Reinhard Döhls Hörstück "man" wird an diesem Abend in zwei Realisationen gesendet. Ein zwischen die eine und die andere gesetzter Kommentar muß wohl zunächst die Frage stellen, ob diese Doppelung einen Sinn hat, und welchen. Da bietet sich, wie in solchen Fällen naheliegend, zunächst eine Begründung von der Art und Weise der Realisationen her an. Und zweifellos zeigen diese deutliche Unterschiede.
Die an erster Stelle gesendete Aufnahme, von Clytus Gottwald 1970 für den Saarländischen Rundfunk erarbeitet, hat die Reihen der das Wort man vielseitig ausleuchtenden, in sich permutierten Sprachformeln und Redensarten mittels der Sprecher- Stimmen fast melodisch instrumentiert, hat von ihren Stimmungen und Inhalten her Akzente gesetzt, hat den Text in ein tendenziell autonomes Wörter- und Stimmenspiel aufgehoben. Der Kunstanspruch des Neuen Hörspiels ist hier unverkennbar. Ganz anders die schon 1969 von Hans Gerd Krogmann für das "Literarische Studio" des WDR hergestellte Realisation, die im Anschluß an diese Überlegungen gesendet wird. Krogmanns Umsetzungsverfahren ist weit zurückhaltender. Es konzentriert sich auf die Wörter, es vermittelt trocken die sprachlichen Prozesse, nichts anderes und nicht mehr. Hat Gottwald die Vorlage artistisch, so hat Krogmann sie eher analytisch-didaktisch ins Medium gebracht.
Die eine wie die andere Interpretation ist, wie ich meine, einleuchtend. Die Ergebnisse widersprechen einander nicht, sondern zeigen verschiedene Aspekte ein und desselben Textes. Das ist ganz gewiß aufschlußreich, um so mehr, als es noch immer die Ausnahme ist, daß ein Hörspiel mehr als einmal inszeniert wird. Dennoch hielte ich es für einigermaßen gekünstelt, hier den Versuch zu machen, die zweimalige Sendung des einen Hörstücks "man" primär oder ausschließlich von Realisations-Finessen her zu rechtfertigen. Der Fall liegt einfacher. Er liegt ganz einfach so, daß es dem Verständnis nützt und anregend ist, Sprachspiele wie dieses nicht nur einmal zu hören.
Döhls "man" hat überdies neben dem Vorzug, daß zwei Realisationen des Hörstücks existieren, auch den, kurz zu sein, kaum mehr als zwanzig Minuten lang. Es läßt sich zweimal hintereinander hören, ohne daß die Rezeptionsfähigkeit strapaziert wird. Und das sind Gründe genug, den Hörern dieses Angebot zu machen. Wobei vorausgesetzt ist, daß das Stück "man" ein gewichtiges Beispiel für das sogenannte neue, das konkrete Hörspiel aus seiner besten Zeit ist.
Es hat sich inzwischen herumgesprochen: auch dieses Neue Hörspiel ist bereits historisch. Seit einigen Jahren sind die Autoren und die Dramaturgen dabei, sich von ihm abzusetzen und andere Möglichkeiten des akustischen Spiels zu erkunden als jene es sind, die sich vor allem von Wittgensteins Begriff der Sprachspiele her ergeben.
Das bedeutet jedoch nicht, wie manchmal übereilt angenommen wird, solches ließe sich erreichen, indem man von dem jetzt nicht mehr so ganz neuen Hörspiel einfach absieht. Dieses hat Daten gesetzt. Der Versuch, sie einfach zu ignorieren, führt nicht weiter, sondern zurück, und jene Autoren, denen es um eine begründete Auseinandersetzung mit individueller und gesellschaftlicher Wirklichkeit geht, spüren das durchweg selbst dann noch, wenn sie gegen jenes neue Hörspiel polemisieren, das um 1970 seinen Höhepunkt erreicht und überschritten hat.
Nur ist zunächst der Zwang, sich gegen ein nicht erschöpftes, doch voll ausgearbeitetes Verfahren abzusetzen, stärker, als es nach so kurzer Zeit schon die Fähigkeit sein kann, es vorauszusetzen und trotzdem weiterzukommen. Auf jeden Fall aber bestimmen die exemplarischen Stücke spielerischer Auseinandersetzung mit Sprache und sprachlichen Bedeutungen das mit, was nach ihnen versucht wird. Und auf keinen Fall ist ihre Rezeption schon abgeschlossen. Was sie lehren, ist gewiß noch nicht ganz gelernt.
Was diese Sprachspiele lehren, was ihr Inhalt und ihre kritische Reichweite ist, demonstriert Reinhard Döhls Hörstück "man" besonders deutlich und faßlich, und es signalisiert zugleich besonders auffällig die Grenzen des angewandten Verfahrens. Seine Intention läßt sich etwa so beschreiben: in den sprachlichen Erscheinungsweisen des man, eines sozusagen verkümmerten Wortes, welches das Gewohnte, das Übliche, das Angepaßte, das durch alltägliche mehrheitliche Entscheidungen Sanktionierte in die Form sowohl von Übereinkunft als auch von Beliebigkeit bringt, - in den Erscheinungsweisen das man soll verifiziert werden eine verbreitete, ja allgemeine Verweigerung dessen, was den Menschen individuell und gesellschaftlich möglich wäre. Vorgeführt wird, daß das vage man meist aufgeladen ist mit einer Art trüber Allgemeingültigkeit, die fast alles entschuldigt. Ins man kann jeder sich zurücksinken lassen - die Sprache ermöglicht und legitimiert es scheinbar.
Tatsächlich aber sind die Formeln des man schon längst nur noch Leerformen.
Döhl demonstriert dies, indem er eine Reihe entsprechender Redeweisen, längst erstarrter Sprachklischees zu Gruppen ordnet und durch mechanische Wort-Versetzungen, also Permutationen in Bewegung setzt und denunziert. Dabei ist jedenfalls andeutungsweise der gewohnte Sinn des man auch zersetzt, wird durch die Permutationen daß Wort aus dem Bereich seiner dunstigen Bedeutungen auch ausgelöst. Doch das Moment der Denunziation überwiegt bei weitem, und dies ißt schon der Punkt, wo das sprachkritische Verfahren und die gewiß auch ideologiekritische Absicht Döhls ihrerseits Kritik herausfordern. Der Eindruck ist nicht ganz unbegründet, daß dieses Hörstück die bekannte Vorstellung des Philosophen Martin Heidegger vom man als dem Inbegriff der Uneigentlichkeit illustriert, eine Vorstellung, die in jedem Fall sehr bald umzuschlagen pflegt in die Vorstellung von der Masse Mensch als der weitesten Repräsentation des man. Die Vorstellung von Uneigentlichkeit aber ist so schlecht wie jene von der Eigentlichkeit.
Die Frage ist, ob der ideologiekritische Akt Döhls vor allem darin bestand, daß er das Wort man als Zentralwort wählte. Wäre das der Fall, entspräche es gewiß nicht seiner Absicht, die weiter reicht. Und es wäre eine nicht hinreichende Basis für Ideologiekritik in der Sprachkritik. Hier wird die Grenze der vom Sprachspiel aus ansetzenden Literatur erkennbar, und erkennbar wird, daß sie sich aus dem Sprachspiel selbst heraus nicht ohne weiteres überschreiten läßt. Wo dieses auch nur indirekt einen Verweis intendiert über den Inhalt der Sprachteile hinaus, die Spielgegenstand sind, ist der Verweis in seinen eigenen Relationen zu sehen. Und das besagt: Ist Döhls Hörstück "man" eine Illustration zu Heideggers man, der zentralen Vokabel der Uneigentlichkeit, und das ist jedenfalls einzuschließen, so unterliegt das Hörstück derselben Kritik, die auch Heidegger herausfordert. Es fehlt dem Stück etwas, ohne das seine Aussage, sein Inhalt auf bedenkliche Weise einseitig bleiben müssen. Es fehlt ihm jede Dialektik, und ohne Dialektik lassen sich jedenfalls gesellschaftliche und ideologische Phänomene glaubhaft nicht fassen. Die Denunziation eines noch so unbefriedigenden Zustands kann sich trügerisch auswirken ohne den Rückgriff auf seine gesellschaftlichen Gründe.
Es fehlt in Döhls Hörstück sozusagen die Frage: Was konnte man denn, was kann man denn anders machen, als was man macht? Und: Welche Chance hat man überhaupt, aus dem man, das wohl doch vor allem ein Produkt nicht von Feigheit und Trägheit, sondern tief eingegrabenen Zwanges, von Unterdrückung ist, herauszugelangen? Ist das man nicht unter Umständen einziger Fluchtbereich in der Ohnmacht. Diese Dimension, die ebenfalls eine Dimension des man ist, wenn auch eine meist verschwiegene, hat Döhl nahezu ausgelassen, jedenfalls ist sie nicht thematisiert. Und sie läßt sich durchaus auch in den üblichen umgangssprachlichen Leerformeln ausfindig machen.
Obwohl Döhl von vorgefundenen Sprachstücken ausgegangen ist und sich völlig auf sie konzentriert hat, war also bei der Konzeption des Hörstücke offenbar eine bestimmte vorgefaßte Meinung im Spiel. Und das ist stets der Fall, obwohl es, wie etwa Franz Mon demonstriert hat, möglich ist, ihre Nachwirkungen weitgehend auszuschalten, nahezu ausschließlich nur noch das gewählte sprachliche Material zu befragen, zu belauschen. Es ist festzuhalten, daß das Hörstück "man" deutlich auf dieses heterogene Moment verweist, zugleich aber auch, daß es dadurch keineswegs disqualifiziert wird. Es ist, wie bereits gesagt, ein inzwischen historisches Stück. Es ist nicht nur erlaubt, sondern unerläßlich, das Stück aus einer gewissen Distanz zu hören, vergleichend, reflektierend, abwägend, ohne die Erwartung von Aura.
Von hierher ergibt sich übrigens ein weiteres Argument dafür, ein und dasselbe Hörspiel in zwei Realisationen unmittelbar hintereinander zu senden und zu hören, Es wird transparent, wie sich etwas darstellen läßt und sich darstellt. Es verdeutlicht sich, daß das Wie nichts anderes ist als ein Aspekt des Was, des Sachverhalts, des Inhalts.
[WDR III, 8. März 1974]