Vorbemerkung | Das Glied der Gläsernen Kette | Architektur-Essays | Szenarien und Filme | Gedichte | Aphorismen | Partitur
Die folgende Auswahl umfaßt die literarischen Arbeiten der Jahre 1918 bis 1925 und überschreitet diesen Zeitraum geringfügig lediglich im Falle der Aphorismen, deren erste Sammlung Finsterlin mit "1922-27" datiert hat. Diese zeitliche Einschränkung begründet sich aus der in der Monographie vorgetragenen These, daß Finsterlins eigentliche (gesamt)künstlerische Leistung in den Jahren 1918 bis 1925 erbracht wird. Für diesen Zeitraum stellt diese Anthologie zum ersten Mal den Architekturen und Aquarellen, den Baukästen und Modellen, den Spielsachen und -entwürfen das von ihnen im Grunde nicht zu trennende literarische Werk in angemessenem Umfang an die Seite.
Wie das bildnerische umfaßt auch das literarische Werk vielfältige Spielformen, den Brief und den Essay, Szenarien und Filme, Gedichte und Aphorismen, von denen bisher lediglich die Briefe der "Gläsernen Kette", ein Teil der Essays und Gedichte in einer eher unrepräsentativen Auswahl gedruckt und bekannt wurden. Rund zwei Drittel der im folgenden wiedergegebenen Texte sind Erstdrucke nach dem Manu- oder Typoskript. Sie sind mit geringen Ausnahmen in der oft eigenwilligen Orthographie und Zeichensetzung Finsterlins belassen, mit ihren gelegentlich abweichenden Fassungen verglichen, ohne den Anspruch einer textkritischen Edition zu erheben. Deshalb und auch aus Raumgründen wurde auf einen Apparat verzichtet. Nötige Angaben sind den einzelnen Textgruppen vorangestellt, wenige texteditorische Bemerkungen jeweils angemerkt.
Während Finsterlins Beitrag zum Briefwechsel der "Gläsernen Kette" lediglich in geänderter Anordnung mit zwei kleinen Erweiterungen aufgenommen wird, können die Architektur-Essays um drei umfangreiche, bisher unbekannte Essays ergänzt werden. Zum ersten Mal gedruckt werden drei phantastische Szenarien bzw. Filmskripte Finsterlins und die bisher völlig unbekannten Aphorismen in repräsentativer Auswahl. Auch die Gedichtauswahl umfaßt zahlreiche Erstdrucke.
Erstmals wird eine Partitur Finsterlins publiziert. Daß und in welchem Umfang die einzelnen künstlerischen Tätigkeiten Finsterlins miteinander zusammenhängen und zusammen eigentlich erst das Ganze ergeben, das mehr ist als die Summe seiner Teile, wurde in der Monographie dargestellt. Das sie begleitende und ergänzende Lesebuch bietet dem Betrachter und Leser die Möglichkeit, eigene Entdeckungen in diesem Wechselspiel der Künste zu machen, den Gesamtkünstler Finsterlin endlich in angemessenem Umfang in seinen Leistungen aber auch Schwächen, die zu einem derartigen Gesamtkunstwerk erklärlicherweise dazugehören, kennenzulernen und zu würdigen.
Als Finsterlin um 1925 sein schriftstellerisches Werk zusammenzutragen, abzuschreiben und einzubinden begann, hat er auch seine "Architektonischen Briefe" berücksichtigt und mit ihnen den Band der Architektur-Essays eröffnet. In ihm umfaßt sein Beitrag zur "Gläsernen Kette" in falscher Reihenfolge die 9 Briefe:
"Ein Echo komm' ich nun zu Euch [...]",Datiert sind ausschließlich der erste ("3. Februar 20") und dritte ("24. XII. 20"), indirekt datierbar ist der vierte Brief, da er von der "Stund(e) der wendenden Sonne" spricht, also am 22. Dezember 1919 geschrieben sein muß.
"Freunde! Cor hat mit der Forderung unseres Glaubensbekenntnisses {...]"
"War's nicht zur Sonnenwende [...]",
"Sagt mir, was Liebe ist [...]",
"Dank Euch, Brüder, für Eure Spiegelungen [...]",
"Heil, Bruder Glas, daß Du mir kamst [...]",
"An ihren Früchten sollen sie sich erkennen [...]",
"Ich weiß nicht, ob Ihr mir schon so nahe seid [...]",
"Freunde, ich bin vorübergehend in der Stadt [...]".
Eine genauere Anordnung wurde möglich, nachdem der Ausstellungskatalog "Die gläserne Kette" (1963/64) erstmalig, wenn auch unvollständig und in nicht immer korrekter Reihenfolge, den gesamten Briefwechsel publiziert hatte. In dieser Veröffentlichung fehlen der erste und letzte Brief des Typoskripts.
Erst die Edition Iain Boyd Wythes und Romana Schneiders (engl. Ausg. 1985 / dt. Ausg. 1986) bringt alle 9 Briefe, vermehrt um einen Brief an Hans Scharoun, ist aber wahrscheinlich immer noch unvollständig. Auch dieser auf Autopsie fußenden Ausgabe gelingt es nicht, Finsterlins Briefe zuverlässig zu ordnen. Wenn wir im folgenden - mit einer Ausnahme - dennoch der von Whyte und Schneider vorgeschlagenen Ordnung folgen, geschieht dies mit dem Eingeständnis, daß eine definitive Ordnung vorläufig nicht herstellbar ist.
Umgestellt wurden der dritte und vierte Brief, denn letzterer schreibt: "Ich sandte: /1.1 Schrift ohne Entwurf. /2. Schrift mit 3 Entwürfen. /3. Heutige Schrift". Da auch Wenzel August Hablik am 25.Juli 1920 erst 3 Briefe und 3 Zeichnungen von Finsterlin erhalten hat (Whyte/Schneider, S.136), mußten der in ihrer Edition dritte und vierte Brief Finsterlins die Plätze tauschen, auch aus inhaltlichen Gründen.
Textgrundlage ist, mit Ausnahme des Briefes an Scharoun, das Typoskript Finsterlins, mit folgender Begründung. Finsterlins Beitrag zum Briefwechsel der "Gläsernen Kette" ist teils von ihm, teils von seiner Frau mit der Hand, teils mit Maschine geschrieben und nicht immer zweifelsfrei zu entziffern. Hier haben die Typoskripte dem Herausgeber nicht nur eine Arbeit abgenommen, sondern sie weisen auch kleinere Korrekturen auf, wo entweder das Original fehlerhaft war oder in seiner Aussage verdeutlicht werden konnte. Damit können auch einige fehlerhafte Entzifferungen in der Ausgabe Whyte/Schneiders korrigiert werden.
Seinen "architektonischen Briefen" hat Finsterlin 1925 ohne Zwischentitel die Architektur-Essays folgen lassen, und zwar offensichtlich in der Reihenfolge ihres Entstehens:
"Die Polarität der Weltarchitektur",Eingeschoben sind einige kurze Gutachten, je ein kurzes Statement zu Stilspiel ("Bauwerdung in Modellen") und Formdomino, die für unsere Ausgabe ebenso unberücksichtigt bleiben können wie das angebundene Vorwort Blaauws zur Zeitschrift "Wendingen" und die Kritiken der Ausstellung 1925 in Den Haag. Vgl. die Kapitel "Architektonisches Traumspiel" und "Kleurige plekken op het donkere water".
"Der Achte Tag",
"Innenarchitektur",
"Die Genesis der Weltarchitektur [...]"
"Richtlinien",
"Casa nova",
"Formdomino und Zukunftsarchitektur" und
"Geringelt liegt die Schlange der Entwicklung im Mittag".
Textgrundlage sind wie im Falle der Briefe die Finsterlinschen Typoskripte, die, soweit sie zum Druck gelangten - "Die Polarität der Weltarchitektur", "Der Achte Tag", "Innenarchitektur", "Die Genesis der Weltarchitektur [...]" und "Casa nova" - mit den Erstdrucken verglichen wurden. Ein spezielles Problem ergab sich dadurch, daß Finsterlin bei seinen Architektur-Essays in der Regel an Abbildungen gedacht und auf solche verwiesen hat. Diese Abbildungen sind im Falle der gedruckten Essays jeweils in einer Anmerkung beschrieben worden. Soweit sie in Monographie und Katalog abgebildet sind, ist auf die Abbildung bzw. Katalognummer verwiesen. Im Falle der bisher ungedruckten Essays - "Richtlinien", "Formdomino und Zukunftsarchitektur", "Geringelt liegt die Schlange der Entwicklung im Mittag" - war dies leider nicht möglich, da die zugehörigen Abbildungen unter den nachgelassenen Fotos nicht zweifelsfrei zu identifizieren waren. Deshalb sind in den Essays Finsterlins Abbildungsverweise, soweit möglich, gestrichen, da die Essays auch ohne sie verständlich bleiben.
Hinzugenommen und an erster Stelle wiedergegeben sind die Antworten Finsterlins auf die 13 "Fragen, die der Klärung bedürfen" aus dem Jahre 1919. Finsterlin lagen bei Zusammenstellung seiner Arbeiten 1925 offensichtlich weder die Fragen des ("Arbeitsrats für Kunst" noch seine Antworten vor. Doch ist ihre Wiederveröffentlichung schon deshalb geboten, weil Finsterlins Antworten in nuce vieles vorformulieren, was die späteren Essays ausführlicher entfalten werden.
Auf einen Neu- ("Die Pyramide") bzw. Erstdruck der zahlreicheren kulturphilosophisch zivilisationskritischen Essays (vgl. die Kap. "Zur Essayistik Finsterlins. Eine Zwischenbilanz" und "Zivilisationskritische Essayistik", wird dagegen aus Raumgründen verzichtet. Sie sind heute nicht sonderlich aufregend mehr. Und ihre konservativ revolutionäre Grundhaltung ist auch den Architektur-Essays deutlich abzulesen.
Für den Neu- und Erstdruck ist die Reihenfolge beibehalten worden, die Finsterlin 1925 seinen Architektur-Essays gegeben hat, mit Ausnahme der beiden Kommentare zu den Baukästen "Stilspiel" und "Formdomino", die aus sachlichen Gründen in direkte Abfolge gebracht wurden.
Finsterlins Szenarien und Filme sind bis heute unbekannt geblieben. Außer kleineren, weniger bedeutenden Spielen sind dies das Szenarium "Die Grotte" und der Film "Der Trotz des Heils", die innerhalb der "Gläsernen Kette" kursierten und diskutiert wurden, sowie das filmische Szenarium "Sphinx hoch drei", in das Finsterlin später vergeblich "Die Grotte" einzufügen versuchte (vgl. das Kap. "Gesammelte Werke"). Für die folgenden Erstdrucke ist jeweils die früheste Fassung zugrunde gelegt, im Falle der "Grotte" das Typoskript, im Falle des "Trotz des Heils" das vervielfältigte Manuskript. Im Falle der "Grotte" konnte eine handschriftliche Fassung vergleichend herangezogen werden. Der Erstdruck der "Sphinx hoch drei" erfolgt nach einem mit 1925 datierten eingebundenen Typoskript, dessen III. Akt aus acht Gedichten besteht, die Finsterlin in der Sammlung "Der schwarze Herrgott" (1925) und im Privatdruck der "Lieder des Pan" (1964) den Gedichten zuordnete.
Seit 1904 nachweisbar, bilden Gedichte den umfassendsten Komplex des literarischen Werkes. Fünf alphabetisch geordnete dicke Klemmbinder mit Typoskripten versammeln nicht einmal zwei Drittel der Finsterlinschen Gedichte, der Privatdruck "Lieder des Pan. Ein Griff in ein halbes Jahrhundert" (1964) lediglich einen Bruchteil. Die folgende Auswahl beschränkt sich auf die Gedichtbände "Den Schöpfern des Schöpfers in Liebe" bzw. "Der Weltseele Sang" (1918), "Die Grotte" (um 1920), "Der schwarze Hergott. Beiträge zum Komisch Kosmischen" (1924) und den diese Bände in Auswahl bietenden, um neue Gedichte vermehrten Sammelband "Der schwarze Herrgott" von 1925. Letzterer ist Textgrundlage der Auswahl, die etwa ein Viertel der 1925 von Finsterlin zusammengestellten Gedichte der Jahre nach 1918 umfaßt. Alle Gedichte wurden mit den Handschriften oder Typoskripten verglichen. Spätere Korrekturen Finsterlins, nicht immer zum Besten der Gedichte, blieben dagegen unberücksichtigt. Die Auswahl folgt der Entwicklung vom kosmischen zum komisch Kosmischen Gedicht und versucht, in den gewählten Beispielen das aus dieser Entwicklung resultierende Nebeneinander von Ernst und Komik, Sinn und Unsinn in ausreichendem Umfang vorzustellen. In der Monographie bereits zitierte Gedichte sind mit einer Ausnahme in die folgende Auswahl nicht noch einmal aufgenommen worden.
Bisher gänzlich unbekannt sind Finsterlins Aphorismen. Sie stellen - bei Finsterlins Beziehung zu Nietzsche nicht einmal überraschend - einen eigenen, recht umfänglichen Werkkomplex dar. Bei einem nach 1925 zweiten Versuch, das literarische Werkganze zu ordnen, hat wahrscheinlich noch Friedrich Carl Lamprecht (vgl. das Kapitel "Ein Gedichtwerk will geordnet werden") damit begonnen, die einzelnen Gattungen in Klemmbindern zusammenzutragen. In diesem nie abgeschlossenen Ordnungsversuch bilden die Aphorismen den "Band II", sind ohne eigenen Titel mit "1922-27" datiert und als "Auswahl" bezeichnet. Diese Auswahl besteht aus einem Konvolut mit verschiedenen Maschinen zu verschiedenen Zeiten geschriebener Typoskripte, meist als Durchschlag, deren Abschriften und Abfolge wiederholte Ordnungsversuche ablesen läßt. Dabei kann ein und derselbe Aphorismus in anderem Kontext ein zweites Mal auftreten, gelegentlich in geringfügig geänderter Fassung. Der Druck folgt mit wenigen Umstellungen der vorgefundenen Anordnung. Im Konvolut mehrfach notierte Aphorismen werden nur einmal wiedergegeben, in der Regel am Ort ihres ersten Notats. Von Finsterlin handschriftlich vorgenommene Korrekturen und kleinere Ergänzungen sind dabei stillschweigend berücksichtigt worden.
Finsterlins großes Interesse an der Musik ist seinen bildnerischen und vor allem seinen literarischen Arbeiten deutlich ablesbar. Aber er hat sich auch praktisch mit der Musik auseinandergesetzt, musizierend und komponierend. Die meisten seiner nicht zahlreichen Kompositionen sind eher konventionell, als Beiwerk allenfalls erwähnenswert. Einige seiner theoretischen Überlegungen vor allem in Form von Aphorismen jedoch, eine Anzahl Aquarelle und vor allem eine auffällige Partitur erweisen dennoch die Musik als eine nicht zu übersehende Facette der Gesamtkunst Finsterlins. Den in die Aphorismen eingegangenen theoretischen Überlegungen folgt deshalb abschließend die Wiedergabe der Partitur als Beleg auch praktisch musikalischer Experimente.