Reinhard Döhl | Neues vom Alten Hörspiel

In einer frühen Sendung unseres Versuchs einer Geschichte und Typologie des Hörspiels in Lektionen berichteten wir von einigen wichtigen Beispielen der Hörspielgeschichte, von denen angenommen werden mußte, daß sie verloren seien,

- von den sogenannten "akustischen Filmen" Alfred Brauns,
- der "Hörsymphonie" Fritz Walther Bischoffs, "Hallo! Hier Welle Erdball!!"
- und der Tonmontage "Weekend" von Walter Ruttmann.
Inzwischen konnten "Weekend" und ein Tonfragment von "Hallo! Hier Welle Erdball!!" wieder aufgefunden werden. Sie zusammen mit einem weiteren geschichtlich wichtigen Beleg, Bischoffs Zusammenstellung "Das Hörspiel vom Hörspiel", vorzustellen, ist die eine Aufgabe unserer heutigen Sendung. Die zweite: nach der historischen Bedeutung dieser Tondokumente zu fragen; zu fragen, wieweit sich mit ihrer Hilfe hörspielgeschichtlich neue Einsichten gewinnen lassen: Neues vom Alten Hörspiel?

Als funkeigene Form durch die drei Programmbestandteile Nachricht, Unterhaltung und Kultur formal und inhaltlich determiniert, ist das Hörspiel entwicklungsgeschichtlich zugleich technisches Kind eines Massenmediums, durch die technischen Voraussetzungen dieses Mediums geformt.

Ursprünglich wurden die Hörspiele live gesendet, d.h. nach einer zeitlich mehr oder weniger aufwendigen Probezeit ging die in ihr erarbeitete Aufführung direkt aber den Sender. Autoren, Regisseure und Sprecher mußten sich darauf einstellen, und manche frühe
Hörspielgroteske wie Hans Flesch's "Zauberei auf dem Sender" oder Ernst Hardt's "Was sich liebt, das neckt sich" nutzen diese Produktions- und Sendebedingungen für witzige Effekte.

Als Bertolt Brecht 1927 in seinen gerne auszugweise zitierten "Vorschlägen für den Intendanten des Rundfunks" angesichts der anfänglich miserablen Honorierung der Autoren vorschlug,

"endlich eine Art Repertoire (zu) schaffen, das heißt, Sie müssen Stücke in bestimmten Intervallen, sagen wir alljährlich, aufführen",
war dieser Vorschlag angesichts der bisherigen Produktions- und Sendepraxis wenig vernünftig, machte aber sofort Sinn, als es gelang, Hörspiele aufzuzeichnen, und zwar in einer Qualität, die jederzeit eine Wiederholung zuließ.

1928 war man soweit, konnte man dem Hörer eine auf Wachsplatten mitgeschnittene Produktion vorstellen. Die Bedeutung, die man diesem Schritt beimaß, der Stolz über diesen technischen Schritt sind der "Absage" des jetzt im Deutschen Rundfunkarchiv in Frankfurt lagernden ältesten Tondokument zur Hörspielgeschichte, einem Fragment aus "Hallo! Hier Welle Erdball!!" deutlich abhörbar.

"Sie hörten eine Szene aus "Hallo Welle Erdball" (sic!) von F. W. Bischoff. Sie wurde mit Hilfe von 4 Schallplatten wiedergegeben. Der Übergang von einer Platte zur anderen sollte unmerklich vor sich gehen. Der Versuch wurde durchgeführt, um festzustellen, ob eine solche Wiedergabe der vollwertige Ersatz eines Originalhörspiels ist."
Mit der Frage, ob das in Frankfurt archivierte rund 20 Minuten lange Tondokument der damaligen Plattenaufzeichnung entspricht oder nur Teil einer viel umfänglicheren Aufzeichnung ist, fangen aber bereits die Schwierigkeiten des Historikers an, und über sie ist in dieser Sendung auch zu berichten. Das erhaltene Tondokument besteht neben der zitierten Absage aus den beiden Ausschnitten/Sequenzen "Zeitablauf des Mannes K." und "Sensationen - Katastrophen" von circa 6 bzw. 13 Minuten Länge. Ein von uns aufgefundenes Manuskript des Hörspiels "Hallo! Hier Welle Erdball!!" enthält dagegen den "Zeitablauf des Mannes K." nicht, so daß zu vermuten ist, daß es sich um eine Sequenz aus einer anderen Produktion handelt, die noch zu ermitteln wäre.
Zeitablauf des Mannes K.
(Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt (= DRA), Archivnummer 60 U 339. - Die Textwiedergabe folgt dem Tondokument, ohne allerdings die einzelnen Stimmen auszuweisen.)
Der Mensch benötigt, der Mensch bedarf,
Man braucht, um leben zu können
Einen Augenblick, ich muß trennen!
Sie hören, gezeigt an Tabellen und Zahlen,
Die tägliche Kurve an Glück und Qualen,
Die Temperaturen der Ehrlichkeit und Käuflichkeit,
Gemessen an Treue, Haß und Eitelkeit.
Aktenzeichen 2344 B. Adolf Bockmühl, Börsenmakler, 45 Jahre alt.
Ruht! Halt!
Zum Wort aus dem Statistischen Reichsamtaktenblatt
Meldet sich der Maschinenmensch der Maschinenstadt.
Es verlohnt sich, um seinetwillen ein wenig nachdenklich zu sein.
Denn er lebt wie wir zum Schein für den Schein.
Aktenblatt 300274.
Querschnitt durch den Lebenstakt (-tag?) des Mannes K.
Der Tatsachenbericht, siehe 3a.
Der Mann K., Aktenblatt 300274 Ziffer B, Berlin Westend.
Alter 52 Jahre. Gewicht 185 Pfund. Größe 152. Linke Schulter hängt, Bauch vorgewölbt. Rücken eingefallen, Haar gelichtet. Apoplektische Konstitution. Puls schnell, hart, hüpfend.
8 Uhr: Erwachen. Traumbefund keiner.
8 Uhr 15: Bad, 30° Reaumur. Leichte Transpiration.
8 Uhr 25: Frühstück. Tee, zwei Eier im Glas, Schinken. Denkt an Mathilde.
8 Uhr 28: Plötzlicher Anflug von Schamgefühl. Herzschlag hart, hüpfend.
8 Uhr 50: Fahrt ins Büro. Blick in die Stadt. Gedankenlos. Normaler erotischer Anreiz. Freude an der Verdauung.
9 Uhr 20 bis 12 Uhr: 138 Telefongespräche, 22 nutzlose Verhandlungen, ein gutes Geschäft. Denkt an Mathilde. Rapider Energieverfall.
13 Uhr 50: Mittag. Übersättigung mit Eiweiß und Fettstoffen. Zerfall, Erschlaffung, komplexive Reize. Ärger. Lustbetonung. Mathilde schwächer.
15 Uhr: Befund wie morgens. 180 Telefongespräche. An Narkotika bisher zu sich genommen 18 Zigaretten und 3 Zigarren. Blutstau. Kopfschmerz. Puls hart. Eintrübung. Mathilde.
17 Uhr 15: Heimfahrt.
17 Uhr 55: Streit mit der Wirtschafterin. Abendblätter, Gedankenlosigkeit, Börsenbericht, Sentimentalität, Rundfunkmusik, Telefonate. Komplexive Ratlosigkeit. Übermäßiger Nikotingenuß, 23 Zigaretten.
19 Uhr: Verdauungsbeschwerden, Laxie, Stuhlgang.
20 Uhr: Varieté. Mathilde. Herzkontraktion, Halstrockenheit, rund progressive Diabetes.
Während dieser Zeit denkt der Mann K. im Theater an die Börse des morgigen Tages, an eine Reise nach dem Süden mit Anni, an die Möglichkeit einer schweren Transaktion, lacht über den Witz eines Schauspielers in der Befriedigung, wie gut er Witze zu erzählen versteht.
22 Uhr: Theaterschluß.
Bis 2 Uhr früh Vergnügungsstätten. Gedankenlosigkeit. Vermindertes Assoziationsvermögen. Abgehemmt, vordrängend, wieder abgehemmt. Schwere Müdigkeit. Unmengen von Narkotika.
2 Uhr nachts Heimkehr. Erschlaffungszustand. Gefühl des Einsamseins. Hoffnungslosigkeit. Herzbeschwerden. Schlaflosigkeit. Der Befund
Halt! Habt Ihr erkannt?
Ward Ihr gespannt?
Ist es so oder ist es so nicht?
Erkennt Ihr den Menschen und sein von der Zeit verwüstetes Arbeitsgesicht?
Nichts als ein Tatsachenbericht!
Millionen liegen vor, Akt bei Akt.
Was hilft es? Maschinenzeit hält Euch gepackt!
Von ihrer Thematik her gehört diese Sequenz zu einem Hörspieltypus, der einzeln oder in Kombination Lebens- oder Tagesabläufe in eine radiogene Form zu bringen versuchte, mit so unterschiedlichen Ergebnissen wie Ödön von Horváths "Der Tag eines jungen Mannes von 1930" oder "Schicksale gebündelt. Eine Hörfolge in Lebensläufen nach der gleichnamigen Sammlung von Walther von Hollander. Funkgestaltung (für den Funk bearbeitet) von F.W. Bischoff und F.J. Engel", eine bis in die Nachkriegszeit hinein erfolgreiche Spielmöglichkeit, wie eine Bemerkung Ulrich Lauterbachs belegt:
"Aus der Fülle der dramaturgischen Möglichkeiten, die dem Hörspiel zu Gebote stehen, sei noch die der "Schicksale gebündelt" hervorgehoben. Christian Bock und Oskar Wuttig haben diesen Typus erprobt, aber auch Erwin Wickerts "Klassenaufsatz" gehört dazu, von der Form her betrachtet sogar Günter Eichs "Träume"."
Aber auch innerhalb eines Hörspiels war die Einlage geraffter Tages- und Lebensläufe durchaus möglich, in balladesker Form zum Beispiel in Erich Kästners / Edmund Nicks "lyrischer Suite" "Leben in dieser Zeit", gleich in der ersten Sequenz: "Kurt Schmidt, statt einer Ballade". Erhalten ist diese Sequenz allerdings nicht in der berühmten Breslauer Inszenierung von 1929, sondern in einer späteren Neuinszenierung des Königsberger Senders in der Ausführung durch Kästner selbst und mehrere unbekannte Sprecher, die übrigens gegenüber der Ursendung ohrenfällig etwas mehr Biß zeigten.
Kästner/Nick: Kurt Schmidt, statt einer Ballade.
(DRA 52.12875. - Der Text entspricht in etwa der in Kästner, "Gesammelte Schriften für Erwachsene", Bd. V, Zürich 1969 abgedruckten Hörspielfassung. Er umfaßt mit Strichen den Schluß der "Einleitung" und den überwiegenden Teil von "Nr.1. Kurt Schmidt, statt einer Ballade" des "Ersten Satzes" von "Leben in dieser Zeit" (S. 189, Z. 22 bis S. 191, Z. 23 der Buchfassung).)
Um von diesem Tondokunent (das übrigens nicht im Hörspielkatalog des Deutschen Rundfunkarchivs aufgeführt ist) zu Bischoffs "Hallo! Hier Welle Erdball!!" und unseren hörspielphilologischen Problemen zurückzukehren: aus den genannten und weiteren Gründen - so wird die zweite Sequenz ausdrücklich als "eine Szene aus der Hörfolge 'Hallo! Hier Welle Erdball!!'" abgesagt - müssen wir schließen, daß im Falle des unter dem Titel "Hallo! Hier Welle Erdball!!" in Frankfurt archivierten Tondokuments Ausschnitte, Sequenzen zweier verschiedener Hörspiele schon anläßlich der Plattenaufzeichnung 1928 oder erst später zusammengeschnitten wurden, daß es bei seiner Erstellung also weniger um die Archivierung bedeutsamer Hörspielleistungen ging als vielmehr um die Demonstration der Möglichkeit der Aufzeichnung, für die man entsprechend illustrative Beispiele wählte.

Für diese Auffassung spricht auch, daß der zweite Ausschnitt des Tondokuments, der etwa der V. Sequenz des Hörspiels entspricht, diese Sequenz nur gekürzt wiedergibt, aber auch sonst ohne Kenntnis des ganzen Hörspiels nicht völlig verständlich ist. So beziehen sich zum Beispiel die Hinweise des Sprechers auf den "Tod von Charlie und Billie im Urwaldsumpf", bzw. auf den "Schrei der Tausend beim Sport" auf die im Hörspiel vorausgehende IV. bzw. III. Sequenz. Und das gegen Ende sehr verkürzt zitierte Gedicht Hugo von Hofmannsthals ist eigentlich schon der Beginn der VI. Sequenz. Wenn wir das erhaltene Fragment der V. Sequenz dennoch zur Gänze vorspielen, dann auch deshalb, weil diese Sequenz auch gehört werden kann als Reaktion auf die Sensationshysterie der 20er Jahre, der Walther Mehring schon 1921 im "Ketzerbrevier" den Spiegel des Chansons vorgehalten hatte:

Auf den Trümmern blut'ger Szene
Grast die Sensationshyäne.
Hier zöge das Hörspiel dann mit einiger Verspätung nach. Gleichzeitig müssen wir diese V. Sequenz aber auch hören als Reaktion auf die "sensationelle Richtung" des Rundfunks. Schon 1926 hatte Flesch bei seinen Überlegungen über "Kulturelle Aufgaben des Rundfunks" diese "Richtung" erwähnt,
"die im deutschen Rundfunk zum Glück nie als gewollte Richtung anzusprechen war, obwohl sie naheliegt und insbesondere vor zwei Jahren als das Gegebene erschien."
Immerhin muß Flesch zugeben, daß sie "eine Möglichkeit des Rundfunks" sei.
"Die ungeheuren Möglichkeiten hierzu liegen auf der Hand,- sie sind auch bisweilen ausgenutzt worden; sie werden zur Zeit ausgenutzt und sollen auch in den richtigen Grenzen ausgenutzt werden. In richtigen Grenzen, das bedeutet nicht philiströses und überhebliches Maßhalten, das bedeutet nicht, ein paar Brocken Speck, mit denen der Rundfunkteilnehmer wie eine Maus gefangen werden soll sondern das heißt, in den Grenzen, in denen der gesunde und natürliche Mensch die Sensation will und braucht."
Auch das Hörspiel hatte vor allem in seinen Anfängen zu dieser "Richtung" mit einer Vielzahl von Sensations- und Katastrophenstücken beigetragen, in der Schilderung von Bergwerk-, Schiff-, Flugzeug- und Eisenbahnkatastrophen, als wolle es dem aussterbenden Gewerbe des Bänkelsangs Konkurrenz machen. Beides, die mit der Suggestivkraft des Mediums spielende sensationelle Richtung des Rundfunks wie allgemein die Sensationshysterie der 20er Jahre bildet den Hintergrund, vor dem Bischoffs nicht unironischer, etwas längerer Hörspiel-Ausschnitt "Sensationen-Katastrophen" zu hören ist.
Bischoff: Sensationen-Katastrophen
(DRA 60 U339. - Der Text entspricht mit Strichen der V. Sequenz des Manuskripts von "Hallo! Hier Welle Erdball!!" Hinzu kommt das die VI. Sequenz einleitende Hofmannsthal-Gedicht und ein offensichtlich für den Zweck der Aufnahme neugeschriebener Schluß, der das Plumpsack-Motiv noch einmal aufgreift. Ein Manuskript des Hörspiels ist in einem Sprecher-Exemplar im Zentral-Archiv des Süddeutschen Rundfunks unter der Nr.15 archiviert. - Die Textwiedergabe folgt dem Tondokument, ohne die einzelnen Stimmen auszuweisen. Auch Musik und musikalische Akzente werden nicht beschrieben.)
Hallo! Hier Welle Erdball! Wer dort?
Einen Augenblick nur, ich bitte ums Wort!
Zeit ist Geld, ich weiß es' Zeit ist Trumpf!
Aber wie gefiel Ihnen zum Beispiel der Tod von Charlie und Billie im Urwaldsumpf?
Nichts als ein Sensationstelegramm in riesiger Letter.
Abends sprechen die Leute wieder vom Wetter.
Wen rührt es, was zwischen den Zeiten kreist?
Tausende werden geboren, die morgen ein Sturm zerschmeißt.
Tausend sterben um Tausenden Raum zu geben.
Ist es so? - Ja! Aber so ist das Leben!
Hallo! Hier Welle Erdball! Wer dort?
Kein Geheimnis mehr zwischen Süd und Nord!
Was die Welle empfängt, die den Erdstern umschnürt,
Wir senden es aus, es wird vorgeführt.
Ein Ausschnitt nur, Momentaufnahme.
Aber es ist das Dasein, liebe Dame.
Es kennt keine Logik, es springt mit uns um.
Eins, zwei, drei, der Plumpsack geht rum!
Hallo! Hier Welle Erdball! Wer dort?
Wie gefiel Euch zum Beispiel der Schrei der Tausend beim Sport?
Brot und Spiele! Es wiederholt sich alles
Im wirbelnden Raum dieses Erdenballes.
Was wir heute sind, könnt Ihr morgen lesen,
Wir sind schon stets dabei gewesen.
Zwischen Atomtheorie und Weltgeschichte,
Wenn wir's besehen bei rechtem Lichte,
Im holden Licht dieses Erdenballes,
Tja, was bringen darüber die letzten Zeitungsberichte?
Wenn wir nicht wissen, die Zeitung weiß alles.
Das Morgenblatt!
   Das Mittagsblatt!
      Das Abendblatt!
         Die neueste Meldung!   Die allerneueste Meldung!
Was ist Wahrheit?
Die Zeit ist schwanger von Ungewißheit. Der Zweifel bohrt, seit mit Goethe die große Periode des Glaubens zu Ende ging. Auflösung. Umschichtung der Kontinentswertungen. Meyrink, Spengler, Keyserling. Das große, langsam die Weh durch glühende Licht Stefan Georges. Allenthalben psychotherapeutische Versuche. Daneben Blütezeit eines Okkultismus, der sich mit dem Terminus Parapsychologie ein Entreebillet für das Theater der Fachwissenschaften verschafft.
Von Schrenck-Notzing bis Konnersreuth.
Der Tag der Kursschwankungen! Der Tag der Kursschwankungen! Der Wochenschluß ist sehr still, die Börse bröckelt, Entwicklung des Außenhandels besorgniserregend. Passivität der Handelsbilanz um 77 Millionen. Schluß der Börse: Depression, Verstimmung, Schwarz ist (statt: in?, R.D.) Schwarz.
Der Tag der Sensationen! Der Tag der Sensationen!
Fred und Erna erringen die Meisterschaft im 66-Stunden-Tanzen. Fred Groggi läuft in sechzehn Monaten, zwei Tagen, drei Stunden, einundzwanzig Minuten, siebzehneinhalb Sekunden um die Welt.
Die berühmte Koloratursängerin Maria Polodi erschießt in der Theatergarderobe ihren Gatten und vergiftet sich mit Lippenschminke.
Sensationen! Sensationen!
Die Welt besteht aus nichts, nur aus Sensationen!
Der Tag der Katastrophen! Der Tag der Katastrophen! Riesiges Erdbeben in Japan! Zwanzigtausend Menschen obdachlos! Ein Blizzard verwüstet die blühende Stadt Georgia in New Mexiko! Bei den Bob-Meisterschaften in St. Moritz zerknacken bei einem Unglücksfall eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, zehn Köpfe.
Katastrophen! Die Welt besteht aus Katastrophen!
Die Welt besteht aus nichts, nur aus Katastrophen!
Heute ein Tag der Lebensfrohen! Heute ein Tag der Lebensfrohen! Schließt Euch der Wochenendbewegung an! Wandert mit freier Brust!
Der Kinderzug nach Schweden hat heute Berlin verlassen. Tausend Kinder genießen ein Jahr Gastfreundschaft in den Wäldern Dalekarliens. Unter Absingung von Wanderliedern verließ der Zug die Halle. Mütter weinten, Mütter jubelten. Glücklich werden sie sich wiedersehen!
Heut' ein Tag der Lebensmüden! Heut' ein Tag der Lebensmüden! Heute morgen wurden auf dem Bahndamm die Leichen des neunzehnjährigen Wilhelm H. und der zwanzigjährigen Frau Elisabeth G. gefunden. Sie hatte ihn nicht heiraten wollen, weil er zu jung war. Also erschoß H. erst sie, dann sich.
Aus unbekannten Gründen sprang um ein Uhr nachts von einer Brücke der sechsunddreißigjährige Obersteuersekretär P. in den Kanal und ertrank. Seine Personalien wurden aus dem Tascheninhalt seines Mantels festgestellt, den er am Ufer zurückließ.
Und die Verzweiflungstat einer Mutter? Was ist damit? Mit ihrer dreizehn Jahre alten Stieftochter und ihrem sieben Jahre alten Sohn Heinz ist die dreißig Jahre alte Frau Olga D. dadurch in den Tod gegangen, daß sie ihre Kinder und sich in ihrer Wohnung mit Gas vergiftete. Der kleine Heinz, dessen Bett vollkommen zerwühlt war, lag dicht an der Tür auf dem Fußboden. Offenbar hatte das Kind versucht, dem giftigen Gas zu entfliehen. Die Leichen wurden beschlagnahmt, dem Schauhaus zugeführt, der Ehemann benachrichtigt.
Ein Ausschnitt nur, Momentaufnahme,
Aber so ist das Leben, liebe Dame.
Es kennt keine Logik, es springt mit uns um,
Eins, zwei, drei, der Plumpsack geht rum!
Die Meisterschaften von Europa!
Die fünfte Nacht des Sechstagerennens!
Für den Film entdeckt! Für die Weh verloren!
Wie man den Reichstag aufbauen will!
Schlagzeilen, wie Feuerblitze, gewitternd über der Welt!
Die Stimme der Zeit ruft dich an!
Was Du liest, bist Du. Also was liest Du, Mädchen, Frau, Mann?
Ich bin bei der 332. Fortsetzung des Romans. Der Roman ist schön. Hört alle zu!
Die vornehme, mit allem Komfort der Neuzeit ausgestattete schloßartige Villa des Kommerzienrates Rönau im kleinen Städtchen B. ruht im ersten Morgenlicht. Wer ist schon auf? Wer huscht durch Zier- und Nutzgarten, hier eine duftende Blume brechend, dort die so schädlichen Kohlweißlinge vertreibend? Wer ist es?
Es ist, der Hörer wird es schon erraten haben, Marieluise, des Kommerzienrates einzige Tochter.
Da öffnet sich oben ein Fenster und die schlanke, doch königliche, in ein enganliegendes, dunkelbraunes Samtkleid mit gleichfarbigem Plastron gehüllte Gestalt der Kommerzienrätin erscheint. Marieluise, ruft ihr ebenmäßiges Gesicht. Du ergehst Dich im Garten? Ja, Mütterchen, antwortete Marieluise und flatterte näher, denn meine Devise lautet: Morgenstunde hat Gold im Munde. Da hast Du wahrlich recht mein Kind. Heute jedoch erhalten wir Besuch. Kurt von Hastro, der, wie Du weißt, Dein Jugendgespiele war, kommt zu uns! Wozu wohl? - Auf also! Du darfst heute Dein weißes, mit echten Spitzen besetztes Konfirmationskleid anziehen! Oh Goldmuttchen, wie danke ich Dir hierfür, jubelte Marieluise, indem sie die mit einem vornehmen Teppich belegte Treppe emporflog, um der Kommerzienrätin an den Hals zu fallen.
Fortsetzung folgt.
Hör' auf mit Deinem Roman. Schon beim Morgenkaffee verstimmen mich die Börsenberichte. Was, wie, Laura-Aktien gefallen? Nicht mal die Geschichte im Feuilleton ist gut. Sag mal, kennst Du schon den neuesten Witz? Kennst Du ihn noch nicht? Kennst Du ihn noch nicht? Da muß ich ihn doch gleich erzählen. Also hör' zu! Da geht neulich ein Mann auf der Straße und trifft seinen Freund und da sagt er...
Sei ruhig Mann, behalt' ihn für Dich.
Die Literatur ist für mich.
Elisabeth Bergner hat gestern das Gretchen mit Komplexen gespielt. Weißt Du es schon?
Erna Ernala, der Filmstar hat sich vorgestern Mutter gefühlt. Weißt Du es schon?
Wissen Sie schon, daß der große Dichter nicht mehr schreibt? Nein, wie interessant!
Wissen Sie schon, daß der Illustriertenroman mich zum Äußersten treibt?
Wie äußert sich das, Frau Mayer? Bin sehr gespannt.
Wer ist Kaufmann, Handwerker oder Arbeiter mit Schaufel und Beil?
Wo stehst Du im Inseratenteil?
Wer kauft ein Fahrrad? Tauscht einen Herrenmantel um?
Wer verschafft Wohnungen dem P.T. Publikum?
Hört zu! Hört zu! Hört alle zu!
Es geht Euch an! Es geht Euch alle an!
Unser zweiter Junge Helmut ist angekommen! Die glücklichen Eltern.
Jede Dame bevorzugt zur Körperpflege "Aurora! Bleib jung und schön!"
Wer nimmt gesunden Säugling, blond, guter Abkunft, an Elternstatt an? Näheres unter 222 B in der Geschäftsstelle dieser Zeitung.
Welcher junge Wanderfreund findet ebenso jugendliche Wanderfreundin mit herzinnigem Gemüt, vollschlank, Brünette, zur Wanderung in die Ehe. Nur ernstgemeinte Zuschriften unter 711 an die Geschäftsstelle dieser Zeitung.
Ein Aquarium mit Goldfischen gegen einen Rundfunkapparat zu tauschen gesucht. Näheres Zimmerstraße 180, drei Treppen.
Das seid Ihr, Menschen, Menschen!
Menschen, die die Welle umfängt,
die den Erdball bedrängt.
Tausend Stimmen, Millionen Rufe in schwarze Lettern gereiht.
Wer lesen kann, hört und weiß Bescheid.
Wir suchen ein wenig Glück!
Glück?
Wir wollen... wir wollen... wir wollen... wir wollen...
Manche freilich müssen drunten sterben,
Wo die schweren Ruder der Schiffe streifen,
Andre wohnen bei dem Steuer droben,
Kennen Vogelflug und die Länder der Sterne .
Viele Geschicke weben neben dem meinen
Durcheinander spielt sie alle das Dasein.
Aufhör'n! Aufhör'n! Wir verstehen uns nicht!
Wir wollen das Leben, Sie das Gedicht.
Wir verzichten auf Lyrik, süchtig, zärtlich und schmal.
Wir wollen, jawohl, wir wollen die Wahrheit, nackt und kahl!
Da ist sie!
   Wo?
      Hier!
Hilfe!
   Hunger, Hunger, Hunger!
      Erbarmen!
Im Namen des Gesetzes: Zum Tode verurteilt!
Umschalten! Umschalten!
Das Leben in tausend Gestalten,
Die Wahrheit in tausend Systeme gespalten!
Was sollen wir tun?
   Umschalten!
Schaltet Euch um, dann seid Ihr im Spiel.
Eins, zwei, drei, der Plumpsack geht rum.
Wenn auch unvollständig und unvollkommen, läßt dieses erhaltene Tondokument ahnen, warum man damals den Hörspielversuch Bischoffs "Hallo! Hier Welle Erdball!!" so hoch einschätzte. Als "wertvollen Markstein auf dem Wege zur Erlangung neuer Hörspiele" hebt ihn F.W. Odendahl in seinem Rückblick auf das Rundfunkjahr 1928 hervor. Und 1931 sprach auch Hans Siebert von Heister, der für die erste Sendung zunächst kritisiert hatte,
- daß "die Breslauer Mittel für dieses lebendige, mit allen akustischen Effekten ausgestattete Spiel" nicht ausreichten,
- daß "Bestes neben völlig Unzulänglichem" stünde, -
- daß "der Sprecher schlecht" sei, "die Geräusche unklar differenziert" wären, "die riesige, akustisch sehr mangelhaft regulierte Halle des großen Funkhauses einen Teil der Illusionen" vernichtet habe)" -
1930 sprach auch er anläßlich einer Neuproduktion dieses Hörspiels von einem "bahnbrechenden Werk, das Bischoff schon vor drei Jahren geschaffen" habe. Und sein Vergleich der Berliner mit der Breslauer Hörspielarbeit fällt für erstere nicht gerade schmeichelhaft aus:
"Heute noch steht Berlin weit hinter dem zurück, was Breslau schon vor drei Jahren erreichte." (zit. Funke, 44)
Mit "Erreichtem" ist hier natürlich nicht literarische Qualität gemeint. Sie ist - auch wenn dies mancher Apologetiker des literarischen als des eigentlichen Hörspiels nicht wahr haben will - bei der Entwicklung einer technischen Kunstform eine zunächst sekundäre Frage. Das in Breslau "Erreichte" waren vor allem die Versuche, die einzelnen Sequenzen akustisch und funkgemäß miteinander zu verbinden. Zwei dieser versuchten Möglichkeiten läßt auch unser Tonzitat hören. Da ist einmal die Möglichkeit der Überleitung durch den Vers.

In einer kleinen "Dramaturgie des Hörspiels" führt Bischoff dazu aus:

"Das akustische Spiel benötigt stärkere Spannungen als das wohlbemessene Gleichmaß des erst einmal seiner eigenen ästhetischen Funktion gehorchenden Verses. Der Vers, motivisch verwandt, eingesetzt als An- und Abkündigung, Aufruf und Hinweis, ist als besondere Betonung zwischen szenischen Abschnitten durchaus möglich. In meinem Hörspielversuch 'Hallo Hier Welle Erdball!!' verwandte ich ihn dergestalt. Er schuf mir die notwendige Überleitung zu den einzelnen gegeneinanderstehenden Handlungsfolgen." (zit. Rundfunkjb 1929, S. 202)
Die zweite, wesentlich wichtigere und folgenreiche technische Möglichkeit der Überleitung, die in Breslau gefunden und entwickelt wurde, war jedoch die Blende, die man zunächst mit Hilfe eines vom Toningenieur der "Schlesischen Funkstunde", Gaste, gebauten einfachen Schaltbrett bewerkstelligte. Als "eigentümliche" Verbindung der "akustischen Dramaturgie mit der Technik der elektrischen Fernvermittlung" beschreibt Bischoff kurze Zeit später diese Erfindung.
"Der Beamte am Verstärker übernimmt dabei eine ähnliche Funktion wie der Filmoperateur. Er blendet wie wir es in Ermanglung einer ausgesprochen funkischen Terminologie nennen, über, d.h. er läßt durch langsame Umdrehung des Kondensators am Verstärker das Hörbild, die beendete Handlungsfolge verhallen, um durch ebenso stetiges Wiederaufdrehen dem nächsten akustischen Handlungsabschnitt mählich sich steigernde Form und Gestalt zu verleihen. Durch Parallelschaltung im Spiel über zwei Senderäume ist es möglich, Szenen akustisch ineinander tauchen zu lassen. Wiederum berühren sich hier Hörbild und Film in ihrem dramaturgischen Aufbau. Vor allem aber wird ersichtlich, daß akustische Dramaturgie ohne technische Dramaturgie nicht zu denken ist." (zit. Rundfunkjb 1929, S. 202 f.)
In welchem Umfang Bischoff und Gaste in "Hallo! Hier Welle Erdball!!" die Möglichkeiten der Blende bereits nutzten, kann man einer Kritik der Programmzeitschrift "Funk" entnehmen. Nimmt man das erhaltene Funkmanuskript hinzu, wird deutlich, daß Bischoff und Gaste mit Hilfe "eines einfachen Regelgliedes" nicht nur "Szenen aus- und ein"blendeten, sondern die Blende auch zur Steigerung, zur Gliederung nutzten, "mit Hilfe von Schallplatten komplizierte Überschneidungen" herstellten. Was in diesem Hörspiel aus- und eingeblendet, gesteigert, gegliedert und zugleich gebunden werden sollte, waren 9 Sequenzen, die z.B. in einer Setzerei, auf einem Ozeandampfer, im Urwald, im Wembley-Stadion, in einem Verbrecherkeller, in Kioto/Japan, in einem Tanzlokal spielen. Eingeblendet sind Gedichte, Schallplatten, ein Stück parodierter Trivialroman. Aber Bischoff wollte damit augenscheinlich mehr als die Montage heterogenster Materialien. Der Titel bereits, "Hallo! Hier Welle Erdball!!", verweist auf Funkstation, auf Radio. Die zur Überleitung eingesetzten Gedichte mit ihrer wiederholten Hinwendung zum Zuhörer sagen es noch deutlicher.
"Es geht nicht um Himmel, Hölle und Ewigkeit,
Aber Euch, die Ihr hört, geht es an",
heißt es zum Beispiel im einleitenden Gedicht. Und weiter:
"Empfangen Sie bitte das Ganze wie einen Zeitungsbericht.
wählen Sie aus, was Ihnen am besten gefällt.
Der Erdball meldet sich! Symphonie der Welt!" (Mskt, 2)
Und die V. Sequenz einleitend heißt es dann, wie wir bereits hörten:
"Hallo! Hier Welle Erdball! Wer dort?
Kein Geheimnis mehr zwischen Süd und Nord,
Was die Welle empfängt, die den Erdstern umschnürt,
Wir senden es aus, es wird vorgeführt." (Mskt, 18)
Es geht also einmal um die spielerische Demonstration der Tatsache, daß der Rundfunk in kürzester Zeit von den verschiedensten Schauplätzen der Welt berichten kann, in der Lage ist, jedwedes wichtiges und unwichtiges Ereignis dem Hörer gleichsam frei Wohnzimmer zu liefern. Aber Bischoffs Hörspielversuch begnügt sich nicht mit der spielerischen Präsentation des "Rundfunks als aktuellen Berichterstatters" (Odendahl), des Nachrichtenmittels Rundfunk. Indem er in der V. Sequenz aus Neumanns Romanparodie "Irrwischchens Brautfahrt" lesen läßt, indem Werner Milch in der VI. Sequenz in einem "Literaturgespräch" eine sozialkritische Ballade Richard Dehmels gegen ein Gedicht Hofmannsthals ausspielt, indem Bischoff dem "Zaubertheater" "Sylvesters und Medardus" Szenen entnimmt und für eine funkische Realisation adaptiert, führt er auch in spielerischer Form den Rundfunk als Kulturvermittler, kulturelles Rundfunkprogramm vor mit seinen Formen der Lesung, des Zwiegesprächs, der funkischen Adaption von Erzählprosa und Theaterstück. Vor allem die von dem Germanisten und Mitarbeiter der Schlesischen Funkstunde, Werner Milch, geschriebene VI. Sequenz - Milch ist also nicht Mitarbeiter am ganzen Hörspiel - demonstriert recht gut eine Möglichkeit von Literaturvermittlung durch den Rundfunk.

Nimmt man die zahlreichen musikalischen Einspielungen und Einlagen hinzu, die von klassischer über japanische Musik, über Jazz und Tanzmusik bis zum "eintönigen Singsang einer Negerkolonne" reicht, ist auch das Musikprogramm des Rundfunks in diesem Hörspiel so ausreichend vertreten, daß wir die These wagen möchten: in Grunde genommen ist Bischoffs Hörspielversuch die gelungene spielerische Präsentation von Rundfunk, eines Rundfunkprogramms, das sich zusammensetzt aus den Programmbestandteilen Nachricht, Musik und Kultur, wobei weder seine "sensationelle Richtung" (Flesch) noch seine Unterhaltungsaufgabe geleugnet werden.

Wenn man Bischoff zustimmen will, daß mit der experimentellen Erprobung der Blende "die ersten Formen des wirklichen Hörspiels jenseits fader Geräuschkulissen, wie sie zunächst üblich waren" (zit. Funke, 44) entstanden, muß man den Hörspielversuch "Hallo! Hier Welle Erdball!!" geschichtlich als den ersten ernstzunehmenden Hörspielbeitrag einschätzen. Daß seine Bedeutung so sehr in Vergessenheit geraten konnte, liegt sicherlich einmal daran, daß bei den ersten Versuchen hörspielgeschichtlicher Bestandaufnahme das Vorurteil vom literarischen als dem eigentlichen Hörspiel den Blick verstellte. Der zweite Grund ist die bisherige Unzulänglichkeit wichtiger Materialien. Und hier sind in der Tat für die Zukunft noch einige Funde nötig, will man die Breslauer Hörspielarbeit ihrer hörspielgeschichtlichen Bedeutung entsprechend gebührend dokumentieren. Sie aufzuarbeiten ist eine noch zu leistende Arbeit. Daß sie sich vor der besser bekannten Berliner Hörspielarbeit nicht zu verstecken braucht, signalisierte ja schon Heisters Feststellung der Berliner Rückständigkeit gegenüber Breslau. Aber auch ein direkter Vergleich laßt hier Schlüsse zu.

Bischoffs Hörspielversuch vergleichbar sind Alfred Brauns etwa gleichzeitige Experimente in Berlin mit sogenannten akustischen Filmen.

"Akustischer Film, - so nannten wir in Berlin in einer Zeit, in der ein Funkregisseur nicht nur das Regiebuch zu besorgen hatte, sondern sich auch seine Manuskripte mehr schlecht als recht schreiben mußte - ein Funkspiel, das in schnellster Folge traummäßig bunt und schnell vorübergleitender und springender Bilder, in Verkürzungen, in Überschneidungen - im Tempo - im Wechsel von Großaufnahmen und Gesamtbild mit Aufblendungen, Abblendungen, Überblendungen bewußt die Technik des Films auf den Funk übertrug. Jedes der kurzen Bilder stand auf einer besonderen akustischen Fläche, in einer besonderen akustischen Dekoration, zwischen besonderen akustischen Kulissen, wie man damals so gern sagte:
1 Minute Straße mit der ganzen lauten Musik des Leipziger Platzes, 1 Minute Demonstrationszug, 1 Minute Börse am schwarzen Tag, 1 Minute Maschinensymphonie, 1 Minute Sportplatz, 1 Minute Bahnhofshalle, 1 Minute Zug in Fahrt usw.
Das Decrescendo, das Abblenden oder - um ins Akustische zu übersetzen - das Abdämpfen, das Abklingen einer Szene leitet über in das Aufklingen, das Crescendo der nächsten Szene." (zit. Bredow, 150)
Wir müssen, da sich keiner dieser akustischen Filme als Tondokument erhalten hat, uns auf Brauns Beschreibung verlassen, können dies auch mit einiger Sicherheit, da sie aus dem Jahre 1929 stammt. Danach hätten diese Berliner Versuche mit dem akustischen Film zunächst einmal eine verblüffende Ähnlichkeit mit Bischoffs "Hörsymphonie", wenn auch die Technik der Blende wesentlich simpler gehandhabt wurde. Denn wo der Toningenieur der Schlesischen Funkstunde sein Potentiometer bediente, stand den Berlinern zunächst nur eine Art Kaffeehaube zur Verfügung, mit der man das Mikrophon abdecken, bzw. öffnen konnte. Aber die Unterschiede gehen weiter.

Um die unterschiedlichen akustischen Spielplätze miteinander zu verbinden, erfand man sich eine einfache Handlung.

"Eine einfache, typisch primitive Kintopp-Handlung mit Verfolgungen, mit Irrungen, Wirrungen und all den unbegrenzten Möglichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten, die wir aus den ersten Filmen her kennen, ging durch das Spiel. Warum nicht, - uns handelte es sich ja nur um die Form; füllen sollten und sollen sie andere, nämlich die Herren von der Dichterakademie und ihre Herren Kollegen." (Bredow, 150)
Brauns Entschuldigung, es sei "ja nur um die Form" gegangen, und die verbindende Kolportagehandlung vor allem machen den Abstand dieser Berliner Versuche von der Breslauer "Hörsymphonie" aus. Denn dort glaubte Bischoff erstens bei richtigem Einsatz der technischen funkischen Mittel auf eine verbindende Handlung verzichten zu dürfen. Zweitens sind ihm Sujet und technische Mittel nicht lediglich Form, Mittel zum Zweck. Man ist im Gegenteil in Breslau davon überzeugt, daß die Lösunq des technischen Problems zugleich eine erste Lösung des ästhetischen Problems ist. daß das Hörspiel kein Gebilde ist, das es erst formal zu entwickeln galt, um es dann von den Dichtern füllen zu lassen. Sondern daß die Technik gleichsam das Instrumentarium darstellt, mit dem, aus dem heraus der Hörspielautor nun komponieren soll.

Wenn Paul Pörtner im Hörspielprogrammheft des Westdeutschen Rundfunks 1969, also rund 30 Jahre später, auf die Frage "Hörspiele schreiben oder produzieren?" die Entstehung seines Hörspiels "Treffpunkte" rekonstruiert, steht er unbewußt auch in einer Tradition von Bischoffs "Hallo! Hier Welle Erdball!!". Desgleichen, wenn er an anderer Stelle notiert, daß er den Schreibtisch des Autors mit dem Platz am Mischpult vertausche. Und Pörtner ist nur ein Autor von vielen, die hier aus dem Umkreis eines Neuen Hörspiels zu nennen wären.

Mit dem bisher Gesagten ist die hörspielgeschichtliche Bedeutung von Bischoffs Hörspielversuch allerdings erst halb skizziert, denn noch in einem zweiten, historisch wichtigen Moment begegnet der Interessierte diesem Hörspiel, wiederum übrigens im Zusammenhang der Frage nach einer geeigneten Aufzeichnungsmöglichkeit.

In der Diskussion "um die Vorteile der Tonaufnahme und mechanischen Wiedergabe von Hörspielen", die - soweit sich heute übersehen läßt - zum ersten Mal im Juni 1928 auf der Wiesbadener Programmausschutzsitzung ernsthaft entbrannte, traten - wie auch eine Erinnerung Hans Bredows belegt - unter den "jungen Avantgardisten" vor allem "der Breslauer Friedrich Bischoff und der Frankfurter Hans Flesch leidenschaftlich" für Tonaufnahmen ein. Wobei es gewiß kein Zufall ist, daß bei beiden die technische Perspektive für jegliche Rundfunkkunst auf musikalischem und sprachlichem Gebiet besondere Aufmerksamkeit findet. Bischoffs Diktum von 1929 -

"vor allem aber wird ersichtlich, daß akustische Dramaturgie ohne technische Dramaturgie nicht zu denken ist"
erfährt ein Jahr später auf der Rundfunktagung in Wien seine Fortschreibung durch Hans Flesch, wenn er für die produzierende Seite der Rundfunkarbeit glaubt,
"daß dieser bildende und künstlerische Teil des Rundfunks, soweit er sich im Senderaum abspielt, sich noch mehr als bisher der Technik anpassen und zu seiner höchsten Vollkommenheit sich aller technischen Mittel bedienen sollte." (zit. Bredow, 124)
Vor allem Flesch wird seit 1928 zum energischen Verfechter der Hörspielaufnahme. In seinem Wiesbadener Referat, das vielleicht nicht zufällig erst drei Jahre später veröffentlicht wird, glaubt auch er zunächst, die Frage nach der Existenz eines Hörspiels verneinen zu müssen, denn dieses müsse "aus dem Mikrophon heraus" komponiert werden. Es ginge nicht an, "Vorgänge hinter dem Mikrophon zu schaffen, die dann einfach übertragen werden." "Die Schwierigkeit des Zustandekommens seines wahren Hörspiels", "ein wichtiges Hindernis" liege darin, "daß man zum Kunstwerk des technischen Instruments 'Rundfunk' nicht auf einem technischen Weg zu gelangen" suche. Flesch ist 1928 überzeugt:
"Will (der Regisseur, R.D.) aus dem Mikrophon schaffen, so führt ein Weg dazu, seinerseits zwischen Künstler und Maschine (das Mikrophon) ein Medium einzuschalten, das die seelische Äußerung, die Produktion des Künstlers der Maschine erst adäquat macht. Wir glauben, daß dieses Medium der Tonfilm ist."
Dieser Tonfilm schlösse nämlich "alle Eventualitäten, alle Störungen, alle Improvisationen" der Live-Sendungen aus. Er böte "absolute Präzision", die das Publikum ja auch vom Rundfunk fordere.
"Nur der Tonfilm ist in der Lage, diesem Wunsche nachzukommen und den Willen des Regisseurs bis ins Letzte auszuführen. Bei einem auf Tonfilm aufgenommenen Hörspiel kann nach Abhören durch Schneiden, Überblenden, Ansetzen usw. ein Gebilde geschaffen werden, das der Regisseur als vollständig gelungen betrachtet und nunmehr abends dem Hörer darbietet. Ich glaube, daß der Hörspielregisseur und der Hörspieler diesen Weg werden gehen müssen. Wie der Kinofilm, so wird auch der Hörfilm ateliermäßig gedreht werden müssen." (zit. Rundfunkjb 1931, 36)
Es scheint so zu sein, daß erst nachdem Flesch 1929 Intendant der Berliner Funk-Stunde geworden war, der Weg für Aufnahmeexperimente dieser Art frei wurde. Jedenfalls bekamen Bischoff und der Filmemacher Ruttmann den Auftrag, Hörspiele auf Tonfilmstreifen aufzuzeichnen. Und wieder wählte Bischoff sein vielfach erprobtes "Hallo! Hier Welle Erdball!!"

Aufgenommen wurden Bischoffs Hörspiel ebenso wie Ruttmanns "Weekend" im sogenannten Tri-Ergon-Verfahren, also auf Tonfilmstreifen, die alles das garantierten, was Flesch 1928 für ein präzis gearbeitetes Hörspiel verlangt hatte. Die Bedingungen der Aufnahme müssen allerdings - Studios im heutigen Sinne gab es ja nicht - recht abenteuerlich gewesen sein. Auch fand die 'Premiere' nicht über den Sender, sondern im kleineren Kreise vor skeptischem Publikum statt, wie wir Bredows Erinnerungen an diese Sternstunde des Hörspiels entnehmen können.

"Bischoff hatte (...) in einem primitiven Atelier in Berlin-Tempelhof sein Hörspiel für dies Verfahren neu gestaltet. Danach hatte die Reichsrundfunkgesellschaft die Spitzen der Behörden, der Wissenschaft, Kunst und Technik zu einer Vortragsreihe eingeladen, und bei dieser Gelegenheit war darauf hingewiesen worden, daß die Entwicklung immer mehr dahin dränge, ein Aufzeichnungs- und Wiedergabeverfahren für den Rundfunk zu entwickeln.
Die bei dieser Gelegenheit erfolgende Vorführung des Hörspiels 'Hallo! Hier Welle Erdball!!' war ein Wagnis (...). Nach der Vorführung gab es eine scharfe, lebendige Aussprache von einem so hohen Niveau, wie ich es selten erlebt habe. Die Diskussion bewegte sich sehr schnell von dem technischen Verfahren, um das wir uns bemühten, fort, und man erörterte an Hand der vorgeführten Beispiele die ästhetischen Probleme des Hörspiels (...). Ich erinnere mich, daß der bekannte Theaterkritiker Alfred Kerr dem jungen Friedrich Bischoff zu Hilfe kam, als andere bedeutende Literaturkritiker und Publizisten sein Hörspiel in Grund und Boden zu zerreißen versuchten und die Tendenz des kleinen Werkes als 'kulturbolschewistisch' hinstellten (...). Aber als ich am nächsten Morgen die großen Berliner Zeitungen durchblätterte (...), da durfte ich doch voller Befriedigung feststellen, daß Friedrich Bischoff für den jungen Rundfunk eine Schlacht gewonnen hatte."
Daß Bischoff für dieses Aufzeichnungsexperiment seinen Jahre zurückliegenden Hörspielversuch wieder aufnahm, ist bei seiner Experimentierfreude verwunderlich und gibt Anlaß, nach dem Grund zu fragen. Und - da bisher keine Hinweise durch Bischoff bekannt sind - zu der doppelten Vermutung: Bischoff ist von der rundfunkgeschichtlichen Bedeutung seiner "Hörsymphonie" so überzeugt, daß er sie jetzt auch als Vorlage für ein verbessertes Aufzeichnungsverfahren wählt. Oder: Bischofts Intentionen wurden in der Schallplattenaufzeichnung, bei der Viktor Heinz Fuchs die Regie geführt hatte, nicht schlackenlos umgesetzt, dachten gleichsam ihrer ursprünglichen Anfnahmemöglichkeit technisch voraus. Was rundfunkgeschichtlich kein Novum wäre, ist doch z.B. die stereophone Praxis seit den 60er Jahren bereits 1929 von Hans Bodenstedt theoretisch gefordert worden.

Für die letztere These, daß Bischoffs Intentionen den Aufnahmemöglichkeiten technisch vorausdachten, spräche eine Kritik in der Programzeitschrift "Der deutsche Rundfunk (1930, H 21), die der Neuinszenierung bescheinigte, sie erziele "eine rhythmische Exaktheit und eine Freiheit in der Wahl der Klangmittel", wie sie "von keiner unmittelbaren Sendung" erreicht würden; für die letztere These spricht aber vor allem, daß der der Schallplattenproduktion gegenüber äußerst skeptische von Heister sich im Anschluß an die Probeaufführung der Tonstreifenaufnahme jetzt positiv äußert. Umso bedauerlicher ist es, daß diese Neuinszenierung Bischoffs, soweit sich heute übersehen läßt, als verloren gelten muß, ein Vergleich also vorläufig ausgeschlossen ist. Probeaufführung und Premiere in geschlossener Gesellschaft fanden am 15. 5. 1930 im Funkhaus statt, die "erste Sendung von Hörspielen auf Tonfilmstreifen" am 13. 6. 1930 durch die Funk-Stunde Berlin, wobei auf Bischoffs "Hallo! Hier Welle Erdball" (sic) Ruttmanns "Weekend" folgte.

Ruttmann: Weekend
(Bisher noch nicht im DRA archiviert. Erstsendung nach Wiederauffinden des Filmstreifens am 28.4.1978 in BR II, in einer Co-Produktion mit dem NDR. Ein Transskript dieser fast ausschließlichen Musik-, Geräusch- und Wortcollage ist (vgl. Rundfunk und Fernsehen, Jg. 26, 1978, H. 2, S.245, Anm.) kaum möglich, soll aber für die Zukunft versucht werden.)
Es ist aus dem historischen Abstand und auf Grund der Erfahrungen, die vor allen im Umkreis eines Neuen Hörspiels gemacht wurden, aufregend zu hören, wie souverän Ruttmann schon damals mit der Blende, vor allem aber mit dem harten Schnitt verfährt. Die Detailanalyse würde sogar zeigen, daß hier mancher Hörspielautor und -regisseur noch etwas lernen könnten. und es wäre ein durchaus reizvolles Gedankenspiel, sich auszudenken, welche Entwicklung das Hörspiel hätte nehmen können, hätte sich diese Aufzeichnungstechnik mit ihren kompositorischen Möglichkeiten durchgesetzt, Möglichkeiten, die fast eine Generation in Vergessenheit gerieten, um dann neu entdeckt und entwickelt zu werden. Wobei sich die Polemiken, die sich alsbald gegen dieses alte Neue Hörspiel richteten, vom Vorwurf eines "Kulturbolschewismus" 1930 nur graduell unterschieden.

Nun hat diese Aufzeichnungstechnik sich - auch aus Kostengründen - nicht durchsetzen können und für den Historiker sind Gedankenspiele dieser Art wenig fruchtbar. Er wird dagegen festhalten müssen, daß mit diesem Experiment der Hörspielaufzeichnung ein engagierter und experimentierfreudiger Hörspielmacher und ein engagierter und experimentierfreudiger Filmemacher beauftragt waren, daß sich damals also zwei verschiedene Medien kurzfristig in einem gemeinsamen Mittel begegneten. Es ist kaum Spekulation, daß die verschiedene Herkunft der Produzenten den beiden Produktionen abzuhören war. Auf jeden Fall zeigt "Weekend" deutlich die Handschrift des Filmemachers, die Erfahrung, die dieser mit Schnitt und Montage bereits hatte. Um welche Erfahrungen auch inhaltlicher Art es sich in diesem Falle handelte, macht ein Vergleich mit Ruttmanns Film "Berlin, die Symphonie einer Großstadt" deutlich. Dieser, unter Einfluß der russischen dokumentarischen Montagefilme entstandene abendfüllende Streifen, versucht eine spezielle Form des Erzählens durch Bilder, durch Bildassoziationen zu einem Thema. Zu dieser Bildcollage muß ein "komponierter Ton aus einer Montage von Musik, Geräuschen und Sprachfetzen" bestanden haben, wie wir Birgit Heins Untersuchung "Film im Untergrund" entnehmen können. Und noch ein zweiter Hinweis ist vielleicht im Vorfeld von "Weekend" von Interesse, daß nämlich

"um eine Synchronität von Bild und Ton zu erreichen, der Komponist Blum ein System erfunden (hatte), bei dem die Partitur auf ein Rollband übertragen wurde, das in der gleichen Zeit wie der Film vor dem Dirigentenpult lief." (Hein, 39}
Es ist bestimmt kein Zufall, daß wir es wesentlich der Filmliteratur verdanken, wenn Ruttmanns diesem Film nun folgende Tonmontage "Weekend" nicht völlig in Vergessenheit geriet. So Ado(nis) Kyrou, der sich 1953 zu erinnern glaubte, daß beim Hören dieser Tonmontage "die vollkommene Illusion, einen Film zu sehen" entstanden sei. (Hein, 39). Oder Hans Richter, der in "Köpfe und Hinterköpfe" 1967 eine detaillierte Inhaltsangabe des Ruttmann-Hörspiels gab, mit deren Zitat wir uns l970 bei unserem ersten typologischen Hinweis auf die hörspielgeschichtliche Bedeutung dieses Experiments noch begnügen mußten.

Einen längst überfälligen Vergleich zwischen Ruttmanns Filmcollage "Berlin, die Symphonie einer Großstadt" und Tonmontage "Weekend" können wir im Zusammenhang dieser Sendung nicht leisten. Doch möchten wir wenigstens auf noch einen interessanten Punkt hinweisen. Bei gleicher Thematik ist der Film ungleich länqer als das Hörspiel. Hier zeigen sich Medienspezifika, auf die der Historiker auch achten sollte, wenn er z.B. einen poetologischen Hinweis Döblins richtig verstehen will, der auf der Kasseler Arbeitstagung "Dichtung und Rundfunk" für das Hörspiel vermutete:

"Diese Gattung hat den Merkmalen des Radios - Hörbarkeit, Kürze, Prägnanz, Einfachheit - Rechnung zu tragen."
Und noch von einem weiteren Versuch ist hier wenigstens zu berichten, von einem "Radioszenarium" "Mobilisation" Vitezslav Nezvals, das ebenfalls als verschollen gelten muß, über das wir bisher auch nichts weiter ermitteln konnten. Dieses "Radioszenarium" dient - und von hieraus läßt sich auf seine Bedeutung schließen - Karel Teige 1928 in seinem "Manifest des Poetismus" als exemplarischer Beleg für das, was in diesem Manifest "Radiogenie", "radiogene Poesie", bzw. "Radiopoesie" genannt wird. Zu dieser (künftigen) "Radiopoesie" proklamiert Teige, der ebenso wie die hellhörigen Theoretiker des Weimarer Rundfunks deutlich zwischen einem reproduktiven und einem produktiven Rundfunk unterscheidet, zu dieser "Radiopoesie" proklamiert Teige:
"Der heutige Rundfunk ist allerdings in dem Stadium, in dem bis unlängst der Film war: er ist reproduktiv, dolmetschend. Aber uns geht es darum, uns der "Radiotelephonie" als eines produktiven Elements zu bemächtigen. Wie man mit dem Film Gedichte realisieren kann, die aus Licht und Bewegungsgeschehen komponiert sind, so schafft man eine "radiogene Poesie" als neue Kunst von Tönen und Geräuschen, die gleichermaßen von der Literatur, Rezitation entfernt ist wie von der Musik. Hier vollkommener und rationeller das zu realisieren, was Russolo mit seinen 'Lärmern' anstrebte. Der Poetismus erfindet eine neue radiogene Poesie, ähnlich der photogenen Bildpoesie, deren Auditorium der Weltraum und deren Publikum die internationalen Massen sind. Die Radiopoesie, auditiv, raumfrei, hat breite und lebendige Möglichkeiten. Die bisher realisierten radiophonischen Dramen sind auditives Theater ungefähr so, wie viele Filme optisch verdolmetschtes Theater sind. So wie die reine Kinographie und photogene Poesie, so müssen auch die radiophonischen und radiogenen Gedichte nur mit elementaren Mitteln arbeiten (dort mit Licht und Bewegung, hier mit Ton und Lärm) und sich von der literarischen und theatralischen Eigenschaft loslösen. Die radiogene Poesie als Komposition von Klang und Geräusch, in der Wirklichkeit aufgezeichnet, aber zu einer dichterischen Synthese verwoben, hat nichts gemeinsam mit der Musik oder der Rezitation oder mit der Literatur oder auch mit der Verlainschen Wortklangmalerei. Es ist ebenfalls eine Poesie ohne Worte und keine literarische Kunst. Zur Musik steht sie dann im selben Verhältnis wie der Film zur Malerei. Das erste Radioszenarium "Mobilisation", das Nezval komponiert hat, zeigt konkret die Möglichkeiten einer solchen radiophonen Poesie."
Vielleicht muß man aus dem heutigen Abstand sagen, daß in den Jahren 1928 bis 1930 in der (die theoretischen Auseinandersetzung begleitenden) praktischen Hörspielarbeit weitsichtige formal-inhaltliche Ansätze gefunden und erprobt wurden, die erst eine Generation später zum Tragen kommen sollten und konnten; und dies zu einem großen Teil sogar in Unkenntnis dieser frühen Ansätze, die zum Teil ja erst wieder ins Blickfeld kamen, als im Umkreis des Neuen Hörspiels versucht wurde, die Geschichte dieser spezifischen "Radiopoesie" neu zu erarbeiten. Den weitsichtigen formal-inhaltlichen Ansätzen voraus, hatte die Theorie schon seit 1924 auf Möglichkeiten hingewiesen, die eigentlich erst heute eingelöst werden können. Da ist unter den damaligen Theoretikern, zu denen u.a. Kurt Weill zählte, bereits 1924 von einem künftigen "Schallspiel", 1925 von einer künftigen "absoluten Radiokunst" die Rede, will man - wiederum 1924 -
"das ganze, weite, rein akustische Gebiet nach Hilfsmitteln und Quellen (...) durchforschen - heißen sie Musik oder Geräusch - um (...) hieraus (eine) eigene Kunst (des Rundfunks) zu formen."
Es wird in dieser frühen Phase der theoretischen Diskussion auffallenderweise kaum zwischen Musik und Literatur unterschieden. Eine Fülle 'musikalischer' Argumente findet bei einem frühzeitigen Rundfunkinteresse zahlreicher Komponisten - neben Weill könnte man hier an Hindemith, Egk und viele andere denken - wenigstens zum Teil ihre Erklärung, könnte im Ansatz mit erklären helfen, warum bis weit in die 30er Jahre hinein nicht nur bei Hörspielexperimenten gerne zu einer 'musikalischen' Terminologie gegriffen wird, warum Bischoff seinen Versuch 'Hörsymphonie" (nicht "Hörspielsymphonie", wie irrtümlich im Hörspielkatalog des Deutschen Rundfunkarchivs angegeben) nennt, die Kritik bei der zweiten Aufzeichnung dieser "Hörsymphonie" von der "rhythmischen Exaktheit" und der "Freiheit in der Wahl der Klangmittel" spricht oder Flesch das Hörspiel "aus dem Mikrophon heraus (...) komponieren will. Immerhin erscheint das künftige Hörspiel in einem Teil der damaligen Diskussionsbeiträge als merkwürdiger
Zwitter aus Musik, Geräusch und Sprache, angewiesen auf sein elektroakustisches Medium Rundfunk.
"Ein Spiel (...), dessen Zustandekommen wesentlich auf der Wirkung eines akustisch-elektrischen Vorgangs beruht, könnte (...) vielleicht als 'Schallspiel' bezeichnet werden.."
Hat man sich in frühen Rundfunkprogrammzeitschriften erst einmal auf die Suche gemacht, wird man sogar 'praktisch' fündig, entpuppt sich plötzlich die von zahlreichen Hörspielforschern als "Spielerei" (u.a. Schwitzke) abqualifizierte Rundfunkgroteske
Hans Flesch's, "Zauberei auf dem Sender", die ja zugleich das erste in Deutschland gesendete Hörspiel ist, in ihrer zweiten Sequenz als Versuch,
"durch den Zusammenklang der Geräusche eine rundfunkeigentümliche Kunstgattung anzudeuten"
schreibt "Der deutsche Rundfunk": "nicht mehr die immerhin noch selbständigen persönlichen oder geistigen Faktoren des Zustandekommens einer Rundfunkvorstellung" würden "gleichsam wirr durcheinandergestellt",
"sondern der Ton und der Schall in all seinen vielfältigen Gestalten tritt selber auf, Ton wird gegen Ton, Schall gegen Schall gesetzt in steigender Maschinenraserei, bis zum Schluß, wie auf die Wirkung eines regieführenden Zauberstabes, sich alles dies in einem Moment zum sinnvollen Ganzen einer Vorführung ordnet."
Allerdings wird in der folgenden Zeit auch in der Diskussion immer deutlicher, daß man auf der produktiven Seite des Rundfunks die mögliche Entwicklung von zwei "arteigenen" Kunstgattungen sieht, die Entwicklung einer "musikalischen Eigenkunst" und eines "Hörspiels", hier trennen sich scheinbar die Wege von Musik und Literatur im Rundfunk.
"Wir können uns", referiert Flesch 1928 in Wiesbaden zum Thema "Rundfunkmusik" noch keinen Begriff machen", wie ein künftiges "musikalisches Rundfunk-Eigenkunstwerk" beschaffen sein wird. "Vielleicht ist der Ausdruck 'Musik' dafür gar nicht richtig. Vielleicht wird einmal aus der Eigenart der elektrischen Schwingungen, aus ihrem Umwandlungsprozeß in akustische Wellen etwas Neues geschaffen, was wohl mit Tönen, aber nichts mit Musik zu tun hat; ebenso wie wir davon überzeugt sind, daß das Hörspiel weder Theaterstück, noch Novelle, noch Epos, noch Lyrik sein wird."
Nicht erst Ruttmanns "Weekend", sondern schon diese Ausführungen Fleschs weisen voraus auf eine "musique concrete", auf die elektronische Musik, wie sie in den 50er Jahren z.T. mit Hilfe der Rundfunkanstalten entwickelt wurde. Wobei man zunächst gar nicht daran dachte, eine "neuartige, rundfunkeigene kompositorische Kunst ins Leben" zu rufen. Dennoch: 1954 produziert das Mailänder "Studio für musikalische "Schallkunde" mit "Ritratto di Città" ein akustisches Bild der Stadt Mailand, das sich ohne Einschränkung in der Tradition und als Fortsetzung des Ruttmannschen Versuches hören läßt.
"Elektronische Komplexe, aus dem Leben kopierte Alltagsgeräusche in denaturierter Form, Filterklänge und der Text des Sprechers mischten sich zu einer eigenartigen und immer noch. eindrucksvollen Reportage, die oftmals die lyrische Qualität lyrischer Dichtung erreicht. Diese 'Radiophonie' im wahren Sinn des Ausdrucks förderte das Interesse der Wortabteilungen."
Fred K. Priebergs optimistische Charakterisierung entspricht allerdings nicht der wirklichen Hörspielqeschichte. Sieht man von einen einsamen finnischen Versuch ab, den man in diesem Zusammenhang vor allem aus thematischen Gründen erwähnen muß, - Jyrki Mäntyläs "Erwachen einer Stadt" -, dauerte es noch einmal über zehn Jahre, bis sich endlich im Umkreis des Neuen Hörspiels nicht nur Komponisten als Hörspielmacher bemühten, verkrustete Hörspielvorstellungen durch Versuche aufbrachen, ohne es zu wissen, an eine Tradition wieder anknüpften, und damit verschüttete Hörspielansätze in einer größeren Breite endlich fruchtbar werden ließen.

Man kann ein wenig verkürzt sagen, daß in der hörspieltheoretischen Diskussion des Weimarer Rundfunks vor allem drei Positionen eingenommen werden,

a) die des Hörspiels als Gattung eines technischen Mediums, als Radiokunst,
b) die des Hörspiels als einer Wortkunst, des literarischen Hörspiels also und
c) die des Hörspiels als technisch bedingter Appendix des Schauspiels.
Vor allem die letzten beiden Positionen konnten sich zunächst durchsetzen, die zweite sogar bis weit in die 60er Jahre hinein das öffentliche Bewußtsein von Hörspiel prägen. Diese Dominanz führte dazu, daß nicht nur die Ansätze zu einem Hörspiel als technisch determiniertem "Rundfunk-Eigenkunstwerk" in Vergessenheit gerieten. Sie deckte auch, als in den 50er Jahren die Auseinandersetzung um das Hörspiel erneut begann, die Formenvielfalt zu, die dem Hörspiel im Weimarer Rundfunk von seinen engagierten Vertretern erarbeitet worden war. Daß Hörspiel nicht ausschließlich literarisches, und daß dieses wiederum nicht ausschließlich Handlungshörspiel ist, zeigen vor allem die Programme der Funk-Stunde, Berlin, und der Schlesischen Funkstunde bis in die Zeit der nationalsozialistischen Machtübernahme auch der Rundfunkanstalten hinein.

Einen Eindruck von dem, was er bis 1930 dem Hörspiel an Spielformen erarbeitet hatte, vermittelt Bischoffs Zusammenstellung seines "Hörspiels vom Hörspiel" für die Funkausstellung und Phonoschau 1931 in Berlin. Sie ist - in leider nicht immer guter Qualität - in Frankfurt archiviert und soll den Abschluß unserer heutigen Lektion bilden.

Allerdings haben wir die Reihenfolge der in dieser Zusammenstellung von Bischoff vorgestellten und kommentierten Sequenzen gegenüber dem Frankfurter Tondokument geändert, da aus mancherlei Gründen anzunehmen ist, daß das erhaltene Tondokument nicht der ursprünglichen Zusammenstellung entspricht. Von uns auch als illustrativer Beleg für das Hörspiel als offene Form gedacht, hören Sie abschließend von Bischoff selbst ausgewählt und kommentiert je eine kurze Sequenz einer literarischen "Hörfolge", eines der Hörfolge verwandten "Hörspiels für Musik, Wort und Ton", eines "Lehrstücks" als einer und eines Katastrophenhörspiels als anderer Möglichkeit des "völlig auf das Wort angewiesenen Hörspiels" und schließlich eines dokumentarischen Hörspiels sowie einer aus "Bericht, Spiel und Dichtung" zusammengestellten "Hörfolge (...) in gesteigerter Form". Bischoff war weniger als Flesch Theoretiker. Er war Praktiker einer sich entwickelnden Rundfunkkunst, deren Gebundenheit an das Medium ihm nie aus dem Auge geriet. Das überaus wichtige Kapitel Hörspielgeschichte, das er mit der Arbeit der Schlesischen Funkstunde vorgeschrieben hat, muß von der Forschung zu wesentlichen Teilen noch nachgeschrieben werden. Unsere heutige Lektion versteht sich auch als ein erster Ansatz zu dieser Nachschrift, die mit Sicherheit Neues vom Alten Hörspiel verspricht.

Bischoff u. a.: Das Hörspiel vom Hörspiel.
(DRA 60 U339. - Eine Textnachschrift ist mitgeteilt in Rundfunk und Fernsehen, Jg. 26, 1978, H. 2,S. 235-241, allerdings - dem Tondokument folgend - in einer falschen Reihenfolge der Ausschnitte. Die richtige Reihenfolge wäre, wie schon aus den verbindenden Worten Bischoffs eindeutig hervorgeht.
a) Bischoff/Engel: Menschheitsdämmerung.
b) Kästner/Nick: Leben in dieser Zeit.
c) Zoff: Revolution in China.
d) Menzel: Stimmen der Erde.
e) Lippmann: Konferenz in Spa.
f) Schenke/Menzel: Das ist Schlesien.
Der Ausschnitt aus Kästner/Nicks "Leben in dieser Zeit" umfaßt mit größeren Strichen den Schluß von "Nr.11. Der Gesang vom verlorenen Sohn" und den Anfang von "Nr.12. Der Song 'Man müßte wieder...'", des "Zweiten Satzes" (S. 208, Z. 21 bis S. 210, Z. 30 der Buchfassung).
Die Sequenz aus Bischoff/Engels' "Menschbeitsdämmerung" ist vollständig mit einer vorangestellten Definition der Hörfolge erstmals veröffentlicht im "Rundfunkjahrbuch 1930", hrsg. von der Reichsrundfunkgesellschaft, Berlin 1930, S.170-176. Für das um einiges kürzere Tondokument müssen außer Zeitstrichen auch Einwände der Zensur angenommen werden.)


Versuch einer Geschichte und Typologie des Hörspiels in Lektionen,  44, WDR 29.12.1980. Druck in: Rundfunk und Fernsehen. Wissenschaftliche Vierteljahreszeitschrift, Jg 29, 1981, H. 1, S. 127-141. [Mit Transkript/Erstdruck zweier unveröffentlichter Hörspiel-Tondokumente]