Claus Henneberg | Hofer Minaturen Die primitiven Abdrücke der Dinge sind unzerstörbar und behaupten sich gegen alle späteren, wie weit diese sie auch an sich übertreffen mögen.[Friedrich Hebbel, Meine Kindheit] Sonnenplatz
Auf dem Rand des Brunnens im Kreis um zwei rostige Röhren, aus denen Wasser in ein Bassin voll Abfall und Kupfermünzen verweht, oder den Brunnen im Winter in seinem Holzverschlag gebückt und angstvoll umrunden.

Hexengässchen
Eine Gasse - furchtsam und unabsehbar - zwischen einer mannshohen Mauer aus Marmor und geteerten Planken - mit langen laufenden Kreidestrichen und unanständigen Wörtern.

Am Ufer der Saale
Frauen mit erhobenen Armen zwischen flatternder Wäsche und ausgebreiteten Laken mit blechernen Gießkannen oder in blauen Schürzen am Steg, Tücher fleiend im trägen Fluß.

Der Eismann
Stangen weißen Eises verschwinden in Sackleinen gewickelt tropfend in hohen, dämmernden Hausfluren.

Die Milchfrau
Mit dem Leiterwagen von Haustür zu Haustür, und auf ihm die Kannen, und in sie das Maß.

Hinterhofmusik
Mit Messingtrompeten schmettern Bettelmusikanten Lieder hinauf zu Balkonen und Münzen in Zeitungspapierfetzen sprenkeln das Pflaster um sie: schmutzige Schneeflocken.

Maxplatz
Schritte auf einem nebligen Platz im Herbst, und wo sie verstummen, wird eine Laterne hell, bis schließlich alle zu summendem Licht erwacht sind und die Schritte verhallen.

Flugfest mit Zeppelin
Von der Luftschänke hinauf zur Hohen Saas, wo Junkers und Fockes tiefe Eindrücke hinterlassen, schneidige Frauen an Fallschirmen vom Himmel hoch auf die Grasnarbe pendeln und eine Riesenzigarre lautlos und fern über den Dächern der Stadt schwebt.

Bohnenbeiß
Farbstrotzend der Mokka-Mohr im Fenstergewölbe auf zierlich gesetzten Füßen vor einem geöffneten Kaffeesack mit herabgerolltem Rand.

Kino
zur Nachmittagsvorstellung sacht aufwärts an Lichtbildern weizenblonder Schönheiten, fettleibiger Komiker, menjoubärtiger Freibeuter, schwarzbehüteter Cowboys und weißbehandschuhter Mickey-Mäuse mit runden Ohren vorbei zur Kasse.

Einsteighalle
Bin hölzerner Turm bis unter die Sparren des Daches, aus dem eine Birke wächst, Feuerwehrschläuche zum Trocknen von oben herab und knöcheltief Sägemehl für die Pferde unter kyklopischen Tribünen an einem Ort, der Eisenbahnen und Radfahrern zum Üben gedient hat.

Bürgergesellschaft
Bilderbücher auf langen Tischen in sonnigen Seitenzimmern.

Im Café Hager
Nach Eintreffen neuer Berliner und Leipziger mit jüngsten Abenteuern von Vater und Sohn an Marmortischen in Samtcoupes mit Blick über halbierte Mohrenköpfe und zerbrochene Schlotfeger in dunkel wiederholende Spiegel.

Schloßplatz
Ausstellung pastoser Ölgemälde von sturmgepeitschten Wetterfichten, Moorgeländen und klaren Mittelgebirgshorizonten mit dem Anstrich des Offiziellen und Endgültigen in zwei dunklen Zimmern hinter weißen Schlagläden an der Schmalseite eines länglichen Platzes.

Das alte Wollner
Eingepfercht zwischen Erwachsenen auf einer hölzernen Bank bei Bratwürsten in beißendem Virginiarauch und vertieft in den Geleisplan einer elektrischen Eisenbahn auf entfalteten R 6-Packungen.

Am Theresienstein
Kastanienblüten auf grünen Tischen im Bierschaum und schmissige Märsche bis zum Milchhäuschen am Ende der Allee.

Am Schellenberg
Mit dem Schlitten den Hang hinab über den Weg hinweg in den Holzzaun hinein hinter dem beschneite Gaskessel geduldig zu atmen versuchen.

Kantine Vogtland
Einst schwarzbehostes Jungvolk in düsteren Fluren, später Equilibristen, Illusionisten und Verwandlungskünstler im schäbigen Rampenlicht.

Lehrer Netsch
Ein Korb süßer Wecken und eine weiße Kanne voll Milchkakao im Denkmal einer städtischen Straßenbahn unter den blühenden Apfelbäumen eines sehr milden Lehrers.

Jahrmarkt
Unter Lichterkaskaden frißt sich der Budenwurm vom billigen Jakob durch türkischen Honig, Kräuterbonbons, Lachsbrötchen und Makronenpyramiden karbidfauchend straßauf und ab, straßab und auf.

Eine Sehenswürdigkeit
Bestaunt verunstaltet seit der Belagerung eine Warze aus Stein die mächtige Kehrseite St. Michaelis.

Eisteich
Flügel aus hohlgeschliffenem Stahl, angeschraubt mit rotgefrorenen, kälteklebenden Fingern.

Kreuzsteinstraße
Warmer Seestadtgeruch aus den geöffneten Toren dunkler Scheuern nach Torfmull, Jute, Frühkartoffeln, gebündeltem Brennholz und Briketts.

Schützenstraße
Eine Frau in Schwarz hinter Fässern voll Bamberger Stockfisch, Wegnerschem Sauerkraut und Salzgurken, die mich in Bergen von Reiskörnern spielen ließ und mit Himbeerwasser tränkte.