BioBibliograffiti
| Über Reinhard Döhl
Jürgen P.
Wallmann u.a. | Schmarotzen als Stilprinzip
Eine Rezension
Das soeben erschienene Jahrbuch
der Akademie (1) bringt neben Arbeiten u.a. von H.G. Gamamer, E. Spranger,
W. Bergengruen, E.K. Rashin, H. Kasack und F.Martini mehrere Beiträge,
die sich auf die Verleihung des Georg-Büchner-Preises 1960 an Paul
Celan
beziehen, so die Laudation
von Marie Luise Kaschnitz auf den Preisträger und Celans bedeutsame
Rede zu Preisverleihung.
Besonderes Interesse verdient
das Jahrbuch wegen einer im Auftrag von Prof. F. Martini angefertigten
literaturwissenschaftlichen
Untersuchung, die sich mit
den Plagiatsvorwürfen gegen Celan befaßt und deren Unhaltbarkeit
nachweist. Seit Jahren sah sich Paul
Celan einer im Auftrag Claire
Golls, der Witwe des Dichters Yvan Goll, systematisch betriebenen Hetze
ausgesetzt, deren
entstellender und verleumderischer
Charakter sehr bald deutlich wurde und eine Reihe bedeutsamer Autoren veranlaßte,
sich für
Celan einzusetzen und die
unberechtigten Vorwürfe scharf zurückzuweisen. Es ist zu begrüßen,
daß die jedem Einsichtigen
offenbare Unhaltbarkeit
der Vorwürfe jetzt auch wissenschaftlich nachgewiesen ist: erstaunlich
bleibt allerdings, daß diese
Untersuchung von dem Stuttgarter
Studenten Reinhard Döhl stammt, der noch vor nicht allzu langer Zeit
zu denen zählte, die sich
den leichtfertigen Anschuldigungen
gegen den bedeutenden Lyriker angeschlossen hatten.
1) Jahrbuch 1960 der
Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Darmstadt. Verlag L.
Schneider, Heidelberg/Darmstadt. 184 Seiten. 10.- DM
Jürgen P. Wallmann
in: Semesterspiegel. Studentenzeitschrift an der Universität Münster,
8. Jg, H. 53, Juli 1961, S. 23
Jürgen P. Wallmann |
Schmarotzen als Stilprinzip.
"Nicht daß
die Leute, deren Lippen noch vom Trunke feucht sind, die Quelle nicht nennen,
aber daß sie deren Existenz leugnen möchten, vergiftet die Quelle."
(Karl Kraus)
"jede zeile die ich schreibe
ist eine defloration" (Reinhard Döhl)
Am 10. Juni 1959 veröffentlichte
der Student Reinhard Döhl in der Göttinger Studentenzeitschrift
PRISMA eine lyrische Montage "missa profana"; Döhl wurde deswegen
angezeigt und 1960 wegen Gotteslästerung verurteilt, 1961 jedoch vom
Bundesgerichtshof freigesprochen Wer sich für den Prozeßverlauf
interessiert, findet ihn aufgezeichnet auf den Seiten 102-113 des Buches
"Gotteslästerung?" von Ansgar Skriver (das aktuelle thema, Bd. 11,
Verlag Rütten & Loening, Hamburg, 160 S.. 2,80 DM). Das corpus
delicti liegt inzwischen in Buchform vor: "missa profana" und andere Gedichte
(schritte fünf, Verlag W. Fietkau, Berlin-Zehlendorf, 34 S., 2,80
DM). Nicht jedoch der Text der "missa profana" soll uns hier beschäftigen;
auch unserer Meinung nach gehören literarische Versuche, und seien
sie auch noch so mißlungen, nicht vor den Strafrichter. Vielmehr
geht es uns um einige andere Gedichte des Bändchens. Hier nämlich
wird aus dem "Fall missa profana" der weit bedenklichere "Fall Döhl".
Zum Beispiel das Gedicht
"Variationen über ein altes Thema", dem Zitate aus der Genesis und
von Brecht vorangestellt sind: in diesem opus finden sich zahlreiche Zitate
und Entlehnungen von Benn, Brecht, Kästner, Arno Schmidt und manchen
anderen, und zwar sind diese Zitate vorsorglich klein geschrieben, so daß
man sie von Döhls eigenen sparsamen Einfällen nur schwer unterscheiden
kann, denn Döhl schreibt grundsätzlich alles klein. Am stärksten
sind die - vorsichtig ausgedrückt - "Entlehnungen" aus Gedichten von
Hans Magnus Enzensberger, die Übernahme seiner Stilmittel und Stilfiguren.
Enzensberger beispielsweise
liebt es, Klassikerzitate ironisch und parodistisch abzuwandeln, aus einem
bekannten Hölderlinvers z.B. wird bei ihm: "bekanntlich / wächst,
wo gefahr ist, das rettende auch". Das macht denn auch Döhl. Aus einem
Vers von L.H.Ch. Hölty. 1748-1776 ("Ihr Freunde, hänget, wann
ich gestorben bin, / Die kleine Harfe hinter dem Altar auf") wird bei Döhl:
"ihr freunde hänget wann ich gehenkt bin die kleine fahne hinter dem
altar auf". Aus dem Hölderlin-Vers "Was bleibet aber, stiften die
Dichter" wird bei Döhl: "was aber bleibet der haß wird künstlich
befruchtet ihn stiften die greise!" Das aber stand schon ähnlich bei
Enzensberger: "stiftet lieber, was bleibet, die dummheit".
Enzensberger bevorzugt,
wie Holthusen sagt, die "Technik der ironischen Kombination von Wörtern
und Wortgruppen, die, als Sachbezeichnungen genommen, weit auseinanderliegen".
Wie der Amerikaner W.H. Auden, bei dem es "wars and waltzes" und "vitamins,
villas, visas" heißen kann, benutzt Enzensberger die Alliteration
als wesentliches Stilmittel und schreibt: "an politruks und an päpsten",
"von kursen, caux und kultura", "mohn und metaphysik" usw. Das übernimmt
denn auch Döhl aus dritter Hand und bastelt: "wahlredner predigen
wunder priester weihen die wehrkraft", "pöbel und presse". "mord und
ministerien". Aber Döhl tut mehr. Wenn Enzensberger ein Gedicht mit
dem Titel "an alle fernsprechteilnehmer" schreibt, gebraucht Döhl
die Wendung "an alle haushaltungen". Wenn Enzensberger schreibt ,"ausgerufen
wird eine amnestie / für die sager der Wahrheit", macht Döhl
kurzerhand daraus: "an den laternen hängen die sager der wahrheit".
Auf Seite 28 seines Büchleins bringt Döhl eine weiße Seite,
in deren linker oberer Ecke steht: "eine seite die leer ist". Ein origineller
Einfall? - Vielmehr ein originaler Einfall von Enzensberger, der schreibt:
"Ich gehe, mir zuzurichten ein wortloses mahl, / aufzutun eine seite, die
leer ist" .Das mag fürs erste genügen. Es soll dem Leser überlassen
bleiben, ob er Döhls opera, niedergeschrieben in der Attitüde
eines schöpferischen Radikalismus, nur als Krankheitssymptome einer
- um Alfred Kerr zu zitieren - chronischen Epigonorrhöe ansieht. Sollte
man Döhl (Jahrgang 1934) seine literarische Hochstapelei nicht als
verständlich bei seinem jugendlichen Alter verzeihen? Aber es geht
ja nicht nur um diese Enzensberger-"Anlehnungen".
Inzwischen hat Döhl
nämlich einen neuen Band herausgebracht: "Fingerübungen", 50
Texte, 3 Graphiken von G.K. Pfahler (Limes-Verlag, Wiesbaden). In diesem
Buch ist nicht mehr Enzensberger das Vorbild, sondern Helmut Heißenbüttel
und wohl auch Max Bense. Wir wollen hier nicht wieder, wie es leicht möglich
wäre, eine Reihe von Beispielen bringen, zwei wahllos herausgegriffene
Zitate mögen genügen. Döhl schreibt: "das häßliche
/ das maßlose / das aufgeblasene / das scheußliche / das bombastische
/ das banale / das schreckliche ..." und "das nicht häßliche
/ das nicht maßlose / das nicht aufgeblasene / das nicht scheußliche
/ das nicht bombastische / das nicht banale / das nicht schreckliche ..."
Und das hieß bei Heißenbüttel: "das Sagbare sagen / das
Erfahrbare erfahren / das Entscheidbare entscheiden / das Erreichbare erreichen
..." und "das nicht Sagbare / das nicht Erfahrbare / das nicht Entscheidbare
/ das nicht Erreichbare ..." Döhl schreibt: "sammeln nicht sammeln
gesammelt ...", Heißenbüttel schrieb: "wartend warten gewartet
haben / gewartet werden".
Übrigens schrieb Döhl
1960 in einem Aufsatz, in dem er H. Riede "Der Schutz des Urheberrechts
gegen plagiarische Verletzungen im Zivilprozeß", S. 75, zitiert:
"Zunächst muß einmal feststehen, wann die Werke - dasjenige,
das sich als Original bezeichnet, und dasjenige, das Plagiat sein soll
- geschaffen wurden. Erst dann läßt sich prüfen, ob ein
Nachschaffen möglich ist." Dazu wäre zu bemerken, daß die
zitierten Gedichte von Enzensberger 1957 und 1960 in Buchform erschienen
sind und die Gedichte von Heißenbüttel 1956, Döhls Texte
jedoch 1961 und 1962 ...
Das Urteil über Döhl
bleibt dem Leser überlassen. Verwunderlich ist allerdings, daß
sich Verlage gefunden haben, die ihm seine Texte abgekauft haben. Ist das
bei dem kleinen Fietkau-Verlag vielleicht noch zu verstehen (wenn auch
nicht zu entschuldigen), da Fietkau vielleicht auf Grund des Gotteslästerungs-Skandals
auf einen besonders hohen Absatz spekulierte, so ist es jedoch bei dem
ansonsten verdienstvollen und in seinem Urteil sicheren Limes-Verlag völlig
unverständlich. Man hätte Döhl einen besseren Dienst getan,
wenn man seine Produkte nicht publiziert hätte - man hätte ihm
eine große Blamage erspart.
Zu Döhl selbst ist
noch zu sagen, daß er es vielleicht bei seiner Beherrschung fremder
Stilmittel und dem absoluten Mangel an eigenem Talent einmal mit der Parodie
versuchen sollte. Die letzten beiden Zeilen seines Buches "Fingerübungen"
lauten: "das spiel der sprache / ist ein spiel gegen mich selbst". Sehr
treffend beobachtet! Und die letzte Zeile des ganzen Buches heißt:
"aufhören zu". Wir dürfen diese Zeile ergänzen und als Wunsch
an den Autor zurückgeben: "Aufhören zu schreiben!"
Semesterspiegel. Studentenzeitschrift
an der Universität Münster, 9. Jg, H. 58, Mai 1962, S. 21/22
*
Jürgen P. Wallmann
| Plagiat im deutschen Blätterwald. Der "Fall Celan", mit einem
Nachspiel
"Man sollte doch erwägen,
ob es nicht an der Zeit wäre, den altindischen Brauch der Witwenverbrennung
zumindest bei den Witwen von Schriftstellern wieder einzuführen",
meinte vor vollbesetztem Auditorium jüngst der Münsteraner Germanist
Dr. Klaus Günther Just. Zu solchen Überlegungen hatte den rabiaten
Dozenten die 1960 erschienene Ausgabe der Dichtungen von Iwan Goll veranlaßt,
die von dessen Witwe Claire Goll betreut worden ist.
Wie "fahrlässigschludrig"
(Walter Jens) diese Gesamtausgabe in Wirklichkeit ist, stellte sich heraus,
als einige Anhänger der Goll-Witwe versuchten, mit Hilfe dieses Buches
die Plagiats-Vorwürfe der streitbaren Claire gegen den Lyriker Paul
Celan zu beweisen.
Seit Jahren schon unternimmt
es Claire Goll, die Person und Dichtung Paul Celans mit allen Mitteln zu
diffamieren. Celan, Büchner-Preisträger 1960, gilt mit seinen
bisher vier Gedichtbänden als einer der bedeutendsten zeitgenössischen
Lyriker. Unter tragischen Umständen. mußte der 1920 in Tschernowitz
in der Bukowina geborene Dichter 1948 seine Heimat verlassen und lebt nun
seit vierzehn Jahren in Paris. Vorn Spätherbst 1949 bis März
1950 verkehrte er mit dem ebenfalls in Paris lebenden Goll, der seine eigenen
Dichtungen in deutscher, französischer und englischer Sprache veröffentlicht
hatte.
Kurz vor seinem Tode bat
Goll Celan darum, seine französischen Gedichte ins Deutsche zu übertragen.
Celan erfüllte den Wunsch. Nach Abschluß der Übertragungen,
Ende 1951, aber ließ die Witwe Claire Goll von ihrem Verleger das
Manuskript zurückweisen, mit der Bemerkung, es trage allzu deutlich
die Signatur Celans. Dann machte sich Claire selbst an die Übersetzung,
offenbar in der Meinung, die Gedichte trügen ohnhin alle ihre
Signatur:
-
im Nachwort zur Gesamtausgabe
ließ sie Richard Exner schreiben, hinter allen Versen Golls sei der
Name der Geliebten verborgen,
-
"alles wird auf sie übertragen"
(Exner)
Claire übersetzte also,
aber: Abschriften der Übertragungen Celans blieben "zur Arbeitserleichterung"
in ihrem Besitz ...
-
1952 erschien dann Celans Gedichtband
"Mohn und Gedächtnis" mit der berühmt gewordenen "Todesfuge",
der den Autor rasch bekannt machte.
-
1953 richtete Claire Goll aus
den USA einen "offenen Brief" an zahlreiche deutsche Kritiker, Schriftsteller
und Verleger, worin sie mitteilte, Celans Gedichtband sei
-
"eine Imitation" von Iwan Golls
1951 erschienenem Nachlaßband "Traumkraut"; ihre Behauptungen stützte
sie durch den Nachweis einiger sogenannter "Parallelstellen".
Diese Beschuldigungen wurden
zum Teil kritiklos übernommen, und die Anhänger der Witwe starteten
eine sich ständig steigernde Kampagne gegen den, wie sie schrieben,
"Meisterplagiator" Paul Celan. Den vorläufigen Höhepunkt erreichte
die muntere Treibjagd, als ein Mitarbeiter der Zeitschrift "Baubudenpoet"
und rüder "Fallbeil"-Autor Zitate positiver Celan-Kritiken mit dem
eigenen Zusatz abdrucken ließ:
-
"Ich möchte der deutschen
Kritik nicht sagen, sie möge mir ihre Zunge leihen, damit auch ich
Herrn Celan den ... lecken kann; meine ist mir zu schade dafür."
So zu lesen im "Baubudenpoet",
verfaßt von einem "Felix Mondstrahl". Und im März 1960 schrieb
Claire Goll dem "Baubudenpoet" erfreut, sie habe sich
-
"über die Zeitschrift sehr
gefreut"; und
-
über den Beitrag von Mondstrahl
"sehr lachen müssen".
Weiter berichtete sie von der
Bekanntschaft Golls mit Celan, den sie diesmal beiläufig der Erbschleicherei
verdächtigte, und schrieb von Celans Goll-Übertragungen aus dem
Französischen, sie seien
-
1951 vom Verlag abgelehnt worden,
weil sie schlecht gewesen seien
- ein Vorwurf, den ihr keiner
abnehmen wird, der Celans meisterhafte Übertragungen von Rimbauds
"Bateau ivre", Valerys "Die junge Parze" und von Gedichten von Apollinaire,
Char, Nerval und Supervielle kennt. Überdies schrieb Claire Goll von
der
-
"traurigen Legende, die er (Celan)
so tragisch zu schildern wußte".
Konterten die Celan-Verteidiger
Marie-Luise Kaschnitz, Ingeborg Bachmann und Klaus Demus:
-
"eine mit keinem Beiwort mehr
zu qualifizierende Verunglimpfung des Andenkens der in einem deutschen
Konzentrationslager ums Leben gekommenen Eltern Paul Celans"
Wieder suchte Claire Goll Celan
Plagiate vorzuwerfen, mußte aber nun die Zahl der "Parallelstellen"
auf eine einzige reduzieren, da sich die anderen als unhaltbar erwiesen
hatten. Auch diese eine Stelle erwies sich später als nichtig. Denn
beim Vergleich der älteren Ausgaben von Büchern Iwan Golls mit
der 1960 erschienenen Gesamtausgabe stellte sich heraus daß
-
Claire Goll etliche Stellen
nachträglich abgeändert hatte.
Aber noch immer gab es einige
unentwegte "Gollisten", und so beschuldigte, allerdings in wesentlich vorsichtigerer
Weise, Rainer K. Abel (= Kabel) in der "Welt" vom 11.11.1960 Celan der
"Anleihe" bei Goll. Paul Celan hat die ganzen Jahre hindurch und bis heute
zu den Verleumdungen geschwiegen. Endlich, 1960, übernahm es ein anderer
für ihn, die Hetze zu stoppen: Hans Magnus Enzensberger bezeichnete
Claire Goll als
-
"Fall, der nicht unter literarischen,
sondern eher schon medizinischen Gesichtspunkten zu beurteilen ist", Walter
Jens sprach von
-
"leichtfertigen Vorwürfen
gegen einen Dichter",
Peter Szondi schrieb in der
"Neuen Zürcher Zeitung" gegen Kabel, eine Reihe von Büchner-Preisträgern
stellte sich öffentlich hinter Celan, die "Neue Rundschau" veröffentlichte
eine Entgegnung, um "einer systematischen Hetze entgegenzutreten". Schließlich
mußte Kabel in der "Welt" vom 12.4.1961 zugeben, daß er
-
den Plagiatsvorwurf gegen Celan
als Unrecht betrachte.
Inzwischen war nämlich
nachgewiesen worden, daß Claire Goll, um zu ihren "Parallelstellen"
zu kommen, falsch und ungenau zitiert hatte. Am verblüffendsten für
die literarische Öffentlichkeit allerdings ist die Widerlegung des
Vorwurfs, Celans "Mohn und Gedächtnis" (1952) sei ein Plagiat des
Nachlaßbandes "Traumkraut" (1951) von Goll. In Wirklichkeit waren
die von Claire Goll zitierten Gedichte Celans nämlich
-
nicht erst 1952, sondern schon
1948 in dem Buch Celans "Der Sand aus den Urnen" erschienen und
-
stammten aus den Jahren 1940
bis 1948
Claire Goll konnte die Öffentlichkeit
leicht irreführen, weil das Buch "Der Sand aus den Urnen", Auflage
500 Exemplare, in Deutschland so gut wie unbekannt war, da es wegen seiner
zahlreichen Druckfehler kurz nach dem Erscheinen wieder aus dem Handel
gezogen worden war.
-
So behauptet Claire Goll etwa,
der Satz Celans "Ihr mahlt in den Mühlen des Todes das weiße
Mehl der Verheißung" sei eine wörtliche Abschrift aus Iwan Golls
1951 veröffentlichtem Gedicht "Le Moulin de la Mort" -
-
In Wirklichkeit steht das zitierte
Gedicht Celans schon in dem 1948 in Wien erschienenen Band und ist lange
vor Golls Gedicht, ja lange vor der Bekanntschaft Celans mit Goll geschrieben
worden.
"Der Sand aus den Urnen" (Interessenten
finden ein Exemplar unter der Nummer 770474-B in der Nationalbibliothek
in Wien) war Claire Goll bekannt, sie besaß das Buch sogar. Im "Baubudenpoet"
schrieb sie zwar im März 1960 von den
-
"mittelmäßigen, epigonenhaften
Versen, die er in einem in Wien erschienenen Band, soviel ich mich erinnere,
noch unter seinem Namen Antschel vereinigt und herausgegeben hatte",
aber in Wirklichkeit wußte
sie genau, daß der Name des Verfassers Paul Celan war.
-
Zu den von ihr als "epigonenhaft"
und "mittelmäßig" empfundenen Versen gehörte auch Celans
Meisterstück "Todesfuge".
Das Attentat Claire Golls ist
vereitelt, aber immerhin - semper aliquid haeret. Manche von denen,
die Celan früher heftig attackierten, versuchen jetzt, mit halbem
Herzen das Gegenteil zu beweisen. So auch Reinhard Döhl, der im Jahrbuch
der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung auf Anweisung seines
Stuttgarter Chefs Prof. Fritz Martini eine dreißig Seiten lange Abhandlung
geschrieben hat, umständlich, wissenschaftlich verbrämt und wenig
lesbar. Man merkt Döhl an, welche Mühe es ihm macht, das Gegenteil
von dem zu behaupten, was er früher vertreten hat, als er Celan angriff
und auf Kabels Artikel als Bestätigung seines Angriffes hinwies. Jetzt
gibt er zwar zu, Kabels Behauptungen seien unbegründet, die wirklichen
aufschlußreichen Textstellen aber werden verschwiegen, einige Unterstellungen
ungeprüft übernommen.
Daß Döhl auch
nicht gerade der geeignetste Mann war, sich mit Fragen des literarischen
Plagiats auseinanderzusetzen, erweist sich bei näherer Betrachtung
eigener Arbeiten Döhls. Döhl war mit seinem 1959 veröffentlichten
Gedicht "Missa profana" bekanntgeworden, das ihm
-
eine Anzeige wegen Gotteslästerung,
und
-
1961 einen Freispruch vom Bundesgerichtshof
einbrachte. Jetzt sind erste
Gedichte von ihm in Buchform erschienen, der erste Band "Missa profana"
(1961), der zweite "Fingerübungen"; (1962). Im ersten Buch hat sich
Döhl, nach seinen Bemerkungen zur Affäre Goll doch eigentlich
über Plagiatsfragen informiert, deutlich an der Lyrik Enzensbergers
"orientiert".
Enzensberger beispielsweise
liebt es, Klassikerzitate ironisch abzuwandeln; aus dem Hölderlinvers
etwa "Was bleibet aber, stiften die Dichter" wird
-
bei Enzensberger: "stiftet lieber,
was bleibet: die dummheit"
-
bei Döhl: "was aber bleibet
der haß ... stiften die greise"
Wenn Enzensberger die Technik
der ironischen Kombination von Wörtern und Wortgruppen zusammen mit
der Alliteration als wesentliches Stilmittel kennt und schreibt, steht
Döhl mit ähnlichen Bildungen nicht zurück.
-
Bei Enzensberger: "mohn und
metaphysik", oder "von kursen caux und kultura"
-
bei Döhl: "pöbel und
presse", "mord und ministerien".
-
Enzensberger schreibt ein Gedicht
"an alle fernsprechteilnehmer"
-
Döhl: "an alle haushaltungen"
-
Enzensberger: "ausgerufen wird
eine amnestie / für alle sager der wahrheit"
-
Döhl: "an den laternen
hängen die sager der wahrheit".
Weitere Anzeichen chronischer
"Epigonorrhoe" (Alfred Kerr) zeigen sich in Döhls Buch "fingerübungen".
Diesmal ist nicht Enzensberger das Vorbild, sondern Helmut Heißenbüttel.
So finden wir
-
bei Heißenbüttel:
"das Sagbare sagen / das Erfahrbare erfahren / das Entscheidbare entscheiden
/ das Erreichbare erreichen ..."
-
bei Döhl: "das häßliche
/ das maßlose / das aufgeblasene / das scheußliche ..." und
"das nicht häßliche / das nicht maßlose / das nicht aufgeblasene
/ das nicht scheußliche ..."
-
bei Heißenbüttel:
"warten gewartet haben / gewartet werden"
-
bei Döhl: "sammeln nicht
sammeln gesammelt",
In seinem Aufsatz, in dem er
sich mit den Plagiatsvorwürfen gegen Paul Celan beschäftigte,
hatte Döhl 1960 geschrieben: "Zunächst muß einmal feststehen,
wann die Werke - dasjenige, das sich als Original bezeichnet, und dasjenige,
das Plagiat sein soll - geschaffen wurden. Erst dann läßt sich
prüfen, ob ein Nachschaffen möglich ist."
Im Falle Döhl ist diese
Prüfung recht einfach: die zitierten Gedichte von Enzensberger erschienen
1957 und 1960 in Buchform, die Gedichte von Heißenbüttel 1956,
Döhls Texte 1961 und 1962.
LiteraturREVUE, H. 6, Juni/Juli
1962, S. 14 ff.
*
Helmut Kreuzer: betr.
PLAGIAT LR 6/62
Darf ich Ihnen gestehen,
daß mich der Aufsatz von J.P. Wallmann über Yvan Goll, Paul
Celan und Reinhard Döhl enttäuscht hat. W. und Döhl haben,
wie ich recht genau weiß, einige Zeit in der Redaktion der Studentenzeitschrift
"notizen" zusammengearbeitet und sich dabei persönlich nicht sehr
gut verstanden. Dieses private Zerwürfnis ist literarisch völlig
irrelevant, weshalb ich sehr bedaure, daß Sie sich, gewiß unwissentlich,
dazu mißbrauchen ließen, als Instrument einer Privatfehde unter
Studenten zu dienen. Über die Goll-Ausgabe und über die Plagiatsvorwürfe
gegen Paul Celan ist das literarische Publikum bereits gut informiert nicht
nur durch Fach-, sondern auch durch Massenblätter ("DIE ZEIT", "DIE
NZZ", "DIE KULTUR" usw.) Die gründlichsten Arbeiten zu diesen beiden
Themen hat der von Ihnen angegriffene Reinhard Döhl geschrieben. W's
Aufsatz enthielt weder einen einzigen neuen Gedanken noch neues Material.
Er hat sich schlicht darauf beschränkt, schlicht wiederzugeben, was
andere ermittelt haben, besonders Döhl, den ausgerechnet nun er des
Plagiats bezichtigt. (Man muß freilich zugeben, daß er die
Fälle Goll und Celan wohl nur aufgegriffen hat, um am Ende des Artikels
seine Anti-Döhl-Affekte entladen zu können, die ansonsten keinen
Menschen interessieren könnten.) Die Plagiatsvorwürfe sind überdies
dürftig. Weil Enzensberger "an alle fernsehteilnehmer" schrieb, soll
Döhl sich nicht "an alle haushaltungen" wenden dürfen? Warum
soll man nicht "an den Mond" schreiben dürfen, wenn vorher schon jemand
an Luna geschrieben hatte, warum nicht an Maria, wenn schon Gedichte "an
Laura" vorliegen? So ist das Niveau aller Beispiele. Am schlimmsten finde
ich, daß W. keinen Sinn für die Fairneß hat, mit der Döhl
nach dem Studium des Materials für den angegriffenen Celan eingetreten
ist, obwohl er zu einer anderen literarischen "Partei" gehört. Sollte
sich das Moralische nicht auch in der Literatur von selbst verstehen?
Dr. Helmut Kreuzer, Stuttgart-N.
in: LiteraturREVUE, H. 7, Juli/August 1962, S. 5
*
Jürgen P. Wallmann
| Langfingerübungen
"Nicht daß
die Leute, deren Lippen noch vom Trunke feucht sind, die Quelle nicht nennen,
aber daß sie deren Existenz leugnen möchten, vergiftet die Quelle."
Karl Kraus
"jede zeile die ich schreibe
ist eine defloration." Reinhard Döhl
Am 10. Juni 1959 veröffentlichte
der Student Reinhard Döhl in der Göttinger Studentenzeitschrift
"Prisma" eine lyrische Montage "missa profana"; Döhl wurde deswegen
angezeigt und 1960 wegen Gotteslästerung verurteilt, 1961 jedoch vom
Bundesgerichtshof freigesprochen Wer sich für den Prozeßverlauf
interessiert, findet ihn aufgezeichnet auf den Seiten 102-113 des Buches
"Gotteslästerung?" von Ansgar Skriver (1). Das corpus delicti liegt
inzwischen in Buchform vor: "missa profana" und andere Gedichte (2). Nicht
jedoch der Text der "missa profana" soll uns hier beschäftigen; auch
unserer Meinung nach gehören literarische Versuche, und seien sie
auch noch so mißlungen, nicht vor den Strafrichter. Vielmehr geht
es uns um einige andere Gedichte des Bändchens. Hier nämlich
wird aus dem "Fall missa profana" der weit bedenklichere "Fall Döhl".
Zum Beispiel das Gedicht
"Variationen über ein altes Thema", dem Zitate aus der Genesis und
von Brecht vorangestellt sind: in diesem opus finden sich zahlreiche Zitate
und Entlehnungen von Benn, Brecht, Kästner, Arno Schmidt und manchen
anderen, und zwar sind diese Zitate vorsorglich klein geschrieben, so daß
man sie von Döhls eigenen sparsamen Einfällen nur schwer unterscheiden
kann, denn Döhl schreibt grundsätzlich alles klein. Am stärksten
sind die - vorsichtig ausgedrückt - "Entlehnungen" aus Gedichten von
Hans Magnus Enzensberger, die Übernahme seiner Stilmittel und Stilfiguren.
Enzensberger beispielsweise
liebt es, Klassikerzitate ironisch und parodistisch abzuwandeln, aus einem
bekannten Hölderlinvers z.B. wird bei ihm: "bekanntlich / wächst,
wo gefahr ist, das rettende auch". Das macht denn auch Döhl. Aus einem
Vers von L.H.Ch. Hölty. 1748-1776 ("Ihr Freunde, hänget, wann
ich gestorben bin, / Die kleine Harfe hinter dem Altar auf") wird bei Döhl:
"ihr freunde hänget wann ich gehenkt bin die kleine fahne hinter dem
altar auf". Aus dem Hölderlin-Vers "Was bleibet aber, stiften die
Dichter" wird bei Döhl: "was aber bleibet der haß wird künstlich
befruchtet ihn stiften die greise!" Das aber stand schon ähnlich bei
Enzensberger: "stiftet lieber, was bleibet, die dummheit".
Enzensberger bevorzugt,
wie Holthusen sagt, die "Technik der ironischen Kombination von Wörtern
und Wortgruppen, die, als Sachbezeichnungen genommen, weit auseinanderliegen".
Wie der Amerikaner W.H. Auden, bei dem es "wars and waltzes" und "vitamins,
villas, visas" heißen kann, benutzt Enzensberger die Alliteration
als wesentliches Stilmittel und schreibt: "an politruks und an päpsten",
"von kursen, caux und kultura", "mohn und metaphysik" usw. Das übernimmt
denn auch Döhl aus dritter Hand und bastelt: "wahlredner predigen
wunder priester weihen die wehrkraft", "pöbel und presse". "mord und
ministerien".
Aber Döhl tut mehr.
Wenn Enzensberger ein Gedicht mit dem Titel "an alle fernsprechteilnehmer"
schreibt, gebraucht Döhl die Wendung "an alle haushaltungen". Wenn
Enzensberger schreibt ,"ausgerufen wird eine amnestie / für die sager
der Wahrheit", macht Döhl kurzerhand daraus: "an den laternen hängen
die sager der wahrheit". Auf Seite 28 seines Büchleins bringt Döhl
eine weiße Seite, in deren linker oberer Ecke steht: "eine seite
die leer ist". Ein origineller Einfall? - Vielmehr ein originaler Einfall
von Enzensberger, der schreibt: "Ich gehe, mir zuzurichten ein wortloses
mahl, / aufzutun eine seite, die leer ist".
Das mag fürs erste
genügen. Es soll dem Leser überlassen bleiben, ob er Döhls
opera, niedergeschrieben in der Attitüde eines schöpferischen
Radikalismus, nur als Krankheitssymptome einer - um Alfred Kerr zu zitieren
- chronischen Epigonorrhöe ansieht. Sollte man Döhl (Jahrgang
1934) seine literarische Hochstapelei nicht als verständlich bei seinem
jugendlichen Alter verzeihen? Aber es geht ja nicht nur um diese Enzensberger-"Anlehnungen".
Inzwischen hat Döhl
nämlich ein neues Buch geschrieben (3). In diesem Buch ist nicht mehr
Enzensberger das Vorbild, sondern Helmut Heißenbüttel und wohl
auch Max Bense. Wir wollen hier nicht wieder, wie es leicht möglich
wäre, eine Reihe von Beispielen bringen, zwei wahllos herausgegriffene
Zitate mögen genügen. Döhl schreibt: "das häßliche
/ das maßlose / das aufgeblasene / das scheußliche / das bombastische
/ das banale / das schreckliche ..." und "das nicht häßliche
/ das nicht maßlose / das nicht aufgeblasene / das nicht scheußliche
/ das nicht bombastische / das nicht banale / das nicht schreckliche ..."
Und das hieß bei Heißenbüttel: "das Sagbare sagen / das
Erfahrbare erfahren / das Entscheidbare entscheiden / das Erreichbare erreichen
..." und "das nicht Sagbare / das nicht Erfahrbare / das nicht Entscheidbare
/ das nicht Erreichbare ..." Döhl schreibt: "sammeln nicht sammeln
gesammelt ...", Heißenbüttel schrieb: "wartend warten gewartet
haben / gewartet werden".
Übrigens schrieb Döhl
1960 in einem Aufsatz, in dem er H. Riede "Der Schutz des Urheberrechts
gegen plagiarische Verletzungen im Zivilprozeß", S. 75, zitiert:
"Zunächst muß einmal feststehen, wann die Werke - dasjenige,
das sich als Original bezeichnet, und dasjenige, das Plagiat sein soll
- geschaffen wurden. Erst dann läßt sich prüfen, ob ein
Nachschaffen möglich ist." Also gut: die zitierten Gedichte von Enzensberger
sind 1957 und 1960 in Buchform erschienen sind und die Gedichte von Heißenbüttel
1956, Döhls Texte jedoch 1961 und 1962 ...
Das Urteil über Döhl
bleibt dem Leser überlassen. Verwunderlich ist allerdings, daß
sich Verlage gefunden haben, die ihm seine Texte abgekauft haben. Ist das
bei dem kleinen Fietkau-Verlag vielleicht noch zu verstehen, wenn auch
nicht zu entschuldigen, da Fietkau vielleicht auf Grund des Gotteslästerungs-Skandals
auf einen besonders hohen Absatz spekulierte, so ist es jedoch bei dem
ansonsten verdienstvollen und in seinem Urteil sicheren Limes-Verlag völlig
unverständlich. Man hätte Döhl einen besseren Dienst getan,
wenn man seine Produkte nicht publiziert hätte, - man hätte ihm
eine große Blamage erspart.
Zu Döhl selbst ist
noch zu sagen, daß er es vielleicht bei seiner Beherrschung fremder
Stilmittel und dem absoluten Mangel an eigenem Talent einmal mit der Parodie
versuchen sollte. Die letzten beiden Zeilen seines Buches "Fingerübungen"
lauten: "das spiel der sprache / ist ein spiel gegen mich selbst". Sehr
treffend beobachtet! Und die letzte Zeile des ganzen Buches heißt:
"aufhören zu". Aber ja doch!
1) das aktuelle thema.
Bd. 11, Verlag Rütten & Loening, Hamburg, 160 Seiten, gebunden
DM 2,80. Wir werden uns noch mit dieser Publikation und dem ganzen in ihr
aufgenommenen Fragenkomplex zu beschäftigen haben.
2) "missa profana" und andere
Gedichte schritte fünf, Verlag W. Fietkau, Berlin-Zehlendorf, 34 S.,
gebunden DM 2,80.
3) "Fingerübungen",
50 Texte, 3 Graphiken von G.K. Pfahler, erscheint soeben im Limes-Verlag,
Wiesbaden.
"Nie kann ein Frosch
erröten." Friedrich Hebbel
Frankfurter Hefte, August
1962, S. 564 f.
Eberhard Klingenberg: Allen
Ginsbergs Prager Eskapaden
[...] Ein jeder Ordnung
und jedem Reglement so feindlicher anarchistischer Typ wie Ginsberg, Revoluzzer
par excellence, der ohne jede Hemmung ausspricht, was ihm gerade in den
Sinn kommt und was er empfindet, muß in jedem Staat ein Ärgernis
sein. Man halte sich nur vor Augen, daß vor einigen Jahren die Redakteure
der Tübinger Studentenzeitung "Notizen" in erster Instanz wegen Gotteslästerung
verurteilt wurden, weil sie Allen Ginsbergs Gedicht "Missa profana" abgedruckt
hatten. Hätte Ginsberg damals in der Bundesrepublik gelebt, wäre
ihm ein Strafverfahren nicht erspart geblieben.
[Die Zeit, Nr. 23, 4. Juni
1965, S. 23]
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Ergänzende Dokumentation
/ Addenda [in Vorbereitung]