gebaut
...
Klopfe an die Erde
Blutangst springt dir ins Gehirn
...
Alte Löwen meines Bluts
Rufen umsonst nach Gazellen (11)
die Vermutung zu, daß wenigstens ein Hauptteil der Gedichte des "Traumkraut" erst entstanden sein kann, als bzw. nachdem sich Yvan Goll des tödlichen Ausgangs seiner Leukämie bewußt geworden war. In der "Biographie sommaire d'Yvan Goll" heißen die diesbezüglichen Angaben: 1944 (déc.) - Goll découvre, par son dossier médical du Memorial Hospital de New York qu'il est etteint de leucémie. Damit ergäbe sich als frühester Termin der Datierung der Dezember 1944, doch wird dies sofort wieder durch eine weitere Vermutung einzuschränken sein, da es fraglich ist, ob sich Yvan Goll schon damals in einem Maße, wie es die gegebenen Zitate zeigen, mit seiner Krankheit auseinandergesetzt hat. Vielmehr scheinen diese Zitate eher auf eine spätere Zeit, vielleicht tatsächlich erst den Aufenthalt im Straßburger Hospital, hinweisen, was allerdings ausdrücklich als Vermutung geäußert wird.

Die bisherigen Überlegungen besagen zwar eine Menge über die Methoden der Nachlaßbetreuung durch Claire Goll und lassen hier interessante Rückschlüsse zu, sie besagen weniger über das angebliche Plagiat Paul Celans. Wie gesagt müßte Paul Celan, um überhaupt Anleihen gemacht haben zu können, die Gedichte des "Traumkrauts" gekannt, müßte also Zugang zu den Manuskripten gehabt haben, d.h. mit dem Ehepaar Goll gut bekannt gewesen sein. Hier ist ein biographischer Punkt zu beachten, über den Claire Goll in "Unbekanntes über Paul Celan" folgende Angaben macht: Im Oktober 1949 erhielten wir von Celan einen 'rührenden Brief', der sein Verkanntsein als Dichter, seine Verzweiflung darüber, daß niemand ihn anerkenne etc. schilderte. Er setze seine letzte Hoffnung in uns. Ob er kommen und uns etwas vorlesen dürfe? Danach hat Paul Celan das Ehepaar Goll erst im Oktober, spätestens November 1949 kennengelernt. Das deckt sich mit den Angaben in der "Entgegnung": Paul Celan hat Iwan Goll vom Spätherbst 1949 bis zum März 1950 [recte: bis zum 27. Februar, R.D.] gekannt, gemeinsam mit dem letzten der Unterzeichneten [d.i. Klaus Demus, R.D.]. Das entspricht aber auch einer anderen Angabe Claire Golls im Brief an DIE TAT, z.Hd. Max Rychner, wo sie angibt daß ihnen Paul Celan zur Zeit der Publikation der fünf Gedichte in DAS GOLDENE TOR, also im Mai 1948, noch nicht begegnet war. (12) Paul Celan kann also nur vom Oktober 1949 (frühestens) bis Ende Februar 1950, wahrscheinlich aber noch länger bis zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt einer persönlichen Entfremdung von Claire Goll, Zugang zu den Manuskripten Yvan Golls gehabt haben. Damals war jedoch der Band "Der Sand aus den Urnen" bereits erschienen. Und es ist hieraus leicht zu ersehen, daß zumindest alle diejenigen Parallelstellen, die sich auf diesen Band beziehen, zweifellos kein Plagiat, keine Anlehnung oder Anleihe sein können.

Die Art und Weise, in der Claire Goll in diesem Zusammenhang mit bibliographischen Angaben und Daten umgeht, lassen darüber hinaus nicht nur jede bibliographische Angabe von ihrer Seite fraglich, vielmehr einen Großteil Ihrer Angaben unglaubwürdig erscheinen.

Parallelstellen

Auf jeden Fall scheint es zunächst geraten, all diejenigen Parallelstellen und Argumente zu überprüfen, auf die sich die Plagiatsthese stützt. Das betrifft die Angaben Claire Golls in ihrem "Offenen Brief", die von Curt Hohoff im JARESRING 1955/56 angeführte, von Claire Goll und Rainer K Abel unrichtig wiedergegebene Parallelstelle, sowie die darüber hinausgehenden Angaben Rainer K. Abels in seinem Aufsatz "Umstrittener Ausflug in die Vergangenheit". Der dabei einzuschlagende Weg entspricht ungefähr den Vorschlägen Peter Szondis, wobei allerdings von vornherein zwei Gruppen unterschieden werden: diejenigen Parallelstellen, die Gedichte Paul Celans betreffen, soweit sie schon 1948 in "Der Sand aus den Urnen" vorlagen, und als zweite Gruppe alle anderen Parallelstellen. (13)

a

Ihr malt in den Mühlen des Todes das weiße Mehl der Verheißung (Paul Celan)
Le Moulin de la Mort (Yvan Goll) (CG; RK)
Die Zeile Paul Celans entstammt dem Gedicht "Spät und Tief", MuG, S. 31, ist aber schon unter der Überschrift "Deukalion und Pyrrha" In SaU, S.52, abgedruckt. "Le Moulin de la Mort" ist der Titel eines zweiteiligen Gedichtes Yvan Golls aus der Sammlung "Les Cercles Magiques", Paris, Edition Falaize 1951. Als Entstehungszeit gibt Claire Goll im "Quellenverzeichnis" 1942-1944 an. In ihrer Übersetzung lautet eine Zeile aus "Die Mühle des Todes I":
Reifes weißes Korn meines Todes
und zwei andere Zeilen aus "Die Mühle des Todes II":
0 mein weißes Blut
Das in der Brühe des Mondes kocht
(DD, S. 529 u. 530). Beide Zeilen lassen jedoch eher ein späteres Entstehungsdatum nach dem Dezember 1944 vermuten (vgl. das in diesem Zusammenhang weiter oben schon Gesagte). Aber selbst wenn diese Gedichte so früh entstanden sein sollten, wie Claire Goll angibt, können sie für Paul Celan nicht verbindlich gewesen sein.

b

Ein Halsband aus Händen (Paul Celan)
Ein Halsband aus Lerchen (Yvan Goll) (CG)
Die vollständige Zeile bei Paul Celan lautet:
Ein Halsband aus Händen gab dir der Wald, so schreitest du tot übers Seil
und steht in dem Gedicht "Talglicht"; MuG, S.11; SaU, S.30; PL, S. 367. Das Gollzitat ist unrichtig wiedergegeben und lautet richtig im Kontext der Zeile:
Ein Halsband von Lerchenliedern versprach ich dir.
Es entstammt dem Gedicht "Dichterschicksal", DD, S. 557. Es gehört zu der Gruppe "Neila - Letzte Gedichte", nach dem "Quellenverzeichnis" 1947/48 entstanden und in der vorliegenden Form unveröffentlicht. Nach den Angaben Claire Golls in der Zeitschrift "Konturen", März 1953, die das Gedicht publizierte, ist es allerdings erst im Winter 1949/50 entstanden. In Wirklichkeit erschienen diese Gedichte bereits 1954 im Rothe-Verlag, Heidelberg, unter dem Titel "Abendgesang - (Neila) - Letzte Gedichte". Lediglich das vorletzte Gedicht dieser Ausgabe, die sonst nur geringfügig von dem neuerlichen Abdruck in den DD abweicht, "Kein Grenzstein mehr für die Hoffnung", erscheint in den DD an anderer Stelle, in der von Claire Goll übersetzten Sammlung "Vielfache Frau", unter der Überschrift "Ur und Sichem verkohlt".

c

Die Sonne des Todes (Paul Celan)
Eine immer wiederkehrende Wendung Golls (CG)
Die entsprechende Zeile bei Paul Celan aus dem Gedicht "Das ganze Leben" - MuG, S. 30; SaU, S. 51; PL, S. 369 - lautet richtig:
Die Sonnen des Todes sind weiß wie das Haar unsres Kindes.
In den "Dichtungen" Yvan Golls konnte die immer wiederkehrende Wendung, Die Sonne des Todes, nicht nachgewiesen werden. Dort gibt es nur die Wendung Totensonne (TrL, S. 21; TrD, S. 448), dazu eine Vor-Fassung Morgensonne aller Toten (GT, S. 465), wovon noch gesondert zu reden sein wird. Darüber hinaus finden sich bei Goll nur zwei vergleichsweise interessante Wendungen:
Das Rad meiner gestorbenen Sonne
(DD, S. 536) und in den frühen Gedichten "Noemi" die Zeile:
Die Sonne hing verkohlt und schwarz in der Straße
(DD, S. 48). Stattdessen kennt schon Paula Ludwig, die zeitweilige und damalige Begleiterin Yvan Golls, 1932 die Metapher Totensonne:
im Brande deiner Totensonne
im Aschenregen deiner Jahrhunderte
("Dem dunklen Gott. Ein Jahresgedicht der Liebe", Dresden 1932, S. 4. Der Gedichtband trägt ein Mottogedicht Yvan Golls, und nicht nur diese beiden Zeilen sind, nicht nur vergleichsweise, interessant.)

d

der malvenfarbene Tod (Paul Celan)
der veilchenfarbene Tod (Yvan Goll) (CG)
Hier zitiert Claire Goll zweifelsohne verkehrt. Zwar gibt es bei Paul Celan die beiden Zeilen: du starbst nicht
den malvenfarbenen Tod
(MuG, S. 13; SaU, S. 32), aber die Formulierung der veilchenfarbene Tod ist bei Yvan Goll nicht nachweisbar. Vielmehr zitiert Claire Goll wahrscheinlich eine Übersetzungsformulierung Paul Celans: veilchenfarbener Tod für la mort violette, von Claire Goll in ihrer späteren Übersetzung durch der violette Tod wiedergegeben ("Pariser Georgika", zweisprachig, Luchterhand-Verlag 1956, S. 6/7) (14). Das Gedicht hat die Überschrift "Paris" und endet mit den zwei Zeilen: Se module la mort violette
Qui porte un nom de fleur.
Vermutlich hat das nom de fleur Paul Celan bewogen, violette mit veilchenfarben zu übersetzen, wobei veilchenfarben, worauf bereits Peter Szondi hinwies, höchstens eine Anleihe bei seiner eigenen Formulierung malvenfarben sein kann, also ein Selbstplagiat, das jedenfalls erlaubt ist. Zweifelsohne verkehrt ist die Behauptung Claire Golls, der veilchenfarbene Tod sei eine Formulierung ihres Mannes. (15)

e

Vögel im Haar (Paul Celan)
Haar aus Vögeln (Yvan Goll) (RK)
Die entsprechende Zeile heißt bei Paul Celan: Mit Vögeln im Haar geht er hin zu versenken die Schwerter (MuG, S. 9; SaU, S. 27; PL, S. 366). Das entsprechende Gedicht hat im PLAN eine Überschrift "Umsonst malst du Herzen", die in MuG und SaU weggelassen wurde. Die Wendung Golls steht in folgendem Kontext: Dein Rosenfleisch - dein Haar aus Vögeln -
Deine Quellenstimme: Geliebte, wo bist du?
Das zugehörige Gedicht trägt den Titel "Bist du wirklich" (DD, S. 603) und gehört in die Sammlung "Vielfache Frau", die Claire Goll aus dem Französischen übersetzte (17). Die im "Quellenverzeichnis" angegebene Entstehungszeit ist 1946/47.

f

Zuschanden gehaun ward der Mond ( Paul Celan)
der zerbrochene Mond; Mondaxt (Yvan Goll) (RK)
Die vollständige Zeile bei Paul Paul Celan findet sich in dem Gedicht "Ein Lied in der Wüste", MuG, S. 7: SaU, S. 25: Zuschanden gehaun ward der Mond, das Blümlein der Gegend von Akra. Die ersten beiden Zeilen aus Yvan Golls "Hiob 1" lauten: Mondaxt
Sink in mein Mark
(TrL, S. 26; TrD, S. 452). Über die Entstehungszeit wurde weiter oben bereits ausführlich gehandelt. Die Wendung der zerbrochene Mond begegnet in den "Dichtungen" Yvan Golls zweimal, allerdings nur im Plural; zuerst in einem längeren chorischen Text, "Genesis": Und also wurden
Die Sonnen die Planeten
die ganzen und zerbrochenen Monde
(DD, S. 11), nach den Angaben des "Quellenverzeichnisses" 1913 geschrieben, aber unveröffentlicht. Ferner begegnen die zerbrochnen Monde in "Zehntausend Morgenröten (Ivan an Claire)", DD, S. 488: In ultravioletten Algen
Moderte mein Schicksal
Die rosa Polypen der Begierde
Und die zerbrochnen Monde vieler Nächte!
"Zehntausend Morgenröten" sind nach den Angaben des "Quellenverzeichnisses" 1924/25, 1947 entstanden. Eine frühe Ausgabe erschien unter dem Titel "Poemes d'Amour" 1925 in Paris. Das Erscheinungsdatum der endgültigen französischen Originalausgabe wird nicht angegeben (18), eine deutsche Fassung wurde 1954 im Limes-Verlag publiziert. Davon abgesehen sind ein zuschanden gehauner Mond und ein zerbrochener Mond natürlich zwei völlig verschiedene Dinge, vom Kontext ganz zu schweigen. (19)

g

Sticht mit dem Dolch nach dem Tode (Celan)
Goll ließ einen Dolch die Totensonne schlitzen (RK)
Wiederum wird Paul Celan verkehrt wiedergegeben. In "Ein Lied in der Wüste" heißt die zweite Zeile nämlich vollständig und richtig: Dort riß ich den Rappen herum und stach nach dem Tod mit dem Degen (MuG, S. 7; SaU, S. 25). Die Strophe Yvan Golls, die Rainer K. Abel meint, ist die letzte Strophe des Gedichtes "Die Hochöfen des Schmerzes": Ach was braut der Herr der Erze
In den Herzen? Den Schrei
Den Menschenschrei ans dunklem Leib
Der wie ein geweihter Dolch
Unsre Totensonne schlitzt
(TrL, S. 21; TrD, S. 448), wobei festgestellt werden muß, daß es sich wohl kaum um ein Versehen handelt, wenn in der Limes-Ausgabe noch vier, in den "Dichtungen" dann durch Zusammenziehung von Strophe 3 und 4 nur noch drei Strophen stehen. Beide Ausgaben sind posthum, so daß diese Änderung nur von Claire Goll stammen kann. Interessant wird das Ganze durch Hinzuziehung der vierten Strophe der GT-Fassung: Was braut der Herr der Erze und der Herzen?
Den Schrei
Den Menschenschrei aus dem verreckten Leib
Der wie ein reiner Dolch
Die Morgensonne aller Toten stürzt.
Man müßte die Manuskriptfassung einsehen, um entscheiden zu können, ob die Änderung noch von Yvan Goll selbst vorgenommen wurde. Wir wollen es hier unterstellen. (20) Dennoch beweist die Gegenüberstellung eindeutig, daß Paul Celan die Gollsche Vorlage unmöglich benutzt haben kann. Und selbst wenn er - wie man spitzfindig vermuten könnte - die fünf Gedichte in DAS GOLDENE TOR gekannt haben sollte (21), so ist die Parallelität zwischen Der wie ein reiner Dolch
Die Morgensonne aller Toten stürzt
und ... stach nach dem Tod mit dem Degen noch absurder als in der durch falsches Zitat konstruierten Parallele, die Rainer K. Abel gibt.

h

schwarze Milch der Frühe (Paul Celan)
schwarzer Schnaps des Wahnsinns, rote Milch der Kraft, Milch der Unschuld, goldene Milch der Jahreszeiten (Yvan Goll) (RK)
Hier handelt es sich zunächst einmal um die in der modernen Poesie bevorzugte Form der Genitivmetapher. Und bei diesen oft willkürlichen, oft austauschbaren Metaphern, bei entfernter Ähnlichkeit gleich von einer Anleihe zu sprechen, weist eigentlich auf Unkenntnis der modernen Poesie, auf Nichtinformiertsein hin. Darüber hinaus ist die "Todesfuge", die mit den Worten Schwarze Milch der Frühe beginnt, MuG, S. 37, bereits in SaU, S. 59 ff. abgedruckt. Die Metaphern Milch der Unschuld, rote Milch der Kraft, schwarzer Schnaps des Wahnsinns kann Paul Celan unmöglich gekannt haben. Schwarzer Schnaps des Wahnsinns ist zudem falsch zitiert. In dem schon erwähnten Gedicht "Paris" hat Claire Goll Le marc noir de la folie - in den "Oeuvres choisies", S. 143, lautet die Zeile: Le schnaps noir de la folie - richtig mit Den schwarzen Schnaps des Wahnsinns wiedergegeben ("Pariser Georgika", S. 617). Ob Rainer K. Abel durch Weglassen des bestimmten Artikels beim Leser etwas erreichen wollte, bleibe dahingestellt. Immerhin benutzt Paul Celan seine Genitivmetapher ohne den bestimmten Artikel. Auch bei rote Milch der Kraft wird der bestimmte Artikel von Rainer K. Abel unterschlagen. Die Zeile findet sich in dem Gedicht "Sonnmond" (DD, S. 597) in folgendem Kontext: Aus deinen zwei Brüsten
Gieß aus die zwei Prinzipien
Die rote Milch der Kraft
Den weißen Wein der Schwäche.
Daß dergleichen mit dem Kontext der "Todesfuge" aber auch gar nichts zu hat, dürfte selbst dem oberflächlichsten Leser deutlich sein. Auch beim dritten Beispiel wird beim Zitieren der bestimmte Artikel 'vergessen'. Das Gedicht Yvan Golls "Immer zur Stunde des Morgenrots" (DD, S. 584) beginnt mit den drei Zeilen: Immer zur Stunde des Morgenrots
Stürz ich für dich zu Tal
Um die Milch, der Unschuld.
Die beiden zuletzt zitierten Gedichte gehören in die Sammlung "Neila - Letzte Gedichte", die Paul Celan wie die "Pariser Georgika" nur als Manuskript, also erst nach 1949, nach Erscheinen der "Todesfuge" gekannt haben kann. Lediglich die letzte der von Rainer K. Abel angeführten Metaphern könnte Paul Celan theoretisch bekannt gewesen sein. Sie steht in "Der Ölbaum", DD, S. 194, und ist nach den Angaben des "Quellenverzeichnisses" unter dem Peudonym Johannes Alt zusammen mit drei anderen Oden in den Jahren 1924-1926 veröffentlicht worden. Auch hier wird der bestimmte Artikel von Rainer K. Abel unterschlagen. Der Kontext bei Yvan Goll lautet:
Es gießt der Mond
Aus seinen verschiedenen Krügen
Die goldene Milch
Der Jahreszeiten
und ist unmöglich mit Paul Celans "Todesfuge" in einem Atemzug zu nennen. Übrigens findet sich schon vor Yvan Goll, 1921, bei Oskar Loerke die Metapher goldene Milch ("Die heimliche Stadt"),   lesen wir in den frühen Tagebüchern Rainer Maria Rilkes von der schwarzen Milch dieser dämmernden Ziege und kennt die Umgangssprache Milch der Weisheit, die Milch der frommen Denkungsart als konventionelle Metaphern.

i

"Todesfuge" (Paul Celan)
"Fuge" (Yvan Goll) (RK)
Auf keinen Fall zu vergleichen sind die "Todesfuge" von Paul Celan und die "Fuge von Bach" Yvan Golls. Selbst vom materialen Aufbau her unterscheiden sich die beiden Gedichte grundlegend. Denn es ist nicht so, daß Yvan Goll, wie Rainer K. Abel behauptet, eine "Fuge" geschrieben hat, während die Interpretation im Falle der "Todesfuge" auf Beziehungen zur musikalischen Fuge hingewiesen hat (Peter Seitenstricker; Wolfgang Butzlaff in DER DEUTSCHUNTERICHT, Jg. 12, 1960, Heft 3). Auch kann Paul Celan Yvan Golls "Fuge von Bach" nicht bekannt gewesen sein, da sie, nach dem "Quellenverzeichnis" zwar schon 1932 entstanden ist, bisher aber unveröffentlicht war. Ebenfalls für Paul Celan nicht vorbildlich gewesen sein dürften zwei andere Gedichte Yvan Golls, in denen das Wort Fuge vorkommt: Und nun, schon ist das erste Leberblümchen blau,
Schon übt der Bach seine Fugen
("Erster Frühlingsstauß für dich", aus "Hymnen an Liane", DD, S. 18; nach dem "Quellenverzeichnis" 1916/17 entstanden, unveröffentlicht) und: Ich bin der Orgel-Mensch
Ich steig die Fugenleiter auf und nieder
Kommt her zu mir Chorkinder all
Zum Bruder aller Menschen aller Verspern
("Johann Ohneland der Orchestermensch", DD, S. 628), wobei in beiden Beispielen ein zur "Todesfuge" extrem unterschiedlicher Kontext vorliegt. Und es durfte schwerfallen zu behaupten, daß ein Dichter mit dem Gebrauch eines Wortes auch sozusagen dessen Patent miterworben hat, so daß jeder weitere Gebrauch dieses Wortes eine Anleihe oder Anlehnung bedeutet. Die Literaturgeschichte kennt außerdem eine Anzahl "Fugen"-Gedichte. So schrieb Ernst Bertram ein Gedicht "Die Fuge", Oskar Loerke eines, das er schlicht "Fuge" nannte, Otto Nebel gar arbeitete jahrelang an einem Text mit der Überschrift "Unfeig. Eine Neun-Runen-Fuge. Zur Unzeit gegeigt"; später noch an einer "Zwölf-Runen-Fuge". Diese  Beispiele mögen genügen

j

Bis zur gemeinsamen Vorliebe für bedeutsame Begriffe (Krug, Becher, Wasser, Feuer, Asche), für Pappeln und Mohn, für die Farben Blau, Schwarz und Rot und bis zur Übereinstimmung ungewöhnlicher Metaphern reichen die Gemeinsamkeiten. (RK) Was es mit der Übereinstimmung ungewöhnlicher Metaphern auf sich hat, ist an einem Fall bereits gezeigt worden. Sieht man davon ab, daß Krug, Becher, Wasser etc. keine Begriffe sind, so enthalten die Gedichte im PLAN und in "Der Sand aus den Urnen" bereits die Wörter Krug (achtmal), Wasser (neunmal, in Zusammensetzung dreimal), Becher, Feuer, Asche, Mohn, ferner die Adjektiva blau, rot, schwarz so oft, daß sie als für das 'Wörterbuch' Paul Celan bedeutend angesehen werden müssen. Das gilt auch für die, von Rainer K. Abel nicht angeführten, bei Yvan Goll wie Paul Celan häufigen Wörter: Blut, Herz, Auge, Mond, Spiegel, Schnee, Haar, Schwester, Wein, Rose usw. Lediglich das Wort Pappel begegnet erst nach 1948 (in MuG, S. 69, 72; "Von Schwelle zu Schwelle", S. 9 u.a.), doch gilt hier - bei nachweisbar anderem Kontext - das bereits zu "Fuge" Gesagte. (22) Darüber hinaus hätte Rainer K. Abel wissen müssen, daß es sich nicht nur bei den von ihm angeführten Farbadjekiva, sondern auch bei den meisten anderen Wörtern um bevorzugte Wörter schon der expressionistischen Literatur handelt. (23)

k

Blutstrahl des Mondes (Paul Celan)
Mondblut (Yvan Goll) (RK)
Die angeführte Genitivmetapher verwendet Paul Celan in einem Vergleich in dem Gedicht "Corona": Wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis,
wir schlafen wie Wein in den Muscheln.
wie das Meer im Blutstrahl des Mondes
(MuG, S. 33; SaU, S. 54). Die Metapher Mondblut begegnet im 26. der "Malaiischen Liebeslieder" in folgendem Kontext: Bientôt dans le thé d'or
Tu boiras une goutte rauge
Une goutte du sang lunaire (24)
Nach den Angaben des "Quellenverzeichnisses" schrieb Yvan Goll die "Chansons Malaises" 1931/32. Die französische Originalausgabe erschien 1935, mit Illustrations de Paula Ludwig, im Verlag Poésie & Cie., Paris; die deutsche Übertragung von Claire Goll zum ersten Mal 1952 in Thal/St.Gallen. Die französische Ausgabe kann Paul Celan, der nach seinem Abitur, 1938, einige Semester Medizin in Tours studierte, möglicherweise gekannt haben, bevor er die Gedichte auf Bitten Yvan Golls übersetzte. Aber erstens meint Blutstrahl des Mondes, unabhängig vom Kontext, etwas anderes als Mondblut, zweitens ist die Kombination von Blut und Mond bereits ein alter, gebräulicher Topos. Im Expressionismus heißt es zum Beispiel bei Elske Lasker-Schüler: Leise schwimmt der Mond durch mein Blut (Gedichte 1902-1943, S. 174) oder im 19. Jahrhundert bei Georg Büchner: Marie: Was der Mond rot aufgeht!
Woyzek. Wie ein blutig Eisen.
Auch bei Yvan Goll findet sich diese Kombination wiederholt, so in "Mond IV" ("Der Eiffelturm", Berlin 1924, S. 122; DD, S. 182): Und eines Nachts troff Blut auf unser Antlitz:
Dein Blut zu unsres Krieges Blut gemischt,
Rann um die Erde wie ein runder Ring.
In "Neila - Letzte Gedichte" begegnet dann die sprachliche Verbindung von Mond und Blut noch einmal in "Die Nacht ist unsre rauhe Schale" (DD, S. 577): Die Nacht ist unsre rauhe Schale
Wir stehen darin zwei weiße Mandeln
Unser Blut kreist wie der Mond.
Diese Zusammenhänge eines Topos' außer acht gelassen zu haben und aus der vagen Ähnlichkeit zweier aus dem Kontext herausgerissener Metaphern eine Anlehnung oder Anleihe zu konstruieren, ist fraglos ein peinliches philologisches Versehen.

l

Beide kennen ein Herz der Welt (RK) Das Gedicht "Der Stein aus dem Meer" von Paul Celan beginnt mit der Zeile: Das weiße Herz unsrer Welt, gewaltlos verloren wirs heut um die Stunde des gilbenden Maisblatts (MuG, S. 23; SaU, S. 46). Herz der Welt ist also wiederum ein falsch wiedergegebenes Zitat. Bei Yvan Goll kommt das Herz der Welt zweimal vor: in dem Gedicht "Die Katze": Mit blauem U-Strahl
Durchleuchtest du das Herz der Welt
Mit Dynamit aufbröckelst du die Nacht -
("Der Eiffelturm", 1924, S. 85; DD, S. 158). Das zweite Mal begegnet das Herz der Welt in der "Umbrischen Ode" (DD, S. 198): Wo aber ein Wasser lebt,
Da taucht die Nacht hinein
Und glaubt, das Herz der Welt zu finden.
(Die "Umbrische Ode" gehört zu den vier Oden, über die weiter oben schon bibliographische Angaben gemacht wurden.) In beiden Fällen scheint eine Anleihe Paul Celans ausgeschlossen, jedenfalls ist der Kontext bei ihm ein ersichtlich anderer. Schließlich ist aber auch das Herz der Welt wiederum ein alter Topos, der, im Expressionismus beliebt, schon im 19. Jahrhundert bei Friedrich Hölderlin als Heilig Herz der Völker, bei Anastasius Grün als Herze von Österreich begegnet. Auch Yvan Goll spricht in der "Demonstration" vom atmenden und leuchtenden Herz des Volks ("Der Eiffelturm", S. 98; DD, S. 168). Friedrich Hebbel läßt "Judith" im V. Akt sagen: Ich hab die Welt ins Herz gestochen, u.v.a.m.

Abgesehen von der Entstellung oder ungenauen Wiedergabe der Zitate und der zum Teil nur daraus resultierenden Parallelität kann man jederzeit ohne größere Schwierigkeit weitere Parallelstellen ausfindig machen, die sogar den Vorteil einer scheinbar größeren Ähnlichkeit besitzen. Für viele sollen hier nur zwei angegeben werden, nicht ohne Claire Goll und Rainer K. Abel den Vorwurf zu machen, beim Aufsuchen ihrer Parallelstellen oberflächlich vorgegangen zu sein und - wie man jetzt anhand der ständig falschen Zitate schließen möchte - der Parallelität noch ein wenig nachgeholfen zu haben. Ein Beispiel einer Parallelstelle, die zweifelsohne weder Anlehnung noch Anleihe sein kann, wäre

m

Wie Fischer werfen sie Netze nach Irrlicht und Hauch
...
Im Quell deiner Augen
leben die Garne der Fischer der Irrsee
(MuG S 19; SaU, S. 41 / MuG, S. 29; SaU, S. 50) und dagegen bei Yvan Goll: Ach nur im abnehmenden Mond
Da magern die Flüsse ab und erlischt
Das Ginster-Irrlicht deiner Augen
(TrL, S. 59; TrB, S. 474) Das Wort Ginster gehört aber auch schon zum sprachlichen Repertoire Paul Celans. Oder ein zweites Beispiel:

n

Paul Celan schreibt (MuG, 5.33; SaU, S. 54):

Mein Aug steigt hinab zum Geschlecht der Geliebten während es bei Yvan Goll heißt: Und steige hinab zum Scharnier deines Blutes (DD, S. 518, in "Die magischen Kreise"; Et je descends vers le grond de tes sangs, Oeuvres choisies, S. 172). In beiden Fällen liegt offensichtlich das verbreitete Orpheusmotiv vor.

Wie schon jetzt zu sehen ist, bleiben nur noch wenige der von Claire Goll und Rainer K. Abel angegebenen Parallelstellen übrig, die die Gedichte Paul Celans nach der Veröffentlichung von "Der Sand aus den Urnen" betreffen. Auch her soll schrittweise vorgegangen werden.

o

Aschenblume (Paul Celan)
Aschenmasken (Yvan Goll) (CG)
Das betreffende Gedicht Paul Celans (ohne Überschrift) beginnt: Ich bin allein, ich stell die Aschenblume
ins Glas voll reifer Schwärze
und steht in MuG, S. 53. Die Gollsche Formulierung findet sich in der Sammlung "Elégie d'Ihpetonga - Suivie de Masques de Cendre", Paris 1949, Editions Hemisphères. Nach den Angaben des "Quellenverzeichnisses" sind diese Gedichte 1942-1946 entstanden. Doch scheinen für die Gedichte der "Suivie de Masques de Cendre", darin speziell für das Gedicht "Hospital", die schon weiter oben vorgetragenen Überlegungen wesentlich zu sein, weshalb erst der Dezember 1944 als frühester Entstehungstermin in Frage kommt. In diesen Gedichten kommt die Wendung Aschenmaske zweimal vor, und zwar als Überschrift des ganzen Zyklus' und in dem Gedicht "Gipskopf", in der Übersetzung Claire Golls: In meiner Aschenmaske
Erlöschen die Lichter
(DD, S. 396 bzw. S. 398). In den davor abgedruckten "Ihpétonga Elegien" werden die Worte Asche und Maske in folgendem Kontext gebraucht: Die Indianerin sieht dich an Manahatta
Mit ihren Augen ans Quecksilber und Orange
Die Brüste zerfressen von Maulwürfen und Kometen
Und die Seele von Haß
Gegen die Menschen aus Asche und Gips
(DD, S 385) und: Uralte Welle
Mit Fischköpfen immer geharnischt
Goldschuppen zwischen den salzigen Brüsten
Dein Kissen vollgestopft mit Gräten
Und der Maske aus Millionen Blicken
O leih mir deine Totenlarve!
(DD, S. 388). Die Entwicklung der Metapher Aschenmaske hieraus scheint folgerichtig, hat allerdings dann nichts mehr mit der Metapher Aschenblume zu tun. Bei Paul Celan begegnet Asche in SaU viermal: Auch trank ich aus hölzernen Schalen die Asche der Brunnen von Akra (MuG, S. 7; SaU, S. 25), ferner: Geraubt sind dem Sommer die Herzen
das Obst, das dir reifte zum Dämmer, gehißt auf den zackigen Türmen
der Luft. Über Zinnen ans Asche.
In Gottes wölfischem Schoß.
(SaU, S. 35; PL, S. 367). In der "Todesfuge" ist wiederholt vom aschenen Haar die Rede. Schließlich trägt ein Gedicht die Überschrift: "Aschenkraut" (MuG, S. 16; SaU, S. 37). Auch bei Paul Celan scheint sich also die Metapher Aschenblume aus seinem sprachlichen Repertoire ergeben zu haben. Zwar hat er zusammen mit Yvan Goll und allein die "Elegie d'Ihpétonga" übersetzt, doch scheint in jedem Fall die Entwicklung von Aschenkraut zu Aschenblume wahrscheinlicher als die behauptete Parallelität Aschenmaske - Aschenblume. Außerdem sind Komposita mit Asche mindestens seit denn Expressionismus beliebt, so daß ihr Auftreten bei Yvan Goll oder Paul Celan keineswegs als eigentümlich und originell zu werten ist. Yvan Goll verwendet in seinem späteren Werk, seit den "Aschenmasken" ("Masques de Cendre") wiederholt Aschenvogel, einmal  Vögel aus Asche, ferner Aschennacht, Aschenschleier; in dem schon erwähnten Gedichtband Paula Ludwigs, "Dem dunklen Gott" (1932), begegnen Aschenregen und Asche meines Herzens; Hermann Kasack spricht in seinem Gedicht "Jünglingsmaske"("Das ewige Dasein", 1943) von einem jungen Aschenhaupt u.v.a.m.

p

Beide Dichter besingen die Stadt Paris als Schiff (RK) Bei Paul Celan heißt es: Paris, das Schifflein, liegt im Glas vor Anker:
so halt ich mit dir Tafel, trink dir zu.
(MuG, S. 52). Dagegen spricht Yvan Goll in der Sammlung "Der Eiffelturm", S. 12. vom: Zinnober-Schiff "PARIS".

Segler auf den Wappen aller Mairien und Tramways
Im Mistral der Gefängnisse schaukelt dein Firmenschild
 

LIBERTÉ EGALITÉ FRATERNITÉ. Von den Kirchturmmasten von St. Sulpice
Fliegen die Engel auf
In unsichtbaren Lifts (25)
Schon die Überschriften, "Auf hoher See" (Celan) und "Paris brennt" (Goll), weisen auf einen jeweils unterschiedlichen Kontext. Auch hat Yvan Goll die Kombination Paris - Schiff  nicht erfunden. Schon bei Baudelaire z.B. findet sich in den "Pariser Bildern" die Zeile: Glockentürme, die ihr der Städte Masten seid. Unabhängig davon ist es in diesem Fall völlig unsinnig, von einer Parallelstelle zu sprechen, da die Communité von Paris ein Segelschiff im Wappen hat, mit der Aufschrift: fluctuat nec mergitur, einem in Paris lebenden Autor das Schiff bildlich ständig vor Augen ist. Sowohl Paul Celan zehrt also wie auch Yvan Goll von einem, wenn man so will, bildlichen Allgemeingut: der bildlichen Vorstellung eines Wappens. (26)

q

siebente Rose (Paul Celan)
die siebente Rose (Yvan Goll) (CG; RK)
Das Gedicht Paul Celans, auf das sich diese Parallelstelle bezieht, trägt die Überschrift "Kristall" und lautet: Nicht an meinen Lippen suche deinen Mund,
nicht vorm Tor den Fremdling,
nicht im Aug die Träne.

Sieben Nächte höher wandert Rot zu Rot,
sieben Herzen tiefer pocht die Hand ans Tor,
sieben Rosen später rauscht der Brunnen.

(MuG, S. 50). Es heißt bei Paul Celan also nicht, wie sowohl Claire Goll als auch Rainer K. Abel angeben, siebente Rose. Das Gedicht Yvan Golls, in dem die siebente Rose vorkommt und das in keiner Weise das Gedicht "Kristall" berührt, lautet: Die erste Rose ist aus Granit
Die zweite Rose ist aus Rotwein
Die dritte Rose ist aus Lerchenfedern
Die vierte Rose ist ans Rost
Die fünfte Rose ist aus Sehnsucht
Die sechste Rose ist aus Zinn
Aber die siebente
Die zarteste
Die gläubige
Die nächtliche
Die schwesterliche
Wird erst nach deinem Tod
Aus deinem Sarge wachsen
(DD, S. 319). Das Gedicht ist überschrieben "Die siebente Rose" und stammt nach dem "Quellenverzeichnis" aus einem Gedichtband "Die siebente Rose" (Paris, Poésie & Cie., 1928). Dabei haben Claire Goll und Rainer K. Abel sogar noch eine andere Parallelstelle bei Yvan Goll überlesen; dort heißt es nämlich in "Neila - letzte Gedichte" in dem Gedicht "Du hast vier Augen": Du hast sieben Herzen, Königin,
Sie alle sind angezündet
Und bilden meine Krone
(DD, S. 570), (wobei allerdings, und nicht nur hier, zu fragen wäre, ob Yvan Goll nicht eventuell auch das Manuskript des Gedichtes "Kristall" [und anderer] gekannt haben könnte, was immerhin theoretisch möglich wäre). In den späteren Gedichten Yvan Golls tauchen darüber hinaus noch mehrere Wendungen auf, die mit dem Gedicht "Kristall" von Paul Celan mehr zu tun haben als das oben zitierte, von Claire Goll und Rainer K. Abel gemeinte Gedicht "Die Siebente Rose". So heißt es - wobei man nicht übersehen darf, daß die Verbindung der Zahl Sieben mit Kristall jedem Physikschüler klar ist - in einem Gedicht "Die Angst": War ein Festsaal darin aus schwingendem Kristall
Aus Kristall durchschauert von siebenschichtigem Licht
("Neila - Letzte Gedichte", DD, S. 555). In demselben Zyklus, in den Gedicht "Schneemusik", spricht Yvan Goll von Rosen aus Kristall und dem siebenfarbenen Spiel, in einem anderen Gedicht, "Was klage ich", stehen folgende zwei Zeilen: Was fürcht ich in der Weltennacht
Solang ich deine Lippen wandern hör
(DD, S. 587). Natürlich finden sich die hier angeführten Zeilen Yvan Golls in einem jeweils eigenen und, wie ohne Schwierigkeiten nachzuprüfen ist, anderen Kontext als das Gedicht "Kristall" von Paul Celan. Dennoch bleibt die oben angeschnittene Frage, ob Yvan Goll nicht vielleicht auch das Manuskript des Gedichtes "Kristall" gekannt hat, bestehen.

r

In Gestalt eines Ebers
stampft mein Traum durch die Wälder am Rande des Abends (Paul Celan)
Die Eber mit dem magischen Dreieckskopf
Sie stampfen durch meine funkelnden Träume (Yvan Goll) (CG; RK)
Hier scheint es sich in der Tat um eine deutliche Parallele zu handeln, doch sind, wie schon gesagt, beide Zitate falsch wiedergegeben. Das Gedicht Paul Celans hat die Überschrift "In Gestalt eines Ebers" und lautet vollständig: In Gestalt eines Ebers
stampft dein Traum durch die Wälder am Rande des Abends.

Blitzendweiß
wie das Eis, aus dem er hervorbrach,
sind seine Hauer.

Eine bittere Nuß
wühlt er hervor unterm Laub,
das sein Schatten den Bäumen entriß,
eine Nuß,
schwarz wie das Herz, das dein Fuß vor sich herstieß,
als du selber hier schrittst.

Er spießt sie auf
und erfüllt das Gehölz mit grunzendem Schicksal,
dann treibts ihn
hinunter zur Küste,
dorthin, wo das Meer
seiner Feste finsterstes gibt
auf den Klippen:

vielleicht
daß eine Frucht wie die seine
das feiernde Auge entzückt,
das solche Steine geweint hat.

("Von Schwelle zu Schwelle", S. 22). Das betreffende Gedicht Yvan Golls mit der Überschrift "Sahst du in meiner Lunge den dürren Wald" lautet: Sahst du in meiner Lunge den dürren Wald
Mit seinen leeren Nestern sein Herbstgeäst?
Die Hasen haben Angst im Bromheer
Und meine Drosseln sind todestraurig

Du träumst noch wie zur Zeit des Hollunderrauschs
Von den Johannisfeuern im Glühwurmberg
Und du und ich mit Sternenkronen
Ewig gefeit vor dem Zeitverhängnis

Die Eber mit dein magischen Dreieckskopf
Sie stampfen durch meine faulenden Träume -
Dein schönstes Juliangesicht aber
Leuchtet in meinen Wintern

("Neila - Letzte Gedichte", DD, S. 578). Die Änderungen in den entsprechenden Zeilen durch Claire Goll (bzw. durch Rainer K. Abel bei Übernahme dieser Parallelstelle) sind evident. So wurde aus dein Traum bei Paul Celan mein Traum gemacht und die Wendung damit der Gollschen Wendung meine funkelnden Träume angenähert; meine funkelnden Träume sind aus meine faulenden Träume verändert und damit der Celanschen Wendung blitzendweiß angenähert. Und gewiß muß man sich hier fragen, ob nicht Absicht dahintersteckt. Bereits Peter Szondi wies auf diese Möglichkeit hin. Abgesehen davon in es natürlich ein Unterschied, ob ein Traum in Gestalt eines Ebers [...] durch die Wälder am Rande des Abends stampft oder ob Eber durch [...] faulende Träume stampfen. Auch ist der Kontext jeweils ein ersichtlich anderer, ohne erst eine gründliche Interpretation bemühen zu müssen. Bei Paul Celan sind die Wälder, das Gehölz, die Küste, das Meer, die Klippen die Landschaft, in der sich der Traum eines anderen bewegt - in Gestalt eines Ebers. Bei Yvan Goll ist die Lunge der dürre Wald, in dem Hasen und Drosseln sind; Erinnertes wie Hollunderrausch, Johannisfeuer, Glühwurmberg, wird hereingeholt, durch ihren magischen Dreieckskopf charakterisierte Eber stampfen durch meine faulenden Träume usw. Im Grunde gibt es also nichts, was diesen beiden Gedichten gemeinsam wäre, außer einer vagen sprachlichen Beziehung: des stampfenden Ebers (im Singular bzw. im Plural) im Zusammenhang mit Traum, wobei dein Traum und meine faulenden Träume etwas recht Unterschiedliches meinen.

Dergleichen Parallelen aber finden sich in der Literaturgeschichte Hülle die Fülle, ohne daß sofort von Plagiat gesprochen wird. Und wenn es geschah, erwies die literaturgeschichtliche Forschung alsbald die Grundlosigkeit eines solchen Geredes. Eine beliebige, viel eindeutigere Parallele solcher Art bieten z.B. die Balladen "Adelstan und Röschen" von Ludwig Hölty und Gottfried August Bürgers "Lenore":

Die dumpfe Totenglocke schallt
Drauf in das Dorf. Man bringt
Den Sarg daher; der Küster wallt
Der Bahre vor, und singt.
Der Pfarrer hält ihr den Serrnon,
Und wünscht dem Schatten Ruh.
("Adelstan und Röschen")

Horch Glockenklang! horch Totensang:
"Laßt uns den Leib begraben!"
Und näher zog ein Leichenzug,
Der Sarg und Totenbahre trug...

"Komm Küster hier! Komm mit dem Chor,
Und gurgle mir das Brautlied vor!
Komm, Pfaff, und sprich den Segen.
Eh wir zu Bett uns legen!"
("Lenore")

Dergleichen Parallelstellen werden immer dort anzutreffen sein, wo Autoren aus einem gemeinsamen literarischen Entwicklungszusammenhang kommen. Die Ideen des "Göttinger Hainbunds" verbanden Gottfried August Bürger und Ludwig Hölty; Yvan Goll und Paul Celan entstammen dem Umkreis des französischen Surrealismus; Yvan Goll selbst ist, vom Expressionismus herkommend, durch den Surrealismus hindurchgegangen, Paul Celan scheint im Begriff, ihn zu überwinden (vgl. die "Sprachgitter", S. Fischer 1959).

Doch scheint dies noch keine befriedigende Antwort zu sein, und man wird - will man sich bei dieser letzten Parallelstelle Klarheit verschaffen - von einer anderen Überlegung ausgeben müssen: So ist es in der modernen Poesie ein durchaus legitimes Verfahren, mit fremden Texten zu arbeiten. Ganze Inhalte anderer Literaturen können in den Kontext eines Gedichtes eingeschmolzen werden. Das bedeutet nicht Laxheit gegenüber fremdem geistigen Eigentum; vielmehr bedeutet es, da das Zitat neben dem neugewonnenen auch einen ursprünglichen Bereich hat, Erweiterung und Vertiefung. Dieses Zitieren kann geschehen durch unveränderte Wiedergabe eines Zitats (wobei das eine das andere bedingt), durch bewußtes Ändern des Zitats (was eine Korrektur des ursprünglichen Bereiches bedeuten würde) und durch Parodierung des Originaltextes durch parodiertes Zitat. (26) Dann läge in dem fraglichen Fall, wenn überhaupt, das bewußte Ändern eines Zitats und damit eine Korrektur des ursprünglichen Textbereichs vor, was übrigens unmittelbar ersichtlich ist, weil Paul Celan aus diesem veränderten Zitat konsequent einen eigenen Kontext aufbaut. Die gleichen Überlegungen können theoretisch, sieht man von der Frage der Datierung einmal ab, auch für das Beispiel gelten. In keinem Fall aber wird von Anlehnung oder Anleihe, gar von Plagiat die Rede sein können.

Ebenfalls nicht bei einer weiteren Parallelstelle, die Claire Goll und Rainer K. Abel zwar nicht angegeben haben, die wir aber der Vollständigkeit halber anführen wollen. Wir erinnern deshalb noch einmal an die im Beispiel h angeführten Genitivmetaphern und daran, daß keine der von Rainer K. Aber angeführten Gollschen Wendungen als vorbildlich für schwarze Milch der Frühe angesehen werden konnte. Eine größere Affinität scheint allerdings bei zwei anderen Beispielen aus "Johann Ohneland" gegeben. undzwar sind in das Gedicht "Johann Ohneland grüßt den Harlemriver", (DD, S. 750), zwei refrainartige Zeilen eingerückt:

Harlem! Schwarze Priesterin
Trunken von der weißen Milch des Taus.
In "Johann ohne Land entdeckt den Westpol" spricht Yvan Goll von den Leuten ohne Land, die ... in des Abends Fieberschwären
Von schwarzer Milch von bittrem Gras sich nähren
müssen (DD, S. 751). Beide Gedichte sind in der Übersetzung Lothar Klünners zitiert. Leider war es während unserer Untersuchung nicht möglich, die "Jean sans Terre"-Ausgaben einzusehen, so daß weder entscheiden werden kann, ob die Gedichte Paul Celan vor 1948 bekannt gewesen sein können, noch, ob die Übersetzung Wort für Wort mit dem Original übereinstimmt. Die Datierung der einzelnen Ausgaben ist unterschiedlich. Das "Quellenverzeichnis" gibt an: "Johann Ohneland", begonnen 1932; die drei Bände der französischen Originalfassung "Jean sans Terre" erschienen 1934, 1936 und 1938 bei Editions Poésie & Cie, Paris; Gesamtausgabe Editions Seghers, Paris 1958. Dagegen stehen die Angaben in der "Bibliographie sommaire d'Yvan Goll" und der "Bibliographie des Oeuvres d'Yvan Goll", der Reihenfolge nach zitiert: 1935-1939 - Epoque de la crise personelle racontée dans Jean sans Terre; 1936 - La Chanson de Jean sans Terre, Paris, Poésie & Cie, dessin de Marc Chagall; 1938 - Deuxieme Livre de Jean sans Terre, Paris, Poésie & Cie.; 1939 - Troisieme Livre de Jean sans Terre, Paris, Poésie & Cie., 2 dessins de Galanis; 1944 - Landless John, Coix de poèmes bilingues. San Francisco, Grabhorn Press, 2 dessins de Eugen Bermann; 1949 - Jean sans Terre, Coix de poèmes, Paris, P. Seghers. Angekündigt wird eine amerikanische Ausgabe "Jean sans Terre - Landless John" mit einem Vorwort von W. H. Auden bei Beechhurst Press, New York.

Beide Gedichte stehen nach "Johann Ohneland singt eine Ode auf Frankreich im Mai 1940" in einer Reihe von Gedichten, in deren Überschriften der Broadway, Manhattan, Bowery und Cuba genannt werden, die also erst in Amerika geschrieben sein dürften. Sie können dann frühestens 1944 veröffentlicht sein, und zwar in der Auswahl "Landless John", deren Kenntnis bei Paul Celan schwerlich anzunehmen ist.

Dennoch scheint, bei selbstverständlich anderem Kontext, hier einer der Fälle gegeben, wo man, bei gemeinsamem literarischen Entwicklungszusammenhang, bei verschiedenen Dichtern plötzlich auf wandernde Bilder (Fritz Martini) stößt. Meist wird es sich dabei um Metaphern handeln, die, jeweils umfunktioniert, in einem neuen Kontext auch zu Trägern einer neuen Bedeutung werden. Curt Hohoff bemerkt in: "Die Metaphernsprache des neuen Gedichts", JAHRESRING 1955/56: Grammatik, Wort und Bild bei Paul Celan seien überliefert, teilweise lyrisch abgebraucht (S. 338/39), und er sagt anschließend an die oben ausführlich behandelte Parallelstelle, die also nicht ohne Kommentar ist, wie Claire Goll schreibt, bei Paul Celan sei die Variation lyrischer Topoi Stilprinzip (336). Ohne diesen Überlegungen Curt Hohoffs Wort für Wort zuzustimmen, entsprechen sie doch in etwa einigen der bei der Untersuchung der Parallelstellen gemachten Beobachtungen. Dem Vorhandensein von konventionellen Metaphern und gebräuchlichen Topoi bei Yvan Goll als auch bei Paul Celan. So liegt auch bei der letzten Parallelstelle, bei der schwarzen Milch der Frühe, fraglos kein Plagiat vor, möglicherweise ein in der Lyrik häufiger anzutreffendes wanderndes Bild, vielleicht die Variation eines lyrischen Topos, dessen Kenntnis aber nicht auf die Gedichte Yvan Golls zurückgehen muß. Sollte Paul Celan, was theoretisch immerhin möglich wäre, den Band "Landless John" gekannt haben, und sollte das englische Original Wort für Wort der deutschen Übersetzung entsprechen, könnte man auch von einem bewußten oder unbewußten veränderten Zitat in dem oben gegebenen Sinne sprechen.

Schluß

Die Literaturwissenschaft versteht unter Plagiat den Diebstahl geistigen, besonders literarischen Eigentums durch unbewußte oder unerlaubte Wiedergabe von Werken, Teilen daraus, dichterischen Motiven und Gedanken eines anderen ohne Nennung des Urhebers als eigenes Produkt (Gero von Wilpert: "Sachwörterbuch der Literatur", Stuttgart 1955) (27). Andererseits kennt die Literaturgeschichte unzählige Plagiate in der Form sprachlicher, gedanklicher, vor allem stofflicher Abhängigkeiten, Übernahmen und Fortentwicklungen von jeher. Die sechsbändige Arbeit P. Albrechts über "Lessings Plagiate" (1890 f.) ist bekannt, und es hat sich bei ihr wie bei anderen ähnlichen Versuchen meist deren Sinnlosigkeit gezeigt, weil wirkliche Dichtung Anleihen völlig in eigenständige Kontexte einschmilzt und so oft erst zum Funktionieren bringt. Mit Recht spricht Georg Maurer in seiner Richtigstellung von Fällen, bei denen man sich mit dem Vorwurf des Plagiats nur lächerlich machen würde. (28) Bei Paul Celan konnte nachgewiesen werden, daß es sich bei den meisten Parallelstellen höchstens um entfernte sprachliche Ähnlichkeiten handelt, ohne daß ihm die entsprechenden Texte Yvan Golls bekannt waren. Stattdessen erwies sich ein Teil dieser Parallelstellen als eine jeweils eigenständige Variation gebräuchlicher Topoi bzw. konventioneller Metaphern. Bei den restlichen Parallelstellen kann es sich höchstens in drei Fällen um das in der modernen Poetik allerdings legitime Verfahren des Zitates, und zwar um das bewußte Ändern des Zitates und damit des Ursprungsbereiches handeln. (29) Und damit erhebt sich besonders im Hinblick auf die Veröffentlichungen Rainer K. Abels die Frage nach der Redlichkeit und Sachlichkeit des Verfahrens bzw. des Beweises.

Die Literaturkritik hat wiederholt auf die sprachliche Nähe beziehungsweise Zugehörigkeit Yvan Goll und Paul Celans zum französischen Surrealismus hingewiesen. Bei Beachtung der bibliographischen Daten hätte Rainer K. Abel die Unmöglichkeit einer Abhängigkeit Paul Celans von Yvan Goll ebenso sehen müssen, wie er sich hätte fragen müssen, ob die zweifellos vorhandenen, allerdings oft sehr vagen Ähnlichkeiten nicht in dem gemeinsamen Ursprungsbereich des Surrealismus, in der Gemeinsamkeit der surrealistischen Techniken ihre plausible Begründung haben. Auch hätte Rainer K. Abel wissen müssen, daß Wörter wie Mohn, Krug, Becher, Asche, Schwester etc. nicht nur bei Yvan Goll und Paul Celan vorkommen, sondern ebenfalls hervorragende Worte im sprachlichen Repertoire Georg Trakls z.B. sind. Curt Hohoff bemerkte in "Geist und Ursprung" (München o.J., S. 242) schon anschließend an das weiter oben zitierte Gedicht

Ich bin allein, ich stell die Aschenblume. Der naive Leser wird nichts verstehen, der abgebrühte erkennt Trakl'sche Motive. Ohne Frage hat auch Paul Celan seine Lehrmeister. Yvan Goll ist es kaum. Stattdessen ist es wohl eher und verständlicher sein Landsmann Georg Trakl, vielleicht auch Else Lasker-Schüler; er hat von den Techniken des französischen Surrealismus gewiß gelernt, aber er übt sie mit priesterlichem Ernst (Curt Hohoff).

Diese Überlegungen haben Rainer K. Abel und Claire Goll gar nicht erst angestellt. Stattdessen sind sie nach einer Methode verfahren, die sehr fraglich erscheint. Aufschlußreich in mancher Hinsicht sind dabei die schon angedeuteten Abweichungen der Vorworte zur "Traumkraut" voneinander.

a. Die Schreibweise des Vornamens variiert von Ivan (TrL) zu Yvan ("Oeuvres choisies"; TrD).

b. Die abweichenden Aussagen über die Entstehungszeit der ersten Gedichte des "Traumkrauts" wurden bereits erörtert.

c. Im Vorwort zur Limes-Ausgabe heißt es: Ja, die Gedichte des "Traumkrauts" sehen aus wie phantastische Zeichnungen aus einer anderen Welt, in den "Dichtungen": die letzten Gedichte des "Traumkrauts" [...]

d. Im Vorwort zu den "Oeuvres choisies" erscheint ein Zusatz gegenüber dem Vorwort zur Limes-Ausgabe, der dann auch ins Vorwort in den "Dichtungen" (S. 438 f.) aufgenommen wird: Diese Strenge seinem Werk gegenüber, die ihn ein Leben lang antrieb, voll Zweifel zu zerreißen und voll Hoffnung neu zu kreieren, kennzeichnet ebenso seine Demut vor der Kunst, (wie dieser andere Wunsch seine Demut dem Leben gegenüber charakterisiert. Bat er mich doch einige Wochen vor seinem Tod: 'sobald ich etwas kräftiger bin, bringe mich fort aus diesem viel zu schönen Krankenhaus. Ich möchte zwischen den Armen sterben, in einem Pariser Spital'). [Der Zusatz ist in Klammern zitiert].

e. In der Limes-Ausgabe heißt es: Und nur einige Stunden vor seinem Tode, als er das Bewußtsein minutenlang verlor und laut hinausschrie: "St-e-e-e-r-r-ben! Laßt mich allein mit meinem Tod!" gaben seine großen, tragisch geweiteten Augen zu, daß sie besiegt waren. In den "Oeuvres choisies" folgt der französische Zusatz: Mourir..... laissez-moi seul avec ma mort! Dem folgt in der Ausgabe der "Dichtungen" ein weiterer Zusatz in Klammern: (Der Aufschrei entrang sich ihm symbolischerweise in zwei Sprachen) (S. 439).

f. Endlich wurde in den "Dichtungen" ein kaum nachprüfbares - da wenigstens zwei der drei Zeugen gestorben sind -, von Claire Goll rekonstruiertes, von Yvan Goll angeblich ihr und drei Zeugen vorgelesenes und zerrissenes Vorwort zum "Traumkraut" beigefügt.

Von einigen kleineren und unbedeutenden Abweichungen abgesehen, läßt sich vermuten, daß es sich hier um den Versuch handelt, eine 'Yvan-Goll-Legende' zu schaffen. Und vor diesem Hintergrund wären die Plagiatsvorwürfe z.T. verständlich. Doch rechtfertigt er weder die völlig abstrusen bibliographischen Angaben, noch die ungenauen, verfälschten, oft einfach falschen Angaben sogenannter Parallelstellen. Anhand der oben getroffenen Richtigstellungen wird man kaum noch umhinkönnen, Frau Goll sogar den Vorwurf der Fälschung zu machen. Ob die Fälschungen bewußt vorgenommen wurden, ist nicht Frage dieser Untersuchung. Daß der objektive Tatbestand der Fälschung besteht, wurde nachgewiesen.

Ob Rainer K. Abel die Angaben Claire Goll in gutem Glauben übernommen hat, ob er weitere Parallelstellen auf Grund von 'Tips' dazunahm, kann hier nicht entschieden werden. Wenn er aber seinem Artikel, "Umstrittener Ausflug in die Vergangenheit", einen philologischen Anstrich gibt, muß von ihm auch die philologische Treue erwartet werden, der seine Ausführungen entbehren. Peter Szondi sagt zu recht, daß Formulierungen wie: man sollte nicht gleich den Stab über Paul Celan brechen; Abhängigkeiten, Einflüsse und Weiterentwicklungen dichterischer Themen und Techniken sind durchaus noch kein Verbrechen, daß solche Formulierungen eine Gutmütigkeit seien, die dem Kritiker mit wenig Kosten zum Gefühl der Überlegenheit verhilft. Peter Szondi forderte mit Recht die schlichte Kontrolle der als Beleg angeführten Gedichtstellen, dies um so mehr, als Rainer K. Abel mit seiner Behauptung der Abhängigkeit undNachahmung bereits den Stab über Paul Celan gebrochen hatte. In einzelnen Punkten wurde die Fragwürdigkeit seiner Methode schon weiter oben nachgewiesen.

Die Angaben und Vorwürfe Claire Golls und Rainer K. Abels sind also nicht nur unbegründet, sie scheinen durch die vorgenommenen Versuche der sprachlichen Annäherung und durch die zum Teil wohl daraus resultierenden Fälschungen der gezielte Versuch einer öffentlichen Erledigung, der die nicht beherrschte, fehlende philologische Methode durch fragwürdige Mittel ersetzt. Es war Aufgabe der vorliegenden Untersuchung die Unhaltbarkeit der so vorgebrachten Behauptungen und Thesen zu zeigen, die Fraglichkeit der für ihre Zwecke von Claire Goll und Rainer K. Abel angewandten Methoden deutlich zu machen und die Unglaubwürdigkeit zunächst nicht nachprüfbarer Angaben zu zeigen.

[1960/61]

Anmerkungen
1) Z.B. an Karl Schwedhelm, Karl Krolow, Heinz-Winfried Sabais, Helmut de Haas etc.
2) Kasimir Edschmid, Günter Eich, Max Frisch, Ernst Kreuder, Karl Krolow, Fritz Usinger (und nachträglich Marie Luise Kaschnitz).
3) Gewiß verhält es sich nicht so, daß der sich auf Schleichwegen befindliche Sioux der Dichtung, Celan, das Kriegsbeil ausgegraben hat, wie Claire Goll in ihrem Brief vorn 18. Januar 1961 an Karl Krolow behauptet.
4) Im allgemeinen hat grundsätzlich der Kläger, der das Plagiat behauptet, den Beweis zu führen (Hermann Riedel: "Der Schutz des Urheberrechts gegen plagiarische Verletzungen im Zivilprozeß", Schriftenreihe der Internationalen Gesellschaft für Urheberrecht e. V., Bd 14, S. 74). - Da Claire Goll und Rainer K. Abel das Plagiat behaupten, müssen wir die angegebenen Parallelstellen als Beweismittel ansehen und werten.
5) Eine andere Version dieser Begegnung gibt Claire Goll - allerdings ohne den Namen Richard Exners zu nennen - in ihrem "Offenen Brief" sozusagen als Einleitung und Begründung. Sie schreibt: Vorige Woche besuchte mich ein junger deutscher Lyriker, Ordinarius an der Universität von Californien, und brachte mir Paul Celans Buch "Mohn und Gedächtnis" mit den Worten: 'Dieser Band ist ja völlig von Yvan Golls 'Traumkraut' inspiriert. Merkt denn das die Kritik nicht?' In der Tat waren besonders aus Yvan's französischen Werken, die vorläufig noch in Deutschland unbekannt sind, ganze Zeilen entnommen. Es folgen Parallelstellen.
6) Bedauerlicherweise haben auch andere Autoren, wie Hans Magnus Enzensberger, Marie Luise Kaschnitz, Ingeborg Bachmann, Klaus Demus, Peter Szondi - dieser wenigstens mit einer entschuldigenden Einschränkung - die Version Claire Golls im Falle Richard Exners ungeprüft übernommen.
7) Hermann Riedel bemerkt entsprechend: Zunächst muß einmal feststehen, wann die Werke - dasjenige, das sich als Original bezeichnet, und dasjenige, das Plagiat sein soll - geschaffen wurden. Erst dann läßt sich prüfen, ob ein Nachschaffen möglich ist. (aa0, S.75)
8) Paul Celan veröffentlichte bis heute folgende Übersetzungen: Arthur Rimbaud: "Das trunkene Schiff" (Wiesbaden: Insel 1958), Alexander Block: "Die Zwölf" {Frankfurt a.M.: Fischer 1958), Ossip Mandelstamm: "Gedichte" (Frankfurt a.M. Fischer 1959), Paul Valéry: "Die junge Parze" (Wiesbaden: Insel 1960). Als Übersetzer beteiligt war er bei den "Poésies" René Chars.9) In diesen, Zusammenhang interessant ist ein Passus in Claire Golls "Offenem Brief". Danach hat Paul Celan schon in Amerikanischen Hospital in Paris, also seit dem 13. Dezember 1949, begonnen, zusammen mit Yvan einige seiner "Ihpetonga Elegien", die soeben, von Picasso illustriert, erschienen waren und jenes erste Gedicht aus der "Pariser Georgica": "Der malvenfarbene Tod" ins Deutsche zu übersetzen. Claire Goll fährt fort. Da ich Celan lancieren wollte, sprach ich später am Rundfunk in München und Stuttgart die Gedichte, Celan als Übersetzer nennend ohne Golls größere Mitarbeit zu erwähnen. - 1951 hat Claire Goll in einer Sendung im Süddeutschen Rundfunks zwar einige Gedichte ihres Mannes gelesen, aber weder aus den 'Ihpetonga Elegien' noch der "Pariser Georgica". Lediglich der Titel "Ihpetonga Elegien' wurde in der Sendung erwähnt, der Name Paul Celans als Übersetzer dagegen nicht genannt.
10) Das 5. Gedicht "Wasserwunder", begegnet erst wieder, mit z T. interessanten Änderungen, in den "Dichtungen", S. 380, ein paar Seiten vor den "Ihpetonga Elegien", 57 Seiten vor "Traumkraut". (In der Fassung der "Dichtungen" fehlt die vierte Strophe, geändert sind: Wassergeister statt Wassergeier (Str. 3), zu den Wasserharfen statt unter Wasserharfen (Str. 5 bzw. Str. 4). Die Angabe des "Quellenverzeichnisses" lautet: "Wasserwunder (1948; unveröffentlicht)", was den Tatsachen widerspricht.
11) "Dichtungen", S. 440, 446, 451, 452.
12) Die genaueste Datierung gibt Claire Goll in ihrem "Offenen Brief". Dort erwähnt sie ebenfalls den Brief Paul Celans und fährt dann fort: Yvan Goll, immer gütig, tat ihm sofort Herz und Haus auf. Celan kam dann täglich ins Spital, wohin Goll 14 Tage später eingeliefert werden mußte. Nach den Angaben der "Biographie sommaire d'Yvan Goll" wurde Yvan Goll am 13. Dezember 1949 in das Amerikanische Hospital eingeliefert; demnach datiert die persönliche Bekanntschaft Paul Celans mit dem Ehepaar Goll erst seit dem 30. November. In ihrem Brief vom 18. Januar 1961 an Karl Krolow (auch z.Hd. Hermann Kasack) schreibt Claire Goll jedoch wieder: Celan kannte die, 1948, im 'Goldenen Tor' erschienenen Gedichte aus 'Traumkraut' so gut, daß er sie auswendig aufsagte, als er zum ersten Mal, im Oktober 1949, uns besuchte. - Dieser Passus ist allerdings auch noch aus einem anderen Grunde in anderem Zusammenhang interessant, weil zu fragen wäre, woher Paul Celan wissen konnte, daß Tristan Thor mit Yvan Goll identisch war.
13) Es werden dabei folgende Abkürzungen verwandt werden: CG = nach den Angaben Claire Golls; RK = nach den Angaben Rainer K. Abels; SaU = Der Sand aus den Urnen; MuG = Mohn und Gedächtnis; TkL = "Traumkraut", Limes-Ausgabe 1951; TkD = "Traumkraut", Dichtungen 1960; DD = Dichtungen; PL = PLAN, Wien 1948; GT = DAS GOLDENE TOR, 1948.
14) "Géorgiques Parisiennes", Paris, Pierre Seghers 1951.
15) Interessehalber sei noch auf eine inédit deuxième version dieses Gedichtes in den "Oeuvres choisies", S. 143, hingewiesen, wo die vorletzte Strophe mit den beiden Zeilen Se module la mort / Qui porte un nom de fleur endet. - In den "Oeuvres choisies", S. 143, mit dem Zusatz inédit, in der "Pariser Georgika", S. 50/51, ohne Zusatz, ist ein Gedicht mit der Überschrift "Les Réverbères" abgedruckt, das mit folgenden zwei Zeilen beginnt: Fleurs-réverbères dont le deuil est mauve / Fleurs-veilleuses du premier sommeil des morts, in der Übersetzung Caire Golls: Gaslaternen: malvenfarben trauernd / Ihr leuchtet dem ersten Schlummer der Toten. Das Wort mauve kommt in einer anderen Strophe dieses Gedichtes sowie in dem Gedicht "Orage se Sépales" ("Pariser Georgika", S. 10/11) je noch einmal vor.
Zusammengesetzte Farbadjektiva dieser Art sind überdies in der Lyrik des Expressionismus häufiger anzutreffen (z.B. bei Else Lasker-Schüler: bunt-atmen, blutschwarz, sonnenfarb'ger Bernstein, eisenfarb'ne Sterne etc.).Auch Yvan Goll verwendet in "Traumkraut" die vergleichsweise interessante Wendung: Euer nelkenfarbenes Fleisch, / Das noch von mageren Vögeln zehrt (TrD, S. 441; TrL, S. 13; GT, S. 467).
17) "Multiple Femme", Editions Caractères, Paris 1956.
18) Nach den Angaben der "Bibliographie des Oeuvres d'Yvan Goll" sind die "Dix Mille Aubes" 1951 in Paris bei der Edition Falaize erschienen, dochwar mir diese Ausgabe bisher nicht zugängig. In den "Poèmes d'Amour", 1925, fehlen die letzten beiden Zeilen des Zitates. Dort heißt es nur: J'ai vu les algues ultra-violettes / Où traînait mon amour / Ton coeur pointu wrack d'un bateau sombré.
19) Vgl. dazu auch Georg Heym: Und den Mond zerdrückt er mit der schwarzen Hand ("Der Krieg").
20) Yvan Goll benutzt an anderer Stelle eine entsprechend ähnliche Wendung, und zwar in der ersten "Ihpetonga Elegie (DD, S. 3S4): Die zwei Finger der Turmuhr / Bilden einen senkrechten Dolch / Und schlitzt den Wanst der Sonne auf.
21) Vgl. den bereits zitierten Brief Claire Golls an Karl Krolow.
22) Es ist wahrhaft überflüssig zu bemerken, daß die Wiederkehr eines einzelnen Wortes bei zwei Dichtern noch kein Plagiat bedeutet. Selbst bei einer Mehrzahl von Wörtern, bei Wendungen, deren Auftreten nach einem theoretischen 'Häufigkeitswörterbuch der Zeit' wahrscheinlich oder möglich ist, kann nicht von Plagiat gesprochen werden. Das betrifft alle bisher behandelten gebräuchlichen Topoi und konventionellen Metaphern. Nur bei nicht verwechselbaren, eigenschöpferischen Metaphern und Wendungen kann von Plagiat geredet werden. (Vgl. dazu auch Günther Schwenn: "Das Plagiat in Titel und Text", Schriftenreihe der Internat. Ges. f. Urheberrecht e.V., Bd. 14, S. 20ff.)
23) Eine in diesem Zusammenhang legitime Frage wäre die nach der Originalität des 'Wörterbuches', die für Yvan Goll ebenso zu stellen wäre wie für Paul Celan.
24) Die drei Zeilen lauten in der Übersetzung Claire Golls (DD, S. 347): Bald wirst du im goldenen Tee / Einen roten Tropfen trinken / Einen Tropfen Mondblut. - Claire Goll hat übrigens nicht alle "C.M." übersetzt, die dt. Fassungen der Nr.n 21, 23, 24, 25 stammen z.B. von Yvan Goll. Überhaupt stellen sich gerade für die "C.M." textphilologische Fragen, auf die wir hier nicht eingehen können.
25) Mit geringen typographischen Änderungen auch DD, S. 130.
26) Dasselbe gilt für Yvan Golls "Lied von der Galeere 'Paris'" (DD, S. 360 ff.)
27) Vgl. auch Erwin Stranik. "Über das Wesen des Plagiats", Deutsche Rundschau, Bd. CCXI, April -Juni 1927; Schulze, Petzl u.a. in "Schriftenreihe der Internat. Ges. f. Urheberrecht e.V.", Bd. 14, Berlin u. Frankfurt a.M. 1959; Eugen Ulmer: "Urheber- und Verlagsrecht", Berlin 1951 etc.
28) Vgl. den in diesem Zusammenhang sehr instruktiven Aufsatz Reinhard Grimms, "Georg Trakls Verhältnis zu Rimbaud", in der Germanisch-Romanischen Monatsschrift, Bd IX, Heft 3, Juli 1959.
29) Als Musterbeispiel moderner Zitattechnik sei hier am Rande auf die sogenannten "Mischtexte" u.ä. verwiesen, die z.T. ausschließlich aus montierten, unveränderten Zitaten bestehen; z.B. Helmut Heißenbüttel: "Mottos" in "Textbuch 1", Freiburg 1960; Ludwig Harig: "Haiku Hiroshima", Siegen - Stuttgart 1960 u.v.a.m.