Reinhard Döhl, Stückeschreiber

Zu Reinhard Döhls vielfältigen künstlerischen Ambitionen zählt auch ein weniger bekanntes Interesse am Theater. Dieses Interesse wurde bereits in der Schulzeit nachdrücklich geweckt durch das "Deutsche Theater" in Göttingen und hier besonders durch Inszenierungen Heinz Hilperts. Praktische Theatererfahrungen und ein zeitweiliges Studium der Theaterwissenschaft regten Döhl schließlich zu Theaterkritiken (bis Mitte der 60er Jahre) und eigenen Versuchen, zu sogenannten "Zeit-Stücken" an. 1958/59 entstand "Herr Fischer und seine Frau oder Die genaue Uhrzeit" als Ubungsstück für Schauspieler und einen Regisseur des "jungen theaters" in Göttingen, gefolgt von "Die Mauer oder Morgen ist auch noch ein Tag" (1961/62), dem "Ubungsspiel von heute morgen jederzeit" (1962) und dem "Entwurf eines Cafehaustheaters" (1963), Stücken, die sich damals nicht realisieren ließen.

Im März 1963 resümiert Klaus G. Riehle, Dramaturg an Kurt Hirschfelds Schauspielhaus in Zürich: Wie Kunst in steigendem Maße manipulierbar und zum gesellschaftlichen Faktor wird, scheinen die deutschen Theater von den Gesetzmäßigkeiten des Marktes korrumpiert: Fragwürdige Anhaltspunkte angesichts allgemeiner Ratlosigkeit gegenüber der Moderne. Tardieu ist ihr zum Opfer gefallen, unter den Deutschen etwa ein Talent wie Reinhard Döhl, der mit seinem Stück warten muß. bis, allein technisch, die Bühne die neuere Literatur verkraftet oder gar sich zu eigen gemacht hat. [Zum Thema Tardieu oder über das Einkellern zur Unzeit. In: Streit-Zeit-Schrift, Bd 4, H. 2, S. 5].

Auf den "Tagen für neue Literatur" in Hof kommt Döhl 1966 eher zufällig mit dem Dramaturgen Johannes M. Kamps in ein Gespräch über die Möglichkeiten der Stereophonie, mit dem Ergebnis, daß seine Stücke in z.T. neugefaßter Form zunächst vom Saarländischen, dann vom Westdeutschen Rundfunk als Hörspiele gesendet werden: "Herr Fischer und seine Frau [...]" 1967, "Die Mauer [...]" 1969, "Das Hörspiel von heute morgen jederzeit [...]" 1970, "man" 1970 (bzw. schon 1969 im Literarischen Studio des WDR), "So etwas wie eine Geschichte von etwas" 1970, "Hans und Grete [...]" 1970, "Ach Luise, laß [...]" 1985 und "C'era una volta il West [...]" 1986, wobei die ersten und die letzten drei Hörspiele jeweils eine Trilogie bilden vor dem Hintergrund der Nachkriegszeit bzw. der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts. Die meisten dieser Spiele werden von anderen Sendern (mit Ausnahme des Süddeutschen Rundfunks!), auch des Auslands, übernommen oder neu inszeniert, "Die Mauer [...]" in der Ubersetzung von Bohumila Grögerová und unter der Regie Miroslava Valovás im Tschechischen Rundfunk sogar vor ihrer westdeutschen Uraufführung gesendet. Auch ihre szenische Realisation (Regie: Miroslava Valová) in Prag findet noch vor der Westdeutschen Uraufführung statt. Konzertant interpretiert die "Schola Cantorum" unter Leitung von Clythus Gottwald 1970 im Rahmen der Stuttgarter Buchwochen die Partitur "man". 1993 stellt "man" in der Regie von Günther Hörburger eine Verbindung des "Gertrude-Stein-Projekts" mit der Stuttgarter Gruppe/Schule her.

"Es war morgen was gestern war oder Die Reise nach Jerusalem" ist ein Originalbeitrag für den abschließenden dritten Teil dieses dreijährigen Projekts. Es ist zugleich das erste Stück einer neuen Trilogie, die die Kulturrevolution zu Beginn dieses Jahrhunderts und den Einbruch des Faschismus zum Hintergrund hat. Sie schließt die zeitliche Lücke zwischen den ersten beiden Trilogien aus den 60er Jahren und bringt damit auch die Zeit-Stücke Döhls zu einem Ende.

[1994, aus Programmheft zur Uraufführung von "Es war morgen was gestern war [...]"