Reinhard Döhl | Werkgruppen der 60er und 70er Jahre. Retrospektive in der Galerie der Stadt Wendlingen.
[tan] | Die Quadratur des Kreises: Ironie?
Ein jeder Mensch weiß, daß die Quadratur des Kreises ein geometrisch Unding ist Es geht nicht Aber es könnt' ja sein, daß in der Kunst.. .? Quadratur des Kreises per Wort, Bild oder Collage: Ließe sich nicht Unmögliches trotzdem formen, entstünde nicht Neues, das zuvor nie gesehen?
Aber bitte,- da häufen sich schon die Fragezeichen, und noch weiß kein Mensch, wohin der Weg eigentlich führt. Doch. In diesem Falle spornstreichs in die Galerie Weberstraße 2, wo am Donnerstag ein locker wirkender, schlanker und gar nicht professoral aussehender Reinhard Döhl mit Bekannten schwätzte, wo die Dr. Ulrike Gauß von der Stuttgarter Staatsgalerie zu geistigen Pirouetten ansetzte und bei der Einführung nicht nach Worten kramte, etwa Unsagbares aufeinanderhäufte zur Pyramide von Wendlingen, nicht zu schauderhafter Exegese ansetzte, die einen verblödet, sondern mit Witz und Ironie diesem Reinhard Döhl Tribut zollte.
Und wo der Chronist anfänglich zweifelte, beim Rundgang dann aber sah, wes Geistes Kind dieser Botnanger Döhl ist, als er sah, daß Kunst wahrhaft unendllch viele Pfade hat - wer mag Kunst eigentlich definieren? -, also angesichts eines ironisch und verschmitzt wirkenden Reinhard Döhl ist es denkbar, daß die Galerie wieder einmal einen "Nebenweg" eröffnet hat.
Ausgesprochen spitz der Rainer Schultheiß, Galeriechef im Hause: Sie hätten es angesichts der Wendlinger Kunst- und Kulturkritiker nicht lassen können, an der Hauptwand "wieder Pappendeckel aufzuhängen". Nämlich Wellpappe, in die Döhl Figurationen schnitt. Und Döhl tat seines hinzu, denn er montierte flugs links von der Eingangs- und Ausgangstür: Neinnein. - Ausstellung also zwischen der reinen Negation. Na bitte.
Diese Ulrike Gauß nun, sie begab sich auf die Spuren dieses Reinhard Döhl: Professor für Germanistik (sic), Spezialist für Dada-Kunst, dann Schriftsteller und Dichter, der für'n Hörfunk arbeitet und Hörspiele schreibt, Wissenschaftler und bildender Künstler. Er vergrabe sich in Botnang, packe seine Arbeiten - gebündelt und verschnürt - in die Ecke und - rede über die Kunst anderer.
Und dann hob sie an, Franz Mon zu zitieren (" jetzt wird's kompliziert"), der "In Schrift und Bild" über die Ausstellung Döhls in Amsterdam und Baden-Baden schrieb und "Döhls Wurzeln schildert". Es war (auch) ein Spaziergang durch die Sprache: Wie Lettern selbst zum Bild werden - siehe Jugenstil -, wie der Überdruß an der Allgegenwart von Geschriebenem (sic) zu unkonventioneller Sehweise treibt, wie eben nur das als real gilt, was formuliert ist. Originalton Mon: "Wir haben noch nie soviel Geschriebenes wie heute und haben noch nie so wenig von der Schrift selbst gehabt wie heute."
So flachst dieser Mon über zweieinhalb Seiten des Manuskripts, und nur klar, daß er per Wort rechtfertigt, daß dieser Reinhard Döhl den Botnanger Anzeiger zerschneidet - das Titelblatt- und aus der Titelzeile Anagramme macht Beispiel: Birne - ragt - gen ozeAn.
Mon albert weiter: "... die emotionalen Einwirkungen auf Verbraucher, Wähler, Mitglieder, Gläubige und Ungläubige, die das moderne Zivilisationsgetriebe nötig hat, gelingen in unserer funktionalisierten und hinter privaten Masken gesicherten Gesellschaft am besten mit den neuen Bildschriften."
Begriffen?
Da nun dieser Reinhard Döhl. Er malt japanisch, weil er Kontakte mit der Shi-Shi-Gruppe in Tokio hat, er zerfasert das Blatt einer Illustrierten mit einer knackigen Nackten. Er geht mit Messer (oder Schere) dem "Spiegel" zu Leibe, löst die gelackte Typographie in Scherenschnitte auf. Und die Doktorin Ulrike Gauß sagt mit fröhlichem Zwinkern: "Für Reinhard Döhl ist der Buchstabe, die Buchstabenverbindung, ein kostbares Werkzeug." Wie wahr... Und so meinte sie denn locker, der Titel von Werken "läßt Form, Bau und Inhalt verstehen, wie beim Lesen eines Gedichtes oder beim Hören einer Partitur".
Siehe das Titelblatt der "Zeit" und der Text: "Der schwarze Tag kam und ging mit der Zeit um die Welt [sic]." Da wird einer doch nachdenklich. Was will er eigentlich damit sagen? Vielleicht Gorbatschow und sein Waterloo in Aserbeidschan. Vielleicht sonst irgendein schwarzer Tag, der mit einer Zeitung nun buchstäblich um die Welt gehen kann. Stichwort Kommunikation.
Ja, dann nahm Dr. Ulrike Gauß das Publikum an die Hand, spazierte mit ihm durch den Garten Döhl. Aufgeschreckt von der documenta, schreibt er einst die "Documenta mori". Betrachtungen eines Unpolitischen, oder er verschreckt die Oberen der Göttinger Universität mit seiner gotteslästerlichen "Missa profana", woraus die Gaul messerscharf schloß, daß Reinhard Döhl der erste Dichter sei, dem ein Gericht bestätigte, daß er ein Dichter ist.
Garten Döhl: Ausstellungen in Darmstadt, Amsterdam und Baden-Baden, seit 1967 an der Universität Stuttgart lehrend, nehme er "ruhelos am Tun der Happening- und Fluxus-Künstler teil". Wer es sehen will, die Galerie ist Beweis...
Er schreibt und spricht auf Vortragsreisen quer durch Europa, fabriziert Hörspiele für den WDR, läßt zehn Jahre lang auch gar nichts aus der Werkstatt ins Freie, kommt 1976 wieder mit ersten Ausstellungen, fängt jetzt an zu aquarellieren, und der Dr. Ulrike Gaul geht schier der Atem aus, als sie all dies aufzählt.
Und wer nun in die Ausstellung Döhls sich wagt, jener sollte einen Satz von Kurt Schwitters beherzigen, den die Gauß auch zitierte: "Im übrigen wissen wir, daß wir den Begriff Kunst erst los werden müssen, um zur Kunst zu gelangen." Hauptwege - Nebenwege - Umwege = Läuterung?
So sieht Dr. Ulrike Gaul in seinen Collagen "Bildzusammenhänge herausseziert und in der Montage in neue. befremdliche Zusammenhänge und Verbindungen gebracht". Siehe "Spiegel".
Dann sollte sich einer vor Augen halten, was André Thomkins laut Dr. Ulrike Gauß gesagt hat: "Kunst macht aus etwas etwas anderes." Da haben wir ihn wieder, diesen vertrackten Begriff der Täuschung, der Veränderung.
Sicher ist dazu auch zu zählen, was Döhl an Aquarellen schuf, wo Dr. Ulrike Gauß das ständige Suchen des Künstlers nach neuen Ufern und nach Dialog samt Beziehung ausmacht. Hunderte deutsch-japanische Tagebuchblätter, Pinselmalereien, Doppelaquarelle und neue autonome Wer Werkgruppen, Quellen der Malerei und ein unerschöpfliches Reservoir, das sich Reinhard Döhl aufgetan habe - Dr. Ulrike Gauß holte tief Luft: "Was bleibt uns anderes übrig, als diesem Grenzgänger für sein Doppel-Doppel-Leben zu wünschen: Zeit, viel Zeit."
Sollte es also nach alledem möglich sein, aß die Ironie doch die Quadratur des Kreises...?
Die Antwort muß einer schon selber finden.
In der Galerie.
Gaby Weiß | Ausstellung mit Arbeiten von Reinhard Döhl in der Wendlinger Galerie
WENDLINGEN - Wohl dem, der eine Ausstellung mit Arbeiten Reinhard Döhls aus den sechziger Jahren besuchen kann, ohne größere oder kleinere Blessuren in seinem Vokabular davonzutragen und ohne einer leichten bis totalen Sprachverwirrung anheimzufallen. Manch einem, der sich dieser Tage in der Wendlinger Galerie in der Weberstraße einen Weg durch Reinhard Döhls "BilderBuch" zu bahnen sucht, werden die Lettern auf der Nase herumtanzen. Kaum einer wird mehr beschwören wollen, daß das deutsche Alphabet nur ganze 26 Buchstaben zählt und nicht mit Un-, Ab- und Umlauten fröhliche Urständ' feiert.
Der in Stuttgart lebende Künstler, zudem noch Literatur-Professor, Hörspiel-Autor und konkreter Poet, jongliert mit Schriftzeichen, daß es dem Betrachter schwindelig werden kann. Kaum einen Sprach-Schatz gibt es, den Reinhard Döhl nicht hebt: längs und quer, gerissen und geschnipselt, zerlegt und montiert. Vom Flaggenalphabet über den kleinen i-Text bis hin zum flippigen "Da Da Da" - über die Schwierigkeiten beim Schreiben von Bildern. Auch die vielfach - "Ungeliebten", x, y oder z, führen bei Reinhard Döhl "buchstäblich" kein Stiefkind-Dasein.
Reinhard Döhl entzerrt und verwirrt, zeigt auf und versteckt, spielt und macht ernst. Diese Arbeiten aus den sechziger Jahren sind ein bravouröser Balanceakt, der von Kauderwelsch und Klugschnack bis weit hinüber zu sprachlichem Politikon und visueller Poesie führt. Das Schweigen brechen, ohne einen Laut von sich zu geben.
Im Vergleich dazu zeigen die Werkgruppen aus den achtziger Jahren - in Wendlingen in Erd- und Untergeschoß zu sehen - einen anderen Reinhard Döhl. Zwar nach wie vor der Faszination von Schriftzeichen und Buchstaben erlegen, aber malerischer, eigenständiger, großzügiger. Der Osten lockt zu Aquarell und Pinselzeichnung: "Schreib Spuren Wasser Zeichen" betitelt er die Auseinandersetzung mit japanischer Tuschmalerei, immer auf der Suche nach einem Zugang auch für Europäer. Der Zyklus "Fortgesetzt Kunst" verbindet Rekonstruktion, Collage, Zitat und schöpferische Formensprache.
Wer Appetit auf Wortsalat und Buchstaben-Suppe à la Reinhard Döhl bekommen hat oder wer zur bildnerischen auch die akustische Poesie ergänzen möchte: am Donnerstag, 1. Februar, liest der Künstler aus seinen literarischen Texten, spricht über seine Arbeiten und diskutiert - wenn gewünscht - mit dem Publikum über die Ausstellung.
An zwei Sonntagen, am 4. Februar und am 18. Februar, steht Galerie-Chef Rainer Schultheiß jeweils zwischen 11 und 13 Uhr interessierten Besuchern für Fragen zur Verfügung.
[tan] | Was hat Lesung mit Stürmen zu tun?
Der Professor aus Botnang kollerte und fauchte, er spie Wortfetzen regelrecht in den Raum, vokalisierte, grunzte und keuchte, wurde puterrot im Gesicht: Lesung à la Reinhard Döhl in der Galerie Weberstraße, inmitten seiner Bilder. Was also demonstriert wurde, es waren Auszüge aus der "Pictura rhetorica" - "an einer Stelle wird es etwas laut", so Döhl -, und zwar im Blick auf das "Aufgabeln von Tarzan oder Batman". Wer in einer Lesung Kontemplation vermutet, also Versenken in ein langsam sich vor'm geneigten Leser sich ausbreitendes Thema, er war bei Döhl im falschen Raum. Der Professor aus Botnang, am Rande eines absolut ungeliebten Stuttgart lebend, also dieser Professor hat mit einer Lesung anderes im Sinn. Er zerhackt die Sprache, und sie gewinnt neue Substanz (oder bleibt Gestammel); Er zertrennt sie, flickt sie wieder zusammen, und wo einer im Hörspiel zumindest die Spur einer Handlung vermutet, da fügt Döhl Sätze aneinander: der Alte spricht, der Hans, der Pantoffel-Klaus. Döhl ist nichts, aber auch schon gar nichts heilig. Ein Dadaist. Wie wahr.
Der Abend am Donnerstag in der Galerie, vor einem Häuflein Unentwegter, er fing ja schon heiter an. Da tönt' es vom Band: "Was tut man?" - "Was macht man?" - "Was ißt man?"-(oder "Was ist man"?). Und wo eben noch die Sätze um dieses verteufelte, um dieses indifferente und auszumerzende "man" klar aus dem Lautsprecher drangen, da führte einen dieser Döhl auch schon wieder ins Chaos. Die Sätze überschnitten sich, ein Sprachbrei drang aus dem Gerät, nein: Es war Sturm, der Sprache zum Spielball machte, sie vermengte, als wär' sie Sand. Wer die Sprache liebt, wer sie als Kommunikationsmittel schätzt, dem fing das Herz zu bluten an. Aber halt. Kennen wir nicht die Füllsel? Unsere Politiker sind doch Beispiel. Einmal eingefahrene Worte von "Behutsamkeit", von "politischer Verantwortung", sie werden zum Hammer, mit dem sich jeder Nagel in eine imaginäre Wand treiben läßt.
Wäre also Nachdenklichkeit angesagt in der Galerie. Im Ohr die zerspanten Worte des Reinhard Döhl?
Manch einem graust es trotzdem. Da hampelt es: "Man tut, was man kann" - "Man sagt, man meint, man redet" - "Kannste was, haste was." Alles der kreuz und der quer vermengt, und erlöst wird einer von der Qual des Zuhörens, als Reinhard Döhl zum Schalter greift - alleine diese Geste wirkt wie eine Erlösung -, und diesem Wortsalat den Saft entzieht. Döhl in aller Bescheidenheit: "Das geht noch eine ganze Weile so weiter..."
Stockt einem der Atem, lebt einer auf einem anderen Stern? Zumindest bei und mit Döhl ist einer jenseits von Gut und Böse. Seine "Missa profana", beispielsweise. Aber gerade in diesen Zeilen offenbart sich ein scharfzüngiger, eigentlich mit Argusaugen die Menschen und ihr Tun sezierender Reinhard Döhl als Poeta humanum. Er scheut sich nicht, das abstruse Gebet eines amerikanischen Pfarrers vor dem Abflug des allerersten Atomfliegers via Hiroshima zu zitieren, bindet es ein in Betrachtungen - "Das Gesicht von morgen ist eine Maske" -, oder: "Es kamen Vögel über die Erde am Abend, die waren aus Stahl". Unverkennbar, daß diesem Reinhard Döhl so Menschliches nun auch nicht wieder fremd ist...
Aber er raucht derben Tabak. Ja doch. Eben noch die Angst vor'm Atomtod, da schiebt er einen Satz ein wie diesen: "Die Schweinepreise ziehen an. Wenn der Mann nach Hause kommt, sollte der Braten auf dem Tisch stehen."
Wer Döhl hört, er steht mitten im Sturm. Und da fällt mir James Joyce und sein Ulysses ein. Hat der nicht auch das Leben der Bloom, seine Gedanken, all die aberwitzigen Impulse in unserem Hirn den lieben langen Tag, also hat er nicht alles auch zu einem solch flimmernde, zerfetzte, sich fügenden und doch fransigen Teppich gefügt?
Döhl ist Dadaist. Wohl einer der letzten, die es heutigen Tages noch gibt. Aber er hat Witz und Ironie, und nichts ist ihm heilig. Er vagabundiert - geistig, versteht sich - mit der S. Anna in einer exemplarischen Novelle durch deren Leben, er faucht und kollert mit seinem Lautgedichten, und so nebenbei wischt er dem SDR eins aus, weil jener sich beharrlich sperrt, auch nur einen Laut Döhl über'n Sender zu schicken. Wo der WDR und selbst die Saarländer an Döhl Gefallen finden.
Daß sich die Stuttgarter sperren: Nur ein Narr wird sich darob wundern. Döhl müßt' im Hörfunk aus schwäbischen Landen an den Rand, also Döhl wär' allenfalls in einem zehnten Programm zu ertragen. Und so spät Nacht kann es gar nicht werden ...
Döhl braucht vielleicht Erläuterungen. Er spielt mit Worten, mit Sätzen, mit Gefühlen. Vom Band klingen die Sätze aus den Trilogien um eine Familie Kimmel, über die eines Tages Unheil kam. Keine Handlung, iwo. Satz fügt sich an Satz. Und wer zuhört, er kommt sich wie auf einem Karussell vor: Dort schnappt er beim Vorüberschwingen einen Satz auf, dann einen im Westen, einen im Süden. Und jetzt schlinge alles zusammen.
Döhl kennt keine Scheu. Er läßt einen alleine zappeln. Er mischt dörfliche Aspekte mit Harmonikamusik, läßt einen Versprecher von Ingrid van Bergen - bei der Hörspielaufnahme - auf dem Band, "weil er so schön ist", wandert im dritten Teil die Trilogie in den Aufbruchwesten der USA aus, wo er unter anderem aus Briefen eines Josef Wühr zitiert. Und da wird alles urplötzlich wirklich Literatur. Da ist Döhl ernstzunehmen. Wie auch in jener pfiffigen Idee, als er - Mensch des 20. Jahrhunderts - dem Georg Rudolf Weckherlin (ausgewandert vor rund 200 Jahren [sic] aus Stuttgart nach London) Briefe schreibt. Diesem Weckherlin das Stuttgart heute schildert, es erbarmungslos piesackt, kneift und pufft, ihm die Federn rupft. Ja, in echter, rechter Haßliebe. Da tönt dieser Döhl, daß "in Stuttgart die Kultur immer kleingeschrieben wird, Sport und Stadion dagegen groß", da sind die "Monimaus und der Wallybär einheimische Tiere", ist das "Reiten auf Steckenpferden verbeten".
Hoppla, da haben wir diesen Döhl wieder am Wickel. Steckenpferd. Die Sprache. Die Gedanken. Da läßt sich laut Döhl ein zeitgenössischer Künstler daran erkennen, daß er nicht in der Staatsgalerie hängt, und nach solcher Perfidie setzt er wieder zu einem sprachlichen Höhenflug an, der einen bis zum Mond zu führen scheint, und bei dem ein fürchterlicher Absturz garantiert ist.
Da hat er gemeinsam mit Wolfgang Ehehalts [sic] - dieser zeichnete - jene alten Stuttgarter in Wort und Zeichnung sozusagen unsterblich gemacht, die der Stadt einst den Rücken kehrten. Beispiel Schiller, Friedrich, später von: "... statt nach Stammheim, kam er nach Mannheim." In sogenannten Klerri-jähs [sic] - wirklich so auf dem Büchle geschrieben -, also in solchen Klerri-jähs läßt er jene alten Stuttgarter lebendig werden. Die Klerri-jähs sind schauderhaft gereimte Vierzeiler, die eine Ähnlichkeit mit den Limericks entschieden leugnen, weil ja keine Harmonie dorten sein kann, wo Sturm und Chaos - um der Sache willen - herrschen muß. Der Reinhard Döhl bringt es fertig. Und nach 100 Minuten steht einer im Spiegelkabinett. Umgeben von tausend reflektierenden Flächen.
Keine Kontur auszumachen. Nur Rudimentäres. Und der chaotische Sturm fegt durch'n Raum, läßt die Spiegel vibrieren. Und das nennt sich Lesung à la Reinhard Döhl. Wen wundert's, daß dem SDR ob dieses Dadaisten Döhl graust. Der Botnanger Professor kocht sein Süpplein in tausend Töpfen, und allüberall bläst er mit geblähter Lunge ins Feuer, würzt und mischt, rührt und verkostet. Aber er kocht halt mit tausend Töpfen, und wer will da immer schon richtig abschmecken. Von der Speisekarte erst gar nicht zu reden, mit der das pp Publikum bei den Garnituren à la Döhl konfrontiert ist ...
{tb] | Visuelles Werk im Überblick
In der Wendlinger Galerie Weberstraße stellt derzeit der Künstler Reinhard Döhl seine Werke aus. Die Ausstellung ist noch bis 25. Februar zu sehen.
Reinhard Dohl ist ein Multitalent. Er ist Wissenschaftler und Universitätsprofessor für Germanistik unter besonderer Berücksichtigung der Medien, als Spezialist für das Hörspiel und als Hörspielautor, er ist Gesamtkunstwerkforscher und Spezialist für Dada-Kunst, Schriftsteller und Dichter, bildender Künstler im Bereich der visuellen Poesie und der Collage, mail artist oder Postkartenkünster, in Wort und Bild engagiert und kritisch.
Das visuelle Werk von Reinhard Döhl wird in Wendlingen erstmals im Üerblick vorgestellt. Döhl wurde 1934 in Wattenscheid geboren. Erst künstlerische Versuche, literarisch und photografisch, folgten 1954. Im Jahr 1958 wurde er zum Mitbegründer der "werkgruppe für Dichtung", bei Ausstellungen wurde er anschließend mit der Kunst für [sic] Gegenwart bekannt. Auf den Schock folgten erste Publikationen zur Bildenden Kunst.
Anschließend zog Döhl nach Stuttgart, 1965 promovierte er über den Dadaisten Hans Arp. Versuche in den unterschiedlichsten Maltechniken folgten in den 80er Jahren. Die Ausstellung enthält Kollagen und Drucksachen, mit Buchstaben wird gebaut und getilgt. Eine eigene Form des Kunstwerks hat Döhl mit den Zwittergebilden der Anagramme aus dem Botnanger Anzeiger erfunden. Das ständige Suchen des Künstlers nach neuen Ufern spiegeln die Aquarelle und Pinselzeichnungen wider.
Lucie Steiner | "Der Nachmittag eines Faun" in Musik, Sprache und Bild
WENDLINGEN. Reinhard Döhl beeindruckt nicht nur als Komponist visueller Poesie, er ist - um es einmal flachsig zu sagen - eine Art "Tripelagent", der in seiner Mehrdeutigkeit, Kunst zu sehen, Kunst zu hören und Kunst durch Sprache zu erleben, eigenständig herausragt aus dem Gros von Nachahmern, die visuelle Kunst nur zu Werbezwecken degradieren. Bei der Finissage seiner Ausstellung in der Wendlinger Galerie stellte man dies fest, Aug' in Aug' mit Faun, dem fratzenartigen, dem frühlingsfressenden, dem fleißigen, dem tagtraumbeseelt Witzigen. In Mallarmés 120 Alexandriner-Versen läßt er seine Gedanken um die Nymphen spielen, in Halluzinationen, die erregend und vibrierend in der Musik von Claude Debussy dargestellt sind. Die von Mallarmés gleichnamigem Gedicht inspirierte Orchesterkomposition "Prelude a l'apres'-midi d'un faune" brachte 1893 Debussy den ersten großen Erfolg. In seiner Musik wirken die Wünsche und Träume des Fauns wie Bildhintergründe.
Hier in der Wendlinger Galerie war man am Sonntag vormittag konfrontiert mit wirklichen Bildhintergründen. Es war der Kopf des Fauns, gehörnt - wie es sich gehört - und immer wieder anders im Ausdruck, chiffrenhaft mit wenigen schwarzen Strichen war der Faun zu sehen. Das ganze Erdgeschoß der Galerie war mit großformatigen Faunsköpfen geradezu tapeziert, und keiner glich dem andern.
Zur Musik Debussys las nun Professor Döhl mit schlichtem Sprechton die wechselhafte Geschichte des lüsternen Waldgeistes. Sparsam in der Agogik, undramatisch zitierte er Stephan Mallarmés Dichtung, bedacht, nicht den "Wutschrei an des Waldes Wand" zu sehr erbeben zu lassen.
Eigentlich hatte Döhl beabsichtigt, Debussys Musik nicht vom Tonband als "Untermalung" zum gesprochenen Wort klingen zu lassen. Er stellte sich vielmehr eine Beschallung aus allen Ecken vor, um eine Art Klangskulptur zu zaubern und dazu die schwarzweißen Faunbilder wie einen Wandfries aneinanderzureihen. Es sei schon eine "Wahnsinnsidee" gewesen, die Verse mit dem Tuschpinsel zu "übersetzen".
Bewundert konnte man feststellen, Döhl hat keine "Schwierigkeiten beim Schreiben von Bildern" - wenn auch eines seiner Bilder diesen Titel trägt. Wenige Striche und Tupfer beleben die insgesamt 120 Faunsbilder. Die Panflöte ist einmal links, einmal rechts oder in die Mitte gemalt, der Blick ist lustig und melancholisch, lasziv und munter. Das Faunhafte guckt aus allen Öffnungen des Gesichts, aus Nase, Ohren, Augen und Mund. Es ist ein spielerischer, witziger Ausdruck. Die großformatigen Faunsköpfe sind Kommunikationsmittel der Phantasie.
Bei diesem sonntäglichen Musik- und Lesevormittag denkt man auch noch an die Bildserie "Beethoven Menschenrechtler" zurück. Die "Partituren" verspritzen keine Götterfunken, sondern die Philosophie der visuellen Poesie läßt Klangfolgen als zusammenhängende Kontur erscheinen. Die "musikalischen Grafiken" sind beeindruckend - wie viele weitere - durch die Vollkommenheit der Machart und Ausgewogenheit der Form. Es sind "Auf und Arp-s", glissandi, crescendi und "gefaltete" cluster aus Zeitungspapier.
Wo Döhl seine Einfälle hernimmt, das verrät er durch seine "Botnanger Sudelhefte". In Stuttgart-Botnang wurde mancher Samen für Neues gesät. Ein in jeder Ausstellung hängendes, nachgedrucktes Statistikheft aus dem Jahr 1888 verrät dem Neu-Gierigen, daß man als Strafe für Waldfrevel zu dieser Zeit mehr Gulden berappen mußte als für "Weiberfrevel"! Es gibt aus Botnang aber auch beruhigend Dichterschwäbisches, das dem Multikünstler in Verquickung mit der veralteten Statistik neue skurrile Einfälle liefern könnte: "Auf einer Bank in Botnang ist mir vor keiner Not bang!"