BioBibliograffiti | Über Reinhard Döhl

Jürgen P. Wallmann u.a. | Schmarotzen als Stilprinzip Eine Rezension
Das soeben erschienene Jahrbuch der Akademie (1) bringt neben Arbeiten u.a. von H.G. Gamamer, E. Spranger, W. Bergengruen, E.K. Rashin, H. Kasack und F.Martini mehrere Beiträge, die sich auf die Verleihung des Georg-Büchner-Preises 1960 an Paul Celan
beziehen, so die Laudation von Marie Luise Kaschnitz auf den Preisträger und Celans bedeutsame Rede zu Preisverleihung.
Besonderes Interesse verdient das Jahrbuch wegen einer im Auftrag von Prof. F. Martini angefertigten literaturwissenschaftlichen
Untersuchung, die sich mit den Plagiatsvorwürfen gegen Celan befaßt und deren Unhaltbarkeit nachweist. Seit Jahren sah sich Paul
Celan einer im Auftrag Claire Golls, der Witwe des Dichters Yvan Goll, systematisch betriebenen Hetze ausgesetzt, deren
entstellender und verleumderischer Charakter sehr bald deutlich wurde und eine Reihe bedeutsamer Autoren veranlaßte, sich für
Celan einzusetzen und die unberechtigten Vorwürfe scharf zurückzuweisen. Es ist zu begrüßen, daß die jedem Einsichtigen
offenbare Unhaltbarkeit der Vorwürfe jetzt auch wissenschaftlich nachgewiesen ist: erstaunlich bleibt allerdings, daß diese
Untersuchung von dem Stuttgarter Studenten Reinhard Döhl stammt, der noch vor nicht allzu langer Zeit zu denen zählte, die sich
den leichtfertigen Anschuldigungen gegen den bedeutenden Lyriker angeschlossen hatten. 
1) Jahrbuch 1960 der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Darmstadt. Verlag L. Schneider, Heidelberg/Darmstadt. 184 Seiten. 10.- DM 
Jürgen P. Wallmann in: Semesterspiegel. Studentenzeitschrift an der Universität Münster, 8. Jg, H. 53, Juli 1961, S. 23
Jürgen P. Wallmann | Schmarotzen als Stilprinzip.
"Nicht daß die Leute, deren Lippen noch vom Trunke feucht sind, die Quelle nicht nennen, aber daß sie deren Existenz leugnen möchten, vergiftet die Quelle." (Karl Kraus)
"jede zeile die ich schreibe ist eine defloration" (Reinhard Döhl)
Am 10. Juni 1959 veröffentlichte der Student Reinhard Döhl in der Göttinger Studentenzeitschrift PRISMA eine lyrische Montage "missa profana"; Döhl wurde deswegen angezeigt und 1960 wegen Gotteslästerung verurteilt, 1961 jedoch vom Bundesgerichtshof freigesprochen Wer sich für den Prozeßverlauf interessiert, findet ihn aufgezeichnet auf den Seiten 102-113 des Buches "Gotteslästerung?" von Ansgar Skriver (das aktuelle thema, Bd. 11, Verlag Rütten & Loening, Hamburg, 160 S.. 2,80 DM). Das corpus delicti liegt inzwischen in Buchform vor: "missa profana" und andere Gedichte (schritte fünf, Verlag W. Fietkau, Berlin-Zehlendorf, 34 S., 2,80 DM). Nicht jedoch der Text der "missa profana" soll uns hier beschäftigen; auch unserer Meinung nach gehören literarische Versuche, und seien sie auch noch so mißlungen, nicht vor den Strafrichter. Vielmehr geht es uns um einige andere Gedichte des Bändchens. Hier nämlich wird aus dem "Fall missa profana" der weit bedenklichere "Fall Döhl".
Zum Beispiel das Gedicht "Variationen über ein altes Thema", dem Zitate aus der Genesis und von Brecht vorangestellt sind: in diesem opus finden sich zahlreiche Zitate und Entlehnungen von Benn, Brecht, Kästner, Arno Schmidt und manchen anderen, und zwar sind diese Zitate vorsorglich klein geschrieben, so daß man sie von Döhls eigenen sparsamen Einfällen nur schwer unterscheiden kann, denn Döhl schreibt grundsätzlich alles klein. Am stärksten sind die - vorsichtig ausgedrückt - "Entlehnungen" aus Gedichten von Hans Magnus Enzensberger, die Übernahme seiner Stilmittel und Stilfiguren.
Enzensberger beispielsweise liebt es, Klassikerzitate ironisch und parodistisch abzuwandeln, aus einem bekannten Hölderlinvers z.B. wird bei ihm: "bekanntlich / wächst, wo gefahr ist, das rettende auch". Das macht denn auch Döhl. Aus einem Vers von L.H.Ch. Hölty. 1748-1776 ("Ihr Freunde, hänget, wann ich gestorben bin, / Die kleine Harfe hinter dem Altar auf") wird bei Döhl: "ihr freunde hänget wann ich gehenkt bin die kleine fahne hinter dem altar auf". Aus dem Hölderlin-Vers "Was bleibet aber, stiften die Dichter" wird bei Döhl: "was aber bleibet der haß wird künstlich befruchtet ihn stiften die greise!" Das aber stand schon ähnlich bei Enzensberger: "stiftet lieber, was bleibet, die dummheit".
Enzensberger bevorzugt, wie Holthusen sagt, die "Technik der ironischen Kombination von Wörtern und Wortgruppen, die, als Sachbezeichnungen genommen, weit auseinanderliegen". Wie der Amerikaner W.H. Auden, bei dem es "wars and waltzes" und "vitamins, villas, visas" heißen kann, benutzt Enzensberger die Alliteration als wesentliches Stilmittel und schreibt: "an politruks und an päpsten", "von kursen, caux und kultura", "mohn und metaphysik" usw. Das übernimmt denn auch Döhl aus dritter Hand und bastelt: "wahlredner predigen wunder priester weihen die wehrkraft", "pöbel und presse". "mord und ministerien". Aber Döhl tut mehr. Wenn Enzensberger ein Gedicht mit dem Titel "an alle fernsprechteilnehmer" schreibt, gebraucht Döhl die Wendung "an alle haushaltungen". Wenn Enzensberger schreibt ,"ausgerufen wird eine amnestie / für die sager der Wahrheit", macht Döhl kurzerhand daraus: "an den laternen hängen die sager der wahrheit". Auf Seite 28 seines Büchleins bringt Döhl eine weiße Seite, in deren linker oberer Ecke steht: "eine seite die leer ist". Ein origineller Einfall? - Vielmehr ein originaler Einfall von Enzensberger, der schreibt: "Ich gehe, mir zuzurichten ein wortloses mahl, / aufzutun eine seite, die leer ist" .Das mag fürs erste genügen. Es soll dem Leser überlassen bleiben, ob er Döhls opera, niedergeschrieben in der Attitüde eines schöpferischen Radikalismus, nur als Krankheitssymptome einer - um Alfred Kerr zu zitieren - chronischen Epigonorrhöe ansieht. Sollte man Döhl (Jahrgang 1934) seine literarische Hochstapelei nicht als verständlich bei seinem jugendlichen Alter verzeihen? Aber es geht ja nicht nur um diese Enzensberger-"Anlehnungen".
Inzwischen hat Döhl nämlich einen neuen Band herausgebracht: "Fingerübungen", 50 Texte, 3 Graphiken von G.K. Pfahler (Limes-Verlag, Wiesbaden). In diesem Buch ist nicht mehr Enzensberger das Vorbild, sondern Helmut Heißenbüttel und wohl auch Max Bense. Wir wollen hier nicht wieder, wie es leicht möglich wäre, eine Reihe von Beispielen bringen, zwei wahllos herausgegriffene Zitate mögen genügen. Döhl schreibt: "das häßliche / das maßlose / das aufgeblasene / das scheußliche / das bombastische / das banale / das schreckliche ..." und "das nicht häßliche / das nicht maßlose / das nicht aufgeblasene / das nicht scheußliche / das nicht bombastische / das nicht banale / das nicht schreckliche ..." Und das hieß bei Heißenbüttel: "das Sagbare sagen / das Erfahrbare erfahren / das Entscheidbare entscheiden / das Erreichbare erreichen ..." und "das nicht Sagbare / das nicht Erfahrbare / das nicht Entscheidbare / das nicht Erreichbare ..." Döhl schreibt: "sammeln nicht sammeln gesammelt ...", Heißenbüttel schrieb: "wartend warten gewartet haben / gewartet werden".
Übrigens schrieb Döhl 1960 in einem Aufsatz, in dem er H. Riede "Der Schutz des Urheberrechts gegen plagiarische Verletzungen im Zivilprozeß", S. 75, zitiert: "Zunächst muß einmal feststehen, wann die Werke - dasjenige, das sich als Original bezeichnet, und dasjenige, das Plagiat sein soll - geschaffen wurden. Erst dann läßt sich prüfen, ob ein Nachschaffen möglich ist." Dazu wäre zu bemerken, daß die zitierten Gedichte von Enzensberger 1957 und 1960 in Buchform erschienen sind und die Gedichte von Heißenbüttel 1956, Döhls Texte jedoch 1961 und 1962 ...
Das Urteil über Döhl bleibt dem Leser überlassen. Verwunderlich ist allerdings, daß sich Verlage gefunden haben, die ihm seine Texte abgekauft haben. Ist das bei dem kleinen Fietkau-Verlag vielleicht noch zu verstehen (wenn auch nicht zu entschuldigen), da Fietkau vielleicht auf Grund des Gotteslästerungs-Skandals auf einen besonders hohen Absatz spekulierte, so ist es jedoch bei dem ansonsten verdienstvollen und in seinem Urteil sicheren Limes-Verlag völlig unverständlich. Man hätte Döhl einen besseren Dienst getan, wenn man seine Produkte nicht publiziert hätte - man hätte ihm eine große Blamage erspart.
Zu Döhl selbst ist noch zu sagen, daß er es vielleicht bei seiner Beherrschung fremder Stilmittel und dem absoluten Mangel an eigenem Talent einmal mit der Parodie versuchen sollte. Die letzten beiden Zeilen seines Buches "Fingerübungen" lauten: "das spiel der sprache / ist ein spiel gegen mich selbst". Sehr treffend beobachtet! Und die letzte Zeile des ganzen Buches heißt: "aufhören zu". Wir dürfen diese Zeile ergänzen und als Wunsch an den Autor zurückgeben: "Aufhören zu schreiben!"
Semesterspiegel. Studentenzeitschrift an der Universität Münster, 9. Jg, H. 58, Mai 1962, S. 21/22
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Jürgen P. Wallmann | Plagiat im deutschen Blätterwald. Der "Fall Celan", mit einem Nachspiel
"Man sollte doch erwägen, ob es nicht an der Zeit wäre, den altindischen Brauch der Witwenverbrennung zumindest bei den Witwen von Schriftstellern wieder einzuführen", meinte vor vollbesetztem Auditorium jüngst der Münsteraner Germanist Dr. Klaus Günther Just. Zu solchen Überlegungen hatte den rabiaten Dozenten die 1960 erschienene Ausgabe der Dichtungen von Iwan Goll veranlaßt, die von dessen Witwe Claire Goll betreut worden ist.
Wie "fahrlässigschludrig" (Walter Jens) diese Gesamtausgabe in Wirklichkeit ist, stellte sich heraus, als einige Anhänger der Goll-Witwe versuchten, mit Hilfe dieses Buches die Plagiats-Vorwürfe der streitbaren Claire gegen den Lyriker Paul Celan zu beweisen.
Seit Jahren schon unternimmt es Claire Goll, die Person und Dichtung Paul Celans mit allen Mitteln zu diffamieren. Celan, Büchner-Preisträger 1960, gilt mit seinen bisher vier Gedichtbänden als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Lyriker. Unter tragischen Umständen. mußte der 1920 in Tschernowitz in der Bukowina geborene Dichter 1948 seine Heimat verlassen und lebt nun seit vierzehn Jahren in Paris. Vorn Spätherbst 1949 bis März 1950 verkehrte er mit dem ebenfalls in Paris lebenden Goll, der seine eigenen Dichtungen in deutscher, französischer und englischer Sprache veröffentlicht hatte.
Kurz vor seinem Tode bat Goll Celan darum, seine französischen Gedichte ins Deutsche zu übertragen. Celan erfüllte den Wunsch. Nach Abschluß der Übertragungen, Ende 1951, aber ließ die Witwe Claire Goll von ihrem Verleger das Manuskript zurückweisen, mit der Bemerkung, es trage allzu deutlich die Signatur Celans. Dann machte sich Claire selbst an die Übersetzung, offenbar in der Meinung, die Gedichte trügen ohnhin alle ihre Signatur: Claire übersetzte also, aber: Abschriften der Übertragungen Celans blieben "zur Arbeitserleichterung" in ihrem Besitz ... Diese Beschuldigungen wurden zum Teil kritiklos übernommen, und die Anhänger der Witwe starteten eine sich ständig steigernde Kampagne gegen den, wie sie schrieben, "Meisterplagiator" Paul Celan. Den vorläufigen Höhepunkt erreichte die muntere Treibjagd, als ein Mitarbeiter der Zeitschrift "Baubudenpoet" und rüder "Fallbeil"-Autor Zitate positiver Celan-Kritiken mit dem eigenen Zusatz abdrucken ließ: So zu lesen im "Baubudenpoet", verfaßt von einem "Felix Mondstrahl". Und im März 1960 schrieb Claire Goll dem "Baubudenpoet" erfreut, sie habe sich Weiter berichtete sie von der Bekanntschaft Golls mit Celan, den sie diesmal beiläufig der Erbschleicherei verdächtigte, und schrieb von Celans Goll-Übertragungen aus dem Französischen, sie seien - ein Vorwurf, den ihr keiner abnehmen wird, der Celans meisterhafte Übertragungen von Rimbauds "Bateau ivre", Valerys "Die junge Parze" und von Gedichten von Apollinaire, Char, Nerval und Supervielle kennt. Überdies schrieb Claire Goll von der Konterten die Celan-Verteidiger Marie-Luise Kaschnitz, Ingeborg Bachmann und Klaus Demus: Wieder suchte Claire Goll Celan Plagiate vorzuwerfen, mußte aber nun die Zahl der "Parallelstellen" auf eine einzige reduzieren, da sich die anderen als unhaltbar erwiesen hatten. Auch diese eine Stelle erwies sich später als nichtig. Denn beim Vergleich der älteren Ausgaben von Büchern Iwan Golls mit der 1960 erschienenen Gesamtausgabe stellte sich heraus daß Aber noch immer gab es einige unentwegte "Gollisten", und so beschuldigte, allerdings in wesentlich vorsichtigerer Weise, Rainer K. Abel (= Kabel) in der "Welt" vom 11.11.1960 Celan der "Anleihe" bei Goll. Paul Celan hat die ganzen Jahre hindurch und bis heute zu den Verleumdungen geschwiegen. Endlich, 1960, übernahm es ein anderer für ihn, die Hetze zu stoppen: Hans Magnus Enzensberger bezeichnete Claire Goll als Peter Szondi schrieb in der "Neuen Zürcher Zeitung" gegen Kabel, eine Reihe von Büchner-Preisträgern stellte sich öffentlich hinter Celan, die "Neue Rundschau" veröffentlichte eine Entgegnung, um "einer systematischen Hetze entgegenzutreten". Schließlich mußte Kabel in der "Welt" vom 12.4.1961 zugeben, daß er Inzwischen war nämlich nachgewiesen worden, daß Claire Goll, um zu ihren "Parallelstellen" zu kommen, falsch und ungenau zitiert hatte. Am verblüffendsten für die literarische Öffentlichkeit allerdings ist die Widerlegung des Vorwurfs, Celans "Mohn und Gedächtnis" (1952) sei ein Plagiat des Nachlaßbandes "Traumkraut" (1951) von Goll. In Wirklichkeit waren die von Claire Goll zitierten Gedichte Celans nämlich Claire Goll konnte die Öffentlichkeit leicht irreführen, weil das Buch "Der Sand aus den Urnen", Auflage 500 Exemplare, in Deutschland so gut wie unbekannt war, da es wegen seiner zahlreichen Druckfehler kurz nach dem Erscheinen wieder aus dem Handel gezogen worden war. "Der Sand aus den Urnen" (Interessenten finden ein Exemplar unter der Nummer 770474-B in der Nationalbibliothek in Wien) war Claire Goll bekannt, sie besaß das Buch sogar. Im "Baubudenpoet" schrieb sie zwar im März 1960 von den aber in Wirklichkeit wußte sie genau, daß der Name des Verfassers Paul Celan war. Das Attentat Claire Golls ist vereitelt, aber immerhin - semper aliquid haeret. Manche von denen, die Celan früher heftig attackierten, versuchen jetzt, mit halbem Herzen das Gegenteil zu beweisen. So auch Reinhard Döhl, der im Jahrbuch der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung auf Anweisung seines Stuttgarter Chefs Prof. Fritz Martini eine dreißig Seiten lange Abhandlung geschrieben hat, umständlich, wissenschaftlich verbrämt und wenig lesbar. Man merkt Döhl an, welche Mühe es ihm macht, das Gegenteil von dem zu behaupten, was er früher vertreten hat, als er Celan angriff und auf Kabels Artikel als Bestätigung seines Angriffes hinwies. Jetzt gibt er zwar zu, Kabels Behauptungen seien unbegründet, die wirklichen aufschlußreichen Textstellen aber werden verschwiegen, einige Unterstellungen ungeprüft übernommen.
Daß Döhl auch nicht gerade der geeignetste Mann war, sich mit Fragen des literarischen Plagiats auseinanderzusetzen, erweist sich bei näherer Betrachtung eigener Arbeiten Döhls. Döhl war mit seinem 1959 veröffentlichten Gedicht "Missa profana" bekanntgeworden, das ihm einbrachte. Jetzt sind erste Gedichte von ihm in Buchform erschienen, der erste Band "Missa profana" (1961), der zweite "Fingerübungen"; (1962). Im ersten Buch hat sich Döhl, nach seinen Bemerkungen zur Affäre Goll doch eigentlich über Plagiatsfragen informiert, deutlich an der Lyrik Enzensbergers "orientiert".
Enzensberger beispielsweise liebt es, Klassikerzitate ironisch abzuwandeln; aus dem Hölderlinvers etwa "Was bleibet aber, stiften die Dichter" wird Wenn Enzensberger die Technik der ironischen Kombination von Wörtern und Wortgruppen zusammen mit der Alliteration als wesentliches Stilmittel kennt und schreibt, steht Döhl mit ähnlichen Bildungen nicht zurück. Weitere Anzeichen chronischer "Epigonorrhoe" (Alfred Kerr) zeigen sich in Döhls Buch "fingerübungen". Diesmal ist nicht Enzensberger das Vorbild, sondern Helmut Heißenbüttel. So finden wir In seinem Aufsatz, in dem er sich mit den Plagiatsvorwürfen gegen Paul Celan beschäftigte, hatte Döhl 1960 geschrieben: "Zunächst muß einmal feststehen, wann die Werke - dasjenige, das sich als Original bezeichnet, und dasjenige, das Plagiat sein soll - geschaffen wurden. Erst dann läßt sich prüfen, ob ein Nachschaffen möglich ist."
Im Falle Döhl ist diese Prüfung recht einfach: die zitierten Gedichte von Enzensberger erschienen 1957 und 1960 in Buchform, die Gedichte von Heißenbüttel 1956, Döhls Texte 1961 und 1962.
LiteraturREVUE, H. 6, Juni/Juli 1962, S. 14 ff.
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Helmut Kreuzer: betr. PLAGIAT LR 6/62
Darf ich Ihnen gestehen, daß mich der Aufsatz von J.P. Wallmann über Yvan Goll, Paul Celan und Reinhard Döhl enttäuscht hat. W. und Döhl haben, wie ich recht genau weiß, einige Zeit in der Redaktion der Studentenzeitschrift "notizen" zusammengearbeitet und sich dabei persönlich nicht sehr gut verstanden. Dieses private Zerwürfnis ist literarisch völlig irrelevant, weshalb ich sehr bedaure, daß Sie sich, gewiß unwissentlich, dazu mißbrauchen ließen, als Instrument einer Privatfehde unter Studenten zu dienen. Über die Goll-Ausgabe und über die Plagiatsvorwürfe gegen Paul Celan ist das literarische Publikum bereits gut informiert nicht nur durch Fach-, sondern auch durch Massenblätter ("DIE ZEIT", "DIE NZZ", "DIE KULTUR" usw.) Die gründlichsten Arbeiten zu diesen beiden Themen hat der von Ihnen angegriffene Reinhard Döhl geschrieben. W's Aufsatz enthielt weder einen einzigen neuen Gedanken noch neues Material. Er hat sich schlicht darauf beschränkt, schlicht wiederzugeben, was andere ermittelt haben, besonders Döhl, den ausgerechnet nun er des Plagiats bezichtigt. (Man muß freilich zugeben, daß er die Fälle Goll und Celan wohl nur aufgegriffen hat, um am Ende des Artikels seine Anti-Döhl-Affekte entladen zu können, die ansonsten keinen Menschen interessieren könnten.) Die Plagiatsvorwürfe sind überdies dürftig. Weil Enzensberger "an alle fernsehteilnehmer" schrieb, soll Döhl sich nicht "an alle haushaltungen" wenden dürfen? Warum soll man nicht "an den Mond" schreiben dürfen, wenn vorher schon jemand an Luna geschrieben hatte, warum nicht an Maria, wenn schon Gedichte "an Laura" vorliegen? So ist das Niveau aller Beispiele. Am schlimmsten finde ich, daß W. keinen Sinn für die Fairneß hat, mit der Döhl nach dem Studium des Materials für den angegriffenen Celan eingetreten ist, obwohl er zu einer anderen literarischen "Partei" gehört. Sollte sich das Moralische nicht auch in der Literatur von selbst verstehen?
Dr. Helmut Kreuzer, Stuttgart-N. in: LiteraturREVUE, H. 7, Juli/August 1962, S. 5
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Jürgen P. Wallmann | Langfingerübungen
"Nicht daß die Leute, deren Lippen noch vom Trunke feucht sind, die Quelle nicht nennen, aber daß sie deren Existenz leugnen möchten, vergiftet die Quelle." Karl Kraus
"jede zeile die ich schreibe ist eine defloration." Reinhard Döhl
Am 10. Juni 1959 veröffentlichte der Student Reinhard Döhl in der Göttinger Studentenzeitschrift "Prisma" eine lyrische Montage "missa profana"; Döhl wurde deswegen angezeigt und 1960 wegen Gotteslästerung verurteilt, 1961 jedoch vom Bundesgerichtshof freigesprochen Wer sich für den Prozeßverlauf interessiert, findet ihn aufgezeichnet auf den Seiten 102-113 des Buches "Gotteslästerung?" von Ansgar Skriver (1). Das corpus delicti liegt inzwischen in Buchform vor: "missa profana" und andere Gedichte (2). Nicht jedoch der Text der "missa profana" soll uns hier beschäftigen; auch unserer Meinung nach gehören literarische Versuche, und seien sie auch noch so mißlungen, nicht vor den Strafrichter. Vielmehr geht es uns um einige andere Gedichte des Bändchens. Hier nämlich wird aus dem "Fall missa profana" der weit bedenklichere "Fall Döhl".
Zum Beispiel das Gedicht "Variationen über ein altes Thema", dem Zitate aus der Genesis und von Brecht vorangestellt sind: in diesem opus finden sich zahlreiche Zitate und Entlehnungen von Benn, Brecht, Kästner, Arno Schmidt und manchen anderen, und zwar sind diese Zitate vorsorglich klein geschrieben, so daß man sie von Döhls eigenen sparsamen Einfällen nur schwer unterscheiden kann, denn Döhl schreibt grundsätzlich alles klein. Am stärksten sind die - vorsichtig ausgedrückt - "Entlehnungen" aus Gedichten von Hans Magnus Enzensberger, die Übernahme seiner Stilmittel und Stilfiguren.
Enzensberger beispielsweise liebt es, Klassikerzitate ironisch und parodistisch abzuwandeln, aus einem bekannten Hölderlinvers z.B. wird bei ihm: "bekanntlich / wächst, wo gefahr ist, das rettende auch". Das macht denn auch Döhl. Aus einem Vers von L.H.Ch. Hölty. 1748-1776 ("Ihr Freunde, hänget, wann ich gestorben bin, / Die kleine Harfe hinter dem Altar auf") wird bei Döhl: "ihr freunde hänget wann ich gehenkt bin die kleine fahne hinter dem altar auf". Aus dem Hölderlin-Vers "Was bleibet aber, stiften die Dichter" wird bei Döhl: "was aber bleibet der haß wird künstlich befruchtet ihn stiften die greise!" Das aber stand schon ähnlich bei Enzensberger: "stiftet lieber, was bleibet, die dummheit".
Enzensberger bevorzugt, wie Holthusen sagt, die "Technik der ironischen Kombination von Wörtern und Wortgruppen, die, als Sachbezeichnungen genommen, weit auseinanderliegen". Wie der Amerikaner W.H. Auden, bei dem es "wars and waltzes" und "vitamins, villas, visas" heißen kann, benutzt Enzensberger die Alliteration als wesentliches Stilmittel und schreibt: "an politruks und an päpsten", "von kursen, caux und kultura", "mohn und metaphysik" usw. Das übernimmt denn auch Döhl aus dritter Hand und bastelt: "wahlredner predigen wunder priester weihen die wehrkraft", "pöbel und presse". "mord und ministerien".
Aber Döhl tut mehr. Wenn Enzensberger ein Gedicht mit dem Titel "an alle fernsprechteilnehmer" schreibt, gebraucht Döhl die Wendung "an alle haushaltungen". Wenn Enzensberger schreibt ,"ausgerufen wird eine amnestie / für die sager der Wahrheit", macht Döhl kurzerhand daraus: "an den laternen hängen die sager der wahrheit". Auf Seite 28 seines Büchleins bringt Döhl eine weiße Seite, in deren linker oberer Ecke steht: "eine seite die leer ist". Ein origineller Einfall? - Vielmehr ein originaler Einfall von Enzensberger, der schreibt: "Ich gehe, mir zuzurichten ein wortloses mahl, / aufzutun eine seite, die leer ist".
Das mag fürs erste genügen. Es soll dem Leser überlassen bleiben, ob er Döhls opera, niedergeschrieben in der Attitüde eines schöpferischen Radikalismus, nur als Krankheitssymptome einer - um Alfred Kerr zu zitieren - chronischen Epigonorrhöe ansieht. Sollte man Döhl (Jahrgang 1934) seine literarische Hochstapelei nicht als verständlich bei seinem jugendlichen Alter verzeihen? Aber es geht ja nicht nur um diese Enzensberger-"Anlehnungen".
Inzwischen hat Döhl nämlich ein neues Buch geschrieben (3). In diesem Buch ist nicht mehr Enzensberger das Vorbild, sondern Helmut Heißenbüttel und wohl auch Max Bense. Wir wollen hier nicht wieder, wie es leicht möglich wäre, eine Reihe von Beispielen bringen, zwei wahllos herausgegriffene Zitate mögen genügen. Döhl schreibt: "das häßliche / das maßlose / das aufgeblasene / das scheußliche / das bombastische / das banale / das schreckliche ..." und "das nicht häßliche / das nicht maßlose / das nicht aufgeblasene / das nicht scheußliche / das nicht bombastische / das nicht banale / das nicht schreckliche ..." Und das hieß bei Heißenbüttel: "das Sagbare sagen / das Erfahrbare erfahren / das Entscheidbare entscheiden / das Erreichbare erreichen ..." und "das nicht Sagbare / das nicht Erfahrbare / das nicht Entscheidbare / das nicht Erreichbare ..." Döhl schreibt: "sammeln nicht sammeln gesammelt ...", Heißenbüttel schrieb: "wartend warten gewartet haben / gewartet werden".
Übrigens schrieb Döhl 1960 in einem Aufsatz, in dem er H. Riede "Der Schutz des Urheberrechts gegen plagiarische Verletzungen im Zivilprozeß", S. 75, zitiert: "Zunächst muß einmal feststehen, wann die Werke - dasjenige, das sich als Original bezeichnet, und dasjenige, das Plagiat sein soll - geschaffen wurden. Erst dann läßt sich prüfen, ob ein Nachschaffen möglich ist." Also gut: die zitierten Gedichte von Enzensberger sind 1957 und 1960 in Buchform erschienen sind und die Gedichte von Heißenbüttel 1956, Döhls Texte jedoch 1961 und 1962 ...
Das Urteil über Döhl bleibt dem Leser überlassen. Verwunderlich ist allerdings, daß sich Verlage gefunden haben, die ihm seine Texte abgekauft haben. Ist das bei dem kleinen Fietkau-Verlag vielleicht noch zu verstehen, wenn auch nicht zu entschuldigen, da Fietkau vielleicht auf Grund des Gotteslästerungs-Skandals auf einen besonders hohen Absatz spekulierte, so ist es jedoch bei dem ansonsten verdienstvollen und in seinem Urteil sicheren Limes-Verlag völlig unverständlich. Man hätte Döhl einen besseren Dienst getan, wenn man seine Produkte nicht publiziert hätte, - man hätte ihm eine große Blamage erspart.
Zu Döhl selbst ist noch zu sagen, daß er es vielleicht bei seiner Beherrschung fremder Stilmittel und dem absoluten Mangel an eigenem Talent einmal mit der Parodie versuchen sollte. Die letzten beiden Zeilen seines Buches "Fingerübungen" lauten: "das spiel der sprache / ist ein spiel gegen mich selbst". Sehr treffend beobachtet! Und die letzte Zeile des ganzen Buches heißt: "aufhören zu". Aber ja doch!
1) das aktuelle thema. Bd. 11, Verlag Rütten & Loening, Hamburg, 160 Seiten, gebunden DM 2,80. Wir werden uns noch mit dieser Publikation und dem ganzen in ihr aufgenommenen Fragenkomplex zu beschäftigen haben.

2) "missa profana" und andere Gedichte schritte fünf, Verlag W. Fietkau, Berlin-Zehlendorf, 34 S., gebunden DM 2,80.
3) "Fingerübungen", 50 Texte, 3 Graphiken von G.K. Pfahler, erscheint soeben im Limes-Verlag, Wiesbaden.
"Nie kann ein Frosch erröten." Friedrich Hebbel

Frankfurter Hefte, August 1962, S. 564 f. Eberhard Klingenberg: Allen Ginsbergs Prager Eskapaden
[...] Ein jeder Ordnung und jedem Reglement so feindlicher anarchistischer Typ wie Ginsberg, Revoluzzer par excellence, der ohne jede Hemmung ausspricht, was ihm gerade in den Sinn kommt und was er empfindet, muß in jedem Staat ein Ärgernis sein. Man halte sich nur vor Augen, daß vor einigen Jahren die Redakteure der Tübinger Studentenzeitung "Notizen" in erster Instanz wegen Gotteslästerung verurteilt wurden, weil sie Allen Ginsbergs Gedicht "Missa profana" abgedruckt hatten. Hätte Ginsberg damals in der Bundesrepublik gelebt, wäre ihm ein Strafverfahren nicht erspart geblieben.
[Die Zeit, Nr. 23, 4. Juni 1965, S. 23]