Autor
Friedrich Dürrenmatt zählt mit Max Frisch zu den Schweizer Autoren, die dem deutschsprachigen Hörspiel der fünfziger Jahre nicht nur wesentliche Beispiele und Impulse zulieferten, sondern - vor allem im Ausland - das Bild vom deutschsprachigen Nachkriegshörspiel wesentlich mitgeprägt haben. Arbeiten wie die Dürrenmatt-Monographie Murray B. Peppards, eine spezielle Untersuchung Renate E. Usmianis, "Masterpieces in Diguise: the Radio Plays of Friedrich Dürrenmatt" sind dafür ebenso Belege wie die Auszeichnung der "Abendstunde im Spätherbst" 1958 mit dem Prix Italia.
Dennoch lassen sich die Hörspiele Max Frischs und Friedrich Dürrenmatts in der Hörspiellandschaft der fünfziger Jahre bereits in ihrer Grundhaltung deutlich von den westdeutschen Hörspielen der damaligen Zeit unterscheiden.
Zitat
Dürrenmatts Diktum, daß eine Geschichte dann zu ihrem Abschluß gelangt sei, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen habe, bezeichnet das Gegenteil der (...) Handlungsformen (bundesrepublikanischer Hörspiele, RD.), in denen ein Held auf dem Wege zu neuen Einsichten ist, in denen er seine inneren Erfahrungen macht,
Autor
formuliert Burghard Dedner diesen Unterschied und arbeitet heraus, daß dort, wo "die deutschen Hörspiele einen Weg" zeigen, die Hörspiele Dürrenmatts und Frischs "im Kreis" verlaufen. Diese Kreisstruktur sieht Dedner in Max Frischs "Herr Biedermann und die Brandstifter" bzw. Friedrich Dürrenmatts "Die Panne" beispielhaft gegeben:
Zitat
In beiden Spielen werden die Helden mit einer Wahrheit konfrontiert, die sie zuvor versucht hätten zu verdrängen. So kommt Herr Biedermann nicht um die Erkenntnis herum, daß die merkwürdigen Gäste auf seinem Dachboden, mit denen er sich in einer fröhlichen Stunde verbrüdert hatte, tatsächlich die Brandstifter waren, die sogleich danach die Stadt in Brand gesetzt haben. Ebenso muß bei Dürrenmatt der Generalvertreter Traps gestehen, daß er um beruflicher Vorteile willen seinen ehemaligen Vorgesetzten wissentlich und willentlich ums Leben gebracht hat. Soweit entspricht die Handlungsführung dem gleichzeitigen deutschen Typ. Die Katharsis jedoch, die höhere Einsicht, die dem Lernprozeß folgen sollte, bleibt bei den Schweizern gerade aus.
Zeigten die deutschen Hörspiele einen Weg, so verlaufen die beiden eben genannten im Kreis. Appellative Formen fehlen, und der Durchschnittscharakter, um dessen Erweckung es Eich ging, fungiert hier als Objekt einer sachlichen Analyse. Zwar erzählt Biedermann seine Erlebnisse aus dem Rückblick; aber er macht dabei zugleich klar, daß er nichts hinzugelernt hat und daß er die Gäste auch ein zweites Mal beherbergen würde. Genauso ist Traps am Morgen nach der Erkenntnis wieder ganz der alte. Die erschütternde Einsicht in seine Schuld hat weniger Nachwirkungen hinterlassen als der während des Abends genossene Alkohol.
Autor
Am deutlichsten funktioniert diese Kreisstruktur vielleicht in Dürrenmatts letztem Hörspiel, der "Abendstunde im Spätherbst", in dem sich wie schon in "Die Panne" Anfang und Ende wörtlich entsprechen. Fast modellhaft wird zunächst von der Hauptfigur des Hörspiels, dem erfolgreichen Kriminalschriftsteller Korbes, der Ort des Geschehens vorgestellt:
Einspielung
Der Autor (auch als bloße Szenenbeschreibung oder als Anmerkung zu lesen): Meine Damen, meine Herren. Zu Beginn halte ich es für meine Pflicht, Ihnen den Ort dieser vielleicht etwas seltsamen, aber - ich schwöre es, wahren Geschichte zu beschreiben. Zwar ist es nicht ganz ungefährlich, wahre Geschichten zu erzählen, jemand von der Polizei oder gar ein Staatsanwalt könnte schließlich zugegen sein, wenn auch nicht gerade dienstlich, doch darf ich mir dies insofern erlauben, weil ich genau weiß, daß Sie diese meine wahre Geschichte nicht für wahr halten, wenigstens offiziell nicht; denn in Wirklichkeit - inoffiziell sozusagen - wissen Sie natürlich - Hand aufs Herz - ganz genau, auch der möglicherweise anwesende Staatsanwalt oder Polizist inbegriffen, daß ich n u r wahre Geschichten zum besten gebe. Nun, darf ich um eine kleine Anstrengung bitten? Stellen Sie sich den Salon eines Grandhotelappartements vor. Der Preis von Räubern abgekartet. Modern, für einen längeren Aufenthalt hergerichtet. Einverstanden? (ausblenden). (Hörspiele, S. 293)
Autor
In diesem Appartement wird der Kriminalschriftsteller Maximilian Friedrich Korbes vom pensionierten Buchhalter Fürchtegott Hofer aufgesucht, der herausgefunden hat, daß dessen Kriminalromane im Grunde genommen Tatsachenberichte sind über Morde, die Korbes selbst begangen hat, und damit dem Kriminalschriftsteller seinen benötigten "neuen Stoff" liefert.
Einspielung
Der Autor: Ich habe einen
neuen Stoff nötig.
Der Besucher: Einen neuen
Stoff?
Der Autor: Der neue Stoff
sind Sie.
Der Besucher: Was wollen
Sie damit sagen?
Der Autor: Höchste
Zeit, mich in die Arbeit zu stürzen.
Der Besucher (grauenerfüllt):
Warum ziehen Sie denn auf einmal den Revolver hervor?
Der Autor: Immer noch nicht
begriffen?
Der Besucher: Ich gehe,
ich gehe ja schon.
Der Autor: Ich habe den
Revolver nicht gezogen, damit Sie gehen, sondern damit Sie sterben.
Der Besucher: Ich schwöre
Ihnen, bei allem was mir heilig ist, daß ich Iselhöhbad auf
der Stelle verlassen und nach Ennetwyl zurückkehren werde.
Der Autor: Sie haben mir
die Idee zu einem Hörspiel gegeben, und nun müssen Sie sterben,
denn ich schreibe nur, was ich erlebe, weil ich überhaupt keine Phantasie
besitze, weil ich n u r schreiben kann, was ich erlebe. Durch mich werden
Sie in die Weltliteratur eingehen, Fürchtegott Hofer. Millionen werden
Sie sehen, wie Sie nun vor mir stehen, angstgeschüttelt, die Augen,
den Mund weit aufgerissen, Abgründe, in die Katarakte des Entsetzens
stürzen, eine Buchhalterfratze der unendlichen Ahnungslosigkeit, die
erlebt, wie die Wahrheit ihr Korsett vom Leibe reißt.
Der Besucher: Hilfe!
(Stille). (Hörspiele,
S. 316)
Autor
Korbes, der den Mord an Hofer als Selbstmord darstellt, beginnt zu diktieren, das Hörspiel kehrt zu seinem Anfang zurück.
Einspielung
Der Autor: Ich diktiere: Meine Damen, meine Herren. Zu Beginn halte ich es für meine Pflicht, Ihnen den Ort dieser vielleicht etwas seltsamen, aber - ich schwöre es - wahren Geschichte zu beschreiben. Zwar ist es nicht ganz ungefährlich, wahre Geschichten zu erzählen, jemand von der Polizei oder gar ein Staatsanwalt könnte schließlich zugegen sein, wenn auch nicht gerade dienstlich, doch darf ich mir dies insofern erlauben, als ich genau weiß, daß Sie diese meine wahre Geschichte nicht für wahr halten, wenigstens offiziell nicht; denn in Wirklichkeit - inoffiziell sozusagen - wissen Sie natürlich - Hand aufs Herz - ganz genau, auch der möglicherweise anwesende Staatsanwalt oder Polizist inbegriffen, daß ich n u r wahre Geschichten zum besten gebe. Nun, darf ich um eine kleine Anstrengung bitten? Stellen Sie sich den Salon eines Grandhotelappartements vor... (Hörspiele, S. 318)
Autor
Eine solche Kreisstruktur als nicht nur formaler Unterschied zum damaligen westdeutschen Höspiel ist mitzubedenken, wenn man die Hörspiele Dürrenmatts als Hörspiele der fünfziger Jahre beschreiben will. Denn genau in dieses Jahrzehnt fällt, sieht man von Hans Hausmanns Funkbearbeitung der späten Komödie "Der Mitmacher" einmal ab, die in einer Produktion der ORF, BR und SRG 1974 auch vom Westdeutschen Rundfunk übernommen wurde, Dürrenmatts gesamtes Hörspielschaffen.
Rechnet man nach den Sendedaten, beginnt Dürrenmatts Beitrag zum Nachkriegshörspiel 1952 mit "Nächtliches Gespräch mit einem verachteten Menschen", gefolgt von "Der Prozeß um des Esels Schatten", 1952, "Stranitzky und der Nationalheld", 1952, "Herkules und der Stall des Augias", 1954, "Das Unternehmen der Wega", 1955, "Die Panne", 1956, "Abendstunde im Spätherbst", 1967, und endet 1960 mit der verspäteten Erstsendung von "Der Doppelgänger", einem werkgeschichtlich nicht uninteressanten Hörspielversuch des Studenten Dürrenmatt von wahrscheinlich 1946.
1960 als "Gesammelte Hörspiele" veröffentlicht, haben die meisten der genannten Stücke, wie ein Blick in die Hörspielprogramme der ARD zeigt, inzwischen ihren Repertoirewert bewiesen. Dennoch ist ihre Hörspiel- und werkgeschichtliche Ein- und Aufarbeitung über Ansätze hinaus kaum geleistet, wobei zum einen die Frage des Stellenwerts dieser Hörspiele in den fünfziger Jahren beantwortet werden müßte, zum anderen der Stellenwert im Gesamtwerk Dürrenmatts wenigstens zu skizzieren wäre. Denn wie sich Hildesheimers Hörspiele nicht ohne Kenntnis seiner Erzählprosa erschließen, Eichs Hörspielwerk nicht ohne gebührende Kenntnis des Gedichtwerks, der späten "Maulwürfe" beschrieben werden kann, können auch Dürrermatts Hörspiele letztlich nicht ohne Berücksichtigung seiner Komödien, aber auch seiner Prosa sinnvoll einordnen. Das läßt sich oberflächlich bereits an Doppelfassungen zeigen, etwa vom "Herkules und der Stall des Augias", von dem eine Hörspielfassung von 1954 und eine "Festspiel"-Fassung von 1962 vorliegt, oder von "Die Panne", zu dessen Hörspielfassung Dürrenmatt 1956 gleichzeitig eine Prosafassung vorlegte, die er als "eine noch mögliche Geschichte" auswies. Die beiden Schlüsse der "Panne", im Hörspiel kommt der Generalvertreter Traps noch einmal davon, in der "noch möglichen Geschichte" erhängt er sich und verdirbt so den anderen "den schönsten Herrenabend", zeigen Dürrenmatt auf der Suche nach der schlimmstmöglichen Wendung. Sie sind zugleich Charakteristika eines spezifischen "work in progress" , von dem noch zu sprechen sein wird.
Wer über das Hörspielwerk Dürrenmatts Auskunft geben will, muß berücksichtigen, daß Dürrenmatt seine Hörspiele ebenso wie seine bekannten Kriminalromane "Der Richter und sein Henker", "Der Verdacht", "Das Versprechen" auch aus Gründen des Broterwerbs geschrieben hat, zumal der freie Schriftsteller mit seinen Theaterarbeiten zunächst wenig erfolgreich war. Dabei hat Dürrenmatt sich augenscheinlich sehr wohl Gedanken über die Gesetzmäßigkeiten der Gattungen Kriminalroman und Hörspiel ebenso wie der neuen Medien gemacht, ja diesen Zwang durchaus als positiv empfunden.
Zitat
Überhaupt tut es dem Schriftsteller gut, sich nach dem Markte zu richten. Er lernt so schreiben, listig zu schreiben, das Seine unter auferlegten Bedingungen zu treiben. Geldverdienen ist ein schriftstellerisches Stimulanz.
Autor
Daß Dürrenmatt dabei in den Rundfunk- und bald auch in den Fernsehanstalten der ARD, des Zweiten Deutschen Fernsehens willkommene Partner für den Broterwerb fand, begründet er auf seine ihm eigene entwaffnende Weise.
Zitat
Doch sind für den freien
Schriftsteller Milderungen eingetreten. Nicht nur durch die Hochkonjunktur.
Auch durch neue Kunden. Der westdeutsche Rundfunk und das westdeutsche
Fernsehen etwa sind nicht zufällig für den Schriftsteller oft
lebenswichtig, diese
Anstalten brauchen einfach
Stücke (auch hier ist die Schweiz nicht konkurrenzfähig).
Autor
Der freie Schriftsteller als Gastarbeiter in der Bundesrepublik, ein nicht uninteressanter Aspekt. Denn der Hinweis auf die Schweiz darf keinesfalls überlesen werden. Immer und unabhängig vom Ort der Veröffentlichung spricht Dürrenmatt als schweizer Schriftsteller, bleibt der Ort, von dem aus er spricht, die Schweiz. Und immer zielen Dürrenmatts Hörspiele und Komödien, Romane und Essays zunächst oder auch auf die Schweiz.
Zitat
So fällt es mir denn gar nicht ein, mich in erster Linie an die Deutschen zu wenden, sondern ich wende mich vor allem an die Schweizer.
Autor
Nicht von ungefähr ist der Fürchtegott Hofer der "Abendstunde im Spätherbst" pensionierter Buchhalter der Firma Oechslin und Trost in Ennetwyl bei Horck. In "Das Unternehmen der Wega" empfiehlt der Sprecher einer Sträflingskolonie auf der Venus dem amerikanischen Astronauten Wood die Schweiz als Erholungsort.
Zitat
Du wirst dich erholen müssen, wenn du zurückkehrst. Geh in die Schweiz. Ins Engadin. Ich war einmal dort im letzten Sommer vor fünfzehn Jahren. Ich vergesse nie die Bläue dieses Himmels.
Autor
Auch das Abdera in "Der Prozeß um des Esels Schatten" hat durchaus schweizerische Züge. "In diesem Stück", übersetzt sie Renate E. Usmiani in den Klartext,
Zitat
in diesem Stück findet sich zusätzlich (...) noch ein direkter Angriff gegen seine Schweizer Landsleute, die, wie Tiphys in Abdera, aus den Katastrophen der europäischen Weltkriege materiellen Gewinn schlagen konnten.
Autor
Und der Mist, der in "Herkules und der Stall des Augias" geräumt werden soll, ist auch Schweizer Mist.
Einspielung
Alle (mit der Blasmusik):
O Elierland, mein liebes
Vaterland
Kleinod am Penaiosstrand.
(Die folgenden Worte weiß
wie bei allen Nationalhymnen niemand mehr)
Xenophon: Der Schulkinderchor
singt unter Volksschullehrer Schmied.
Schulkinder:
Der Mist steht hoch in unserm
Land
Es stinkt an allen Enden.
Doch ist uns nun der Retter
nah.
Des Landes Not zu wenden.
Xenophon: Nun erhebt sich
Präsident Augias, wohl der volkstümlichste unserer Präsidenten,
der Präsi, wie wir ihn alle nennen, von seinem silbernen Melkstuhl
und geht auf Herkules zu -
Augias: Herkules, Nationalheld,
willkommen in unserer vermisteten Heimat, willkommen in unserem Ländchen.
Und wie siehst denn du aus? Verdreckt und verstunken von oben bis unten,
fast könnte man meinen, du seist der Elier. Werde dir ein Paar Stiefel
leihen. Da, einen herzhaften Kuß!
Herkules: Herr Präsident
-
Augias: Nun das Ehrenkomitee.
Marsch, tretet vor, schön der Reihe nach und gebe jeder unserem Nationalhelden
einen Schmatz. Adrast von Milchiwil, Vizepräsident des großen
Rats (Kuß); Pentheus vom Säuliboden, Präsident des Komitees
für Kultur (Kuß); Tydeus vom hintern Grütt, Präsident
des Fremdenverkehrsvereins (Kuß); Agamemnon vom vordem Grütt,
Custos des Landesmuseums (Kuß); Kleisthenes vom mittlern Grütt,
Präsident für Sittlichkeit...
Autor
Elisabeth Brock-Sulzer hat darauf hingewiesen, daß Dürrenmatt mit der "Festspiel"-Fassung dieses Hörspiels Anschluß an die Tradition des deutschschweizer Volks- und Laientheaters gefunden habe, als dieses in Gefahr geriet, nachdem "Schweizer Autoren sich das Welttheater erobert" hatten "und das Theaterleben in der Schweiz bis in die Dörfer hinaus 'gebildete' Züge" angenommen hatte. Auf eine von Dürrenmatt in bernischem Tonfall mit einer gekürzten Fassung des Hörspiels besprochene Platte sei in diesem Zusammenhang wenigstens hingewiesen, ein Tondokument, das nach Meinung Brock-Sulzers dem Hörspiel "von der Sprachfärbung aus" zusätzliche Qualitäten gewinne.
Zitat
Es weht bäuerliche Luft in dem Werk.
Autor
Um Mißverständnisse zu vermeiden: Dürrenmatt wird nicht zum Volksstückautor, er nähert sich vielmehr nur einer Tradition bei seinem Bemühen, Kunst dort zu machen, wo keiner sie erwartet. Keinesfalls ist Dürrenmatts Schweizer Perspektive Rückzug in die Provinz.
Zitat
Man wird mir vorwerfen, die Schweiz sei eine Provinz und wer sich an eine Provinz wende, sei ein provinzieller Schriftsteller. Gesetzt, daß es noch Provinzen gibt, haben jene Unrecht, die so sprechen. Man kann heute die Welt nur noch von Punkten aus betrachten, die hinter dem Mond liegen, zum Sehen gehört Distanz, und wie wollen die Leute denn sehen, wenn ihnen die Bilder, die sie beschreiben wollen, die Augen verkleben?
Autor
Eine plausible Erklärung. Nur, wurde sie auch verstanden? Die Reaktion auf einige Dürrenmatt-Hörspiele läßt dies bezweifeln. Kein Hörspiel Dürrenmatts hat so viel Schweizer Protest hervorgerufen, wie "Herkules oder der Stall des Augias". "Man vertrug nur schlecht", summiert Brock-Sulzer, "Dürrenmatts Persiflage des demokratischen Apparats", man sah "das Vaterland (... ) in Gefahr", den "Nihilisten Dürrenmatt ante portas". Aber man überhörte den Schluß.
Einspielung
Augias: Ich bin Politiker, mein Sohn, kein Held und die Politik schafft keine Wunder. Sie ist so schwach wie die Menschen selbst, nicht stärker, ein Bild nur ihrer Zerbrechlichkeit. Sie schafft nie das Gute, wenn wir selbst nicht das Gute tun. Und so tat ich denn das Gute. Ich verwandelte den Mist in Humus. Es ist eine schwere Zeit, in der man nur wenig für die Welt zu tun vermag, aber dieses Wenige sollen wir wenigstens tun, das Eigene.
Autor
Von diesem Garten, dieser absurden Idylle, "hinter dem Mond" will Dürrenmatts Hörspiel "Das Unternehmen der Wega" ein Jahr später nichts mehr wissen. Die sagenhafte Lösung zieht nicht mehr. Statt ihrer entwirft Dürrenmatt die Utopie einer humanen Gesellschaft von auf die Venus verbannten Verbrechern und politisch verfolgten Idealisten. Von Amerika aufgefordert, im Umschlag des Kalten in einen Heißen Krieg mitzukämpfen, verweigern sie.
Einspielung
Wood: Wir müssen vernünftig
sein. Auch ihr seid in Gefahr. Wenn die Russen uns besiegen, werden sie
hierher kommen.
Bonstetten: Wir fürchten
uns nicht.
Wood: Ihr schätzt die
politische Lage falsch ein.
Bonstetten: Du vergißt,
daß wir die Strafkolonie der ganzen Erde sind. Die Menschheit schickt
sich an, um den Besitz der schönen Zimmer und der einträglichen
Grundstücke zu kämpfen, nicht um die Abfallgrube, die allen gemeinsam
ist. Für uns interessiert sich niemand. Ihr braucht uns jetzt nur,
um uns wie Hunde vor den Wagen eures Krieges zu spannen. Ist der Krieg
zu Ende, fällt auch dieser Grund dahin. Doch ihr könnt uns zwar
hierher schicken, aber nicht zur Rückkehr zwingen. Ihr habt keine
Macht über uns. Ihr habt uns aus der Menschheit entlassen: Die Venus
ist nun fürchterlicher als ihr. Wer auch immer ihren Boden betritt,
fällt unter ihr Gesetz, in welcher Eigenschaft er auch komme, und
es wird ihm keine andere Freiheit gewährt als die ihre.
Wood: Die Freiheit zu krepieren.
Bonstetten: Die Freiheit,
recht zu handeln und das Notwendige zu tun. Auf der Erde konnten wir es
nicht. Auch ich nicht. Die Erde ist zu schön. Zu reich. Ihre Möglichkeiten
sind zu groß. Sie verführt zur Ungleichheit. Auf ihr ist Armut
eine Schande, und so ist sie geschändet. Nur hier ist die Armut etwas
Natürliches. An unserer Nahrung, an unseren Werkzeugen klebt nur unser
Schweiß, nicht noch Ungerechtigkeit wie auf der Erde. Und so haben
wir Furcht vor ihr. Furcht vor ihrem Überfluß, Furcht vor dem
falschen Leben, Furcht vor einem Paradies, das eine Hölle ist.
(Schweigen)
Autor
Aber wie die sagenhafte, so versagt auch die Science-Fiction-Utopie. Die Venus wird von den Amerikanern zerstört. "Das Unternehmen der Wega" zeigt zusammen mit der Zerstörung Abderas durch die beteiligten Parteien in "Der Prozeß um des Esels Schatten" recht instruktiv, wie Dürrenmatts Hörspiele auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges auch politisch argumentieren, auch politische Hörspiele sind. Dabei wird die Haltung des Autors immer resignativer, leicht abhörbar an typisch Dürrenmattschen Stichworten, z.B. der "Gnade". Von jener göttlichen Gnade, die Brock-Sulzer aus dem "Nächtlichen Gespräch mit einem verachteten Menschen" herauslas, ist nicht mehr die Rede. "Die Gnade", sagt es Augias am Schluß des "Herkules" -Hörspiels,
Zitat
Die Gnade, daß unsere Welt sich erhelle, kannst du nicht erzwingen, doch die Voraussetzung in dir kannst du schaffen, daß die Gnade, wenn sie kommt, in dir einen reinen Spiegel finde für ihr Licht.
Autor
Im "Unternehmen der Wega" muß sich Wood auf die Bemerkung, daß "wir auf der Erde" die "Erkenntnis", daß "der Mensch (...) etwas Kostbares und sein Leben eine Gnade" sei, "schon lange" haben, die Frage Bonstettens gefallen lassen:
Zitat
Nun? Lebt Ihr nach dieser Erkenntnis?
Autor
- und dazu schweigen. Ja, er muß sogar den Befehl geben, daß diejenigen, die in der Verbrecherkolonie auf der Venus nach dieser Erkenntnis leben, durch Bombenabwurf getötet werden. Der Pastorensohn Dürrenmatt, so scheint es, verabschiedet sich endgültig.
Von hier rückblickend
ist es relativ leicht, auch im "Nächtlichen Gespräch mit einem
verachteten Menschen" hinter dem theologischen Vokabular, zu dem auch die
"Demut", der "demütige Tod" gehören, die politische Schicht herauszuhören,
die Warnung vor einer totalitär verwalteten und vermachteten Welt,
der sich exponiert der Schriftsteller ausgesetzt sieht.
In seinen nun schon mehrfach
zitierten "Fingerübungen zur Gegenwart" hatte Dürrenmatt seine
Rolle als Schriftsteller so formuliert:
Zitat
Ich bin Protestant und protestiere. Ich zweifle nicht, aber ich stelle die Verzweiflung dar. Ich bin verschont geblieben, aber ich beschreibe den Untergang; denn ich schreibe nicht, damit Sie auf mich schließen, sondern damit sie auf die Welt schließen.
Autor
Auf die Welt, genauer auf den Faschismus schließen sollten die Leser von "Der Theaterdirektor", einer Theatergeschehen als Weltgeschehen schildernden Allegorie auf faschistische Machtergreifung. Daß diese 1952 veröffentlichte kurze Erzählung nicht ausschließlich vergangenen, sondern zugleich warnend auch zukünftigen Faschismus meint, wird spätestens deutlich im "Nächtlichen Gespräch mit einem verachteten Menschen", wobei in Parenthese angemerkt sei, daß sich eine Auseinandersetzung mit dem Faschismus, einem Totalitarismus jedweder Art durch das gesamte Dürrenmattsche Werk sehr wohl verfolgen ließe, deutlich greifbar etwa neuerdings in Dürrenmatts letztem Stück "Die Frist" von 1977.
In "Der Theaterdirektor" läßt Dürrenmatt seinen Erzähler noch entkommen:
Zitat
Und wie sich die Menschen aus dem Theater wälzten, sich stauend, einander niederstampfend, den Kopf vor sich hertreibend, durch die gewundenen Gassen in langen sich schwingenden Ketten, verließ ich die Stadt, in der schon die grellen Fahnen der Revolution flammten und sich die Menschen wie Tiere anfielen, umstellt von SEINEM Gesindel und wie der neue Tag herausdämmerte, niedergezwängt von SEINER Ordnung.
Autor
Dieses Entkommen ist dem Schriftsteller des "Nächtlichen Gesprächs [...]" nicht mehr möglich. Der staatlich abgeordnete Henker steigt durch sein Fenster. Die Wirklichkeit, die der Schriftsteller verbessern wollte, holt ihn unausweichlich ein. Seine Chance ist nur mehr der "demütige Tod", der die "Ohnmacht der Ungerechten" erweist und die "Wirklichkeit des Wahren".
Damit ist aber zugleich die Ohnmacht des Schriftstellers formuliert, seine Unfähigkeit, Welt zu verändern. Das unterscheidet Dürrenmatts erstes gesendetes Hörspiel von den westdeutschen Hörspielen der damaligen Zeit. Doch ist dies nur ein Aspekt des "Nächtlichen Gesprächs mit einem verachteten Menschen". Der zweite, vielleicht genauso wichtige Aspekt ist die von Brock-Sulzer herausgestellte theologische Dimension. Aber wir hören sie anders als die Dürrenmatt-Exegetin. Denn nicht eigene Erfahrungen lassen den Schriftsteller den "demütigen Tod" wählen; die Einsicht in die Qualität dieses Todes erfährt er ausgerechnet von dem verachteten Menschen, dem Handlanger der Macht. Der Schriftsteller akzeptiert sie schließlich nur.
Es sind die Erfahrungen des Henkers, von denen im Hörspiel die Rede ist. Er ist, wenn man so will, die 'christliche' Figur dieses Stückes, nicht der Schriftsteller.
So gesehen gehört Dürrenmatts Hörspiel noch in die erste Werkphase, die Auseinandersetzung mit Glaubensproblemen, den verzweifelten Versuch des "entwurzelten Pastorensohns", sein - wie er an anderer Stelle formuliert - "Mißtrauen gegen den Glauben" in einem gleichsam paradoxen Schluß aufzuheben. Der Kierkegaardsche Sprung in den Glauben - über Kierkegaard hatte Dürrenmatt eine Dissertation begonnen - ist kaum mehr möglich. Wir möchten von daher bezweifeln, daß dem "Nächtlichen Gespräch [...]" wirklich die Schlüsselrolle zukommt, die Brock-Sulzer diesem Hörspiel für das Gesamtwerk zuweist. Zu deutlich meldet - am Ende der ersten Werkphase - der Schriftsteller dieses Hörspiels seine Zweifel an, formuliert sich eine Weltsicht vor, die später sämtliche menschlichen Werte in Frage stellen wird. Die Annahme der Henker-Philosophie ist nur eine Notlösung, ein aus einer Glaubenskrise geborenes verzweifeltes Gedankenspiel des Autors Dürrenmatt.
Einen Hinweis, daß der Schriftsteller dieses Hörspiels nicht nur eine fiktive Figur ist, daß auch der Schriftsteller Dürrenmatt hier Stimme hat, gibt eine Bemerkung im letzten Drittel des Hörspiels.
Einspielung
Der Mann: Ich habe bis jetzt
mit jenen Waffen gekämpft, die eines Mannes würdig sind, mit
den Waffen des Geistes: Ich war ein Don Quichotte, der mit einer guten
Prosa gegen eine schlechte Bestie vorging. Lächerlich! Nun muß
ich, schon erledigt und schon von ihren Pranken zerfetzt, mit meinen Zähnen
zubeißen, ein ebenso zukunftsreiches Unternehmen.
Welche Komödie! Ich
kämpfe für die Freiheit und besitze nicht einmal eine Waffe,
um den Henker in meiner Wohnung über den Haufen zu schießen.
(Hörspiele, S. 105)
Autor
"Don Quichotte" und "Komödie" sind nämlich zwei Stichworte, die zum einen auf das Selbstverständnis des Schriftstellers Dürrenmatt, zum anderen in seine Poetik, seine Komödientheorie verweisen. Als Donquichotterie begriff Dürrenmatt in seinen "Fingerübungen zur Gegenwart" den Entschluß, sich in der Schweiz für den Beruf des freien Schriftstellers zu entscheiden.
Zitat
Wenn man schon in einem so kleinen Land wie dem unsrigen die Donquichotterie begeht, ein Schriftsteller deutscher Sprache zu sein und nichts anderes, nicht etwa noch zu drei Vierteln oder vier Fünfteln ein Redaktor, Lehrer oder Bauer, oder was es sonst noch bei uns für Berufe gibt, so muß man sich vielleicht doch langsam fragen, ob denn ein solches Unternehmen, das sich seiner Natur gemäß immer um den Bankerott dreht, ungefähr so wie die Erde um die Sonne, absolut und unter allen Umständen notwendig sei.
Autor
Vom Schriftsteller als Don Quichotte ist aber auch noch in anderen Werken die Rede, an bezeichnender Stelle in der "Abendstunde im Spätherbst".
Einspielung
Der Besucher: An diesem Punkt
meiner Untersuchung kam ich mir vor wie jener spanische Ritter Don -
Der Autor: Don Quichotte
Der Besucher: Don Quichotte
vor, den sie öfters in ihren Romanen erwähnen. Er zog aus, weil
er die Ritterromane für wirklich nahm, und ich machte mich daran,
Ihre Romane für wirklich zu nehmen. Aber ich ließ mich durch
nichts abschrecken. Und wenn die Welt voll Teufel wär,
Der Autor (begeistert):
Großartig! Das ist ja geradezu großartig, was sie da unternommen
haben!
(Es klingelt.) (Hörspiele,
S. 302)
Autor
Ohne dies hier im einzelnen differenzieren zu wollen, der Dichter als Don Quichotte, der gegen etwas anrennt, das er für wirklich nimmt, das gehört durchaus zum dichterischen Selbstverständnis Dürrenmatts und läßt sich vielfach belegen.
Aber auch sonst schmuggelt sich Dürrenmatt immer wieder gerne in seine Arbeiten ein: In "Der Richter und sein Henker" hat Dürrenmatt eine Fülle biographischen Materials verarbeitet, die Landschaft ausführlich geschildert, in der er damals "hinter dem Mond" lebte. Er ist wohl auch der Schriftsteller, den Kriminalkommissar Bärlach verhört, ein Schriftsteller, der sichtlich enttäuscht ist, daß Bärlach ihm einen Mord nicht zutraut. Daß in "Abendstunde im Spätherbst" der Schriftsteller Korbes seine geschilderten Morde selbst begehen wird, sei hierzu erinnert.
In seinem ersten Drama, "Es steht geschrieben", führt sich Dürrenmatt ausdrücklich als "entwurzelter Protestant" vor, läßt er eine Spielfigur über den Verfasser des Stücks sagen:
Zitat
Jan Matthison: Um aber die letzten Wurzeln dieser Mißstände bloßzulegen, halten wir es für unsere Pflicht, darauf hinzuweisen, daß der Schreiber dieser zweifelhaften und in historischer Hinsicht geradezu frechen Parodie des Täufertums nichts anderes ist, als ein im weitesten Sinne entwurzelter Protestant, behaftet mit der Beule des Zweifels, mißtrauisch gegen den Glauben, den er bewundert, weil er ihn verloren.
Autor
Der Schriftsteller des "Nächtlichen Gesprächs [...}" hat - wir sagten dies - durchaus Züge dieses entwurzelten, zweifelnden, mißtrauischen protestantischen Schreibers.
In seinem ersten geschriebenen Hörspiel, "Der Doppelgänger", um hier einen letzten interessanten Beleg zu zitieren, begegnen wir durchgehend dem Autor als Gesprächspartner des Regisseurs. Dieses Hörspiel, das Radio Bern 1946 nicht senden wollte und das erst 1960 in einer Co-Produktion vom Norddeutschen/Bayerischen Rundfunk den Hörern bekannt wurde, ist auch deshalb interessant, weil es Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des Hörspielautors zuläßt.
Einspielung
Regisseur: Sie haben mir
versprochen, eine Geschichte zu erzählen, Herr Hörspielautor.
Ich bitte Sie darum. Ich verfüge über viele Stimmen, und ich
darf sagen, daß es gute Stimmen sind.
Schriftsteller: Ich
habe Ihnen versprochen, eine Geschichte zu erzählen, Herr Hörspielregisseur.
Es ist eine dunkle Geschichte, die mir auf dem Herzen liegt, und eine seltsame,
doch muß ich gestehen, daß ich nicht viel mehr von ihr weiß
als das Motiv. Es macht dies aber nichts: Eine Handlung stellt sich immer
zur rechten Zeit ein.
Regisseur: Vorsicht. Ich
bin verpflichtet, den Hörern ein geordnetes Spiel zu bieten, und eine
verworrene Handlung wäre peinlich. Ich bitte Sie, dies zu bedenken.
Schriftsteller: Soweit es
möglich ist, werde ich daran denken.
Regisseur: Ich bitte Sie
darum.
Schriftsteller: Ich denke
mir einen Mann.
Regisseur: Sein Name?
Schriftsteller: Ich kenne
ihn nicht, dem sein Name ist gleichgültig. Er ist ein Mensch wie jeder
von uns.
Regisseur: Sein Beruf und
seine Stellung unter den Menschen?
Schriftsteller: Auch dies
ist unwichtig.
Regisseur: Hm. Darf ich
wenigstens das Land wissen, in welchem er lebt?
Schriftsteller: Nebensächlich.
Regisseur: Irgendwo muß
dieser Mensch doch leben.
Schriftsteller: Nun gut.
Denken wir uns eine weite Hügellandschaft, sich irgendwo in trostlose
Gebirge verlierend und dämmerhafte Seen, eine verlorene Großstadt
vielleicht und anderswo Tannenwälder und eine unermeßliche Ebene,
alles nun überglänzt von einem halbierten Mond zwischen jagenden
Wolken. (Hörspiele, S. 11)
Autor
Die "Handlung", die sich im Verlauf des "Doppelgängers" "einstellt", ist für unseren Zusammenhang so wichtig nicht. (Hingewiesen müßte vielleicht werden auf das Stichwort der "Gnade", von der hier noch in einem geradezu lutherischen Sinne zwischen Regisseur und einer Spielfigur die Rede ist. Die paradoxe Formel
Zitat
Es gibt nichts Schöneres, als sich (dem hohen Gericht R.D.) zu ergeben. Nur wer seine Ungerechtigkeit annimmt, findet seine Gerechtigkeit, und nur wer ihm erliegt, findet seine Gnade -
Autor
ließe sich sicherlich
auch Passagen aus dem "Nächtlichen Gespräch [...]" vergleichen.
Wichtig aber ist der Schluß, denn der führt demonstrativ die
Abwesenheit dieses hohen Gerichts, der Instanz einer höheren Gerechtigkeit
vor. Aufgefordert, ihn zur "letzten Instanz" zu führen, führt
der Schriftsteller den Regisseur in einen Park, in dem ein Rokokoschlößchen
steht.
Einspielung
Regisseur: Leer. Alles leer.
Keine Richter, kein Angeklagter, nur ein Fenster, das auf und zu klappt
im Wind, mit verstaubten Scheiben.
Schriftsteller: Wo wir auch
suchen, wohin wir auch gehen, in diesen Gängen und Sälen voll
Gips, zerschlissenen Tapeten und morschen Böden, alles leer.
Regisseur (wütend):
Und damit soll ich mich zufrieden geben?
Schriststeller: Damit müssen
wir uns zufrieden geben.
(Hörspiele, S. 37)
Autor
Wenn auch nicht in einem
Rokokoschlößchen mit einem Park so doch durchaus vergleichbar
in einer Villa mit einem großen Garten findet der Generalvertreter
Traps im Hörspiel "Die Panne" später sein Gericht.
Zitat
Die Villa, von Buchen und Tannen umgeben, ein größerer Garten davor, na schön, gegen die Straße hin Obstbäume, Gemüsebeete, überall Blumen.
Autor
Dieses makabre Gerichtsspiel
der "Panne" zeigt sowohl bezogen auf den "Doppelgänger" wie auf das
"Nächtliche Gespräch [...]" recht instruktiv auch Dürrenmattsche
Werkentwicklung. An Stelle einer nicht vorhandenen höheren Instanz
tritt eine Gesellschaft pensionierter Gerichtspraktiker, die wöchentlich
zweimal "Verhandlung" spielt und sich dabei ihrer Gäste als "Angeklagte"
bedient. Der hier deutlich werdende Säkularisationsvorgang wird noch
deutlicher im Vergleich zum "Nächtlichen Gespräch [...]". Nimmt
dort der Schriftsteller schließlich die Philosophie des Henkers an,
akzeptiert er seinen "demütigen Tod", gerät hier die Hinrichtung
zu einer banalen Farce.
Einspielung
Pilet: Staffelei? Das ist
doch die Guillotine. Gehört auch zur Sammlung.
Traps: Die - die Guillotine.
Pilet: Fein. Fühlen
sie mal. Eichenholz. Ziehe nun das Fallbeil hoch. Scharfgeschliffen. So,
nun ist sie parat, ging aber schwer.
Traps: Pa - parat.
Pilet: Fein. Ziehen Sie
den Rock aus.
Traps: Verstehe. Das muß
ja sein.
Pilet: Helfe Ihnen. Nun
öffnen wir den Kragen.
Traps: Danke - ich kann
es schon selber.
Pilet: Sie zittern ja.
Traps: Habe schließlich
auch allen Grund dazu. Ist schließlich kein Spaß das ganze.
Pilet: Haben eben zu viel
getrunken. So, jetzt ist der Kragen offen.
Traps: Ich habe nichts mehr
zu sagen. Ich bin schließlich ein Mörder. Machen Sie schnell.
Pilet: Fein.
Traps: Ich bin bereit -
Pilet: Und die Schuhe?
Traps: Die Schuhe?
Pilet: Wollen Sie denn nicht
die Schuhe ausziehen?
Traps: Das ist doch nicht
nötig!
Pilet: Na, Hören Sie
mal! Sie sind aber ein feiner Herr. Wollen Sie denn mit den Schuhen ins
Bett?
Traps: Ins Bett?
Pilet: Wollen Sie denn nicht
schlafen?
Traps: Schlafen?
Pilet: Fein. So, nun legen
Sie sich mal hin.
Traps: Aber -
Pilet: So, nun decke ich
Sie zu. Fein.
Traps: Aber ich bin doch
ein Mörder, Herr Pilet, ich muß doch hingerichtet werden, Herr
Pilet, ich muß doch - nun ist er gegangen - hat das Licht ausgelöscht.
Ich bin doch ein Mör - ich bin doch ein - ich bin doch - ich bin doch
müde, alles ist ja schließlich nur ein Spiel, ein Spiel, ein
Spiel!
(Er schläft ein). (Hörspiele,
S. 285/286)
Autor
Daß Dürrenmatts "Themen und Gestalten", (wie Siegfried Kienzle pointiert hat,) immer wieder "im übergreifenden Gegensatzzusammenhang des Richtens und Gerichtetwerdens einander zugeordnet" erscheinen , verbindet die Komödien mit den Kriminalromanen ebenso wie mit den Hörspielen, (also die Stücke des Theaterschriftstellers mit den Arbeiten, die auch um des Broterwerbs willen geschrieben wurden.) Unter diesem "übergreifenden Gegensatzzusammenhang" war es Dürrenmatt leichter als anderen Autoren, "Kunst da zu machen, wo sie keiner vermutet": als Kriminalroman, als Kriminalhörspiel, als Science-fiction-Hörspiel. Indem sich Dürrenmatt dieser Genres bediente, kam er den Ansprüchen, die von den Konsumenten an die Massenmedien gestellt werden, Spannung und Unterhaltung, weiter entgegen als andere Autoren der 50er Jahre, nahm er Hörspieltendenzen voraus, die sich in den siebziger Jahren aus neuer Einsicht in die Eigengesetzlichkeiten des Mediums zunehmend trivialer Genres bedienen.
Dürrenmatts Hörspiele, könnte man sagen, sind bemerkenswert frühe Versuche, Kunstwerke im listigen Gewand trivialer Genres in die Programme der Massenmedien einzubringen. Nicht zuletzt dies macht seine besondere Stellung im Hörspiel der 50er Jahre aus. Daß er dabei den Medien durchaus nicht unkritisch gegenüberstand, sei abschließend mit dem Hinweis auf "Stranitzky und der Nationalheld" angedeutet, ein Hörspiel, das an zentraler Stelle Nachrichten- und Informationsmanipulation durch den Rundfunk vorführt und durch diese Manipulation zwei Invalide in den Tod treibt.
Die Notwendigkeit der Medien hat Dürrenmatt nie bestritten. Ihr Unterhaltungswert stand für ihn, auch wenn er seit 1960 kein neues Hörspiel mehr vorgelegt hat, nicht in Frage. Ein legitimes Unterhaltungsbedürfnis zu nutzen, war für ihn auch Aufgabe des Schriftstellers. In "Schriftstellerei als Beruf", formuliert es Dürrenmatt als "Trost".
Zitat
Daß der Mensch unterhalten sein will, ist noch immer für den Menschen der stärkste Antrieb, sich mit den Produkten der Schriftstellerei zu beschäftigen; indem sie den menschlichen Unterhaltungstrieb einkalkulieren, schreiben gerade große Schriftsteller oft amüsant, sie verstehen ihr Geschäft."
WDR III, 5.6.1978