Einem Architekten, der nie gebaut hat, wird jetzt späte Ehrung zuteil. Die Galerie Diogenes stellt im Rahmen der Berliner Bauwochen Zeichnungen und Modelle des heute 74-jährigen Hermann Finsterlin aus. Bizarre Träume vom "organischen" Bauen füllen Tische und Wände der Galerie in der Bleibtreustraße.
Unsere Zeit, die nur der funktionellen Architektur Raum gibt, ist anfällig gegen die Utopie. Die Freimütigkeit, mit der führende Architekten vor kurzem im Amerikahaus ihre nicht realisierbaren Wunschbilder ausbreiteten, hat den Boden für eine Ausstellung wie diese bereitet. Finsterlin war einer der Phantasten, die sich in den zwanziger Jahren - lange nach dem Abklingen des Jugendstils - zusammentaten, um Richtlinien für ein neues Bauen festzulegen, das auch den leisesten Anklang an die Tradition vorwarf. Das Streben nach dem Simultanerlebnis von Innen- und Außenraum führte Finsterlin zu Bauformen, die alles Materialgerechte, alles Kubische ablehnen und Gewundenes, Steiles, Amorphes in einem Strudel entfesselter Phantasie einbeziehen.
Daß aus dieser Bauweise
neue Lebensformen entstehen sollten, wird deutlich, wenn man Finsterlins
Bekenntnisse in seinem Buch "Frühlicht" liest. "Im Innenraum des neuen
Hauses wird man sich als Insasse einer märchenhaften Kristalldruse
fühlen. Die Möbel des neuen Zimmers werden Immobilien sein müssen.
Durch das transparente Bodenmaterial kann das alldimensionale
Raumgefühl diffundieren
und den Wohnung in ungeahnter Balance halten."
Das Verdienst Hermann Finsterlins liegt in der anregenden Wirkung auf die Architektengeneration, die den Stil des 20. Jahrhunderts prägte. Er war mit Bruno Taut und Gropius befreundet. Daß Finsterlin nicht selber einer der Großen wurde, erklärt sich aus dem Mangel an Wirklichkeitsbeziehung und Compromißwillen. "Les architectes rêvent les deux pieds sur la terre", sagen die Franzosen - die Architekten träumen, während die mit beiden Füßen auf der Erde stehen.