Als ihren Beitrag zu den Berliner Bauwochen 1962 hatte die kleine Galerie Diogenes - so originell wie ihr Name - in ihren Atelierräumen in der Bleibtreustraße eine Ausstellung von Architekturvisionen des Stuttgarter Altmeisters Hermann Finsterlin veranstaltet. Man war bestürzt und hingerissen von soviel Phantasie und plastischem Empfinden. Diese Modelle und Zeichnungen sind zwischen 1913 und 1924 entstanden - wir kennen sie nicht, obwohl sie Genialität verkörpern und heute noch oder wieder zukunftsweisend sind. Denn sie statuieren den Baukörper erneut als Plastik, so wie es die Neuerer unter den jungen Architekten fordern - im Rückgriff auf den Spanier Gaudi um die Jahrhundertwende oder noch weiter in die Architekturgeschichte hineingehend auf barocke Baugedanken eines Borromini.
"Phantastische Architektur" ist das neue Losungswort (ein Buchtitel des letzten Jahres) - ob sie unter den gegenwärtigen sozialen Umständen realisierbar ist, bleibe dahingestellt - als Gedanke ist sie faszinierend; sie wäre gewiß "des Schweißes der Edlen wert".
[Heidelberger Tagblatt]