Die Publikation eines Sammelbandes, den der Herausgeber Almanach nennt, ist heute, da die Verlage den Buchmarkt mit allen nur möglichen Anthologien, Sammelbänden, Jahr- und Lesebüchern überschwemmen, an sich noch kein Grund zur Freude, es müßte sich denn dieser Almanach stark von ähnlichen verlegerischen Unternehmungen unterscheiden. Bei dem von Reinhard Döhl im Limes Verlag edierten Gedichtalmanach Zwischenräume, der den Leser durch seine Geschlossenheit, Ausführlichkeit, Neuheit und Qualität des Dargebotenen überzeugt, ist freilich ein solcher Unterschied deutlich erkennbar. Man spürt nämlich nicht nur eine ordnende Hand, die Unwesentliches aussondert, Akzente setzt und auf Höhepunkte hinarbeitet, sondern bekommt auch stets eine zur Beurteilung hinreichende Anzahl von Texten der einzelnen Autoren geboten: 13 bis 17 Gedichte im Durchschnitt und nicht lediglich 2 oder 3 wie in den meisten Anthologien. Außerdem erfährt der Leser dieses Buches tatsächlich Neues, weil die in Zwischenräume vorgestellten 8 Autoren bislang nur in Zeitschriften oder Anthologien vertreten waren und mit einer Ausnahme noch keinen eigenen Gedichtband veröffentlicht haben. Das Wichtigste aber ist, daß wir in diesem Almanach, der im Erfahrungs- und Gedankenaustausch des Herausgebers mit seinen Autoren zustande gekommen ist, die Bekanntschaft mit wenigstens 3 Autoren machen, deren Namen man sich wird merken müssen. Es sind dies: der 1934 in Helsinki geborene Anselm Hollo mit seinen vielleicht an Cummings geschulten Gedichten (zum Beispiel die witzige "kundgebung" oder ein Gedicht von so zarter Intimität wie "the daughter, new"); der 1925 in Wien geborene Ernst Jandl, der als seine Ausgangspunkte Stramm, Arp und Gertrude Stein nennt, - so gelungene Gedichte wie "etüde in f", "lichtung" oder "flichtinge begegnung" könnten auch an Schwitters denken lassen, - aber es ist kaum eines in dieser Auswahl, das nicht in einem zweifachen Sinne gelungen wäre! -; und schließlich der 1933 in Marienbad (Tschechoslowakei) geborene Wolfram Menzel, der Gedichte von ebenso großer Kompliziertheit wie Schönheit schreibt. Die in ihnen vorkommenden, zum Teil sogar noch abgekürzten und dadurch verfremdeten Wörter oder Zitate aus lebenden und toten Sprachen, beispielsweise aus der Sapphischen Ode an die Poikilódrou àdánai Aphrodite, oder einem französischen Kinderlied, sollten nämlich den Leser weder einschüchtern, noch ihn über dem Poeta doctus Menzel den Lyriker Menzel vergessen lassen, dessen Verse mit einem Minimum an Wörtern ein Maximum an ästhetischer Wirkung erzielen. Die Eliminierung alles Überflüssigen, das die ästhetische Wirkung nicht vergrößern, sondern nur vermindern würde, bringt jedoch nicht ein "Gedicht-Skelett" hervor, wie der Herausgeber in seinem Vorwort meint, dem man in diesem einzigen Punkt wird widersprechen müssen, sondern eher einen geschliffenen und à jour gefaßten Diamanten reinsten Wassers, ein Ding eben, das unter anderem die Eigenschaft hat, trotz relativer Kleinheit sehr kostbar zu sein. Dies sind Entdeckungen, zu denen man dem Herausgeber der Zwischenräume gratulieren kann. Der Zweck eines Sammelbandes wäre verfehlt, wenn der Leser aber - bei solchen Höhepunkten angelangt - nicht getrost zurückblättern könnte: zu Rolf Gunter Dienst, Dietrich Segebrecht, Dieter G. Eberl, Britta Titel und Hans Heinrich Lieb, deren Arbeiten sich mit denen ihrer bereits genannten Mitautoren in diesem Buch zu einer eindrucksvollen Demonstration junger Dichtung vereinigen.
[Niedlichs Schaufesterkritiken // Kritisches Jahrbuch 1 / Stuttgart: Niedlich o.J., S. 53 f.]
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