Reinhard Döhl. Mail Art [Materialien]
Zu den Kunst & Kompostkarten
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mail art. ein manifest | Kunst&Kompostkarten | Fixierte Lebensaugenblicke
| mail art. Kunst & Kompostkarten | Die Ausstellung im
Wilhelmpalais 1996 [Chronologie | Ausstellung | Eröffnung | Das Spiel
| Austellungskritik] | Reinhard Döhl: Ansätze und Möglichkeiten
künstlerischen Dialogs und dialogischer Kunst. [Auszüge] | Mail
Art. Döhl, Auer, Kieninger | Ausstellung Wildbad 2000 [Katalog | Eröffnung
| Kritik] | Ausstellungskalender
Es gibt Menschen, die glauben
den Schlüssel ihrer Lebensschicksale in der Heredität, andere
im Horoskop, wieder andere in ihrer Erziehung zu finden. Ich selber glaube,
daß ich manche Aufklärung über mein späteres Leben
in meiner Ansichtspostkartensammlung fände, wenn ich sie heute noch
einmal durchblättern könnte. Die große Strifterin dieser
Sammlung war meine Großmutter mütterlicherseits, eine entschieden
unternehmende Frau, von der ich zweierlei glaube geerbt zu haben: meine
Luist am Schenken und meine Reiselust.
Walter Benjamin: Berliner Chronik
Zu den Kunst & Kompostkarten
1958 bekam R.D. zu seinem Geburtstag von
seinem Studienfreund Hans-Heinrich Lieb Franz Marcs Botschaften an den
Prinzen Jussuf geschenkt, möglicherweise als Respons auf die sentimentalen
Botschaften an die Prinzessin Sabais (1955). Sein damaliger Wunsch, solche
Kunstpostkarten zu sammeln, die ihre erste Silbe wirklich verdienen, ließ
sich nicht erfüllen. Was er im Kunsthandel eher gelegentlich fand,
konnte der Göttinger Student nicht bezahlen, und Künstlerfreunde
hatte er keine.
Nach dem Documenta-Schock (1959) entstehen
im Rahmen des Spiegel-Fragment-Bilder-Buchs auch postkartengroße
Collagen, oft auf Karteikarten. Die neuen Stuttgarter Freunde Klaus Burkhardt,
der damals typographisch anspruchsvolle eigene Künstlerkarten druckte,
und Günther C. Kirchberger, der damals u.a. postkartengroße
Gouachen malte, steigerten das Interesse und animierten zu einer intensiveren
eigenen Kunstkartenproduktion im Spannungsfeld zwischen Typographie und
Collage (vgl. die Tapoems and Typieces von 1964-1966; ferner die
Folge Apfel/Birne/Blatt von 1965). Wichtig war aber auch, daß
bis dahin die Studentenbuden kaum Raum für größere Formate
geboten hatten, auf den meist mit Büchern überfüllten Schreibtischen
sich aber immer etwas Platz für die Herstellung von Postkarten finden
ließ. Der 1963 entstandene, 1965 in Prosa zum Beispiel veröffentlichte
Text Postkarten spricht denn auch, obwohl verklausuliert, in eigener
Sache.
Wann erste Karten auf den Postweg gegeben
wurden, läßt sich mit Sicherheit nicht mehr sagen. Trotz der
gemeinsamen Arbeit an den Text-Grafik-Integrationen gab es mit Kirchberger
kaum Korrespondenz dieser Art. Mit Burkhardt sind wohl Karten getauscht
worden. Aus der Korrespondenz mit Werner Schreib, in der erstmal auch von
"komp/ostkarten" bzw. "kom/postkarten" die Rede ist, haben sich nur Karten
Schreibs aus den Jahren 1962 und 1963 erhalten. Die älteste nachweisbar
echt gelaufene Karte Döhls ist am 18.10.1966 in München abgestempelt
und an die Tochter adressiert.
Döhls Kunstpostkarten waren
zunächst Einzelstücke, selten kleinere Folgen. Mitte der 60er
Jahre treten sie jedoch zunehmend auch zu Ensembles zusammen oder lassen
sich zu Postkartenbildern (vgl. auch die späteren Bild/Postkarten)
anordnen. Gezeigt wurden sie vor allem in Ausstellungen konkret-visueller
Poesie (durch Foto nachweisbar z.B. in der Amsterdamer Ausstellung klankteksten
/ ? konkrete poezie / visuele teksten, 1970/71).
Nach seinem Rückzug aus dem Kunstbetrieb,
der black-box-Phase der 70er Jahre, werden für Döhl die
Postkarten, postkartengroße Formate zu einem Spielfeld für Notate,
Bildideen, Skizzen, aber in gleichem Maße auch für (kultur)politische
Auseinandersetzung in Fortsetzung der Use Papers [vgl. zu ihnen
die Korrespondenz mit Siegfried Cremer, z.T. gedruckt in Dencker: Textbilder,
1972, und im Katalog Europäische Avantgarde 1950-1970, 1973].
In den 80er Jahren kommt es dann zu größeren
Projekten (z.B. den Kunst&Kompostkarten in der Korrespondenz
mit Wolfgang Ehehalt (erstmals ausgestellt 1989 in der Galerie Folkmar
von Kolczynski), entstehen Geschichten in Bildern (z.B. Gillray
was here; auch gedruckt 1987), treten Kartenfolgen an die Stelle der
wegwerfhefte
aus den 60er Jahren. Neben dem offenen Projekt der
Kunst&Kompostkarten
enthält die Korrespondenz mit Ulrike Gauss ein zweites umfangreiches,
hier einschlägiges Konvolut "Atelier & und Konzeptkarten". Aber
auch international hält Döhl auf diese Weise Kontakt mit Künstlern
u.a. in Japan, Frankreich, der Tschechischen Republik. Gezeigt wurden seine
Kunst&Kompostkarten auf mail-art-Ausstellungen (z.B. Siegen,
1987, Berlin 1988), aber auch im Rahmen normaler Ausstellungen (z.B. SportBilder,
1989; der Wendlinger Retrospektive von Werkgruppen der 60er und 80er Jahre,
1990, der Gruppenausstellung Das schwarze Loch, 1992, dem Stuttgartprospekt,
1993, den Pariser Skizzenbüchern, 1994 und der ELS-Ausstellung
Der blaue Reiter ist gefallen / Der blaue Reiter ist angelangt,
1995).
Abbildungen von Kunst&Kompostkarten
finden sich auf Einladungskarten, in Katalogen und dem BilderBuch.
Innerhalb seiner bildkünstlerischen Werkes (mit gelegentlicher Grenzüberschreitung
zur Literatur, z.B. in der Gruppe der botnanger annagramme) bilden
die Kunst&Kompostkarten Döhls eine zentrale Konstante als
der Ort für erste Notizen, Bildideen, Skizzen, Entwürfe, Mitteilungen,
die sich aus Zeitgründen als größeres Werk (dann) oft nicht
ausführen lassen. Sie sind aber auch ein Ort für Auseinandersetzungen
mit (kultur)politischen Fragen. Bei Reisen und längeren Auslandaufenthalten
(u.a. Japan 1987, Paris 1990, Rom 1992) haben sie zusätzlich die Funktion
von Reisebericht und -tagebuch, geben sie Auskunft über die Befindlichkeit
ihres Produzenten, spiegeln sie Eindrücke und empfangene Anregungen,
berichten sie von Plänen und sind oft zugleich deren (einzige) Realisation.
So gesehen bilden sie das bildkünstlerische Pendant zu den botnanger
sudelheften.
[März 1993/ergänzt
1995]
Ansichtskarten
Man schickt von einer
Reise Ansichtskarten, um den Daheimgebliebenen zu sagen, daß man
sie nicht vergessen hat. Man unterläßt es, einem Freund, der
in bescheidenen Verhältnissen lebt innerhalb eines Sommers Karten
aus Ragusa, Capri und Nizza zu schicken. Auch wäre es taktlos, einem
Bürokollegen eine Karte zu schicken und einen anderen zu übersehen.
Dem Chef und hochgestellten Persönlichkeiten schickt man nur dann
Ansichtskarten, wenn man mit ihnen privat befreundet ist Man läßt
auch nicht zufällige Urlaubsbekanntschaften ihre Namen auf Karten
kritzeln, da diese Leute für die zu Hause Gebliebenen keinerlei Bedeutung
haben. [Gutes Benehmen Dein
Erfolg]
1
Es gibt Ansichtskarten und Ansichtskarten.
Immer wieder fallen den Leuten Ansichtskarten ein in meinen Briefkasten
mit jeder Postwurfsendung. Immer wieder muß ich viele Ansichten auseinander
halten. Ich habe mir einen Karteikasten gekauft und eine Systematik gemacht.
Ich sammle Ansichten die mir mein Briefträger zuträgt. In meinem
Karteikasten sammeln sich die Ansichten einer ganzen Welt die sie beschreiben.
2
Ansichtskarten sind Ansichtssache und
leicht überschaubar. Man schätzt ihren Umgang. Sie sind genügsam.
Man kann sie sich an den Hut und hinter den Spiegel stecken. Man kann sie
unbesehen zerreißen verbrennen verlegen. Man kann sie jederzeit vorholen
und oberflächlich betrachten. Man kann sie ganz genau betrachten.
An ihren Ansichtskarten kann man sie erkennen. Ansichtskarten sind nicht
jedermanns Sache.
3
Es gibt schwarzweiße Ansichtskarten,
die von den Schwarzweißsehern verschickt werden. Immer noch verteilen
die Schwarzweißseher ihre gebildete Ansicht. Die schwarzweißen
Bilder der Welt sind billig zu haben. An allen Kiosken der Welt wird eine
um die andere Ansicht für bare Münze gehalten Sie ist wiederholbar
für jeden erschwinglich. Täglich sichten die Schwarzweißseher
den Bestand der verteilbaren Welt und lassen ihn umgehen.
4
Ansichtskarten sind keine kleinen Mädchen
die bunt angemalt sind. Die buntangemalten Ansichtskarten ändern ihre
Meinung nicht von heute auf morgen. Sie hängen ihr Mäntelchen
nicht nach dem Wind Man kann sie erinnern. Ein Kreuz mit Tinte bezeichnet
die Stelle der Wohnungnahme. Viele Leute machen ein Kreuz und möchten
sich hinter verstecken. Ansichtskarten sind keine Regenbögen die bunt
angestrichen sind.
5
Von allen bekannten Blumen sind Ansichtskarten
die schönsten Sie blühen nicht im Verborgenen Sie sprechen von
sich aus. Sie sagen nicht: laßt Blumen sprechen. Und sprechen nicht
durch die Blume oder in Rätseln. Sie sprechen in Bildern. Sie haben
sich eine Ansicht gebildet. Sie haben sich eine genaue Ansicht gebildet.
Sie besagen nichts weiter.
6
Meine Ansichtskarten zeigen eine Ansicht
die sonst niemandes Ansicht ist. Man kann sie keinem Menschen vorlesen.
Man kann sie in keine Sprache übersetzen. Man kann sie nicht vom Blatt
singen. Sie bezeichnen eine Welt die es sonst auf der Welt nicht gibt.
Die es nirgendwo auf der Welt mehr gibt. Und die gezeigte Welt ist jedesmal
eine andere.
7
Die Ansichtskarten sind jetzt alle verteilt,
Man hat sich seine Ansicht gebildet hiervon und davon. Man weiß was
auf den Ansichtskarten drauf ist. Man hat säuberlich die Häuser
von den Bäumen und den Himmel von der Erde geschieden. Man spricht
darüber und läßt es Tag und Nacht werden. Man spricht immer
noch darüber. So ward aus Abend und Morgen ein anderer Tag.
[1963]
[Variante: Im "Prosa zum
Beispiel" (1965) beginnt die 6. Ansichtskarte: Die Ansichtskarten Günther
C Kirchbergers haben eine Ansicht...]
mail art. ein manifest
die kunst ist auf den hund gekommen [rasse
gleichgültig] was nicht heißen soll daß in der gültigkeit
der hund begraben liegt [fliegende hunde eingeschlossen] was nicht ausschließt
daß die kunst fliegt [air mail] was aber auch sea mail [sieh mal]
land art etcetera heißen könnte [hundsposttage] also nicht sagen
will daß alle land luft und wasserwege [von wegen wasser] künstliche
also von kunst wegen sein könnten [potentialis] auch wenn sie nicht
können wollten [irrealis] also nur sein würden [ehrwürden]
falls sie sein könnten [duplizität der fälle] und mit der
kunst schlitten führen [schlittenhunde] und wechselseitig [fahrbahnwechsel]
mit presse gülle und kunst dünger [vorsicht seitensprünge]
den künstlichen jünger [kunst kommt von können] überführen
oder wie immer dem sei [wäre] hat die kunst [könnte von kommen]
will sagen kann die kunst von [wie auch immer] hatten wir schon vor und
zurück [hundeschlitten] zuvor und rückzu [epiphanie ausgeschlossen]
kann die kunst [sozusagen] immer nur auf dem land wasser oder luftweg zur
kunst gelangen also: mail art!
[1985]
Wolfgang Ehehalt, Reinhard Döhl,Kunst&Kompostkarten
[Galerie Forkmar von Kolczynski, 15.4.-13.5.1989]
Zwischen Mülldeponie und Kompostprinzip
läßt sich im spätkapitalistischen Kulturbetrieb allerdings
nur schwer noch differenzieren. Der Kehrichthaufen der Geschichte, von
dem Trotzki einst verächtlich sprach, erweist sich als der Humus des
affirmativen Kunstbetriebs. (Detlev
Claussen).
Also, lieber Wolfgang,
wenn du mich fragst, so zwischen Neckar
und Nesenbach...
Dein Reinhard
Lieber Reinhard,
ich frage Dich aber nicht, auch zwischen
Wald und Reben...
Dein Wolfgang
Fixierte Lebensaugenblicke
Seit 30 Jahren tauscht Reinhard Döhl
Gedichte mit japanischem Lyriker aus
Abseits offizieller Kulturprogramme leben
manchmal im Verborgenen internationale Kontakte. So pflegen Stuttgarter
Künstler einen intensiven Austausch mit Anhängern der konkreten
Poesie in Japan. "Wie führen seit nunmehr über 30 Jahren einen
Dialog", erzählt Reinhard Döhl, Literaturwissenschaftler an der
Uni Stuttgart.
Das aktuelle Projekt ist ein Kettengedicht.
Seit 1992 senden sich Döhl und der Japaner Syun Suzuki alle zehn bis
vierzehn Tagen einen weiteren fünfzeiligen Vers, japanisch Tanka genannt,
zu diesem Renshi auf Postkarten zu. 25 Verse sind bereits entstanden. "Jedes
Tanka soll einen momentanen Erlebnisaugenblick objektivieren und als Lebensaugenblick
in seiner Zeitgebundenheit fixieren", sagt Döhl. Dabei begann dieses
Kettengedicht eher zufällig. Als "mail art" (Postkunst) schrieb Döhl
seinem langjährigen Freund folgenden Fünfzeiler zu: "Törichte
Träume, / wenn der Mond sich bald rundet. / Ich falte ein Schiff /
aus Papier und schicke es / mit dem Westwind in Wolken". Vierzehn Tage
später kam die Antwort: "Das Schiff hat / am schönen Traum geankert
/ ruhig leuchtend im / Schein des Mondes als ob es / ein japanisches wäre".
Die beiden Künstler wollen aber nicht an der alten Tradition des Kettengedichts
rütteln, wie es Ende der 60er Jahre Octavio Paz, Jaques Roubaud, Eduardo
Sanguietti und Charles Tomlinson im Paris versucht hatten. Ein Ende ist
schon in Sicht. "Wie machen das Gedicht bis Herbst 1994 weiter", so Döhl.
Noch vor 21 Jahren wurde die konkrete
Poesie in Stuttgart in namhaften Institutionen vorgestellt: 1972 die Ausstellung
"klankteksten, konkrete poesie, visuelle teksten" im Württembergischen
Kunstverein und die Schau "Grenzgebiete der bildenden Kunst" in der Staatsgalerie.
Denn die konkrete Poesie, eine hierachische
Grenzen zwischen Literatur und Bildender Kunst überschreitende Richtung,
erlebte in den 60er und 70er Jahren ihre Hochblüte. Inzwischen geriet
die Stuttgarter Schule um Max Bense weitgehend in Vergessenheit. 1964 war
die "heimliche Kulturachse " zwischen Japan und Stuttgart mit der Ausstellung
"poema concreto / konkrete poesie" entstanden, an der neben japanischen
und brasilianischen Künstlern auch Pierre Garnier und aus Stuttgart
neben Bense und Döhl noch Elisabeth Walther und Helmut Heißenbüttel
beteiligt gewesen waren.
Wie sehr die Bedeutung der Stuttgarter
Schule noch heute in Japan geschätzt wird, eröffnete sich Reinhard
Döhl 1987 bei der Durchsicht des Nachlasses von Seiichii Niikuni,
einem Mitgleid der sogenannten ASA-Gruppe, in der Bibliothek der Kunstakademie
Tokio. "Ich fand Arbeiten der Ulmer Hochschule für Gestaltung, der
Stuttgarter Schule und Gruppe in einer Vollständigkeit vor, in der
wir sie hier wahrscheinlich nicht mehr zusammenbrächten", erinnert
sich Döhl.
Franz-Norbert Piontek in
Esslinger Zeitung, 2.7.1993
mail art. Kunst & Kompostkarten
[1995]
1. Postkartengroße Formate (zunächst
einzeln, dann auch in Serien und als Komposition; BilderGeschichten; Partituren;
Fortsetzung der Wegwerfhefte) seit 1959/1960.
2. Postkarten als Gebrauchskunst (z.T.
echt gelaufen) seit 1959/1960.
[Älteste erhaltene
Karte 1966 an Tochter].
3. Große Konvolute und Partner:
- Wolfgang Ehehalt [das
Kunst&Kompostkarten-Projekt, seit 1985]
- Ulrike Gauss [Atelier
& und Konzeptkarten, 1989-1992 täglich]
4. Weitere Adressaten und Korrespondenzpartner
- Johannes Auer
- Chong Li Bai
- Li [LiLi] Wen Bai
- Xiang Wen Bai
- Roussico Bandzeladze und
George Mgaloblichvili
- Elisabeth Borchers
- Erdmut Bramke
- Hans Brög
- Buch Julius
- Klaus Burkhardt
- Siegfried Cremer
- Isa Dahl und Daniel Wagenblast
- Irmgard Dieringer
- Barbara Döhl
- Dörte Döhl
- Esther Döhl
- Julia und Friedhelm Döhl
- Susanne und Will Frenken
- Ilse und Pierre Garnier
- Dieter Göltenboth
- Bohumila Grögerová
und Josef Hiršal
- Hannelore Jouly
- Hiroo Kamimura
- Günther C. Kirchberger
- Dieter Kölmel
- Jirí Kolár
- Gertie und Folkmar von
Kolczynski
- Rolf H. Krauss
- Joachim Kuolt
- Miroslava Lancová
[Valová]
- Xing Can Liu
- Helga Menges [†]
- Franz Mon
- Ulrike Müller-Herancourt
- Stefan Nobbe
- Ladislav Novák
[†]
- Eduard Ovcácek
- Mikko Paakkola
- Susanne Raible
- Diter Rot [†]
- Malgorzata [Gosia] Sawicka
- Monika Schmidt
- Werner Schreib [†]
- Klaus Schöning
- Bettina Sorge
- Veronika [Vroni] Steinbach
- Kei Suzuki
- Syun Suzuki
- Ewa Szenfeld
- André Thomkins
[†]
- Karel Trinkewitz
- Barbara Wichelhaus
- Johannes Zagrosek
- Ulrich Zeh u.a.
5. Das ELS-Projekt
(zus. mit H. Brög,
F. Döhl, W. Ehehalt, S. und W. Frenken, I. und P. Garnier, B. Grögerová,
C. Hagmeyer, J. Hiršal, H. Jouly, F. Mon, S. Suzuki, J. Zagrosek u.a.).
6. Die BilderGeschichten
- Gillray was here
- Der nicht mehr einsame
Turner (nach Baumeister)
- Der Woge (nach Ernst)
- Rekonstruktion einer Heiligen
(nach Ernst)
- Wolferl oder von der Erfindung
der Mozartkugel
- Die belämmerten Ziegen
(nach Doré) etc.
7. Die Botnanger Annagramme
8. Tempi passati
9. Der Stuttgart-Fries
10. RomSiebenSachen
11. Partituren
- zeit böse telefonisch
es anna
- Stuttgarter Partitur
- Komposition für ein
Ziegelsteinfragment aus den Caracalla-Thermen
- Chamber Music (in memoriam
John Cage)
- Californian Sonate (Concord)
- Californian Dream Sweet/Suite
- Für ELiSe
- Die Grazer Wetterkantate
12. Die WasserFarbenKarten
13. Etcetera etcetera
[Stand Juli 1995/ ergänzt
Juli 1996]
Reinhard Döhl und Freunde:Mail Art
Stuttgart: Wilhelmpalais [4.9.-26.10.1996]
a) Chronologie
- Erste Postkarten und postkartengroße
Formate 1959/60.
- Erste erhaltene Postkarten
von Werner Schreib an R.D. 1962/1963.
- 1963 entsteht der Text
"Ansichtskarten" [Druck in "Prosa zum Beispiel", 1965].
- 1964 ff. werden die Collagen
von vor allem Karten Klaus Burkhardts erstmals zu unterschiedlichen PostkartenBildern
zusammengestellt. [z.B "zeit / böse / telefonisch / es anna", 1964/66].
- Älteste erhaltene
mail art R.D.'s an Tochter 1966.
- Die Korrespondenz mit/auf
Postkarten wird in der Black-Box-Phase der 70er Jahre weitgehend eingestellt.
- Zu Beginn der 80er Jahre
sind Postkarten häufig der Ort für Ideennotate, Konzepte.
- 1985 "mail art! ein manifest".
- 1986 ff. das "Kunst &
Kompostkarten"-Projekt, zusammen mit Wolfgang Ehehalt, mit inzwischen fast
2000 Karten.
- 1989 Beginn der Korrespondenz
mit Ulrike Gauss ["Atelier & und Konzeptkarten"], bis 1992 täglich.
b) Ausstellung
Wände
A) Reinhard Döhl /
Wolfgang Ehehalt: Die Kunst & Kompostkarten.
B) Reinhard Döhl /
Ulrike Gauss: Aus den Atelier & Konzeptkarten.
C) PostkartenBilder.
- Catacomba 1 (aus: RomSiebensachen).
- Catacomba 2 (aus: RomSiebensachen).
- Fragment für ein
Ziegelsteinfragment aus den Caracalla- Thermen (aus: RomSiebensachen).
- Manifesto (aus: RomSiebensachen).
- Die anderen Titel wie
angegeben! [Titel auf den diversen Umschlägen.]
Vitrinen
1. Dialoge I / Anfänge
/ Diverses.
Korrespondenten: Ermut Bramke,
Hans Brög, Siegfried Cremer, Wil Frenken, Dieter Göltenboth,
Jiri Kolar, G.C. Kirchberger, Franz Mon, Diter Rot, Werner Schreib, Karel
Trinkewitz.
2. Dialoge II / Das Else-Lasker-Schüler-Projekt.
Korrespondenten: Susanne
Frenken, Ilse Garnier, Bohumila Grögerová, Wolfgang Ehehalt,
Wil Frenken, Johannes Zagrosek u.a.
3) Dialoge III / Japan und
China.
Korrespondenten: Chong Li
Bai, Li Wen Bai, Hiroo Kamimura, Kei und Syun Suzuki.
4) Dialoge IV / Polen /
Tschechische Republik / Ungarn.
Korrespondenten: Bohumila
Grögerová, Ewa Szenfeld, Josef Hiršal.
5) Dialoge V / Frankreich.
Korrespondenten: Ilse und
Pierre Garnier.
6) Dialoge VI / Diverses.
Korrespondenten: Isa Dahl,
Barbara Wichelhaus, Hans Brög.
7) Dialoge VII / Mail Music.
Korrespondent: Johannes
Zagrosek.
8) Fortführungen.
Korrespondenten: Dörte
Döhl, Susanne Frenken, Ulrike Müller-Herancourt, Hans Brög
u.a.
c) Eröffnung
Hannelore Jouly: Mail
Art. Reinhard Döhl und Freunde
Wie bitte, stellt man 2500 Postkarten
aus? Die Frage bewegt uns seit einem Jahr. 2500 Postkarten, jede ist 104
mm breit und 162 mm lang, hat eine Vorderseite und eine Rückseite.
Wir dachten daran, die Karten zu Wegen
durchs Palais zu legen, Lebensspuren gleich, sie - bedeutungsschwer - zu
Bergen zu stapeln, oder aus ihnen Wurfsendungen zu machen, Vergänglichkeit
zelebrierend.
Sicher wußten wir nur eins: Wir
wollen diese Postkarten, Mailart von Reinhard Döhl seit den 60er Jahren,
zeigen. Von Döhl, der Wissenschaftler ist, Künstler, Schriftsteller,
der in Stuttgart lebt und in der ganzen Welt, der Teil der Stuttgarter
Schule ist und sich als Botnanger immer wieder an den Grenzen der Stadt
stößt.
Heute können Sie sich umschauen,
wie aus 2500 Postkarten in dieser Ausstellung Bildfriese entstanden, Zeitfriese,
Ideenfriese, witzig und wütend, poetisch und frech, geschrieben und
gemalt, collagiert und immer wieder collagiert.
Im Foyer hängt die Kollektion der
Grafischen Sammlung [korr. aus: Staatsgalerie]. 1989 bis 1992 schrieb Döhl
an Ulrike Gauss Tag um Tag eine Postkarte. Die Kette der Botschaften, Notizen,
Gedanken, Impressionen können Sie in der Chronologie des Entstehungsprozesses
verfolgen.
Im Treppenhaus sehen Sie Korrespondenzreihen,
an Wolfgang Ehehalt gerichtet, in Kunststoff geschweißt. Vorsichtig
werden diese Karten im Luftzug bewegt, vorsichtig, denn hier zeigen sich
die Karten auch von ihrer möglicherweise intimen Seite. Man kann sie
lesen und tut es auch - so wie man verschämt fremde Post liest.
Bei der Präsentation im 1. Obergeschoß
wurden die Karten bewußt aus der Chronologie genommen und zu Bildern
gelegt, Ein neuer Blick auf eine neue Variante des riesengroßen dialogischen
Kartenspiels.
Dialog, das ist eine zentrale Idee im
Schaffen von Reinhard Döhl. Döhl sucht den Dialog heftig und
unermüdlich, er sucht ihn auf der ganzen Welt, auf allen Ebenen, in
allen Medien, von der Postkarte zum Internet. Er stiftet zu Gemeinschaftsproduktionen
an, wo es möglich ist und auch wo es nicht möglich ist.
Lassen Sie sich einfädeln in Kettengedichte
oder schreiben Sie mit an Döhls und unseren Internetskulpturen zu
Gertrude Stein und Helmut Heißenbüttel.
Zunächst aber mögen Sie bestimmt
durch die Ausstellung spazieren, die komponiert wurde von unserer Ausstellungsleiterin
Gabriele Ott-Osterwold mit ihrem Team und natürlich Reinhard Döhl.
Sie werden künstlerische Dialoge
entdecken und dialogische Kunst. Wird das ästhetische Spiel gewinnen?
Die Frage stellt sich. Sie sind eingeladen, eine Antwort zu finden. Schicken
Sie uns Ihre Postkarte oder eine e.mail. Erste Post ist schon da...
Zur weiteren Inspiration hören Sie
nun "Dialoge oder das Stuttgarter kleine Kartenspiel" von und mit
Reinhard Döhl. Ich wünsche Ihnen dialogische Vergnügen.
[Wilhelmspalais Stuttgart,
4. September 1996]
d) Das Spiel
Reinhard Döhl: Dialoge oder Das
Stuttgarter Kleine Kartenspiel
Während auf den Fildern ein Mann,
der aussieht wie Deyle, mit Eyle alles auf eine Karte setzt, kommt
Bleyle in der Korrespondenz eines Mannes, der aussieht wie Wolfgang
Ehehalt, nurmehr als Unterwäsche vor.
Du hast vergessen, den Veyle anzusetzen,
sagt er zu einem Mann, der aussieht wie
Reinhard Döhl.
Du meinst, die Feile anzusetzen,
verbessert der Mann, der aussieht wie
Reinhard Döhl, während seine Gedanken ein wenig ins Filderkraut
schießen.
Aber der Mann, der aussieht wie Wolfgang
Ehehalt besteht auf dem Veyle.
Was hat das mit Kunst zu tun?
fragt der Mann, dessen Gedanken jetzt
stärker ins Filderkraut schießen.
Kompost,
sagt der Mann, der auf dem Veyle
besteht,
Kunst & Kompost.
Aber, lieber Wolfgang,
sagt der Mann, der aussieht wie Reinhard
Döhl,
wenn du mich fragst, so zwischen Neckar
und Nesenbach...
Lieber Reinhard,
unterbricht der Mann, der aussieht wie
Wolfgang
Ehehalt,
ich frage dich aber nicht, auch zwischen
Wald und Reben...
Zwischen Mülldeponie und Kompostprinzip,
wirft ein Mann ein, der aussieht wie
Detlev Claussen, und bringt den Kehrichthaufen der Geschichte in Anschlag.
Doch da ist der Mann, der aussieht wie
Wolfgang Ehehalt, bereits dem Wildhüter in der Bergeinsamkeit
des Monte Scherbelino begegnet, sind dem Mann, der aussieht wie Reinhard
Döhl, die Gedanken vollends in Filderkraut geschossen, sind in
einem Stadtteil, der aussieht wie Möhringen, die Karten längst
auf den Tisch gelegt.
Man muß die Kartenhäuser feiern
wie sie fallen,
sagt ein Mann, der aussieht wie der
sprichwörtliche Ballhorn ausgesehen haben soll.
Und während in der Weltstadt des
Musicalhowls die großen und die kleinen Kartenhäuser einstürzen,
Einstürzende Neubauten,
meldet sich die Stimme von Südfunk
Drei aus dem Off zu Wort, während in der Weltstadt der Musicalhalls
die großen und die kleinen Kartenhäuser einstürzen, zeigt
der Mann, der aussieht, wie der sprichwörtliche Ballhorn ausgesehen
haben soll, den Kartenabreißern der heimlichen Weltstadt des Sports
die gelbe und die rote Karte.
Das muß man sich ausmalen,
sagt ein Mann, der von ferne an den
Erfinder des Dächles erinnert,
gelbrot und die anderen Grundfarben,
sagt er.
Aber auf diesem Auge waren Nesenbachmayer
und der Vorstopper der hiesigen Finanzen immer schon farbenblind.
Das ist ein zu weites Feld, und überhaupt,
sagen sie,
Daimlerstadion hin, Dinkelacker her und
überhaupt,
sagen sie,
sticht diese Karte nicht.
Man sollte niemals alles auf eine Karte
setzen,
wiederholt der Mann, der aussieht, wie
der sprichwörtliche Ballhorn ausgesehen haben soll, und beginnt
aufzuzählen
das Kartenbild
des Kartenblatts
dem Kartenblock
den Kartenbrief
die Kartengitter
der Kartengrüße
den Kartenkünstlern
die Kartenhäuser
der Kartenleger
des Kartenlesers
dem Kartenlocher
das Kartennetz
die Kartenposten
der Kartenräume
den Kartenschlägern
die Kartenskizzen
das Kartenspiel
des Kartenständers
dem Kartentisch
das Kartenwerk
die Kartenzimmer
der Kartenzimmer
den Kartenzimmern
die Kartenzimmer.
Da capo al fine,
verlangt ein Mann, der aussieht wie
Johannes Zagrosek, und entlockt seinem Cello einen unreinen Ton.
Darmseite ist Darmseite,
entschuldigt er sich und verlangt endlich
eine Partitur nach der neuen Rechtschreibung.
Karte ist Karte,
bietet ein Dienstleistungsunternehmen
an,
dessen Dienstleistungen und Preise so aussehen, daß sie der Deutschen
Post ähnlich sehen, und läßt Karte für Karte durch
die Frankiermaschinen schlüpfen.
Miss Saigon,
drucken die Frankiermaschinen links neben
die Briefmarke und über die Adresse.
Aber so sehe ich doch gar nicht aus,
entsetzt sich eine Frau, die aussieht,
wie Bohumila Grögerová ausgesehen hat, als sie den
Josef Hiršal kennen lernte.
Überhaupt war das früher ganz
anders,
fügt der Mann hinzu, der aussieht
wie der Mann, den die Frau, die aussieht wie Bohumila Grögerová,
als Josef Hiršal kennen lernte.
Da saß zum Beispiel,
sagt der Mann der aussieht wie der Mann,
der undsoweiter,
da saß zum Beispiel neben einem
Kartenleger ein Kartenschläger in einem Kartenzimmer an einem Kartentisch
und schlug einen Kartenstempel auf die Kartenpost.
Auf die Postkarten,
verbessert die Frau, die aussieht wie
die Frau, die undsoweiter.
Hagaki o gomai kudasai,
verlangt ein Mann, der aussieht wie
Hiroo Kamimura,
Tomodachi ni hagakio dashimashita.
Ich habe keine Wohnung, bloß ein
Postfach,
antwortet der Freund, der aussah, wie
Günter Eich ausgesehen hat,
Besuch mich da.
Kono hen de wa, ichi-nichi ni nikai yûbin
ga haitatsu saremasu,
schreibt der Mann der aussieht wie Hiroo
Kamimura.
Hornissen sind selten,
antwortet der Freund, der aussah, wie
Günter Eich ausgesehen hat,
aber in meinem Postfach nisten sie. Sie
sind pflaumengroß und gutmütig und rascheln in alten Briefen.
Alles ist relativ,
erklärt ein Mann, der aussieht wie
Hans Brög, wobei er das Mittelalter in Mitte und Alter halbiert.
Einstein niest nie,
schüttelt sich ein Mann, der aussieht
wie Pierre Garnier, während eine Frau, die aussieht wie
Ilse Garnier, dazu Stuttgarter Zwiebeln reicht, die wie Erdbeeren aussehen.
Pomme, pompier, Pompidou,
spielt sie
aux petits oignons
einen Zwischenfall vor dem Beaubourg an.
Damals muß auch der große
Stuttgarter Apfel- und Birnenkrieg begonnen haben,
vermutet ein Mann, der aussieht wie
Johannes Auer, und verschwindet wieder im Internet.
Birne ragt gen Ozean,
schlägt der Mann vor, der aussieht
wie Reinhard Döhl.
Birnen sind eine Sache des Aberglaubens,
entgegnet eine Frau, die aussieht wie
Barbara Wichelhaus,
während Äpfel mehr im Mythos
vorkommen.
Ein Apfel kommt selten allein,
widerspricht der Mann, der aussieht wie
Reinhard Döhl.
Aber du bist im Alphabet nur bis Wurm
gekommen,
rechnet ein Löffelholz nach, das
aussieht wie Franz Mon, oder ist es umgekehrt.
A loose cannon cannot cant a can of worms,
souffliert ein Mann, der aussah wie der
berühmte Tim Finnigan aus der Walker Street,
No way coming out.
Ätsch Ätsch,
entlacht sich ein Chlebnikist -
Ora smetis,
korrigiert lächelnd die Frau, die
immer noch aussieht wie Bohumila Grögerová, aber der
Chlebnikist, der aussieht wie Wil Frenken, besteht auf seinem
großen HaHa,
Was im Japanischen bekanntlich meine Mutter
heißt,
merkt der Mann an, der immer noch aussieht
wie Hiroo Kamimura.
Da capo,
ruft der Mann, der immer noch aussieht
wie Johannes Zagrosek, und läßt seinem Cello einen unreinen
Ton entfahren.
Deine Partitur,
fügt er für den Mann, der noch
immer aussieht wie Reinhard Döhl, hinzu:
Deine Partitur...
Doch der Mann, der noch immer aussieht
wie Reinhard Döhl, ist längst nach Prag geflüchtet.
sníst,
teilt er einer Freundin, die aussieht
wie Ewa Szenfeld, mit,
sníst
snít
sníst
snít
sníst
snít
snídat s ní
s ní si dát.
Das verstehe ich zwar nicht,
erklärt die Freundin, die wie
Ewa Szenfeld aussieht,
aber ich habe schon immer gesagt, daß
ich mit Dir erst ausreiße, wenn Du viel Geld hast.
Ich brauche dringend ein Atelier,
kartet eine ehemalige Studentin, die aussieht
wie Isa Dahl, aus Florenz nach, was die Hunde eines ehemaligen Studenten,
der aussieht wie Daniel Wagenblast, verdreifacht, worauf eine Frau,
die aussieht wie Ulrike Müller-Herancourt, in großer
Sorge um ihre belämmerten Ziegen, nach einem Ziegenpeter ruft und
der Fernsehturm von einem Mann, der aussieht wie Diter Rot, mit
roter Tarnfarbe angestrichen wird.
Es gibt nur rote Geheimnisse in der Welt,
zitiert ein Mann der aussah wie der
große Max.
Gott raucht nicht
er braucht Pudding,
versichert ein Mann, der aussah wie Werner
Schreib, obwohl er seine Karten auch mit Adolph Strauch, Adolf
von Menzel oder Errnes Wichbar unterschrieb.
Man sollte,
meldet sich noch einmal der Mann, der
aussieht, wie der große Ballhorn ausgesehen haben soll, zu
Wort,
man sollte wirklich nicht alles auf Deyles
Karten setzen.
Warum läßt Du Dir nicht in
die Karten schauen,
fragt ein Freund, der aussieht wie
Siegfried Cremer auf dem Jakobsweg. Und er meint nicht den Mann, der
aussieht, wie der große Ballhorn ausgesehen haben soll.
Er hat seine Karten doch alle auf den
Tisch gelegt,
sagt ein Frau, die aussieht wie Ulrike
Rickele Gauss. Und auch sie spricht nicht von dem Mann, der aussieht,
wie der große Ballhorn ausgesehen haben soll.
Er hat doch,
wiederholt sie,
das ganze Kartenspiel mit seinen Freunden
aufgedeckt.
Der Ursprung der Spielkarten,
schreibt das deutsche Wörterbuch
des Aberglaubens,
ist gänzlich unbekannt und bedarf
noch sehr der Aufhellung. Angeblich stammen sie aus China.
So ist es,
sagt ein Mann, der aussieht wie Chong
Li Bai,
schließlich haben wir auch den Siebdruck
erfunden.
Wobei ihm eine Frau, die aussieht wie
LiLi und eigentlich Li Wen Bai heißt, freundlich zunickt.
Wann kommst Du endlich,
schreibt sie dem Mann, der auch jetzt
noch aussieht wie Reinhard Döhl,
wann kommst Du endlich als Postkarte nach
Beijing. Wir werden bestimmt großen Spaß miteinander, wir werden
auch eine kleine Ausstellung zusammen haben.
Und während auf den Fildern alles
auf eine Karte gesetzt wird, während zwischen Wald und Reben die alten
Kartenhäuser des Partners der Welt in sich zusammenfallen, werden
im Wilhelmspalais aus Landkarten Postkarten, wird aus Postkarten ein Kartenspiel,
werden Bücherwürmer und Internetsurfer zu Kartenlesern, wird
eine Frau, die aussieht wie Frau Ott-Osterwold, zur Kartenschlägerin
und eine Madame, die aussieht wie Madame Jouly, zur Kartenlegerin,
wird aus dem Wilhelmspalais ein futuristischer Leses@lon und ein
neues Kartenhaus.
e) Ausstellungskritik
Irene Ferchl: Alles auf eine Karte
gesetzt
Zwei Ausstellungen mit Mail Art in Stuttgart
und Weil der Stadt
Mail Art kann man definieren als eine
Kunst die es in Kauf nimmt, daß die Post sie bei der Beförderung
verändert, zumindest einen Stempel aufdrückt, wenn nicht sogar
stärkere Transportspuren hinterläßt. Fast immer ist auch
das Format A6 vorgegeben und damit auch Zweiseitigkeit: die Ansichtsseite
vorne und die für schriftliche Mitteilungen. für Anschrift, Absender,
Briefmarke reservierte Rückseite. Wenn in diesen Tagen gleich zwei
Mail-Art-Ausstellungen eröffnet wurden (und eine dritte mit dem Aspekt
politischer Opposition als versandfähiger Subversivität in Schwerin,
siehe StZ vom 28. August), dann ist das Zufall. Man wußte in Stuttgart
und Weil der Stadt nicht voneinander. Umso aufschlußreicher ist der
Vergleich: Nach Betrachtung der weit mehr als dreitausend Kunststücke
weiß man zumindest, wie unglaublich vielfältig auf dem Poskartenformat
gearbeitet werden kann.
Reinhard Döhl, der Stuttgarter Literaturprofessor,
Autor und Künstler, beschäftigt sich seit Ende der fünfziger
Jahre mit Karten. Er bewunderte zunächst Künstlerpostkarten (wie
sie zwischen Franz Marc und Else Lasker-Schüler hin- und hergingen)
und klebte selbst Collagen in diesem, für Studentenbudenschreibtische
äußerst praktischen Format. Von 1962 datiert sein Text über
Ansichtskarten. in dem es heißt: "In meinem Karteikasten sammeln
sich die Ansichten der ganzen Welt die sie beschreiben" oder "Sie bezeichnen
eine Welt, die es sonst auf der Welt nicht gibt. Die es nirgendwo auf der
Welt mehr gibt. Und die gezeigte Welt ist jedesmal eine andere." Es ist
die Zeit, in der Mail Art ihren Einzug in internationale Kunstwelt hält.
In Döhls umfangreichem Kartenwerk,
aus dem die Stadtbücherei im Wilhelmspalais jetzt rund zweitausendfünfhundert
Exemplare vorstellt, entstehen zuerst Einzelstücke als Skizzen und
Bildideen zur (kultur)politischen Auseinandersetzung, später ganze
Serien, Ensembles und sogar komponierte Postkartenbilder aus Vorlagen von
Oskar Schlemmer und Max Ernst. Karten dienen als Reiseerinnerung (wie die
"Romsiebensachen") sowie als Medium zur Diskussion ästhetischer Fragen,
um Projekte in die Wege zu leiten. Der dialogische Aspekt wird immer offensichtlicher,
ist unübersehbar in der Korrespondenz mit Ulrike Gauss, der Döhl
zwischen 1989 und 1992 täglich Karten sendet, mit Wolfgang Ehehalt
("Kunst & Kompostkarten Projekt") und den Künstlerfreunden in
Japan, Frankreich und der Tschechischen Republik. In den achtziger und
neunziger Jahren sind diese Arbeiten gelegentlich ausgestellt worden (zuletzt
bei Buch Julius zu Else Lasker-Schüler), aber noch nie in dieser schier
unübersehbaren Menge und in allen erdenklichen Variationen.
Wie präsentiert man Postkarten in
einer solchen Anzahl? Sie im Stapel, im Karteikasten zum Durchblättern
oder als Wurfsendung. zu zeigen, verbietet sich bei Kunst von selbst. Die
einfachste Lösung, sie in Rahmen oder Vitrinen zu stecken, bedeutet,
nur die Schauseite zeigen zu können. Betrachterfreundlicher ist es,
die Karten eingeschweißt in Klarsichtfolie, wie Vorhänge ins
Treppenhaus zu hängen, wo sie leise, ihrer Postkartenhaftigkeit entkleidet,
schwingen und Döhls feine schräge Schrift, akkurat und immer
ein bißchen nach unten kippend, gut lesbar werden lassen. - In ihrer
Einführung betonte Hannelore Jouly, die Leiterin der Stadtbücherei,
das Dialogische der Döhlschen Kunst. Ob mit der Mail Art, ob mit seinen
Hörspielen. ob mit der poetischen Korrespondenz zum Japan-Festival
oder seit neuem im Internet - Döhl stifte zur Kommunikation an. Um
dies zu untermauern, trug er zur Eröffnung einen Text vor, der so
witzig, sprachverspielt und hintergründig wie seine Postkarten Stadt
und Leute aufs Korn nimmt. Sein Titel: "Das Stuttgarter kleine Kartenspiel".[...]
"Dialoge. Mail Art. Reinhard
Döhl und Freunde" bis zum 26. Oktober in der Stuttgarter Stadtbücherei,
Montag bis Freitag 11 bis 19 Uhr, Samstag 10 bis 16 Uhr. Am Mittwoch, 9.
Oktober, spricht Reinhard Döhl um 19 Uhr über "Ansätze und
Möglichkeiten künstlerischen Dialogs und dialogischer Kunst".
[Stuttgarter Zeitung 11.9.1996]
Reinhard Döhl: Ansätze und Möglichkeiten
künstlerischen Dialogs und dialogischer Kunst.
[...] Weniger offensichtlich und meist
nur einseitig stellt sich ein dritter komplexer Künstlerdialog der
damaligen Jahre dar: die Korrespondenz zwischen Franz Marc und Else Lasker-Schüler.
Dieser Dialog beginnt im August 1912 mit einem Holzschnitt Franz Marcs
zu Else Lasker-Schülers Gedicht "Versöhnung". Im Dezember präsentiert
dann der blaue Reiter in einem ersten Brief an die Dichterin ihrer
Hoheit
sein blaues Pferd . Das war zugleich die erste der bis heute fast ausschließlich
bekannten "Botschaften an den Prinzen Jussuf", die auf Seiten Else Lasker-Schülers
eine intensive Reaktion auslösten, sowohl in Form zahlreicher illustrierter
Briefe als auch Zeichnungen und Postkarten, wobei Zeichnung und Text ikonographisch
von beiden Partnern so sehr aufeinander bezogen werden, daß sich
ihr halb realer, halb fiktiver Dialog erst dann ganz erschließt,
wenn man seine Sequenzen alles in allem nimmt.
Auf einer Postkarte Marcs vom 21. Mai
1913, einem "Bild aus Jussufs Friedenszeiten", interessiert mich dabei
vor allem das in den Baum eingeschnittene Herz, ein mehr als triviales
ikonographisches Element, dem man erst dann hinter den Sinn kommt, wenn
man weiß, daß Else Lasker-Schüler den Gesichtern ihrer
gezeichneten Figuren gerne einen Stern oder eine Rose oder auch ein Herz
applizierte. Und zweitens, daß Marc Else Lasker-Schüler kennen
lernte, als ihre Ehe mit Herwarth Walden auseinanderging, was in zahlreichen
fiktiven Briefen, Postkarten und Telegrammen Else Lasker-Schülers
an Herwarth Walden und seinen Freund Kurt Neimann ihren Niederschlag fand,
die zum Teil im "Sturm" als "Briefe nach Norwegen", dann in Buchform unter
dem Titel "Mein Herz. Ein Roman mit Bildern und wirklich lebenden Menschen"
veröffentlicht wurden. Dieser Titel wiederum verweist mehrdeutig nicht
nur auf die psychische Verletzung, sondern zugleich auf eine längerwierige
physische Herzschwäche Else Lasker Schülers, die damals von Alfred
Döblin unter anderem mit Opiaten behandelt werden mußte. Das
alles war Marc natürlich geläufig, als er dem Baum seiner Postkarte
ein Herz einschrieb.
Daß Else Lasker-Schüler diese
Einschrift durchaus verstanden hatte, zeigt eine nicht genau datierbare
Zeichnung wahrscheinlich aus dem Jahre 1915, deren Zuschrift lautet: Jussuf
erhängte sich, jedoch die Thebaner glaubten, Ossman habe ihn - auf
sein Geheiß - erschlagen.
Konkret nimmt diese Zuschrift den Schluß
der "Kaisergeschichte" "Der Malik" vorweg, an deren Ende sich der schon
seit langer Zeit schwermütige Jussuf erhängt. Else Lasker-Schüler
hat aber auch den Kriegstod Franz Marcs in diese "Kaisergeschichte" verwoben,
indem die Stadt [...] von den heimkehrenden kaiserlichen Knaben
erfährt, daß auch Ruben tot sei, gefallen des Maliks teurer
Halbbruder, der blaue Reiter von Kana. Und sie hat ihr Buch Meinem
unvergeßlichen Franz Marc / DEM BLAUEN REITER / in Ewigkeit gewidmet.
Gegen Ende des Romans, in dem sich Jussuf
allerdings, anders als auf der Zeichnung, im Palast (!) erhängt, steigt
Jussuf auf den Birkenhügel, der traurigste Mensch in Theben. In
ihren Zweigen schlummerte die Seele der Königin mit den goldenen Flügeln,
darum er den holden Baum nicht fällen wollte. [...] In den Stamm des
Baumes schnitt er ein blaues Herz und unter ihm seine geliebte Stadt Tiba.
Das blaue Herz, Blau war die Lieblingsfarbe
Else Lasker-Schülers, in ihrer mit schwarzer und farbiger Kreide überarbeiteten
Federzeichnung von 1915 identifiziert gleichsam das von Marc anspielungsreich
zitierte Herz als Mein Herz. Das über ihm eingezeichnete Theben,
das sich als Hintergrund der Zeichnung ein weiteres Mal andeutet, zitiert
die Stadt, in der sich der blaue Reiter und Prinz Jussuf begegnet sind,
den fiktiven Ort, vor/in dem ihr wechselseitiger Dialog stattfand.
[1955 haben haben wir anläßlich
ihres 50. Todestages mit Bezug auf diesen Dialog eine internationale mail
art-Aktion und -Ausstellung, "Der blaue Reiter ist gefallen, der blaue
Reiter ist angelangt", veranstaltet, zu der auch gemeinsame und individuelle
literarische Beiträge, u.a. "mein herz ist eine traurige zeit, die
tonlos tickt" und im weiteren Sinne das Konversationsstück "morgen
war gestern" (s.u.) gehörten.]
[...]Für die folgenden Beispiele,
mit denen zugleich der Bogen zur Gegenwart geschlagen werden soll, darf
ich wiederholen, daß sich aus der Anlage des Stuttgarter Gruppenunternehmens
internationale Kontakte ergaben, die bis heute Bestand haben. Diese Kontakte
erhielten sich unter anderem durch eine in den 60er Jahren einsetzende,
seit den 80er Jahren immer intensivere mail art, eine Korrespondenz mit
individuell gestalteten Postkarten, auf denen und mit Hilfe derer ästhetische
Konzepte, Ideen, Programme diskutiert oder auch nur Grüße ausgetauscht
wurden und werden mit Partnern vor allem in Japan, Frankreich, der tschechischen
Republik, aber auch der Volksrepublik China, Finnland, Polen und natürlich
Deutschland.
Die Vielfalt dessen, was sich auf diesem
Wege austauschen läßt, haben 1989 eine Ausstellung der Kunst&Kompostkarten
von Wolfgang Ehehalt und mir in der Galerie Folkmar von Kolczynski, 1995
die "Postkarten zu Else Lasker Schüler" in der Galerie Buch Julius
angedeutet. Wobei ich ergänze, daß die Galerie Buch Julius auch
sonst mit Ausstellungen von Arbeiten Max Benses, Carlfriedrich Claus',
Wil und Susanne Frenkens, Ilse und Pierre Garniers, mit je einer Ausstellung
japanischer und tschechischer Künstler nicht nur das Umfeld, sondern
auch die internationale Eingebundenheit der Stuttgarter Gruppe/Schule wiederholt
in Erinnerung gebracht hat. In welchem Umfang dieser meist von Stuttgart
ausgehende Dialog in Wirklichkeit geführt wurde und immer noch wird,
demonstrierte Ausstellung "mail art - Reinhard Döhl und Freunde" 1996
im Wilhelmspalais mit mehr als 2500 Exponaten aus über 30 Jahren.
Aus diesem dialogischen Netzwerk der mail
art und seiner vielfältigen Möglichkeiten möchte ich lediglich
ein Beispiel herausgreifen: die Genese einer gemeinsamen Komposition, der
"californian sonata", zunächst auf dem Postweg.
1994 schickte ich an den Cellisten Johannes
Zagrosek, der seit Jahren schon grafische, oft nur postkartengroße
Partituren von mir realisiert, das Konzept einer Sonate, wobei die Bildseiten
den ungefähren Verlauf skizzierten, die Textseiten zum Teil recht
genaue Angaben zu den Tönen, den musikalischen Zitaten, zum Teil aber
auch freundschaftlichen Unsinn enthielten. Der Titel erklärt sich
aus der Tatsache, daß Kalifornien sowohl in der Biographie Gertrude
Steins wie John Cages, der sehr früh bereits Texte Gertrude Steins
'vertont' hatte, eine gewichtige Rolle spielt. Ich zitiere die Textseiten:
Lieber Johannes, außer der chamber
music hab ich mir und dir noch eine "Californian Sonata" ("concord", vgl.
Ch. Ives) konzipiert. Dies wäre schon einmal der Baßschlüssel.
Den Rest gibt's in Fortsetzungen. [...] / [...] eigentlich hatte ich gedacht,
Du würdest vor Neugier platzen. - Wohlan denn: Satz 1, 1. Thema: h
a e es a g es e. Eigentlich ganz harmonisch! [...] / [...] das 2. Thema
geht dann so: e h a d d e h. Nicht ganz so harmonisch aber auch nicht schlecht.
Jedenfalls auf dem Spinett. [...] / [...] jetzt müssen natürlich
beide Themen nach bester 12Tonmanier durchgearbeitet werden. Die Umkehrung
und der Krebs sind wichtig. Wenn das nicht Händel gibt! [...] / [...]
der zweite Satz beginnt damit, daß Franz Elise eine alte Krampfhenne
nennt und eine Winterreise antritt, Ludwig van ihm die schöne Müllerin
ausspannt. Naja [...] / [...] hab' ich Dir eigentlich die beiden Themen
des ersten Satzes, den ich übrigens 6:2 gegen Steffi Graf gewonnen
habe, schon mitgeteilt? Clara war unpäßlich und Brahms ziemlich
verbittert. Achja [...]
[...] also Deine Feuerwerksmusik kam
bei uns nurmehr als Krach an. Die Spülung betätigend haben wir
mit einer Wassermusik geantwortet, nur Lindpaintner war nicht einverstanden,
Ende des 2. Satzes! [...] / [..] die freundliche Einladung ist Grund, Dir
einen weiteren Satz der Sonate zu schicken. Übrigens ein paar Töne
oder Laut dürftest Du schon einmal wegen dieser welterschüt-
[...] / [...] ff. ternden Komposition (von Dir) geben. In ihrem dritten
Satz (hasta la vista) geht es zwar nicht über Stock und Stein, auch
solltest Du ihn nicht vierhändig mit Stockhausen auf einem Steinway
- aber [...] / [...] Du solltest Dich nicht nur oberhalb sondern auch unterhalb
des Steges aufhalten; & gelegentlich auch Zumsteeg (1760-1802 eben
u. auch ein Johann) just on the road, stone-way eben [...] / [...] der
17. ist genauso geeignet wie der 13., mit dem 4. Satz: scherzo fundamentale:
zu beginnen. Er besteht hauptsächlich aus Klopfzeichen auf dem ff.
[...] / [...] ff. Celloboden (das Instrument ist also verso zu traktieren
(mit einigen Zwischengriffen recto) was mich auf rektal und die Frage bringt,
warum der Mastdarm beim Cello ff. [...] / [...] ff. vorn ist? Oder ist
vorne beim Cello hinten: Wie auch immer, im vierten Satz hast Du vor allem
Klopfzeichen zu geben und wenig zu streichen, was sagen soll, daß
der 4. Satz nicht gestrichen wird. Alternatives pizz[icato] und Zupfgeigenhansl
ad lib. [...] / [...] jetzt sollten wir uns so langsam an den letzten Satz
machen, der natürlich auf dem Grundton de basiert und zunächst
mit de dis de des de dis de des das Auf und Ab unserer Wer- [...] / [...]
ff. keltagswelt so recht zu Gehör und vor die Ohren bringt und stellt.
Danach hast Du die Wahl, ob Du zu des ce ha / ce des ce ha absteigen oder
Dich schon zu dis e ef e dis usw. aufschwingen willst. Um jedes Mißverständ-
[...] / [...] ff. nis auszuschließen: ich gehe immer noch davon aus,
daß Du meine Dir gewidmete oder doch zugedachte Komposition auch
aufführst mit Pfeil u. Bogen, Stumpf und Stil (!) minor et major [...]
/ [...] ich sehe gerade, daß ich Dir den letzten Satz noch nicht
auf die Post gegeben habe. So füge ich rasch die Coda noch bei und
Du kannst Dir das Ganze jetzt hinter den Spiegel stecken oder einrahmen.
Herzliche Grüße auch an Betty, Dein Reinhard.
Nach einer ersten Aufführung 1994
im Max-Bense-Saal des Wilhelmspalais' haben Johannes Zagrosek und ich die
Realisation diskutiert, was zu einer zweiten Version führte, die 1996
im Rahmen des Gertrude-Stein-Abschlußprogramms in der neuen Musikhochschule
aufgeführt und dem Fernsehbericht darüber als Musik unterlegt
wurde.
Mein vorletztes Beispiel ist eine "Poetische
Korrespondenz" in der Tradition des japanischen, Renga bzw. Renshi genannten
Kettengedichts, an dem mehrere Personen beteiligt sind; im konkreten Fall
Bohumila Grögerová und Josef Hiršal aus Prag, Ilse und Pierre
Garnier aus Paris bzw. Amiens, Yüksel Pazarkaya aus Istanbul bzw.
Bergisch Gladbach, Hiroo Kamimura und Syun Suzuki aus Japan und ich.
Anfang April 1995 wurden von der Volkshochschule
Stuttgart an die genannten Autoren Briefe geschickt, in denen 8 Ketten
so festgelegt waren, daß jeder der Beteiligten eine der Ketten beginnen,
eine zweite schließen und daß, im Umlauf der Ketten, jeder
auf jeden Korrespondenten einmal reagieren mußte. Am 31. Mai 1995
war die letzte der 8 Ketten geschlossen. Für eine abschließende
9. Kette wurden dann 5 weitere Kurzgedichte in Ober- und Unterstophe getrennt
und zur Vervollständigung so verteilt, daß jeder der beteiligten
Sprachen mit jeder anderen in einem Kurzgedicht zusammenklingen mußte.
Musikalisch gesprochen besteht also die "Poetische Korrespondenz" aus 8
(thematischen) Durchführungen und einer Engführung.
Ausgangspunkt für jede Kette war
ein auch für das Ganze als Motto vorgegebenes, programmatisch gedachtes
Tanka Onoe Saishûs: Auf der nämlichen Erde / stehen die nämlichen
Bäume zusammen. / Und auch am heutigen Tag / schlagen die nämlichen
Blätter / raschelnd zusammen.
Auf dieses war also zunächst zu reagieren,
wobei das erste Gedicht einer Kette in der Regel das Thema der Kette anschlug.
Um möglichst viel Eigenes in die Beiträge einfließen zu
lassen, waren die Korrespondenten angehalten, in ihrer eigenen Sprache
zu schreiben und ihre Texte allenfalls mit einer Rohübersetzung zu
versehen. Diese Bedingung war uns wichtig, weil es so möglich wurde,
die unterschiedlichen Sprachstrukturen des Japanischen, Türkischen,
Tschechischen, Französischen und Deutschen mit- und gegeneinander
zum Klingen zu bringen.
Ich verweise zunächst auf den einzelnen
Ketten zugehörigen, sie thematisch bündelnden Kanji eines weiteren
japanischen Freundes, des Sho-Meisters Kei Suzuki, mit dem ich seit 1987
wiederholt zusammen experimentiert, gearbeitet und auch ausgestellt habe.
Diese Kanjis bedeuten in der gezeigten Reihenfolge Ulme, Schweigen,
Blatt, Vogel, Leben und Sterben, Spiegel, Sein. Das letzte Zeichen
lautet henkô und bedeutet Änderung, Veränderung.
Es ist Kei Suzukis Zusammenfassung der 8. Kette, die ich als Beispiel in
deutscher Übersetzung zitieren darf:
Am gleichen Himmel / gepunzt das gleiche
Gesicht. / Gestern wie heute / zwinkert das gleiche Gesicht / im Mondlicht,
bei Sonnenschein. / (Yüksel)
Schaut man nach oben / werden am gleichen
Himmel / die gleichen Sterne / untereinander sprechen / im Osten wie im
Westen. / (Hiroo)
Weit und breit unter / dem Himmel von
West nach / Ost unter den ewig / nämlichen Sternen findest / du keinen
festen Punkt. / (Josef)
Über den Himmel / eine lange strahlende
/ Spur ziehend, fiel ein / heller Stern hinter den Berg. / Heute wollen
wir leben! / (Syun)
Seit ich Chlebnikov / unter dem Hundsstern
getroffen / habe, spreche ich / die Sternensprache, zas für / uzas,
mache ich Fortschritte. / (Reinhard)
Wie Chlebnikov sich / der Poesie verschreibend?
/ Wagst du, meine Freundin, / mit einem Sack von Versen / als Kopfkissen
durch die Welt zu wandern? / (Bohumila)
Wenn du mit leichtem Gepäck /
- einen Tropfen Tau, eine Sternschnuppe im Haar - / zu poetischen Horizonten
wanderst, / vergiß nicht den Strauch, / der am Wegrand dorrt. / (Ilse)
So aber ist dieser / Augenblick, der
endlich kommt: / das Leben ist erfüllt, / man scheidet aus der Geschichte
/ um in die Geographie einzutreten. / (Pierre).
Diese "Poetische", auch im Druck zugängliche
"Korrespondenz" aus dem Jahre 1995 ist, wie ich ergänzen muß,
nicht das erste und auch kein Einzelunternehmen dieser Art. Seit Anfang/Mitte
der 80er Jahre hat es immer wieder einmal Versuche gegeben, die altehrwürdige
japanische Form des gemeinsamen Kettengedichts zu erneuern [...]
[1996]
Mail Art. Döhl, Auer, Kieninger.
Collages entre Stuttgart y Montevideo 1998.
Una exposición de postales.
Montevideo, Instituto Goethe 14.-22. Diciembre.
[Eröffnungsausstellung
im Rahmen des Tango-Projekts Montevideo-Stuttgart von Martina Kieninger]
Reinhard Döhl und Freunde:Mail Art
(2)
Stadtbücherei Wildbad [31.3.-5.5.;
verlängert bis 13.6.2000]
a) Zu den Kunst & Kompostkarten
[Ankündigung]
Postkartengroße Formate im Spannungsfeld
zwischen Typographie (vgl. die Folge Apfel/Birne/Blatt von 1965)
und Collage spielen im künstlerischen Werk Reinhard Döhls seit
1959 eine größere Rolle. Zunächst Einzelstücke, selten
kleinere Folgen, treten Döhls Kunstpostkarten Mitte der 60er
Jahre zunehmend auch zu Ensembles zusammen. Zunächst fast ausschließlich
mit Wolfgang Ehehalt, dann mit Ulrike Gauss hält Döhl auf dem
Wege der mail art bald auch international Kontakt mit Künstlerfreunden
in Japan, Frankreich, der Tschechischen Republik u.v.a.m.. Innerhalb seines
bildkünstlerischen Werkes bilden die Kunst&Kompostkarten
eine zentrale Konstante als Ort für erste Notizen, Bildideen, Skizzen,
Entwürfe, aber auch (kultur)politische Auseinandersetzungen. Bei Reisen
und längeren Auslandaufenthalten (vor allem Japan 1987 und 1996, Frankreich
1990, Italien 1992, Israel 1998/9) übernehmen sie zusätzlich
die Funktion von Reisebericht und -tagebuch, spiegeln sie Eindrücke
und berichten von Plänen, deren oft einzige Realisation sie sind.
[1999]
b) Katalog
Texte:
Joachim Kuolt: Anmerkungen
zu Ausstellung und Katalog.
Aus: Ansichtskarten 2, 3,
6
Die Korrespondenzpartner
mail art. ein manifest
Abbildungen:
S. 1 Titelseite
Reinhard Döhl und Freunde
/ Mail Art
S. 2 oben
Reinhard Döhl, 1959
/ Korrespondenzpartner
S. 2 unten
Aus: Ansichtskarten
S. 3
Text Joachim Kuolt
S. 4 oben
mail art. ein manifest
S. 4 unten
Reinhard Döhl, Anfang
60er Jahre
S. 5
Reinhard Döhl, 1972
S. 6 oben
Reinhard Döhl, 1975
S. 6 unten
Reinhard Döhl
Wolfgang Ehehalt, 1999
S. 7
Wolfgang Ehehalt Reinhard
Döhl, 1998
S. 8 oben
Reinhard Döhl (San
Francisco) Hiroo Kamimura (Mito), 1993
S. 8 Mitte
Hans Brög Reinhard
Döhl, 1995
S. 8 unten
Reinhard Döhl Wolfgang
Ehehalt, 1999
S. 9 oben
Reinhard Döhl (London)
Luise Döhl, 1991
S. 9 unten links
Reinhard Döhl (Prag)
Wolfgang Ehehalt, 1997
S. 9 unten rechts
Reinhard Döhl/Franz
Mon (Wien) Wolfgang Ehehalt, 1998
S. 10 oben links
Reinhard Döhl Isa Dahl
(Firenze), 1996
S. 10 oben rechts
Isa Dahl (Firenze) Reinhard
Döhl , 1995
S. 10 unten
Wolfgang Ehehalt Reinhard
Döhl (Senriyama), 1996
S. 11 oben
Wolfgang Ehehalt Reinhard
Döhl (Senriyama) 1996
S. 11 unten links u. rechts
Reinhard Döhl (Senriyama)
Wolfgang Ehehalt, 1996
S. 12 oben
Kei Suzuki (Tokyo) Reinhard
Döhl, 1993
S. 12 unten links
Chong Li Bai (Peking) Reinhard
Döhl, 1995
S. 12 unten rechts
Reinhard Döhl Hiroo
Kamimura (Mito), 1995
S. 13 oben
Xiang Wen Bai (Toronto)
Reinhard Döhl, 1995
S .13 Mitte
Reinhard Döhl Suyn
Suzuki (Chiba), 1997
S. 13 unten
Li [LiLi] Wen Bai (Peking)
Reinhard Döhl, 1996
S. 14 oben links
Hiroo Kamimura (Mito) Reinhard
Döhl, 1993
S. 14 oben rechts
Ilse Garnier (Amiens) Reinhard
Döhl, 1995
S. 14 unten
Heinz Hirscher Reinhard
Döhl, 1997
S. 15 oben links
Barbara Wichelhaus Reinhard
Döhl, 1995
S. 15 oben rechts
Reinhard Döhl, 1996
S. 15 unten
Johannes Auer Reinhard Döhl,
1999
S. 16 oben links
Barbara Wichelhaus Reinhard
Döhl, 1996
S. 16 oben rechts
Pierre Garnier (Amiens)
Reinhard Döhl, 1994
S. 16 unten
Susanne Frenken Reinhard
Döhl, 1995
S. 17 oben rechts u. links
Wolfgang Ehehalt Reinhard
Döhl, 1996
S. 17 unten rechts u. links
Wolfgang Ehehalt Reinhard
Döhl 1997
S. 18 oben rechts u. links
Wolfgang Ehehalt Reinhard
Döhl, 1991 Wolfgang Ehehalt, 1996
S. 18 unten rechts u. links
Reinhard Döhl Wolfgang
Ehehalt, 1999
S. 19 oben
Reinhard Döhl (Paris)
Ulrike Müller-Herancourt, 1996 oder 1997?
S. 19 unten links
Reinhard Döhl Wolfgang
Ehehalt, 1997
S. 19 unten rechts
Reinhard Döhl Wolfgang
Ehehalt, 1998
S. 20
Reinhard Döhl, Aus
den Botnanger Annagrammen, 1995 ff.
S. 21 oben links
Reinhard Döhl Will
Frenken, 1995
S. 21 oben rechts
Reinhard Döhl Buch
Julius, 1994
S. 21 unten links u. rechts
Reinhard Döhl (Jerusalem)
Wolfgang Ehehalt, 1999
S. 22 oben
Franz Mon Reinhard Döhl,
1995
S. 22 unten
Erdmut Bramke (Provence)
Reinhard Döhl, 1989
S. 23 oben
Joachim Kuolt Reinhard Döhl,
1997
S. 23 unten links u. rechts
Reinhard Döhl Wolfgang
Ehehalt, 1997
S. 24
Rückseite / Impressum
c) Einführende Anmerkungen zu
Ausstellung und Katalog: Reinhard Döhl und Freunde: mail / art
Von Anfang an spielen Arbeiten im klassischen
Postkartenformat eine bedeutende Rolle im bildkünstlerischen Werk
von Reinhard Reinhard Döhl. Sein - zunächst überwiegend
rezeptives - Interesse wurde geweckt, als der damalige Göttinger Germanistik-,
Philosophie- und Geschichtsstudent im September 1958 von seinem Kommilitonen
Hans-Heinrich Lieb eine Ausgabe von Franz Marcs Botschaften an den Prinzen
Jussuf zum Geburtstag geschenkt bekam. Der hieraus entstehende Wunsch,
solche Kunstpostkarten zu sammeln, die ihre erste Silbe auch tatsächlich
verdienen, ließ sich erst einmal nicht erfüllen: was Döhl
ab und an im Kunsthandel aufstöberte, konnte er sich nicht leisten,
und Künstlerfreunde hatte er zu der Zeit noch keine.
Dies änderte sich mit dem Umzug nach
Stuttgart, zu dem Döhl 1959/60 in der Folge des Skandals nach Veröffentlichung
seiner "missa profana" und dem damit verbundenen Verweis von der Göttinger
Universität gezwungen war. Die neuen Stuttgarter Freunde Klaus Burkhardt,
der zu jener Zeit typographisch anspruchsvolle eigene Postkarten druckte,
und Günther C. Kirchberger, der u.a. Gouachen im Postkartenformat
malte, stimulierten Döhls Interesse erneut und regten ihn zu einer
nun intensiver werdenden eigenen Produktion von Kunstpostkarten im Spannungsfeld
zwischen Typographie und Collage an. Waren die dabei entstehenden Arbeiten
zunächst Einzelstücke oder - seltener - auch kleinere Sequenzen,
treten sie ab Mitte der 60er Jahre mehr und mehr zu Ensembles zusammen;
hierzu gehören etwa die "Tapoems and Typieces" von 1964-66 (z.T. publiziert
in RD., BilderBuch, hg. von Ulrike Gauss, Stuttgart 1990, S. 7-10) oder
die Folge "Apfel/Birne/Blatt von 1965.
Es läßt sich nicht mehr mit
Sicherheit sagen, wann Döhl'sche Karten erstmals tatsächlich
auf den Postweg gegeben wurden. Wahrscheinlich hat Döhl postalisch
mit Klaus Burkhardt Karten getauscht; aus der Korrespondenz mit Werner
Schreib sind nur Karten Schreib's von 1962 und 1963 erhalten, was auch
in den Fällen Diter Rot und Jiri Kolar gilt). Die nachweislich älteste
auf dem Postweg gelaufene Karte Döhls trägt einen Münchner
Poststempel vom 18.1O.1966 und ist an seine Tochter adressiert.
Nach dem Rückzug aus dem allgemeinen
Kunstbetrieb im Verlauf der 70er Jahre - seiner "blackbox"-Phase - behalten
Postkarten und nicht fürs Verschicken gedachte Arbeiten im Postkartenformat
für Reinhard Döhl dennoch ihre Wichtigkeit: zunehmend werden
sie zum Spiel- und Experimentierfeld für Skizzen, Bildideen, Notate
und dergleichen, aber auch zu einem Ort für politische und kulturpolitische
Auseinandersetzung.
In den 80er Jahren dann entstehen größere
"mail art"-Projekte, von denen insbesondere die bis heute unter dem Titel
"Kunst & Kompostkarten" fortgeführte, weit über tausend Karten
umfassende Korrespondenz mit Wolfgang Ehehalt sowie die über einen
Zeitraum von drei Jahren täglich mit Ulrike Gauss geführte Korrespondenz
der "Atelier und Konzeptkarten" zu erwähnen sind. Daneben hält
Döhl mittels eigener Postkarten international Kontakt mit Künstlern
u.a. in Japan, China, Frankreich und der Tschechischen Republik sowie auch
mit Freunden und Kollegen zuhause in Deutschland, und dies bis zum heutigen
Tag. Bei Reisen und länger dauernden Auslandsaufenthalten (Japan 1987
und 1996, Paris 1990, Rom 1992, Jerusalem 1998/99) kommt den Karten noch
die Funktion von Tagebuch und Reisebericht zu, sie geben Eindrücke
und Anregungen wieder und lassen etwas von der Befindlichkeit ihres Produzenten
erkennen.
Der vorliegende Katalog erscheint anläßlich
der gleichnamigen Ausstellung vom 31.3. - 05.05.2000 in der Stadtbücherei
Bad Wildbad. Kern der Ausstellung sind dabei ein den aktuellen Stand dieser
Korrespondenz repräsentierendes Konvolut der "Kunst & Kompostkarten"
von Döhl und Ehehalt, die erstmals 1989 in der Galerie Folkmar von
Kolczynski in Stuttgart ausgestellt wurden und als separater Block auch
1996 in der "mail art"-Ausstellung Döhls im Stuttgarter Wilhelmspalais
zu sehen waren. Hinzu kommen Beispiele weitgestreuter Korrespondenz vornehmlich
aus den 9Oer Jahren. Nicht gezeigt werden können in Wildbad leider
die bereits erwähnten Karten an Ulrike Gauss, die von 1989-92 täglich
Auskunft über Konzepte, Pläne, angefangene, abgebrochene, abgeschlossene
Projekte und ähnliches gaben.
Während also im Mittelpunkt der Ausstellung
die "Kunst & Kompostkarten" stehen, dokumentiert der Katalog einerseits
ein erweitertes Netz von Korrespondenten in Deutschland und aus den Ländern,
mit denen Döhl beruflich zu tun hatte und an denen von seiner Seite
ein grundsätzliches kulturelles Interesse besteht, namentlich Frankreich,
die Tschechische Republik. China und Japan. Zum andern sollen hier thematische
Konstanten erkennbar werden, die für das künstlerische Gesamtwerk
Reinhard Döhls insgesamt konstitutiv sind: Porträt, Landschaft,
Stadt, Strukturelles und Kalligraphisches (vgl. RD., foto/bild, hg. von
Rolf H. Krauss u. Joachim Kuolt, Stuttgart 1997), aber auch Zeitkritik
sowie das weite Feld des Un-Sinns, welches Döhl auch literarisch und
wissenschaftlich ertragreich bearbeitet hat.
Zum Schluss sei angemerkt, dass nicht
nur einerseits der Kreis der Korrespondenten international war und ist,
sondern andererseits Karten von Reinhard Döhl auch in "mail art"-Ausstellungen
in Siegen (1987), Berlin (1988), Tokyo (1994) und Montevideo (1991) zu
sehen waren.
Joachim Kuolt
d) Was der Kritiker schrieb:
"mail-art" von Reinhard Döhl und
seinen Freunden in der Stadtbibliothek Bad Wildbad
Mail-...was? Klar doch, was eine oder
ein Mail ist (über die Geschlechtsdefinition dieser superschnellen
Nachrichtenform herrscht in Germaniens Gauen immer noch Unklarheit), das
weiß inzwischen fast jeder Grundschüler. Und um dem in Geschäftskreisen
bisweilen anzutreffenden Wichtigtuer-Nimbus mit den e-mails zu entgehen,
hat sich in hiesigen Chatterkreisen die amüsant eindeutschende Bezeichnung
"Mehl" eingebürgert. Aber Mail-Art, – oder korrekterweise klein geschrieben
– mail-art? Nun gut, Art – soviel steht fest – hat etwas mit Kunst im weiteren
Sinne zu tun. Wie aber ist das zu koppeln mit dem Abschicken von e-mails?
Überhaupt nicht, sofern nicht irgendwelche Bilddateien mit versendet
werden, die oft als sogenannte pics das mehr oder minder attraktive Konterfei
des Absenders transportieren. Wer also mit diesbezüglichen Erwartungen
in die Stadtbibliothek Bad Wildbad wandert, um sich dort einer völlig
neuartigen, elektronisch gestützten Kunstrichtung zu konfrontieren,
der wird nolens volens Bekanntschaft machen mit der Vergänglichkeit
der Zeit. Die technische Entwicklung nämlich überrollt den Menschen
und seine Begriffe gleich mit. So auch "Mail", das im Wörterbuch schlicht
als Post definiert wird, und das in eben diesem Sinne von Reinhard Döhl
und seinen Freunden Verwendung fand. Döhl, seines Zeichens umtriebiger
Kunstprofessor in Stuttgart, inzwischen auch Vorsitzender der neugegründeten
Finsterlin-Gesellschaft in Schömberg, begann 1959 eine kleine Form
die Kunst zu kultivieren, die zwar Vorläufer hat, doch in dieser Menge
und weitgespannten Ausdrucksform neuartig ist. Nur das Format teilen die
Hunderte von Mini-Kunstwerken mit einem Nachrichtenmittel, das seit über
100 Jahren sich milliardenfacher Beliebtheit erfreut: Die Ansichtspostkarte.
Ansichtskarten haben eine ganze Reihe von Funktionen, vom ohnehin selbstverständlichen
und manchmal auch nur widerwillig abgelieferten Gruß abgesehen. Weit
verbreitet ist die Neigung, im lieben Mitmenschen ein bisschen Neid zu
schüren, der ganz gewiß sich melden wird, wenn die Postkarte
mit dem herrlichen Panoramablick eintrudelt. Ein aufgemaltes Kreuzchen
verrät oft, wie komfortabel der Absender logiert. Womit schon der
erste Schritt zur Mail-Art getan wäre. Häufig werden bereits
vorhandene Postkartenmotive verändert, übermalt, mit aufgeklebten
Textstreifen garniert; ganze Serien eigens geschaffener Karten mit variierten
Bildmotiven, kalligraphischen Ornamenten, verfremdeten Fotos oder Kollagenmontagen
im Schwitters-Stil sind so entstanden, freikünstlerisches Spiel mit
Form und Farbe einerseits, doch auch nicht selten bissig-polemische Kommentierungen
gesellschaftlicher Vorgänge andererseits, ähnlich wie Klaus Staecks
Politplakate. Von purer Lust am zweckfreien Bildschaffen (den jeweiligen
Adressaten einmal außen vor gelassen) bis zum makaber Anklägerischen
(beispielsweise eine Serie mit elektrischem Stuhl) reicht das Spektrum
dieser Mail-Art-Ausstellung, die zu besuchen sich allemal lohnt.
Sebastian Giebenrath
Ausstellung mail-art, Stadtbücherei
Wildbad, bis zum 5.5.
Was dann wirklich in der Zeitung stand
Pforzheimer Zeitung, 3. April 2000
/ Kultur
"mail-art" in Bad Wildbad
Mail-...was? Klar doch, was eine ist,
weiß inzwischen fast jeder Grundschüler. Aber Mail-Art, – oder
korrekterweise klein geschrieben – mail-art? Art hat etwas mit Kunst im
weiteren Sinne zu tun. Wie aber ist das zu koppeln mit e-mails? Überhaupt
nicht, sofern nicht irgendwelche Bilddateien mit versendet werden. Wer
also mit diesbezüglichen Erwartungen in die Stadtbibliothek Bad Wildbad
wandert, wird nolens volens Bekanntschaft machen mit der Vergänglichkeit
der Zeit. Die technische Entwicklung nämlich überrollt den Menschen
und seine Begriffe gleich mit. So auch "Mail", das im Wörterbuch schlicht
als Post definiert wird, und das in eben diesem Sinne von Reinhard Döhl
und seinen Freunden Verwendung fand. Döhl, umtriebiger Kunstprofessor
in Stuttgart, begann 1959 eine kleine Form die Kunst zu kultivieren, die
zwar Vorläufer hat, doch in dieser Menge und weitgespannten Ausdrucksform
neuartig ist. Nur das Format teilen die Hunderte von Mini-Kunstwerken mit
der Ansichtspostkarte. Ein aufgemaltes Kreuzchen verrät oft, wie komfortabel
der Absender logiert. Womit schon der erste Schritt zur Mail-Art getan
wäre. Häufig werden bereits vorhandene Postkartenmotive verändert,
übermalt, mit aufgeklebten Textstreifen garniert; ganze Serien eigens
geschaffener Karten mit variierten Bildmotiven, kalligraphischen Ornamenten,
verfremdeten Fotos oder Kollagenmontagen im Schwitters-Stil sind so entstanden.
Von purer Lust am zweckfreien Bildschaffen bis zum makaber Anklägerischen
reicht das Spektrum dieser Mail-Art-Ausstellung, die zu besuchen sich allemal
lohnt.
Sebastian Giebenrath
"mail-art" (bis zum 5.5.)
in der Stadtbücherei Wildbad: Di + Do 10 bis 12.30 Uhr, 15.30 bis
19 Uhr; Mi 10 bis 13 Uhr; Fr 11.30 bis 15 Uhr. Der Katalog zur Ausstellung
kostet DM 8.-.
Ausstellungskalender
Eigene Mailart-Austellungen
[Postkartengrosse Exponate seit Ende der
60er Jahre in Ausstellungen in Amsterdam, Heilbronn, Böblingen u.a.]
Kunst&Kompost Karten - mit Wolfgang
Ehehalt. Galerie von Kolczynski Stuttgart 1989
Mail Art. Reinhard Döhl und Freunde.
Wilhelmspalais Stuttgart 1996
Reinhard Döhl und Freunde / mail
art. Bad Wildbad 2000
Beteiligungen am/an der
Rubens-Projekt. Kunstverein Siegen 1987
Autoren Porträt-Galerie.
Literarisches Colloquium Berlin 1988
Jahresausstellung des Japan Poets Club,
Tokyo 1994. Beteiligung mit Postkarten aus der "Poetischen Korrepondenz"
mit Syun Suzuki
Else Lasker-Schüler-Projekt. Buch
Julius, Stuttgart 1995
[Stand 12/1999]