[Aus] Hermann Finsterlin: Der achte Tag

Sagt mir, was Liebe ist, was Glaube und der Hoffnung eiserner Wille, - und ich will Euch sagen, was Bauen heißt: der Schöpfung siebenten Tag weitertragen um eine Welle in der Brandungskette, die hebend tändelt mit Unendlichkeit.

Bauen ist alles, Liebe, Zeugen, Kampf, Bewegung, Leid, Eltern und Kind, und alles Heiligsten heiligstes Symbol.

Was ist schön? Wir haben bis jetzt gebaut, als müßt die Erde morgen sterben - den Eisestod. - Ein Ameisengeist hat jedes Kind Gottes abgefieselt bis auf das Skelett des abstrahierten Stils. Die Lust war heim im Gleichmaß und der Ruhe, latent war dieser Geist, scheintot oder trotzig vor einem übermächtigen Gotte, - oder schlief er im ersten Äonenrausche seines jungen Daseins? Nun wacht der Gulliver und zerrt an den unzähligen Fädchen liliputanischer Gespinste, die nach Gesetz und Rechten um den schlafenden Leib gelegt.

Unsere europäische Architektur ist verneinend, ein-fach, ab-bauend, wie es sich geziemt für Hyperboräer, deren Heimat dem Pole sich nähert, unfaßbar langsam, aber unfaßlich sicher und sein Gespenst auf Äonen vorauswerfend. Diesen Frostriesen aber hat der Geist der Erde einen David entgegen geboren, hat sich Wunschhelden gezeugt, die in Technik und Kunst ihm ein Widerreich entgegnen. Promethen, die das Feuer raubten im Rohr ihres Achsenstabs. Die Religion des Negativen, der Angler nach dem reinen Geiste, mag das Ziel der menschlichen Entwicklung in der extremen Entmaterialisierung erblicken, in weitestgehender Vereinfachung, Abstrahierung des stofflichen Restes, - diesem Pole aber wird stets der Antipode sich entgegenstemmen, dem ein dionysischer Gott die Hybride vorgeworfen auf seinem Lebensweg, die, immer sublimere Differenzierung des durchgeistigten vervielfachten Stoffes.

Das jüngste Gericht des Baugottes wird die gewaltige Grenze legen zwischen den alten und neuen Bauern, wird scheiden müssen, die da zusammenrechnen mit rationiertem, rationalem Geiste als Diener und Hörige des Stoffs, und denen, die die atmende Kraft der quellnahen Seele in den Äther beulen, auf daß der Stoff ihr zu gehorchen lerne. Der Genius lebt nur im Intuitiven, - in keiner Kunst war dies Göttliche so lang gelähmt, als im Schaffen der Tektonik.

Und empfindet Ihr nicht auch unsere Architektur von gestern und heute als kosmische Auffälle, aufgepflugt [recgte: aufgepfulgt] auf die Krume unserer Welt, zentrafugal [recte: zentrifigal] deformiert und nachträglich von einem bogenfeindlichen, boshaften Geiste gekantet und geschärft, auf daß die weichen Seelen dran sich sehren, statt verfallen wie ein heißer Tropfen aus den Stigmen eines Gottes, stalagmitische Wunder bauend auf dem Mosaik der heiligen Erde? Auch schreien unsere Bauten nach dem Ausgleich, schreien nach Polarisation, weil ihre Gegenbildung, ihr Rückschlag außer ihnen liegen muß, nicht in ihnen ruht, wie bei organisierten Gestalten. Von einer Ruhe solcher Statik kann nur eine unempfindliche, kurzfühlige Menschenkonstitution plaudern. Unsere Architektur ist künstlich, nicht künstlerisch, sie ist ein gewaltiger Vorläufer der künstlichen Ernährung und künstlichen Befruchtung, dessen Degenerationsperiode, dessen Todesinkubationsdauer merkwürdig chronisch geworden ist. Es mag in der Natur dieses Dinges liegen, daß solche Anpassung an den organfremden Zwangsweg möglich war bis zu gewissem Grade, aber kommen muß die Grenze und ich ahne, daß sie nicht mehr ferne ist.